“Ein systemisches Problem” – Volker Lilienthal über gut entlohnte Regierungsaufträge für Medienschaffende.
18. März 2023
Staattlich bezahlt: Die Debatte um Regierungsaufträge für Medienschaffende ist “nicht nur eine Blamage für den Journalismus, sondern ebenso für die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit”, schreibt Volker Lilienthal bei epd Medien. Er schaut genau in die verfügbaren Daten und stellt fest, dass die Honorare “zur Welt der Auftragskommunikation passen, im Journalismus sind sie unüblich”. Die Vertragsfreiheit freier Mitarbeitender sei kein Argument, wenn “interessierte Kreise” Moderationen nutzen, “um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich zu skandalisieren”. Auch wenn der Vertrauensverlust der Bevölkerung ungerecht sei, dürfe man ihn nicht noch befeuern.
Durch eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion wurde Anfang März bekannt, in welchem Umfang Bundesregierung und Bundesbehörden in den vergangenen Jahren bezahlte Aufträge an Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und privater Medien vergeben haben. Der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal hat sich die 30-seitige Bundestagsdrucksache 20/5822 im Detail angesehen. Er sieht ein grundsätzliches Problem, weil die Kontrolle des Regierungshandelns die wichtigste Aufgabe der Medien sei. Journalisten, aber auch deren Vorgesetzte und die Verantwortlichen für Compliance-Richtlinien in Medienunternehmen müssten genau bedenken, unter welchen Bedingungen entsprechende Nebentätigkeiten statthaft seien, fordert er. Lilienthal (63) hat seit 2009 die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus an der Uni Hamburg inne. Zuvor arbeitete er 20 Jahre lang als Medienjournalist für den epd, zuletzt von 2005 bis 2009 als verantwortlicher Redakteur von epd medien. Seit 2019 ist er als Sachverständiger Mitglied des Deutschlandradio-Verwaltungsrats.
Bundesministerien und Bundesbehörden zahlten von 2018 bis Anfang 2023 rund 1,47 Millionen Euro an 197 Journalisten und Journalistinnen. Manche Auftragnehmer kassierten mehrfach Geld aus dem Staatshaushalt – es ging um Moderationen, Medientrainings für Ministeriale, aber auch um Texte und Konzepte, mit denen sich die Ministerien im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit beraten ließen. 875.232 Euro gingen an Journalisten, die sich öffentlich-rechtlichen Sendern zuordnen lassen. Deutlich weniger, nämlich 596.597 Euro, an Mitarbeitende von Privatsendern, Zeitungen und Zeitschriften, Online-Medien oder einfach freie Journalistinnen und Journalisten.
Das sind einige Zahlen und Fakten aus der am 27. Februar veröffentlichten Bundestags-Drucksache 20/5822, die unter http://u.epd.de/2iya abrufbar ist. Viel hat man darüber in der liberalen Medienöffentlichkeit noch nicht gehört. Es handelt sich um eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von AfD-Abgeordneten. Natürlich sah die rechte Partei ihren Verdacht bestätigt: “Das sind weitere Beweise für die Korruption & das Auf-Linie-Bringen der Medien, vor allem des Staatsfunks”, schrieb der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner auf Twitter. Leider kann die Tatsache, dass die politische Initiative zu diesem Bericht von der AfD ausging, kein Grund sein, die Drucksache 20/5822 zu ignorieren. Man muss sich damit ernsthaft auseinandersetzen.
Denn hier geht es um den Grundsatz der journalistischen Distanz – also um eine Professionsnorm, die viel mehr ist als bloß eine Regel für moralisches Wohlverhalten, sondern eine *conditio sine qua non* für die Funktionalität der “Vierten Gewalt” innerhalb der Demokratie. Dies gilt in ganz besonderer Weise für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der staatsfern konzipiert ist, aber eben eine Garantiefinanzierung genießt, über die staatliche Gliederungen mitentscheiden, was auch EU-beihilferechtlich immer wieder zu legitimieren ist.
Es wäre ein Gau, wenn diese Staatsferne grundsätzlich in Zweifel gezogen werden könnte – und sei es nur wegen einzelner Zahlungen von Bundesministerien an Redakteure von ARD und ZDF. Die Bundesländer arbeiten ja gerade an neuen Compliance-Vorgaben für die Rundfunkanstalten – der aktuelle Fall ist Anschauungsunterricht dafür, was alles aufgeklärt und kontrolliert werden müsste.
Aber rechtfertigt denn die sogenannte Geheimliste den Hashtag #GekaufteJournalisten? Rechtfertigen die dokumentierten Honorarzahlungen den Generalverdacht, die Begünstigten hätten ihre journalistische Distanz im Verhältnis zum Staat aufgegeben? Sie seien zu Hofberichterstattern in Diensten von Merkel oder Scholz mutiert? Das alles stimmt ganz sicher nicht. Schon gar nicht, wenn vorgetragen als Pauschalverdacht, der alle Unterschiede verwischt. Oder als öffentlicher Pranger, an den “Achtung, Reichelt!” und “Pleiteticker.de” prominente Journalistinnen (ja, vor allem die) gestellt haben.
Demgegenüber soll hier nicht von Namen die Rede sein, keine medienfeindliche Neiddebatte befeuert werden. Die Bundesregierung tat schon recht, aus Datenschutzgründen keine Namen der natürlichen Personen zu veröffentlichen. Verschiedentlich wurde schon gefordert, so von Jost Müller-Neuhof im “Tagesspiegel”, alle Namen müssten auf den Tisch. Aber mal ganz abgesehen davon, dass dann auch acht Mal von Kollegen und Kolleginnen seiner eigenen Zeitung die Rede wäre – was wäre damit gewonnen?
Dass Reichelt auf seinem Youtube-Kanal vor allem Frauen herauspickte und sie dem Spott aussetzte (und dafür reichlich Beifall aus dem AfD-Milieu bekam), zeigt schon eine misogyne Gefahr an, der auch die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht ganz entgangen ist. Den Datenschutz respektierend verwendet sie in der Bundestags-Drucksache die geschlechtsneutrale Chiffre “Journalist 1” bis “Journalist 197”. Aber in der Teilliste für private Medien (Anlage 2) taucht fatalerweise 61 Mal die Personenbeschreibung “freie Journalistin” auf.
Sicherlich keine böse Absicht, aber eine grobe Unachtsamkeit der Redaktion, weil so die Aufmerksamkeit auf Frauen gelenkt wurde. Man weiß ja, zu welchen Beschimpfungen und Bedrohungen das in den Social-Media-Kanälen der weiblichen Betroffenen, wenn sie denn identifiziert werden, führen kann. Der Rechercheverbund “Forbidden Stories” hat hierfür jüngst empörende Fallbeschreibungen geliefert.
In der nun anstehenden medienethischen, aber auch medienpolitischen Diskussion ist nicht primär eine individuelle Fallbetrachtung angezeigt, sondern eine systemische Analyse denkbarer Folgen von geldlichen Beziehungen zwischen Staat und Journalisten. Für den deutschen Journalismus besteht Anlass zu einer selbstkritischen Reflexion. Denn was jüngst bekannt wurde, ist eben nicht die x-te Wiederholung der altbekannten Diskussion um Grenzverwischungen zwischen Journalismus und PR. “Journalisten machen keine PR”, heißt es im Medienkodex von Netzwerk Recherche – was natürlich mehr Wunschdenken als Realität ist und eine innerhalb der Profession umstrittene, keineswegs allgemein akzeptierte Norm.
Diese Diskussion wird von den aktuellen Einsichten auf eine neue Stufe gehoben. Es geht jetzt nicht mehr nur um gelegentliche Mitarbeit an Unternehmensmagazinen, um idyllische Urlaubsfilmchen, die man im Nebenberuf für eine kommerzielle Website abdreht. Es geht um nichts weniger als journalistische Mitwirkung an der Selbstdarstellung der Bundesregierung. Egal ob diese demokratisch gewählt wurde, egal ob ihr Wirken unsere Zustimmung findet oder nicht – es geht um den Staat. Und da es davon hierzulande nur einen gibt und es das höchste und wichtigste Mandat von Journalisten ist, Regierungshandeln zu kontrollieren, kann es keinen Rabatt auf diese Distanznorm geben.
Die Investments der einzelnen Ministerien in Medienmitarbeitende öffentlich-rechtlicher Sender in den erhobenen fünf Jahren waren höchst unterschiedlich und lohnen die Einzelbetrachtung. Spitzenreiter ist das Bundesbildungsministerium mit 198.807 Euro. Das meiste Geld wurde unter Ministerin Anja Karliczek (CDU) verausgabt, aber auch mit Bettina Stark-Watzinger (FDP) ging die Praxis so weiter. Auf Platz zwei findet sich das Bundeswirtschaftsministerium, bis 8. Dezember 2021 von Peter Altmaier (CDU) geführt: 143.102 Euro. Für die Amtszeit von Robert Habeck verzeichnet der Regierungsbericht zwei Zahlungen im Jahr 2022 an Journalisten von RBB und ZDF.
Ebenfalls sechsstellig waren im Berichtszeitraum 2018-2023 die Honorarzahlungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), bis Dezember 2021 geführt von Julia Klöckner (CDU): 142.081 Euro gingen an Journalisten von ARD-Sendern, des ZDF, von Phoenix, Deutscher Welle und auch Deutschlandfunk. Das BMEL ist im Vergleich ein Ausreißer, zahlte es doch fast 20.000 Euro mehr an Mitarbeitende privater Medien, insgesamt 161.022 Euro (ähnlich beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: nur 5.353 Euro an ÖRR-Angehörige, aber immerhin 64.699 Euro an Mitarbeitende privater Medien).
Zu den Hintergründen lässt sich auf Basis der insofern unzureichenden Daten nur mutmaßen. Aber wenn man in der BMEL-Liste für die Privatmedien vier Mal den Publikationsnamen “Top Agrar” findet und sechs Mal das Privatradio FluxFM (das, alle Ministerien zusammengenommen, sogar zwölf Mal in der Liste auftaucht), könnte man schon annehmen, dass hier auf eine höhere Durchlässigkeit in Redaktion und Programm spekuliert wurde. Ob erfolgreich oder nicht, sei dahingestellt.
Geld sorgt für Gewogenheit. Deshalb sollte man sich auch anschauen, wie viel Geld an einzelne journalistische Auftragnehmer gezahlt wurde. Die Antwort der Bundesregierung an die AfD-Fraktion verzeichnet aber nur aggregierte Werte für die einzelnen Ministerien, nicht die Einzelzahlungen an Journalisten. Aber man kann die Durchschnittswerte errechnen, weil sich die Anzahl der Leistungsempfänger ebenso aus der Liste ablesen lässt. Der Rest ist eine Divisionsaufgabe.
Im Ergebnis zeigt sich, dass der Staat extrem gut zahlt: Beim Wirtschaftsministerium bekamen 24 Auftragnehmer aus dem ÖRR-Umfeld pro Leistung durchschnittlich 5.962 Euro. Das Bildungsministerium zahlte auch nicht schlecht: nämlich durchschnittlich 4.518 Euro an 44 ÖRR-Mitarbeitende und das BMEL je 3.946 Euro an 36 Auftragnehmer. Obwohl Akteure im privaten Mediensektor insgesamt weniger Geld aus der Staatskasse bekamen, war die durchschnittliche Einzelhonorierung auf einem ähnlich hohen Niveau: 5.031 Euro beim BMEL, 4.621 Euro beim Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 3.564 Euro beim Bildungsministerium.
Wir wissen nicht, was für diese Geldbeträge jeweils geleistet wurde. Aber entweder war das Ausmaß der journalistischen oder sonstigen medialen Tätigkeiten im Staatsauftrag groß, was die Frage nach dem absorbierenden Zeitaufwand jenseits des journalistischen Hauptberufs aufwirft. Oder die gezahlten Honorare bewegten sich deshalb auf einem sehr hohen Niveau, weil es aus der PR-Sicht des jeweiligen Ministeriums schon auch darum ging, Journalisten finanziell zufriedenzustellen, um so Gewogenheit auf lange Sicht zu erzeugen. Aber hier kommen wir in den Bereich der Spekulation.
Festhalten lässt sich: Die Größenordnungen der Honorare passen zur Welt der Auftragskommunikation, im Journalismus sind sie unüblich. Und man hätte sie eher bei profitablen DAX-Konzernen vermutet, nicht aber bei Bundesministerien, die mit dem Steuerzahlergeld sparsam umgehen müssen. Übrigens ist der Kasus nicht nur eine Blamage für den Journalismus, sondern ebenso für die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit. Wären deren Akteure professionell, hätten sie einen Blick auf die Rollenkonflikte geworfen, in die man Journalisten mit bezahlten Regierungsaufträgen bringt. Hat niemand gesehen, dass die kumpelhafte Praxis beiden Partnern auf die Füße fallen kann? An dieser Stelle Respekt und Vorsicht vermissen zu lassen, ist mindestens Gedankenlosigkeit.
Es soll hier nicht das Verdikt ausgesprochen werden, jede einzelne dieser Tätigkeiten, bezahlt vom Bund (oder auch den Ländern!), sei unschicklich oder gar ein Fall von Korruption. Letzteres ist ohnehin ein strafrechtlicher Tatbestand. Das aber bedeutet nicht, Korruptionsgefahren im Bereich des Journalismus gar nicht erst für möglich zu erachten.
Die Forschung dazu ist unterentwickelt. Eine Untersuchung von Dennis Deuermeier, entstanden 2016 an meiner Professur in Zusammenarbeit mit Transparency International Deutschland, erbrachte, dass eine Mehrheit der 386 Befragten durchaus Versuchungen im journalistischen Alltag selbst erfahren oder bei anderen beobachtet hat; nur 37 Prozent hielten das Problem für nicht oder kaum existent. Beschrieben wurde damals die Gewährung geldwerter Vorteile wie Einladungen oder Reisen, um so eine positive Berichterstattung zu befördern. Schon das Exklusivinterview mit dem Minister kann das journalistische Urteilsvermögen trüben. Man spricht hier auch von “Korruption durch Nähe”. Zur Nähe kommt aber in den aktuell diskutierten Fällen das Geld dazu.
Beschrieben sind damit zunächst nur hypothetische Gefahren – die aber jede Journalistin, jeder Journalist im Interesse einer verantwortlichen Berufsausübung im Auge behalten sollte. Bei den dokumentierten Leistungsaustausch-Verhältnissen zwischen Bundesministerien und Journalisten sollte kein Pauschalverdacht ausgesprochen werden. Natürlich kommt es immer auf den Einzelfall an. Sachlich mag es naheliegen, eine Publikumsveranstaltung zur Bildungspolitik von einer Fachjournalistin moderieren zu lassen – sie oder er bringt ihre oder seine Kompetenz mit. Und dennoch muss man sich fragen, zumal wenn einzelne Personen dergleichen in Serie machen, ob nicht im Prozess der wiederholten Zusammenarbeit eine zu große Nähe entsteht, die der journalistischen Unabhängigkeit und in der Folge der Qualität der eigenen Berichterstattung abträglich ist.
Für die notwendige Einzelfallbetrachtung gibt es beschriebene Verfahren. Am Ende kann, muss aber nicht die Genehmigung einer Nebentätigkeitsanzeige durch den oder die Vorgesetzte stehen. Wird dabei immer ganz genau hingesehen? Jede Führungskraft, die regelmäßig über Nebentätigkeitsanträge zu entscheiden hat, weiß doch von sich selbst, dass man schnell gegenzeichnet, solange der oder die Antragstellerin nicht durch Minderleistungen im Hauptberuf auffällt und die Adresse des Auftraggebers nicht allzu anrüchig ist.
Die Sender haben ihre Richtlinien hierzu in den vergangenen Jahren präzisiert und teilweise auch verschärft. Die “Dienstanweisung nebenberufliche Tätigkeit” des WDR zählt unter Punkt 6 acht Fallgruppen von Nebentätigkeiten auf, die geeignet sein könnten, die Interessen des WDR, “insbesondere die Unabhängigkeit der Berichterstattung”, zu beeinträchtigen. Engagements in der Werbung werden aufgezählt, auch Tätigkeiten “für Personen oder Unternehmen privaten Rechts”, zu denen zugleich der WDR Geschäftsbeziehungen unterhält. Hingegen tauchen Behörden oder Regierungen hier gar nicht auf. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass Nebentätigkeiten für sie pauschal genehmigungsfähig wären.
Der NDR (wie andere Sender auch) hat “Regelungen zum Schutz vor Korruption” erlassen – eine Dienstanweisung, deren Sinn es erklärtermaßen ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter “für Korruptionsversuche externer Dritter ihnen gegenüber zu sensibilisieren”. Das Deutschlandradio hat sein journalistisches Selbstverständnis transparent für die Öffentlichkeit niedergelegt und beschreibt auch den Umgang mit Interessenkonflikten präzise und anwendbar. Der erste Grundsatz lautet: “Feste und freie Journalist*innen, die für Deutschlandradio arbeiten, stehen dafür ein, dass die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von Deutschlandradio unangetastet bleiben.”
Direkt danach ist dann nicht, wie sonst häufig, nur von Unternehmen und Verbänden die Rede, sondern explizit auch von Behörden: Wer für eine solche bezahlt arbeite oder auch nur ehrenamtlich tätig sei, “kann nicht zugleich im Deutschlandradio über diese Institutionen berichten”. Unter Punkt 3 wird dann eine Einzelfallentscheidung und damit Ausnahmegenehmigung als möglich erachtet, jedenfalls dann, wenn die Nebentätigkeit nicht auf Dauer angelegt, sondern nur punktuell stattfindet.
Aus dem Beispiel Deutschlandradio nehmen wir mit: Regierungen und Behörden gehören natürlich mit in die Betrachtung, alle Regelwerke sollten dem Rechnung tragen. Sie müssen es spätestens jetzt. Und: Die Bestimmungen zur Wahrung der Unabhängigkeit gelten für feste und freie Mitarbeitende gleichermaßen. Das ist gut so, und dieser Grundsatz wird auch von den anderen Rundfunkanstalten so festgehalten. Jedoch gibt es Unterschiede: Bei Festangestellten kann man das Korruptionsverbot zum Bestandteil des Arbeitsvertrages machen. Bei freien Mitarbeitenden im Programm jedoch ist dies aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht mit dem gleichen Grad an Verbindlichkeit möglich.
Das ist einerseits einsehbar und gut verständlich, weil nicht jeder oder jede von freiem Journalismus gut leben kann beziehungsweise zweifelsohne das Recht hat, sich viele unterschiedliche Auftraggeber zu suchen. Dies ist die argumentative Ebene der Individuen. Das Interesse der Rundfunkanstalten an Programmintegrität kann aber mit dieser Ebene in Konflikt geraten. Damit sind wir wieder auf der Systemebene. Man kann schlecht mit der Vertragsfreiheit von freien Mitarbeitenden argumentieren, wenn man sich als Anstalt in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima bewegt, in dem jede sich anbietende Kongress- oder auch nur Gala-Moderation einer (freien) Fernsehmoderatorin von interessierten Kreisen hergenommen wird, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich zu skandalisieren.
Medienpolitisch ist bei den Sendern ein starkes Interesse anzuerkennen, schon den bloßen Anschein von Befangenheit oder gar Käuflichkeit zu vermeiden. In Berufungskommissionen für eine Professur bedeutet Anschein eine theoretische Gefahr, ein Mitglied könnte sachfremd für oder gegen eine bestimmte Bewerbung votieren. Aber die Gefahr hat praktische Konsequenzen: Das Mitglied scheidet zwingend aus. Um wie viel mehr müsste dieser Grundsatz für die medial hergestellte Öffentlichkeit gelten – im Interesse einer funktionierenden Demokratie. “Man kann in den Rundfunk einfach kein Vertrauen mehr haben” – solche Eindrücke von Bürgern und Beitragszahlenden, so ungerecht sie sind, darf man nicht befeuern. Nicht durch doppeldeutiges Tun auf mehreren, unvereinbaren Bühnen. Und nicht durch Unterlassen.