“Das war’s.” Was Kohl sich leistete, darf Scholz nimmermehr.
9. Juli 2022
Patzige Politiker: Die flapsige Antwort von Bundeskanzler Olaf Scholz beim G7-Gipfel wäre früher nur eine kleine Randmeldung wert gewesen, durch Social Media überdauerte die Empörung Tage und gedieh schließlich zu einem Großthema, schreibt Ellen Nebel bei epd Medien. Sie erinnert an Altkanzler Helmut Kohl, der aus seiner Verachtung für den “Spiegel” keinen Hehl machte, und beobachtet, dass sich bei Medienschaffenden von heute die Widerstandsfähigkeit verschlechtert hat. turi2 veröffentlicht ihren Beitrag in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Olaf Scholz hat eine Frage nicht beantwortet – obwohl er es gekonnt hätte, was er auch kundtat. Die Medien-Bubble der Twitter-Elite entrüstete sich. “Respektlos” sei die Entgegnung des Bundeskanzlers auf die Frage einer Deutsche-Welle-Journalistin bei der Abschlusspressekonferenz des G-7-Gipfels auf Schloss Elmau gewesen. Rosalia Romaniec wollte wissen, ob Scholz konkretisieren könne, welches die Sicherheitsgarantien für die Ukraine seien, zu denen sich die G-7 bekannt hätten. “Ja, das könnte ich”, sagte der Kanzler und ergänzte nach einer kurzen Pause unterschwellig grinsend: “Das war’s.”
Romaniec prangerte dieses Verhalten völlig zu Recht – auf Twitter – mit einem Verweis auf Höflichkeitsformen an. Doch dann entlud sich die Sache in einen Sturm der Entrüstung, dessen Essenz Tina Hassel im ARD-Sommerinterview in die Frage goss: “Ist das der Respekt, den Sie sich als Respektkanzler so vorgestellt hatten?”
Vor 20 Jahren hätte der bockige Scholz eine kleine Meldung in der Randspalte der Tageszeitung abgegeben, womit der Chronistenpflicht dann Genüge getan worden wäre. Doch in der Welt der sozialen Netzwerke überdauerte die Empörung über die Begebenheit Tage und gedieh schließlich zu einem Großthema, an dem von der “taz” bis zum “Spiegel” und Markus Lanz kaum eine Redaktion vorbeikam.
Man ist anderes gewohnt. Angela Merkel hatte während der 16 Jahre ihrer Kanzlerschaft einen ungleich charmanteren Stil gepflegt, Medienschelte vermied sie stets. Die Scholz-Vorgängerin trat kontrolliert und höflich auf – und wurde nicht selten für ihre stoische Nüchternheit gescholten. Gerhard Schröder hatte es zuvor verstanden, sich die Medien zunutze zu machen. Mit deren Hilfe positionierte er sich als jovial und bodenständig: “Hol’ mir mal ‘ne Flasche Bier, sonst streik’ ich hier und schreibe nicht weiter”, sagte Schröder, als er bei einer Autogrammstunde gefilmt wurde. Entertainer Stefan Raab landete mit der Vertonung dieses Zitats einen Partyhit.
Längst vergessen scheinen da die Ausfälle Helmut Kohls, der aus seiner Verachtung für den “Spiegel” keinen Hehl machte: “Von allen Ihren Kollegen in Deutschland stellen Sie die dümmsten Fragen!” Einem NDR-Journalisten sagte er vor laufender Kamera ins Gesicht: “Von wem sind Sie denn? Vom NDR? So sehen Sie auch aus, und so sind Sie auch. Sie sind ein erbärmlicher Journalist!” Für Kohl habe es “nur Freunde oder Feinde” gegeben, schrieb der damalige Politik-Ressortleiter beim “Spiegel”, Roland Nelles, 2017 zum Tod des Altkanzlers: “Nichts dazwischen. Freunde waren: ‘Bild’, ZDF, Sat.1. Feinde waren: ‘Spiegel’, ‘Stern’, ARD.”
Was Kohl sich damals regelmäßig leistete, darf Scholz heute nimmermehr. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Gleichzeitig verschlechterte sich leider die Widerstandsfähigkeit vieler Journalisten, die nach einer Aussage wie der von Scholz angeben, sich eingeschüchtert zu fühlen und lieber keine weitere Frage stellen wollen – aus Angst, ebenso “vorgeführt” zu werden wie die Kollegin der Deutschen Welle. Stattdessen kuriert der sich kollektiv düpiert fühlende Journalismus mimosenhaft seine Verletzung, indem er Scholz eben diese vorhält.
Im ARD-Sommerinterview verteidigte der Kanzler seine Antwort damit, dass er die Frage vorher bereits beantwortet habe. “Wenn es dann das dritte Mal gefragt wird, kann man schon manchmal sagen: Das habe ich schon beantwortet.” Seine Antwort war demnach vor allem ein durchaus nachvollziehbarer, flapsiger Ausdruck der Genervtheit. Rosalia Romaniec darf das aus guten Gründen unhöflich finden. Aber das war’s dann auch. (Fotos: epd; Martin Meissner / AP / Picture alliance)