Verzerrter Wettbewerb? Volker Nünning über die Audio-Streams der Sportschau.
28. Januar 2023
Zuviel Ballbesitz? Seit Sommer 2021 darf die ARD alle Begegnungen der Bundesliga und der 2. Bundesliga live im Internet als Audiostream übertragen – insgesamt 617 Spielen pro Saison. Diese Rechte lagen zuvor bei Amazon. Seitdem hat die ARD ihr Audiostreaming-Angebot auf sportschau.de massiv ausgebaut und zielt auf ein junges Publikum, schreibt Volker Nünning bei epd Medien. Der Privatsender-Verband Vaunet kritisiert, hier sei “quasi ein öffentlich-rechtliches Audio-Onlinemonopol entstanden”. turi2 veröffentlicht den Beitrag in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Fußballübertragungen im Fernsehen locken immer noch ein großes Publikum an. Bei der Weltmeisterschaft in Katar, die wenige Tage vor Weihnachten 2022 zu Ende ging, gab es zwar einen starken Zuschauereinbruch, doch das Interesse gerade an den Spielen der Bundesliga und an den Partien deutscher Mannschaften in den europäischen Wettbewerben bleibt hoch. Diese Bilanz für das vergangene Jahr zogen jedenfalls die kommerziellen Unternehmen, die diese Spiele für ihre Abonnenten live übertragen – sei es im Pay-TV oder über Streaming-Plattformen.
Private Medienunternehmen geben ebenso wie die öffentlich-rechtlichen Sender viel Geld aus, um sich exklusive Liverechte zu sichern oder zumindest den Zuschlag für Zusammenfassungen im frei empfangbaren Fernsehen zu bekommen. Für diese Rechte zahlen die Anbieter pro Saison zweistellige bis höhere dreistellige Millionenbeträge.
Um solche Summen geht es bei den Fußballübertragungen in Radio und Audio naturgemäß nicht. Beim Radio ist alles viele Nummern kleiner. Und der größte Unterschied zum Fernsehen: Hier sorgen die Reporterinnen und Reporter mit ihren Kommentierungen für die Bilder im Kopf der Zuhörerschaft.
Berühmte Tor-Rufe
Fußballreportagen im Radio haben eine lange Tradition. Im deutschen Radio gab es im November 1925 die erste Übertragung eines Fußballspiels. Immer wieder zu hören ist Herbert Zimmermanns Ausruf “Rahn schießt! Tor! Tor! Tor! Tor!” aus seiner Hörfunkreportage vom WM-Endspiel 1954 in der Schweiz, als Deutschland gegen Ungarn gewann und erstmals Fußballweltmeister wurde. Berühmt sind auch die Zwischenrufe “Tor in …” bei der samstäglichen Bundesliga-Schlusskonferenz im ARD-Hörfunk, die es in dieser Form seit 1992 gibt und die unter Federführung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) produziert wird.
Die weiter fortschreitende Digitalisierung hat dafür gesorgt, dass sich in den vergangenen Jahren bei den Audioübertragungen von Fußballspielen einiges getan hat. Dabei spielt inzwischen die ARD die zentrale Rolle. Der Senderverbund hat hier zuletzt stark investiert – was bisher in der Medienbranche wenig beachtet wurde. Die ARD bietet über ihr Portal sportschau.de denjenigen, die Fußballspiele live hören wollen, praktisch eine Rundumversorgung: Spiele der deutschen Nationalmannschaft, Bundesliga-Partien, Begegnungen deutscher Klubs auf europäischer Bühne – alles in Live-Audiostreams abrufbar. Technisch sind bis zu 20 Übertragungen gleichzeitig möglich, so viele Streams können auf sportschau.de parallel angeboten werden.
Ihre heutigen Fußball-Audiostreams auf sportschau.de sieht die ARD, wie sie dem epd mitteilte, in einer langen Entwicklung ihrer Berichterstattung, zu der einige Fußballwettbewerbe bereits seit Jahrzehnten gehörten. Das Grundprinzip dabei: die jeweils zuständige Landesrundfunkanstalt produziere eine Livereportage, die dann die übrigen Sender auf ihren UKW-Radiowellen übernehmen könnten. “Mit zunehmender Bedeutung der digitalen Audioverbreitung wurden diese Livereportagen zunächst im Simulcast auch über die digitalen Audiokanäle der einzelnen Landesrundfunkanstalten übertragen, später dann auch gebündelt über sportschau.de.” Es sei darum gegangen, “eine bestehende und historisch-gewachsene, lineare (UKW-)Live-Berichterstattung digital besser zu verwerten und zu bündeln”. Die Übertragungen sollen für die Nutzer leichter auffindbar sein.
Neue Übertragungsrechte
Den entscheidenden Schritt in Sachen Audiostreams auf sportschau.de machte die ARD im ersten Pandemiejahr im Juni 2020. Damals erhielt sie von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) für die neue vierjährige Rechteperiode ab der Saison 2021/22 nicht nur die Rechte an Zusammenfassungen von Bundesligaspielen im Fernsehen. Hinzu kamen umfangreiche Audiorechte: Zum einen die Berichterstattungsrechte via UKW, die eine Übertragung der Begegnungen in Teilen erlauben und die die ARD auch schon vorher besaß. Zum anderen erhielt sie erstmals die Rechte, alle Begegnungen der Bundesliga und der 2. Bundesliga per Audioverbreitung übers Internet vollständig live übertragen zu können. Das Paket mit dem Namen “Audio Netcast” umfasst die Übertragungen von insgesamt 617 Spielen pro Saison, darin eingeschlossen die vier Relegationsspiele zur ersten und zweiten Liga sowie die Super-Cup-Begegnung zwischen dem Deutschen Meister und dem DFB-Pokalsieger.
Die “Audio Netcast”-Rechte lagen in der vorherigen Periode (Spielzeiten 2017/18 bis 2020/21) beim Internethändler Amazon, der sie zur besseren Vermarktung seines Prime-Diensts eingekauft haben soll. Da Amazon die eigenen Erwartungen offenbar als nicht erfüllt ansah, verzichtete der Konzern 2020 darauf, erneut um die Rechte zu bieten. Vor Amazon gehörte dieses Rechtepaket der Sport1 GmbH, die damit im Jahr 2013 zusätzlich zu ihren Fernseh- und Internetaktivitäten ins Radiogeschäft einstieg und für die Bundesligaübertragungen den Sender Sport1 FM startete. Nach dem Verlust der Rechte an Amazon musste Sport1 FM eingestellt werden.
Das gleiche Schicksal hatte zuvor das Fußballradio 90elf ereilt, das ab 2008 übers Netz alle Spiele der Bundesliga live übertragen hatte. Eine technische Innovation, die damals die Regiocast-Gruppe leistete, als sie 90elf von Leipzig aus aufbaute. Davon profitierte das in Ismaning bei München ansässige Unternehmen Sport1, das dann 90elf die Rechte wegschnappte, bevor sich später Sport1 seinerseits Amazon geschlagen geben musste.
Massiver Ausbau der Audioberichterstattung
Seit Sommer 2021 ist also die ARD am Zug, die der DFL für die “Audio Netcast”-Rechte, so heißt es in der Branche, einen höheren einstelligen Millionenbetrag pro Jahr bezahlen soll. Zu Rechtekosten äußert sich der Senderverbund grundsätzlich nicht. Mit dem Erwerb der “Audio Netcast”-Rechte sieht die ARD jedenfalls, “die digitale Audioberichterstattung vom Fußball neu systematisiert und verstetigt”. Kurz: So konnte die ARD ihr Audiostreaming-Angebot auf “sportschau.de” massiv ausbauen. Dort sind nun pro Saison neben den Bundesligaspielen auch alle 63 Partien des DFB-Pokals und 40 Begegnungen aus der Champions League zu hören. Insgesamt sind es nach epd-Informationen 720 Spiele. Der WDR ist in der ARD für die “Sportschau” und deren Onlineplattform federführend zuständig.
Außerdem sind auf sportschau.de noch Audioübertragungen von einzelnen Spielen deutscher Klubs in der Europa League und der Europa Conference League abrufbar, die Qualifikationsrunden eingeschlossen. Einige dieser Audioübertragungen sind nur auf den Webseiten der ARD-Sender zu hören, in deren Sendegebiet der jeweilige Verein beheimatet ist. Hier lautet die Devise der ARD: Hat eine Partie “eine gewisse sportliche Attraktivität” oder handelt es sich um Entscheidungsspiele etwa ab Achtel- oder Viertelfinale, wird auf sportschau.de ein Audiostream eingerichtet. Auf der Plattform sind zudem Übertragungen von Spielen der deutschen Nationalmannschaft zu finden, zuletzt die drei Partien bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar.
Von der WM gab es auf sportschau.de nicht nur Audiostreams zu den drei Begegnungen des deutschen Teams. Der ARD zufolge wurden 33 der 64 Turnierspiele übertragen. Dabei ging es um alle 16 Partien der K.O.-Phase ab dem Achtelfinale bis zum Endspiel. Aus der Gruppenphase waren es 17 Begegnungen, darunter vor allem Spiele, die hierzulande nur im Pay-TV zu sehen waren. Seit der letzten Fußball-Europameisterschaft, die im Sommer 2021 stattfand, überträgt die ARD aus der Gruppenphase großer Turniere verstärkt solche Spiele, die nicht frei empfangbar im Fernsehen zu sehen sind. So soll das Publikum “ein Free-Audio-Live-Angebot ohne Zusatzkosten” erhalten.
Junge Menschen als Zielgruppe
Mit der Nutzung der im Sommer 2021 gestarteten Bundesliga-Audiostreams ist die ARD zufrieden, wenngleich sie hier “noch Luft nach oben” sieht. Zielgruppe seien vor allem jüngere Menschen. Kein Wunder also, dass das Publikum von den größtenteils jüngeren Moderatoren und Kommentatoren durchweg geduzt wird. Die bisher reichweitenstärkste Übertragung eines Bundesligaspiels war der Stream zur Partie Borussia Dortmund gegen Bayern München am 4. Dezember 2021. Erfasst wurden 275.000 Abrufe mit einer Hördauer von mehr als einer Minute.
In der laufenden Bundesligasaison 2022/23 – die nach der WM- und Winterpause seit dem 20. Januar fortgesetzt wird – liegt die durchschnittliche Nutzung der Übertragungen aus der ersten und zweiten Liga bei rund 21.500 Abrufen pro Stream. Die bisher reichweitenstärkste Audioübertragung auf sportschau.de war der Stream von der WM-Viertelfinalpartie Kroatien gegen Brasilien am 9. Dezember 2022 mit 372.000 Abrufen, die länger als eine Minute dauerten.
Das umfangreiche Fußball-Audiostreaming der ARD auf sportschau.de sorgt nun aber für großen Unmut beim Verband Privater Medien Vaunet. Dessen stellvertretender Vorstandsvorsitzender Marco Maier sagte dem epd, hier sei “quasi ein öffentlich-rechtliches Audio-Onlinemonopol entstanden, das nicht im Medienstaatsvertrag beauftragt wurde, da es hier nur eine Beauftragung audiovisueller Online-Only-Angebote gibt”. Maier ist Geschäftsführer des Unternehmens Radio/Tele FFH (Hit Radio FFH) und bei Vaunet zudem Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste.
Vaunet kritisiert Wettbewerbsverzerrung
Das Audiostreaming im Fußballbereich auf sportschau.de sei “ein gutes Beispiel für die Wettbewerbsverzerrung durch die beitragsfinanzierten Sendeanstalten im Online-Audiobereich”, sagt Maier: “Aufgrund der Rechteabschlüsse der ARD liegen die Preise für Premium-Fußball im Audiobereich hier so exorbitant jenseits dessen, was im Markt refinanzierbar ist, dass diese Rechte für die privaten Audio-Streaminganbieter unter wirtschaftlichen Aspekten nicht interessieren können.” Das gelte nicht nur für die Live-Übertragung ganzer Spiele, sondern auch für kurze Clips, etwa von der Bundesliga.
Die ARD hält dagegen und erklärt, ihr seien keine Beschwerden bekannt. Hörfunkrechte würden zudem “in den allermeisten Fällen auf nicht-exklusiver Basis vergeben”. Somit hätten auch andere Rundfunkanbieter Zugang zu einer Liveberichterstattung. Bei der Fußballbundesliga sei das aber anders geregelt: Die DFL vergebe seit 2013 die Hörfunkrechte für vollständige Spielübertragungen über eine öffentliche Ausschreibung exklusiv. Kommerziellen Hörfunkanbietern sei es trotzdem möglich, live von Bundesligaspielen zu berichten, nur eben nicht über die komplette Spieldauer.
Die ARD verweist auf gesonderte Vermarktungspakete der DFL und deren Individualvermarktungsrichtlinie. In dieser Richtlinie ist unter anderem geregelt, dass ein Bundesliga-Klub einem Hörfunkanbieter erlauben kann, seine Spiele in Teilen live zu übertragen, maximal möglich sind zehn Minuten pro Halbzeit.
Von den Spielen der Fußballbundesliga und des DFB-Pokals berichtete ab 2021 auch das damals gestartete kommerzielle Programm Sportradio Deutschland live, aber nur in begrenztem Umfang auf Basis von Minutenkontingenten. Beim DFB-Pokal konnte das Privatradio außerdem mehrere Spiele in voller Länge übertragen, darunter das Endspiel. Doch zum Jahresende 2022 wurde Sportradio Deutschland überraschend eingestellt, das gab die in Leipzig angesiedelte Betreiberfirma Teutocast am 19. Dezember bekannt. Teutocast begründete die Entscheidung damit, dass sich das Unternehmen “strategisch neu positionieren” und ab 2023 auf regionale Programmangebote konzentrieren wolle. Folge der Einstellung von Sportradio Deutschland: Zehn feste Beschäftigte und eine mittlere zweistellige Anzahl an freien Mitarbeitern verloren ihren Job, erklärte Teutocast dem epd.
Kartellamt sieht keinen Handlungsbedarf
Das Bundeskartellamt, das die Vergabe der Bundesligarechte der DFL im Fernsehbereich stets im Visier hat, sieht mit Blick auf die Audiorechte für die erste und zweite Liga aktuell keinen Handlungsbedarf. Es gebe derzeit wenig Anlass dafür, die Audiovermarktung durch die DFL zu untersuchen, teilte das Kartellamt mit: “Es gibt keine Beschwerden von Endkunden und Wettbewerbern zu diesem Bereich, und die Angebotssituation mit der freien Verfügbarkeit bei den öffentlich-rechtlichen Sendern scheint durchaus zufriedenstellend. Damit ist aber nicht gesagt, dass es in Zukunft nicht doch zu einem Aufgreifen kommen kann, etwa wenn sich an der Angebotssituation etwas Wesentliches ändert.”
Dazu dürfte es wohl bis auf Weiteres nicht kommen. Dass ein finanzstarkes Unternehmen der ARD im Audiobereich Konkurrenz machen wird, ist nicht zu erwarten. Anfang Juli soll der Sport-Streamingdienst Dyn Media starten, den der Springer-Konzern und der frühere DFL-Geschäftsführer Christian Seifert gemeinsam aufbauen. Dort geht es um audiovisuelle Übertragungen. Aktuell gebe es “keine Planungen zu reinen Audio-Liveübertragungen”, teilte Dyn Media auf Nachfrage mit.