Schnelles Geschäft: Volker Nünning über den wachsenden Markt der werbefinanzierten Streamingkanäle.
30. Mai 2024
FAST & Furious: Die sogenannten FAST-Channels haben in den vergangenen Jahren ein rasantes Wachstum hingelegt. Das Kürzel steht für “Free Ad Supported Streaming”. Prognosen zufolge soll auch in Deutschland der Umsatz mit den kostenlosen, werbefinanzierten Streamingkanälen in den kommenden Jahren stark steigen. Dass auch ARD und ZDF über ihre kommerziellen Töchter in dem Geschäft mitmischen, gefällt der privaten Medienwirtschaft allerdings nicht. Volker Nünning hat sich den Markt und seine Player für epd Medien näher angesehen. turi2 veröffentlicht seinen Beitrag in der Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Von Volker Nünning / epd Medien
In den USA sind FAST-Channels längst ein Milliardengeschäft. Das britische Marktforschungsunternehmen Omdia taxierte den Jahresumsatz mit “Free Ad Supported Streaming” in den USA für 2023 auf rund fünf Milliarden Dollar – rund 80 Prozent des weltweiten Umsatzes. 2027 soll der Umsatz weltweit bei zwölf Milliarden Dollar liegen. Zu den Großen im Geschäft gehören unter anderem die US-Anbieter Pluto TV (Paramount) und Tubi (Fox Corporation) sowie die südkoreanischen Elektronikriesen Samsung (Samsung TV Plus) und LG Electronics (LG Channels). Auch drei weitere US-Konzerne mischen vorn mit: Google TV, Roku, Amazon Freevee.
Deutschland wurde von Omdia in eine Gruppe von zehn Ländern außerhalb der USA eingestuft, deren Umsätze mit FAST-Channels in den kommenden Jahren am stärksten steigen sollen. Die Prognose der Londoner Marktforscher: Hierzulande werde der FAST-Umsatz im Jahr 2027 auf insgesamt rund 200 Millionen Dollar steigen. Das wäre im Vergleich zu 2023 in etwa eine Verdreifachung. Inzwischen dürfte es in Deutschland Hunderte von FAST-Channels geben, die meisten Branchengrößen sind auch hierzulande mit Kanälen vertreten.
Hinzu kommen zahlreiche weitere Anbieter in Deutschland. So bietet die ProSiebenSat.1-Gruppe über Joyn auch FAST-Channels an, beispielsweise mit den Kanälen “Naruto”, “Top True Crime” und “Craction” des Unternehmens Palatin Media. Auf FAST-Channels setzt ebenso die Plattform Waipu.tv der in München ansässigen Exaring AG, an der der Freenet-Konzern beteiligt ist.
Jüngst startete die Deutsche Netzmarketing GmbH (DNMG) mit Tivee die nach eigenen Angaben “größte Aggregator-Plattform für FAST-Channels im deutschen Kabelnetz”. Die zur DNMG gehörenden mittelständischen Netzbetreiber integrieren dabei Tivee auf einem eigenen Sendeplatz in das Kabelnetz. Über die HbbTV-Zusatzfunktion am Fernseher lassen sich dann die Kanäle via Streaming über das TV-Gerät nutzen, darunter Kanäle wie “Grjngo” (Western) oder “Moconomy” (Wirtschaftsdokumentationen).
Auch die ZDF-Tochter ZDF Studios betrachtet FAST-Channels als “attraktives Geschäftsfeld mit vielfältigen Wachstumsperspektiven” – so sagte es 2023 Markus Schäfer, Geschäftsführer des Unternehmens. ZDF Studios hat eine breite Palette von Aktivitäten. Dazu gehören der Programmeinkauf sowie die Vermarktung und Lizenzierung von ZDF-Sendungen, beispielsweise an kommerzielle Sender oder Streamingdienste. Abgewickelt werden die Geschäfte zum Teil über Tochterfirmen. Insgesamt kommt ZDF Studios nach eigenen Angaben auf rund 30 Töchter und Beteiligungen.
Im Oktober 2023 gab ZDF Studios eine Partnerschaft mit dem in Atlanta ansässigen Medienentwicklungsunternehmen Castalia Communications bekannt. Das Ziel ist, für die lateinamerikanische Region einen FAST-Channel zu entwickeln. Seit 2022 hat ZDF Studios in diesem Segment bereits mit Samsung einen Partner. Damals wurde der Kanal “Terra X” gestartet, der seitdem über Samsung TV Plus abrufbar ist, das Streamingportal des Elektronikkonzerns.
Doch das war nur die Ouvertüre für eine deutliche Ausweitung der Partnerschaft mit dem Konzern. Im Oktober 2023 teilte ZDF Studios mit, man werde zusammen mit Samsung TV Plus “20 europäische FAST-Channels aufbauen”. In Deutschland seien “zwei neue Sender in Zusammenarbeit mit ZDF Studios” gestartet worden: “Bares für Rares” und “ZDF kocht!”. Weitere Kanäle wurden seitdem nicht in Betrieb genommen: “ZDF Studios und Samsung befinden sich in Abstimmung zu möglichen weiteren Channels”, erklärte ZDF Studios auf Nachfrage: Mit der Entwicklung der bisherigen drei Kanäle sei man zufrieden.
Nach Angaben des südkoreanischen Konzerns gibt es in Deutschland rund 110 Kanäle auf Samsung TV Plus, darunter Kanäle aus den Bereichen Film, Sport, Comedy, Dokumentationen, Nachrichten, Natur und Kochen. Diese können nur Nutzer von Samsung-Geräten – Smart-Fernseher, Tablets und Smartphones – empfangen. Mehrere Millionen Menschen haben somit theoretisch Zugriff auf diese Inhalte. Samsung TV Plus habe “ein jährliches Wachstum von 30 Prozent”, erklärte der Konzern.
Die Partnerschaft zwischen ZDF Studios und Samsung sieht Vaunet, der Verband Privater Medien, kritisch. “Da stellen sich ganz viele Fragen. In der analogen Welt war das Angebot durch die Zahl der Kanäle deutlich begrenzt”, erklärte der Vaunet-Vorstandsvorsitzende Claus Grewenig (RTL) im Januar in einem epd-Interview: “Sobald wir aber ins Web und in das Nonlineare gehen, gibt es keine solche Begrenzung der Mengen mehr und es werden überall alle Tore aufgemacht.”
Dem Verband ist es ein Dorn im Auge, dass das ZDF wie auch die ARD über Tochterunternehmen immer mehr auch ins Streaminggeschäft expandierten. Das machte Vaunet im Februar auf epd-Anfrage deutlich: “Wenn man dieser Entwicklung nicht einen Riegel vorschiebt, würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben seinem Beitragssystem ein zweites kommerzielles System etablieren können, das die ganze Systematik des dualen Mediensystems ad absurdum führen würde, ebenso jegliche Form der Auftragsdebatte.”
ZDF Studios sieht dagegen in der Partnerschaft mit Samsung überhaupt kein Problem. Es handele sich um ein Lizenzierungsgeschäft, teilte das Unternehmen dem epd mit: “ZDF Studios stellt Samsung die Programme für die FAST-Channels im Wege der Lizenzierung bereit.” Dadurch könne Samsung die jeweiligen Inhalte nutzen. Solche Verwertungsaktivitäten seien laut dem Medienstaatsvertrag zulässig. Konkret verweist ZDF Studios auf den Paragrafen 40 in dem Staatsvertrag, der ARD und ZDF auch “kommerzielle Tätigkeiten” erlaubt.
Die Sender dürfen demnach über Tochterfirmen kommerziell agieren, beispielsweise für die Werbevermarktung, Verwertungsaktivitäten oder Merchandising. Diese Geschäfte müssen über eigenständige Firmen laufen und sich über den Markt finanzieren. Es dürfen dafür keine Rundfunkbeitragsgelder verwendet werden. Eine solche Quersubventionierung ist verboten, um eine Wettbewerbsverzerrung zu verhindern.
Die nun bei Samsung TV Plus verfügbaren FAST-Channels “Terra X”, “Bares für Rares” und “ZDF kocht!” würden nicht von ZDF Studios veranstaltet, betont das Mainzer Unternehmen: “Samsung ist Veranstalter der FAST-Channels.” Dass ZDF Studios im Oktober 2023 für “Terra X” ein “Refresh” ankündigte, wodurch dem Kanal “neue Programminhalte hinzugefügt” würden, ändert aus Sicht des Unternehmens nichts: “ZDF Studios lizenziert die Inhalte, die Einplanung der Inhalte in den Sendeablauf erfolgt durch Samsung.”
Der Samsung-Konzern erklärte, man habe “die redaktionelle Kontrolle über die Kanäle”. Eine rundfunkrechtliche Lizenz zum Betrieb der Kanäle sei nicht erforderlich. Hier greife eine Regelung im Medienstaatsvertrag, die der Paragraf 54 enthalte. Demnach benötigen Rundfunkprogramme keine Zulassung, wenn sie “nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten” oder sie “im Durchschnitt von sechs Monaten weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer erreichen oder in ihrer prognostizierten Entwicklung erreichen werden”.
Gegenüber dem epd verwies Samsung auf die zweite Voraussetzung mit weniger als 20.000 gleichzeitigen Nutzern, die erfüllt sei – deswegen könnten die FAST-Channels zulassungsfrei betrieben werden. Damit kommunizierte der Konzern indirekt auch Informationen zur Nutzung – weiter wollte sich Samsung allerdings nicht dazu äußern.
Anders ist es bei Pluto TV, das zum US-Medienkonzern Paramount gehört. Das FAST-Channel-Angebot, das hierzulande online abrufbar ist, wird von der in Berlin ansässigen Pluto TV Europe GmbH betrieben. Die Firma hat von der Landesanstalt für Medien NRW bereits vor einigen Jahren eine Rundfunklizenz erhalten. Über Pluto TV (Slogan: “Stream now. Pay never”) sind Dutzende FAST-Channels verfügbar. Dazu gehören auch Kanäle, in denen ausschließlich ARD-Formate zu sehen sind. So gibt es beispielsweise den Kanal “Dittsche”, auf dem ausschließlich Folgen der vom WDR produzierten Improvisationsreihe laufen. Ein weiterer zeigt nur Episoden der 2020 eingestellten Serie “Familie Dr. Kleist”, die der MDR in Auftrag gegeben hatte.
Auf Pluto TV gibt es ebenso Kanäle mit ZDF-Sendungen, etwa “Kultkrimi”, wo derzeit Episoden der Krimiserie “Derrick” zu sehen sind, oder “Telenovela ZDF” mit Folgen verschiedener ZDF-Serien aus diesem Genre. Auch hier handele es sich um Lizenzierungsgeschäfte: “Für beide Channels werden Programme sowie Channel-Brand von der ZDF Digital GmbH an Pluto TV lizenziert”, teilte ZDF Studios mit. ZDF Digital ist eine hundertprozentige Tochterfirma von ZDF Studios. Auch für “Kultkrimi” und “Telenovela ZDF” gelte, dass diese Kanäle nicht von ZDF Studios veranstaltet würden, so das Unternehmen. Sie würden von Pluto TV rundfunkrechtlich betrieben.
Gerade beim Kanal “Telenovela ZDF” mit dem eingebetteten Senderlogo wirkt es für den Nutzer allerdings so, als wenn das ZDF hier über Pluto TV ein zusätzliches lineares Programm veranstaltet. Das dürfte die Sendeanstalt laut den Vorgaben im Medienstaatsvertrag nicht. Geändert wissen will das Unternehmen den Kanalnamen von “Telenovela ZDF” indes nicht, um dadurch für das Publikum eindeutige Klarheit zu schaffen: “Nein”, lautete kurz und knapp die Antwort von ZDF Studios auf die Frage, ob man hier entsprechenden Handlungsbedarf sehe.
Vaunet sieht gleichwohl Handlungsbedarf – allerdings nicht nur bei den FAST-Channels aus dem öffentlich-rechtlichen Lager, sondern bei den gesamten Aktivitäten der Tochterfirmen von ARD und ZDF. Auf Kritik stoßen bei dem Verband auch öffentlich-rechtliche Radio-Webchannels oder die Aktivitäten der Werbetöchter bei der Vermarktung von Podcasts und ihren kostenpflichtigen Streamingangeboten ARD Plus und ZDF Select.
Bereits 2022 forderte Vaunet-Chef Grewenig, die Bundesländer müssten “klare Grenzen für kommerzielle Tätigkeiten der Anstalten festlegen”. Diese Auffassung bekräftigte Vaunet mehrfach: Der Gesetzgeber sei gefordert, bei Änderungen am Medienstaatsvertrag auch die Interessen der privaten Rundfunkveranstalter zu berücksichtigen. Auf eine aktuelle epd-Anfrage verwies der Verband auf seine früheren Statements zum Thema, die weiterhin Gültigkeit hätten.
Ob die Bundesländer im Zuge ihrer geplanten Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk tatsächlich auch dessen kommerzielle Aktivitäten gesetzgeberisch verstärkt in den Blick nehmen, bleibt abzuwarten.