Kaum ein Grund zu bleiben – Warum immer mehr Medienschaffende den Journalismus verlassen.
22. Juli 2023
Journexit: Jede Woche kehren zwei Medienschaffende in der Schweiz ihrem Job den Rücken, sagt eine Auswertung des Onlinemagazins “Republik”. Als Gründe nennen die Betroffenen Stress, fehlende Perspektiven und hohe Renditeerwartungen der Verlage. Christopher Hechler von epd Medien sieht viele Parallelen zu Deutschland und kommt zu dem Schluss: Es braucht einen Kulturwandel in den Verlagen und Redaktionen, der “nicht an einen vorausgehenden wirtschaftlichen Aufschwung geknüpft” ist. Denn Idealismus allein reiche oft als Grundlage für ein langfristiges Engagement im Journalismus nicht mehr aus.
Von Christopher Hechler / epd Medien
Das Schweizer Onlinemagazin “Republik” veröffentlichte im vergangenen Mai eine Statistik, die aufhorchen lässt: “Im Schnitt steigen jede Woche zwei Medienschaffende aus dem Beruf aus”, heißt es im zugehörigen Artikel Die Flucht der Journalistinnen von Philipp Albrecht und Dennis Bühler. Die Autoren beziehen sich dabei auf eigens erhobene Zahlen aus 2022, aber der Trend setzt sich fort: In den ersten viereinhalb Monaten dieses Jahres haben demnach weitere 35 Journalisten in der Schweiz ihren Beruf gewechselt. Schon zum dritten Mal nahm “Republik” eine solche Auswertung zu Berufsaussteigern vor, doch nie war die Lage – gemessen an Zahlen, die bis 2016 zurückreichen – anhaltend so ernst wie jetzt.
“Wir hatten vor allem bei unserer ersten Erhebung den Eindruck, dass es im Grunde drei Zeitpunkte in einer typischen Journalistenbiografie gibt, die den Ausstieg begünstigen können”, sagt Dennis Bühler, Mitautor der Erhebung und Mitglied im Schweizer Presserat. Zwei davon betreffen besonders junge und jüngere Journalistinnen und Journalisten: Zum einen die Zeit nach der Ausbildung, wenn Berufsanfänger keinen Job finden und sich deshalb anderweitig umschauen. Der zweite Zeitpunkt liegt meist ein paar Jahre später, wenn das Thema Familiengründung ansteht.
“Der dritte Zeitpunkt ist um den 50. Geburtstag herum. Wir haben in Gesprächen oft die Frage gehört: Habe ich die Chance, bis zum Rentenalter in diesem Job zu bleiben? Oder laufe ich Gefahr, in ein paar Jahren auf der Strecke zu bleiben, weil ich teurer als der Nachwuchs bin?”, berichtet Bühler aus seinen Gesprächen mit Kollegen. Eine weitere Sorge der älteren Journalistinnen und Journalisten sei es zudem, den Anschluss beim Thema Technik zu verlieren.
Hohe Dunkelziffer
Die Erhebung von “Republik” stützt sich auf verschiedene Quellen, darunter das Magazin “Schweizer Journalist:in”, die Schweizer Mediendatenbank SMD, Impressen zahlreicher Medientitel, verschiedene Onlineportale und persönliche Gespräche. Bühler betont zwar, dass die Auswertung Unschärfen habe und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe: “Die Dunkelziffer dürfte recht hoch”, die Lage also tatsächlich noch etwas drastischer sein. Doch die Momentaufnahme skizziert einen Problemrahmen, der sich auch auf die Medienbranche in Deutschland übertragen lässt.
Eines der zentralen Themen ist die Kostenfrage, denn: Journalismus muss man sich leisten können. Das gilt für Leser wie auch Unternehmen – und nicht zuletzt für die Journalisten selbst, sogar schon weit vor dem Berufseinstieg. Der Zugang zum Beruf setzt an vielen Stellen immer noch ein abgeschlossenes Volontariat und damit ein abgeschlossenes Studium voraus, was grundsätzlich für sozioökonomisch bedingte und somit ungleiche Einstiegschancen sorgt. Zugleich können die Verdienstmöglichkeiten als Redakteurin oder Redakteur, hat man denn den Einstieg erst einmal geschafft, oftmals ernüchternd sein. Eine besondere Rolle spielt das für die ersten zwei von Bühler genannten Ausstiegspunkte.
“Aus quasi allen Verlagen wird uns berichtet, dass eine erschreckend hohe Anzahl der Volontäre nach dem Ende ihres Volontariats nicht mehr im Verlag bleiben möchte, sondern sich eine Stelle in der Öffentlichkeitsarbeit bei privaten oder öffentlichen Unternehmen sucht”, sagt dazu Matthias von Fintel von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Für diese ehemaligen Volos seien mit dem Wechsel bessere Arbeitsbedingungen, mehr Jobsicherheit und “vielfach auch ein besseres Einkommen” verbunden.
Bewerbungen für Volontariate haben stark abgenommen
Es ist nachvollziehbar, dass gerade dann, wenn etwa die Familiengründung oder der Übergang vom Volontär zum Redakteur ansteht, Journalisten noch einmal genau überlegen, ob das Redakteursgehalt im jeweiligen Verlag auch zukünftig ausreichend ist und dem bisherigen akademischen Werdegang entspricht. Für einige scheint die Antwort auf diese Frage negativ auszufallen. Dieser Umstand trifft übrigens auf das Problem, dass Bewerbungen für Volontariate “sehr stark abgenommen” haben, wie von Fintel berichtet. Die Branche hat mancherorts also bereits Schwierigkeiten damit, Nachwuchs zu akquirieren und zu halten.
Doch mindestens ebenso ernst ist das Thema der Bezahlung auch für diejenigen, die sich für die Arbeit als Freiberufler entschieden haben. “Unsere Beobachtung ist es, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Freie mit ihrem Job aufgehört haben”, sagt Anja Reiter von Freischreiber, einem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten. Zwar verfüge der Verband nicht über repräsentative Zahlen, doch “ein Blick von oben” sei durch den Kontakt zu Kollegen möglich. Und der zeigt: “Die Honorarlage hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stetig verschlechtert. Ein gutes Leben ist für viele Freie einfach nicht mehr möglich gewesen. Nun kam die Inflation dazu.”
Branchenexterne Faktoren wie die Corona-Pandemie, die vor allem freien Sport- und Kulturjournalisten das Arbeiten periodisch unmöglich machte, verbinden sich mit brancheninternen Faktoren wie dem vielfachen Redaktionsabbau – zuletzt etwa massiv bei Gruner+Jahr – zu einem Konglomerat misslicher Umstände in misslichen Jahren.
Ergänzend dazu berichtet von Fintel: “Wir haben die Entwicklung der angestellten Journalisten der letzten 20 Jahre soweit möglich dokumentiert. Daraus ergibt sich, dass in Zeitungen und Zeitschriften etwa ein Viertel der Redakteursstellen verschwunden ist.”
Mehr Arbeitsverdichtung, mehr Stress
Wegfallende Stellen und abwandernde Kollegen haben wiederum Auswirkungen auf die verbleibenden Redakteurinnen und Redakteure vor Ort. “Wir bekommen von unseren Mitgliedern zugetragen, dass der Stress und die Arbeitsverdichtung große Probleme sind”, sagt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Redakteure, die das Gefühl haben, “ausgebrannt zu sein und kein Land mehr zu sehen”, seien keineswegs Einzelfälle.
Vielen Journalisten ginge es deshalb nicht nur darum, mehr Geld zu verdienen, sondern auch mehr Arbeits- und Lebensqualität aus dem Beruf zu ziehen. “Da gibt es erhebliche Defizite. Die kommen daher, dass in vielen Medienunternehmen über Jahrzehnte hinweg eine Sparpolitik zulasten des Personals geführt wurde”, sagt Zörner.
Matthias von Fintel argumentiert ähnlich und führt außerdem an, dass etwa Volontäre dies schon während ihrer Ausbildung beobachten könnten und sich folglich die Frage stellten, ob sie ihren Berufsweg wirklich in einem Verlag fortführen wollen, der keine passende Arbeitszeitregelung – etwa durch eine Arbeitszeiterfassung – bereithält. Dass laut von Fintel Regional- und Lokalzeitungsverlage dem digitalen Journalismus hinterherhinken und ihren Redakteuren nicht ausreichend technische Mittel zur Verfügung stellen, was die Arbeit zusätzlich erschwere, ist ein weiterer Punkt im hier nur ansatzweise umrissenen Problemfeld Journalismus.
Identitätskrise des Journalismus und KI
Dabei sind zwei weitere wichtige Themen noch nicht einmal angesprochen: zum einen die Identitätskrise des Journalismus, wie sie etwa in Debatten zur Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen immer wieder zu erleben ist. Dort wird offensichtlich, dass Medienunternehmen auch auf Ebene der Führungsetagen oft unklar ist, wie sie ihre Rezipienten in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie ansprechen sollen. Zum anderen wird das Thema der Künstlichen Intelligenz aller Voraussicht nach schnell an Brisanz gewinnen und könnte in der Medienbranche tatsächlich zur viel zitierten “disruptiven Kraft” werden.
Viele der aktuellen Probleme in der deutschen und schweizerischen Branche, das zeigen die Gespräche, decken sich und hängen mit der Arbeitskultur in den Redaktionen zusammen. Im Kern, da sind sich die vier Experten einig, müsste es angesichts dessen einen Kulturwandel geben. Für Dennis Bühler geht es bei einem solchen Kulturwandel etwa “um Wertschätzung und darum, innovative Ideen – gerade von jungen Mitarbeitern – zuzulassen.” Hendrik Zörner plädiert für mehr Entlastungsmöglichkeiten, Matthias von Fintel für eine Arbeitszeiterfassung, mehr digitale Kompetenz und Bestrebungen hin zu einem branchenweiten, leicht zugänglichen Modell für Bezahljournalismus. “Freie müssten noch stärker in die Redaktionen einbezogen werden und in monetärer wie sozialer Hinsicht von Erfolgen stärker profitieren”, fordert wiederum Anja Reiter.
Zum jetzigen Stand scheint der Journalismus jedoch gefangen in einer Dauerkrise. Das hat wirtschaftliche und seit Jahren konstante Gründe, wie etwa die stetig sinkenden Auflagenzahlen, steigende Zustell- und Produktionskosten und der weitgehende Einbruch des Werbemarkts. Hinzu kommt die Herausforderung, an kostenfreie Inhalte gewöhnte Leser fürs bezahlte Digitalabo zu gewinnen. Diese Dauerkrise wiederum resultiert in dünn besetzten Redaktionen, nicht wettbewerbsfähigen Gehältern, über Jahre stagnierenden Honoraren für Freiberufler und einer massiven Arbeitsverdichtung. Jungen Kolleginnen und Kollegen stellt sich deshalb nachvollziehbar die Frage und gleichsam die Herausforderung, ob und wie man denn im Journalismus tätig bleiben möchte.
Eine Form des angesprochenen Kulturwandels in Verlagen und Redaktionen scheint unvermeidbar, will sich die Branche erhalten. Doch dieser Wandel darf nicht an einen vorausgehenden wirtschaftlichen Aufschwung geknüpft sein.
Höhere Löhne, flexiblere Arbeitszeitmodelle
Verlage haben es nicht leicht damit, sich angesichts der genannten Probleme und auf der Suche nach neuen digitalen Erfolgsmodellen ökonomisch zu behaupten. Doch auch heute noch kann die junge Zielgruppe mit der bekannten Form des Nachrichtenjournalismus in digitaler Aufbereitung erreicht werden. Ebenso gibt es immer noch junge Kolleginnen und Kollegen, die sich dem Journalistenberuf langfristig verschreiben möchten und mit großer Motivation den Herausforderungen der Branche entgegentreten.
Aber Idealismus allein, den sich Journalisten gern zu Recht nachsagen, reicht oft als Grundlage für ein langfristiges Engagement schlichtweg nicht mehr aus. Das mag der romantisch verklärten Beschreibung des zum Journalisten Berufenen widersprechen, trifft aber auf ökonomische Realitäten und gesellschaftliche Veränderungen. Es gilt, nicht nur dem Nachwuchs, sondern auch erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein attraktives Angebot zu machen. Höhere Löhne, flexiblere Arbeitszeitmodelle und berufliche Perspektiven vermitteln Arbeitnehmern Wertschätzung und Sicherheit. Und diese dürfen nicht von der Entwicklung der Abozahlen abhängen.
Zumindest laut Anja Reiter und Hendrik Zörner gibt es derzeit immerhin noch keinen Fachkräftemangel in der Branche, respektive eine Flucht aus ihr heraus. Geringe Bewerberzahlen und das Ergebnis von Erhebungen, wie sie “Repulik” vornimmt, sind aber ein erstes und deutliches Warnzeichen, das auch gesamtgesellschaftlich nicht ignoriert werden sollte. Wie sehr Journalismus in einer Demokratie fehlen kann, zeigt sich im schlimmsten Fall erst dann, wenn er verschwunden ist.
Doch der tristen Analyse zum Trotz gibt es immer noch genügend Gründe, den Schritt in den Journalismus zu wagen. “Einige Journalisten werfen uns, wie ich finde, nicht zu Unrecht, vor, die schönen Seiten des Berufs zu stark auszublenden”, sagt Dennis Bühler bezogen auf die “Republik”-Auswertungen. Es gebe schließlich auch eine geringe Zahl von Rückkehrern. Denen wolle sich das Magazin im kommenden Jahr mit einer Erhebung widmen.