“Die Social-Media-Ära ist vorbei, Social ist nicht mehr social” – Sarah Kübler über Content und Community.
22. April 2024
Umgesattelt:Sarah Kübler hat ihren Traum vom Profi-Reitsport nach einem Sportunfall aufgeben müssen. Stattdessen hat sie eine Bilderbuch-Karriere als Gründerin von HitchOn hingelegt, einer “Full-Service Agentur für Social Media Content” mit inzwischen über 40 Mitarbeitenden. HitchOn produziert Inhalte und Kampagnen u.a. für ARD, ZDF, Funk, Tui, Suzuki und Jack Wolfskin. Im Interview verrät Sarah, warum Memes über- und Communitys unterschätzt werden und wie Influencer die Werbewelt verändern. Und wie sie damit umgeht, dass Plattformen “Polarisierung und Dissens unterstützen”.
Generell haben Trends eine immer kürzere Lebensdauer, insofern sollten sich Marken gut überlegen: Was passt so gut zu mir, dass ich alles daransetze, bei diesem Trend wirklich schnell dabei zu sein mit wirklich guten Ideen. Ich sage bewusst gute Ideen und nicht hochwertige Umsetzung, denn Production Value ist kein Kriterium für guten Content auf Social Media.
Und welchen Trend siehst Du?
Ein großer Trend, bei dem ich aktuell durchaus allen, zu denen das passt, raten würde, aufzuspringen, – der mir persönlich jedoch langsam, aber sicher wirklich auf den Geist geht – ist, dass sich Marken-Accounts aktuell nur noch batteln: Wer ist am ironischsten? Alles ist drüber, gefühlt ist alles ein Meme. Es wird kaum mehr eigener Content gesetzt, stattdessen nur noch reagiert – was die Plattformen durch ihre Funktionen wie Stitches etc. natürlich auch befördern. Jede Marke, die etwas auf sich hält, hat einen “Social Media Prakti” der vermeintlich anarchisch den Kanal übernimmt – das funktioniert aktuell noch wahnsinnig gut. Insofern würde ich niemandem davon abraten. Ich glaube aber, dass es in nicht allzu langer Zeit vielen geht wie mir, dass das als alleiniger Content auf Social Media, in einem Bereich, der groß wurde durch das Gefühl der Authentizität, einfach sehr ermüdend ist.
Was wird unterschätzt?
Eine echte starke Community zu haben! Eine Community, die keine Ansammlung von Follower:innen ist, sondern eine Community, die Mehrwert liefert für alle Menschen, die Teil dieser Community sind. Communitys, die diese Art Mehrwert für ihre Nutzer liefern, sind nicht leicht zu bauen. Sie sind aber ein Riesen-Asset für die dahinterstehenden Unternehmen, die oft kaum – oder wenn sehr dezent – in Erscheinung treten. Absender sind in guten Communities entsprechend auch mitnichten nur die Marke, die die Community aufgebaut hat. In guten Communitys entsteht Content und Interaktion natürlich innerhalb der Menschen, die sich dort versammelt haben – alle sind füreinander da. Ein gutes Beispiel dafür, wie aus einer solchen Community heraus sogar Unternehmen entstehen können, ist die Community Echte Mamas. So bekommt man wieder das Social in Social Media. In den Aufbau von echten Communitys investieren Marken meiner Erfahrung nach bisher viel zu wenig, weil viele die Macht und den Wert dieser engen Bindung unterschätzen – warum auch immer.
Graben KI-Influencer:innen den echten Creator:innen das Wasser ab?
Aus meiner Sicht bieten neue Tools die großartige Chance, dass Menschen Creator:in werden können und zwar mit einem völlig anderen Jobprofil als bisher. Eine/n KI-Influencer:in kann ich als Cutter:in und/oder Grafiker:in erstellen, wenn ich nicht vor die Kamera möchte, aber tolle kreative Ideen habe. Als Filmemacher:in kann ich fiktionale Geschichten auf Social Media erzählen, mit Figuren, die ich mir selbst erschaffe, ohne einen Drehtag zu investieren! Ich bin erstmal begeistert von all diesen neuen Optionen und freue mich auf kreative Umsetzungen! Ich glaube daher auch nicht, dass KI-Influencer:innen echten Creator:innen das Wasser abgraben.
Aber …
Aber ja, zur Wahrheit gehört auch, dadurch wird es immer einfacher Creator:in zu werden. Aktuell werden diese Chancen aber von Marken noch gar nicht so häufig genutzt. Das ist schade, denn KI-Influencer:innen bieten für Marken tolle Chancen in Richtung Unabhängigkeit, wenn eigene Köpfe kreiert werden. Auch wir arbeiten daran bereits für Kunden.
Überhaupt: Influencer – schon wieder out oder Megatrend?
Influencer sind längst kein Megatrend mehr, sondern mittlerweile absoluter Standard und Teil fast jeder größeren Kampagne! Die Frage ist eher: Was hat das mit Werbung insgesamt gemacht?
Sag Du es mir!
Influencer haben die Art zu werben aus meiner Sicht umfassend und nachhaltig umgekrempelt, Beispiele gibt es unzählige – sei es der Marken-Insta-Account, von dem wir vorher sprachen, der durch den berüchtigten Kommunikationsprakti anfängt wie eine Person, wie ein Influencer, zu interagieren. Oder der Werbespot der aufwändig ist, aber unaufwändig daherkommt, damit der Content im Feed zwischen all den Influencer Pieces funktioniert und nicht als zu glossy negativ auffällt etc. etc. etc. Influencer haben unsere Art, als Marken zu kommunizieren, verändert, Werbung verändert und das ist ja erstmal spannend!
Viele Social Networks wie Instagram oder Facebook werden ja durch den Erfolg von TikTok dahin getrieben, mehr Hochkant-Kurzvideos als soziale Beziehungen auszuspielen. Werden Social Networks so zu Entertainment-Kanälen statt zu Orten des Dialogs? Ist Social Media noch Social?
Seien wir ehrlich, die Social-Media-Ära ist vorbei, Social ist nicht mehr social. Alle Plattformen schotten sich immer mehr bewusst ab. Jede Plattform ist ihr eigenes in sich geschlossenes Ökosystem. Follower:innen sind immer weniger wert. Heute geht es darum, in den durch Algorithmen gesteuerten Feed reinzukommen, der immer mehr bedürfnisorientiert agiert. Dieser Fokus auf den Feed ist aus meiner Sicht nicht unproblematisch. Dass diese Art Ausspielung, diese Jagd nach Dopamin krank macht, Creator:innen wie User:innen, das zeigen aktuell ja leider diverse Studien. Dennoch oder gerade deshalb ist es gerade für Kund:innen mit gesellschaftlich relevanten und wichtigen Inhalten wichtig, dieses Game zu verstehen und spielen zu können, um hier auch Gegenpositionen setzen zu können zu populistischem Content, der durch diese Logik oft schnell an Reichweite gewinnt!
Schlägt Entertainment den Dialog?
Mich nerven solche Fragen ehrlicherweise immer ein bisschen, weil sie in 2024 immer noch suggerieren, es gibt ein entweder oder. Wer auf Social Media mit Dialog-Formaten Erfolg haben will, muss wissen, wie er oder sie die Feed-Logik, der die Plattformen immer mehr unterliegen, optimal bespielt. Und das heißt meist auch für Dialogformate: Es braucht einen entertainigen Ansatz. Und ganz wichtig: Dialog sieht je nach Zielgruppe sehr unterschiedlich aus. Aber ja: Plattformen unterstützen Polarisierung und Dissens, nicht Diskurs. Echter Austausch ist keine ganz leicht zu lösende Herausforderung. Das sollte, finde ich, bei uns aber eher eine “Challenge accepted” sein. Die Haltung “das ist eh aussichtslos” bringt ja nix.
Bleibt Social Media ein Wachstumsfeld insgesamt? Für Euch als Agentur?
Ja, definitiv! Aber inklusive vieler Veränderungen, die man bei uns z.B. auch in neuen Rollen und Teams spürt. Im vergangenen Jahr haben sich z.B. unsere Social-Media-Redaktionsteams neu sortiert und arbeiten nicht mehr wie früher nach Plattformschwerpunkten (YouTube, Insta, TikTok, Linked-in etc.), sondern teilen sich auf die Bereiche Content & Creation (CC) und Analytics & Innovations (AI) auf. So können wir agiler auf Marktveränderungen reagieren. Generell hat das Thema AI unsere Agentur sehr zum Positiven einmal auf den Kopf gestellt. Wir konnten diverse Prozesse verschlanken und haben dem Thema auch durch unser Team mit der Abkürzung AI entsprechende Wichtigkeit beigemessen.
Wo steht Ihr jetzt?
Wir freuen uns sehr, dass wir für Kunden in Sachen Social Media vielfach sehr umfassend tätig sein dürfen, dabei unterstützen dürfen, mit der dort immer stärker werdenden Komplexität umzugehen, Prozesse zu verschlanken, inhaltlich zu beraten und am Ende auch in der kreativen und strategischen Umsetzung begleiten zu dürfen. Dieses ganzheitliche Arbeiten führt zu besseren Ergebnissen als ein Hopping von Projekt zu Projekt, wie das in der Anfangszeit von Social oft noch ein Thema war. Unsere Kunden sind Kunden die Social Media für sich priorisiert haben!
Wo wollt Ihr noch hin?
HitchOn ist als Full Service Social Media Agentur nun 9 Jahre alt. Vor 3 Jahren kam unsere Tochterfirma AlwaysOn Production hinzu, mit der wir all unsere Bewegtbildinhalte erstellen. Wir wollen als kleine Gruppe weiter entsprechend der Needs unserer Kunden wachsen und haben gemeinsam mit unserem Innovationsmanager natürlich das Thema Prozessoptimierung durch KI ganz groß auf dem Zettel! 2024 wird für uns zudem ein spannendes Jahr, da wir aktuell wieder an einer Portfolio-Erweiterung dran sind. Wir glauben sehr an langfristige und nachhaltige Kooperationen zwischen Creatorn und Marken und arbeiten aktuell in ersten Pilotprojekten an einem Influencer Media For Equity Modell, das extrem gut anläuft.
Was ist Dein wichtigstes Learning für Dich persönlich aus vielen Jahren Social Media?
Limitiert eure eigene Bildschirmzeit! Auch um die Leichtigkeit mit und den Spaß an Social Media nicht zu verlieren – denn den braucht es, wenn man dort erfolgreich sein will. Gerade, wenn man beruflich dort unterwegs ist, werden die Zeiten erfahrungsgemäß wirklich wild und ich hab‘ mittlerweile auch einigermaßen klar getrennte Arbeits- und Privat-Accounts. Sonst ist always on nicht nur der Firmenname, sondern auch das Motto und das tut keinem gut.
Sarah Kübler ist Westernreiterin, hier im Senior Reining Finale auf der EWU German Open
Was rätst Du Deinen Kunden?
Bleibt euch selbst treu! Gerade wer viel auf Social Media unterwegs ist, lässt sich schnell durch Meldungen anderer Wettbewerber verunsichern. Für unsere Agentur gilt: Wir haben daher bewusst auch unsere Vision und unsere Werte festgeschrieben und messen daran alles, was wir tun und was wir Kunden vorschlagen. Und ein Projekt das nicht unseren 3 F entspricht (Fair, Fact Based, Forward Thinking) das wird auch nicht vorgeschlagen, egal wie heiß das Ding gerade zu sein scheint.
Wo bist Du privat auf Social Media unterwegs?
Ich bin aktive Turnierreiterin und lebe und liebe dieses Hobby, diese Leidenschaft sehr. Dementsprechend ist mein privater Feed zu fast 100 % von Reitsportler:innen und tollen Vierbeinern geprägt.