Rollenwechsel mit Folgen: Wenn Journalisten Regierungssprecher werden.
21. Mai 2025
Stecken Politik und Medien “unter einer Decke”? Die Tatsache, dass mit Stefan Kornelius nun einer der profiliertesten Politik-Journalisten des Landes als Regierungssprecher die Politik von Kanzler Friedrich Merz und dessen schwarz-roter Koalition vertritt, könnte entsprechende Vorurteile befeuern, urteilt epd-Hauptstadtjournalistin Lena Köpsell in ihrem Kommentar. Die Hauptstadtpresse werde nun genau hinschauen, ob Kornelius “die oft ausweichende Informationspolitik” der Vergangenheit fortführt, oder für mehr Transparenz sorgt. Dieser Text ist Teil der Reihe Das Beste aus epd Medien bei turi2.
Auf Steffen folgt Stefan: Der Politik-Chef der “Süddeutschen Zeitung”, Stefan Kornelius, ist der neue Sprecher der Bundesregierung von CDU/CSU und SPD. Kornelius folgte auf Steffen Hebestreit, der das Amt seit Ende 2021 innehatte. Sein Seitenwechsel wurde am 12. Mai deutlich sichtbar: Das saß der neue Regierungssprecher zum ersten Mal vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz – anstatt auf den Plätzen der Journalistinnen und Journalisten gegenüber. In seiner ersten Regierungspressekonferenz musste er seinen Kollegen Rede und Antwort stehen.
Der Wechsel schien dem Journalisten nicht sonderlich schwer zu fallen. Er beantwortete zuverlässig alle Fragen, als säße er schon jahrelang auf dieser Seite des Saals. Routiniert trug er die anstehenden Termine des neuen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) vor, erklärte die Migrationspolitik der Regierung und ließ sich auch von zahlreichen Nachfragen zum Nahostkonflikt nicht aus der Ruhe bringen.
Die Hauptstadtpresse wird in den nächsten vier Jahren genau hinschauen: Wird Kornelius die oft ausweichende Informationspolitik der vergangenen Regierungen fortführen – oder für mehr Transparenz sorgen? Vielleicht werden die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ihn auch nicht wiedererkennen, weil er plötzlich Phrasen wie “kommentiere ich nicht”, “wir haben keine Kenntnis davon” oder “wir prüfen das sorgfältig” zum Besten gibt. Diese Formulierungen gehören zum Standardrepertoire der Sprecherinnen und Sprecher – und dürften auch Kornelius vor ein paar Wochen noch auf die Palme gebracht haben.
Der 59-Jährige zählt zu den bekanntesten Politikjournalisten in Deutschland. In seinem neuen Job ist er in bester Gesellschaft, denn viele frühere Regierungssprecherinnen und -sprecher waren vorher Journalistinnen und Journalisten. Hebestreit war zuvor Hauptstadtkorrespondent bei der DuMont Redaktionsgesellschaft, Steffen Seibert moderierte die Nachrichtensendung “Heute” im ZDF, bevor er unter Angela Merkel (CDU) zum Regierungssprecher wurde.
Schon unter der Regierung von Willy Brandt (SPD) wurde Conrad Ahlers, damals stellvertretender Chefredakteur des “Spiegels”, zum Regierungssprecher berufen. Helmut Schmidt (SPD) machte Klaus Bölling, den Intendanten von Radio Bremen, zu seinem Sprecher, und Helmut Kohl (CDU) setzte auf den Journalisten Peter Boenisch in dieser Rolle.
Das Phänomen gibt es auch in den Ländern. In Rheinland-Pfalz verloren 2021 drei der vier großen Regionalzeitungen nahezu zeitgleich ihre Landeskorrespondenten, denn diese wechselten als Pressesprecher in Ministerien der Landesregierung. Pressekonferenzen in der Mainzer Staatskanzlei hatten unmittelbar danach kaum Publikum.
Regierungssprecher haben einen wichtigen Job. Denn für eine Bundesregierung geht es natürlich nicht nur darum, gute Politik zu machen, sondern auch darum, sie gut zu verkaufen. Merz wählte Kornelius für das Amt. Kein Wunder: Der Journalist ist bestens mit der Bundespolitik vertraut. Er arbeitete jahrzehntelang für die “Süddeutsche Zeitung” und leitete dort ab 2021 das Politikressort. Zuvor war er seit dem Jahr 2000 für die Außenpolitik verantwortlich. Außerdem ist er Mitglied der Atlantik-Brücke, deren Vorsitzender Merz bis 2019 zehn Jahre lang war. Und er war Mitbegründer der Fachzeitschrift “Medium Magazin”.
Journalistinnen und Journalisten haben einen Ruf zu verlieren. Als vierte Gewalt im Staat sind sie dazu da, Macht zu kontrollieren, Missstände aufzudecken und Regierungshandeln zu hinterfragen – nicht zu vertreten. Das betonte auch Steffen Hebestreit kurz vor seinem Abschied in der Bundespressekonferenz: Als Regierungssprecher sei man das “Bindeglied zwischen Journalismus und Politik. Das sind zwei unterschiedliche Berufe. Wenn man Regierungssprecher ist, dann ist man nicht mehr Journalist, dann ist man Regierungssprecher.” Zwar könne ein journalistischer Hintergrund helfen, die Dynamiken und Anforderungen des Jobs besser zu verstehen – doch es blieben sehr unterschiedliche Aufgaben.
Und mag der Jobwechsel auf individueller Ebene auch nachvollziehbar sein, befeuert er doch in der Öffentlichkeit einen häufig geäußerten Verdacht: “Politik und Medien stecken doch unter einer Decke.”
Über die Autorin: Lena Köpsell ist Korrespondentin im epd-Bundesbüro in Berlin.