“Drei Tage Energie tanken und dann produktiver arbeiten” – Katharina Zander über die 4-Tage-Woche und lustvolles Arbeiten.
5. März 2023
Sex, Klicks & Payroll: Mit dem Joyclub hat das Unternehmen F&P eine sexpositive Community mit fast fünf Millionen Mitgliedern aufgebaut. In ihren Büros in Leipzig und Selbitz bei Hof bietet die Firma aber auch ihren rund 180 Angestellten ein besonderes Goodie: Seit Oktober 2022 arbeiten alle nur noch vier Tage pro Woche bei gleichem Gehalt. Laut Katharina Zander, Head of People & Culture, war die Umstellung ein “erhebliches Investment” und klappt nur, wenn man “Termine auch mal weglässt”, sagt sie im Interview mit turi2-Redakteurin Nancy Riegel. Das Feedback aus der Belegschaft macht der Firma Mut – und auch die Zahl der Bewerbungen ist deutlich gestiegen.
Von Nancy Riegel
Katharina, ihr habt bei F&P im Oktober 2022 die 4-Tage-Woche eingeführt. Habt ihr zu wenig zu tun?
Nein, daran liegt es definitiv nicht. Leerlauf gibt es bei uns nicht. Die Hauptintention war, den Mitarbeitenden nach der Pandemie eine bessere Work-Life-Balance zu bieten und die Zufriedenheit in diesem Bereich zu steigern – und gleichzeitig die Motivation hochzuhalten. Natürlich geht es auch darum, das Team an uns zu binden und neue Talente am Markt anzusprechen. Wir suchen wie viele andere Unternehmen auch händeringend nach neuen Angestellten, vor allem im Bereich Software-Entwicklung, auf die wir aufgrund unserer sexpositiven Online-Community Joyclub angewiesen sind. Mit der 4-Tage-Woche haben wir in der Region ein Alleinstellungsmerkmal.
War es notwendig, eure Angestellten zufriedenzustellen? Haben sie gefordert, weniger arbeiten zu müssen?
Der Vorschlag kam nicht aus der Belegschaft, es gab auch keine erhöhte Fluktuation oder Ähnliches. Der Anstoß kam tatsächlich von der Geschäftsführung. Als sie mir und meinem Team im April 2022 von ihren Überlegungen berichtet haben, haben wir es ehrlich gesagt erst einmal gar nicht so ernst genommen. Ich hielt es zunächst für unrealistisch, weil ich in der Praxis bislang nur von kleinen Agenturen gehört hatte, aber nicht von Unternehmen in unserer Dimension. Aber dann ging es ganz schnell: Kurz nach der Präsentation unserer Rechercheergebnisse hat die Geschäftsführung im Sommer das Go gegeben, zwei Wochen später wurden alle Teams von unserem CEO Ingmar Ackermann informiert. Und im Oktober ging es los.
Das Team People & Culture um Katharina Zander (2.v.l.) hat die Umstellung auf die 4-Tage-Woche bei F&P begleitet
Die Geschäftsführung ist nicht nur am Wohl der Mitarbeitenden interessiert, sondern auch am Geschäftsergebnis. Welche positiven – auch finanziellen – Effekte erhofft sich F&P?
Wir wollen damit die Produktivität möglichst hochhalten. Wer volle drei Tage Energie tankt, geht danach gestärkt und mit frischen Gedanken an die Arbeit. Der Drive ist spürbar. Um finanzielle Effekte geht es nicht. Ganz im Gegenteil, es war ein erhebliches Investment. Diejenigen, die vorher 40 Stunden gearbeitet haben, arbeiten jetzt 32 Stunden bei gleichem Gehalt. Zudem haben wir in Vorbereitung die Teams mit neuen Mitarbeitenden verstärkt, wo wir Bedarfe gesehen haben, beispielsweise im Community-Support für den Joyclub. Und diejenigen, die schon vor der Umstellung nur 32 Stunden gearbeitet haben, werden jetzt für 40 Stunden vergütet, damit alle gleich behandelt werden. Also definitiv keine Sparmaßnahme.
Wie gestaltet sich die 4-Tage-Woche konkret? Wie sieht es mit Urlaub und Überstunden aus?
Freitags ist bei F&P frei. Ausnahme sind die Bereiche, die nah an der Joyclub-Community arbeiten und auch am Wochenende erreichbar sein müssen. Diese Kolleginnen und Kollegen arbeiten im Schichtsystem, aber auch nur an vier Tagen in der Woche und haben drei Tage am Stück frei. Die Urlaubstage haben wir angepasst, entsprechend sechs Wochen pro Jahr von 30 auf 24 Tage. Überstunden sind bei uns nicht die Regel, diese würden sich auch eher negativ auf das Stimmungsbild auswirken.
Wie musstet ihr euren Workflow ändern, um alles in vier Tagen schaffen zu können?
Mit Begleitung unserer Agile-Coaches haben wir uns vor allem die Meeting-Kultur vorgenommen. Bei welchem Meeting ist kein konkretes Ziel zu erkennen? Sitzen dort die richtigen Teilnehmenden? Wenn ich 15 Minuten lang nichts beizutragen habe, kann ich die Zeit auch anders nutzen. Manchmal muss man auch mutig sein und Termine einfach weglassen. Das haben wir auch in meinem Team People getan. Die Geschäftsführung hat immer wieder betont: Die Arbeit von fünf Tagen muss nicht an vier Tagen erledigt werden. Stattdessen wollen wir gemeinsam die Prozesse optimieren.
Ist dadurch das Stresslevel im Büro gestiegen?
Die erste große Umfrage unter der Belegschaft haben wir vier Wochen nach der Umstellung gemacht. Dabei hat sich gezeigt, dass sich bei der Hälfte bereits das Stresslevel reduziert hat und 20 % der Mitarbeitenden mehr Stress empfunden haben. Wobei viele angegeben haben, dass es sich dabei tendenziell um positiven Stress handle. 60 % haben übrigens auch angegeben, die Produktivität im Unternehmen sei gleich geblieben, trotz der stressigen Umstellungsphase. 20 % haben sogar mehr Produktivität erkennen können. Um das Stresslevel und allgemein die Stimmung in der Belegschaft im Blick zu haben, führen wir jetzt alle drei Monate Pulse-Checks durch.
Die F&P GmbH wurde 1990 als klassische Werbeagentur gegründet. Heute konzentriert sich die Firma auf die sexpositive Community Joyclub mit der dazugehörigen App Joyce. Bei F&P arbeiten über 180 Mitarbeitende an den Standorten Selbitz bei Hof und Leipzig. CEO ist Ingmar Ackermann.
Würdest du die 32-Stunden-Woche jetzt nach vier Monaten empfehlen? Wo gibt es noch Probleme?
Für uns hat sich die 4-Tage-Woche bereits gelohnt. Empfehlen würde ich anderen Unternehmen aber, individuell zu schauen, was für sie passt. Probleme gibt es nicht direkt, aber beispielsweise im internationalen Marketing arbeiten wir mit externen Agenturen zusammen, denen wir galant kommunizieren müssen, dass bei uns freitags in der Regel niemand erreichbar ist. Aber das ist ein kleines Hindernis und für uns ist klar: Es wird keinen Weg zurück geben. Es ist kein Experiment, wir stellen nicht wieder auf die 5-Tage-Woche um.
Wie sieht es mit Bewerbungen seit der Umstellung aus?
Die Zahl der Bewerbungen ist um das Zweieinhalbfache gestiegen. Es bewerben sich auch immer mehr Menschen initiativ, die wegen der 4-Tage-Woche auf uns aufmerksam geworden sind. Alle Stellen konnten wir dadurch noch nicht besetzen, vor allem im Bereich Development und IT suchen wir noch immer. Aber es ist einfacher geworden.
Ist euer Hauptprodukt Joyclub ein Hindernis oder ein Vorteil bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden?
Das Produkt ist oft zweitrangig, die meisten Bewerberinnen und Bewerber interessieren sich vor allem für das Arbeitsumfeld. Man sollte aber natürlich offen für das Thema Sexualität sein, denn unsere Vision ist es, Wegbereiter für eine sexpositive Welt zu sein. Man bekommt auch viel aus der Community mit und wir sind untereinander im Team sehr offen. Wobei selbstverständlich ist, dass persönliche Grenzen gewahrt werden.
Ihr bewerbt euer Unternehmen in Employer-Branding- Kampagnen mit dem Hashtag #lustvollarbeiten. Was kann ich mir darunter vorstellen?
“Lustvoll” steht für Motivation und Drive, gemeinsam mit Begeisterung an etwas Großem mitzuwirken und dabei ein angenehmes Arbeitsumfeld zu erleben. Feelgood-Management ist ein fester Bestandteil unserer Kultur. Uns geht es dabei nicht um den allseits bekannten Obstkorb und Kicker, sondern vielmehr darum, eine möglichst störungsfreie Arbeitsumgebung zu schaffen und Raum für persönliche Begegnungen zu ermöglichen.
Wie viel Erotik steckt in einem Meeting, in dem es um Marketing-Kampagnen, Nutzer-Zahlen und Software-Updates geht?
Scherzhaft heißt es immer, wenn Gäste zu Besuch kommen: Hosen an. Aber es ist ein Mythos, dass wir alle nackt arbeiten oder den ganzen Tag Pornos schauen. Nichtsdestotrotz sind im Marketing oder auch im Community-Management die Kommunikation rund um sexuelle Themen ein Teil des Alltags bei F&P. Und so kommen wir mitunter auch mit Themen in Berührung, die vielleicht persönlich nicht gefallen, Widerstände oder auch Neugier wecken. Dadurch pflegen wir eine unbefangene Kommunikation, bei der der Ton lockerer ist, als in anderen Unternehmen.
Wie sieht ein typischer Freitag bei dir aus?
Ich schlafe erst einmal aus. Meistens gehe ich dann zum Sport und lasse mir dabei richtig viel Zeit. Manchmal starte ich auch den Morgen allein im Café. Und dann erledige ich Dinge wie Einkaufen und Hausputz, sodass ich am Wochenende wirklich zwei Tage Zeit für mich habe. Es wird wirklich schwer für mögliche künftige Arbeitgeber. Ich kann mir aktuell nicht vorstellen, wieder fünf Tage pro Woche zu arbeiten.
Fotos: Michael Bader
Dieses Interview erscheint in der Themen-Woche Future of Work bei turi2, in der wir auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen der Arbeitswelt schauen.