Wie die Rundfunkräte professionalisiert werden können.
30. Dezember 2022
Rat für den Rat: Der RBB-Skandal hat eine Debatte um mangelnde Expertise in den Rundfunkräten angestoßen. Medienrechtler Karl-Eberhard Hain schlägt bei epd Medien vor, Fachleute in die Gremien zu integrieren. Diese sollten sich um die Posten bewerben und von den Ratsmitgliedern gewählt werden. Bei Fachleuten, die nicht Teil des Gremiums sind, sieht Hain dagegen die Gefahr, dass sie die Rundfunkräte zu sehr dominieren könnten. turi2 veröffentlicht den Beitrag in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Mit dem dritten Medienänderungsstaatsvertrag soll der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten flexibilisiert werden. Die Entscheidung über eine Einstellung von Spartenprogrammen wie Tagesschau24, One, ARD-Alpha, ZDFinfo oder ZDFneo oder die Überführung dieser Kanäle in Onlineangebote bedarf dann der Zustimmung der Rundfunkräte. Diese müssen dafür ein dem Drei-Stufen-Test angenähertes Verfahren durchführen. Darüber hinaus sind sie verantwortlich für die Festsetzung inhaltlicher und formaler Qualitätsstandards für die Angebote sowie standardisierter Prozesse, um diese zu überprüfen.
Diese Aufgaben gehen ebenso wie der Drei-Stufen-Test über klassische Aufgaben der Programmaufsicht hinaus; sie verleihen den Rundfunkräten – auf einer relativ abstrakten Ebene – Einfluss auf die Gestaltung des Programmauftrags, was freilich an der Verantwortung der Intendantinnen und Intendanten für die konkrete Gestaltung der Programme und Telemedienangebote im Rahmen des Intendantenprinzips nichts ändert.
Zur Erledigung dieser Aufgaben bedarf es verstärkt der fachlichen Expertise – gerade wenn die Räte zu nicht von Vorlagen der Intendanzen dominierten Entscheidungen befähigt sein sollen. Die Zusammensetzung der Rundfunkräte erfolgt allerdings weithin nach dem Prinzip des Gruppenpluralismus, nicht nach dem Kriterium fachlicher Qualifikation. Hochwertige und obligatorische fachliche Fortbildung der Räte ist erforderlich, macht aber eine von vornherein bestehende fachliche Qualifikation nicht entbehrlich. Diesbezügliche Vorgaben bestehen bislang erst für einzelne Sender. Dabei reichen bloße Sollvorschriften im Hinblick auf “Kenntnisse auf den Gebieten des Rundfunks und der Telemedien”, wie sie für den WDR laut WDR-Gesetz bestehen (§ 15 Absatz 12 Satz 1) und das Qualifikationsprofil nur vage umreißen, nicht mehr aus.
In der aktuellen Diskussion finden sich verschiedene Ansätze, den Gremien Expertise zuzuführen. Sie setzen auf anstaltsexternen Sachverstand oder auf die fachliche Aufrüstung und Stärkung der Gremienbüros. Das Risiko dieser Ansätze besteht indes darin, dass Ratsmitglieder, wenn sie fachlich nicht hinreichend versiert sind, von Experten außerhalb des Gremiums selbst dominiert werden. Daher plädiere ich – unter der Voraussetzung, dass das gruppenplurale Modell aufrechterhalten werden soll – für eine “interne” Lösung. Es wird freilich nicht verlangt werden können, dass jede berücksichtigte Gruppe den Rat mit gruppenangehörigen oder -externen Experten zu beschicken habe. Darin läge im Übrigen ein verkappter Übergang zum Sachverständigenmodell.
Der Vorschlag lautet, in die Räte eine Sachverständigenbank einzuführen. Diese sollte personell nicht aufgebläht sein; im Übrigen könnte, soweit oberste Staatsorgane eine nicht unerhebliche Zahl von nicht obligatorisch sachverständigen Ratsmitgliedern entsenden wie etwa beim ZDF und beim SWR, diese Zahl zugunsten der Sachverständigen reduziert werden.
Eine ähnliche wie die hier vorgeschlagene Lösung sieht bereits § 10 Absatz 1 Nr. 18 des Radio-Bremen-Gesetzes (RBG) für Radio Bremen vor und nennt die Qualifikationsbereiche Wirtschaftsprüfung, Betriebswirtschaft und Unternehmensberatung, Medienwirtschaft und Medientechnik, Medienwissenschaft und Medienpädagogik, Journalistik und Publizistik, Kultur, insbesondere der bildenden Künste und Musik. Die wesentliche Funktion der Sachverständigen soll darin bestehen, die übrigen Ratsmitglieder fachlich zu beraten, indem sie etwa Sachverhalte fachgerecht aufbereiten und für den jeweiligen Beschlussgegenstand relevante wissenschaftliche Erkenntnisse in die Beratungen einbringen. Ihre Rolle als Experten ist also nicht so gedacht, dass sie den Entscheidungsprozess dominieren, sondern die (übrigen) Ratsmitglieder zur Entscheidung befähigen.
Die ständige Beteiligung von Experten an den Beratungen innerhalb des Gremiums erscheint mir sinnvoller als die Einschaltung von Sachverständigen, die außerhalb des Gremiums selbst angesiedelt sind. Auf diese Weise können sich die (übrigen) Ratsmitglieder im laufenden Prozess der Beratungen problembezogen fachliches Know-how aneignen, die Experten aber auch ständig kritisch hinterfragen. Mir scheint, so besteht eher die Chance, dass sich die übrigen Gremienmitglieder nicht von den Experten abhängig machen. Zudem lernen in das Gremium integrierte Experten im Laufe ihrer Tätigkeit jedenfalls besser als außerhalb der Anstalt stehende Fachleute die Spezifika der jeweiligen Anstalt kennen und können daher auch anstaltsspezifischer beraten.
Zusammensetzung der Gremien aktualisieren
Nach § 12 Absatz 4 RBG werden die vier gesellschaftliche Gruppen vertretenden und zugleich sachverständigen Mitglieder des Rundfunkrats von Radio Bremen nicht etwa von den jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen, sondern von dem für Medien zuständigen Ausschuss der bremischen Bürgerschaft mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen gewählt. Allerdings sind auch mit qualifizierter Mehrheit getroffene Ausschuss- oder Parlamentsentscheidungen unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne keineswegs unproblematisch. Um Staatseinflüsse zu reduzieren, sollten die Experten nach einer öffentlichen Ausschreibung und einer entsprechenden Bewerbung, in der auch fachliche Befähigung und mehrjährige Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet nachzuweisen wäre, mit gegebenenfalls qualifizierter Mehrheit entweder von den übrigen Ratsmitgliedern unmittelbar nach deren Zusammentreten oder von den Ratsmitgliedern der vorhergehenden Amtsperiode – wie es bereits für ein Mitglied der Medienkommission der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen vorgesehen ist (§ 93 Abs. 5 Landesmediengesetz NRW) – gewählt werden.
Mit einer derartigen internen Professionalisierung der Rundfunkräte könnten die Länder im Übrigen zugleich die Aktualisierung der Zusammensetzung der Gremien verbinden – nach Meinung vieler spiegelt deren Zusammensetzung nicht mehr diejenige der heutigen Gesellschaft wider.
Verfassungsrechtlich wäre eine solche Lösung zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder auf den großen Spielraum der Länder zur Gestaltung der Rundfunkordnung hingewiesen. Auch die innere Organisation der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist keineswegs durch die Verfassung determiniert. Das gruppenplurale Modell betrachtet das Bundesverfassungsgericht nur als eine verfassungskonforme Variante der inneren Organisation. Und wenn es im ZDF-Urteil heißt, die Organisation in der Form öffentlich-rechtlicher Anstalten mit einer binnenpluralistischen Struktur sei “weiterhin verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden”, klingt das durchaus nicht danach, als sei dieses Modell in Stein gemeißelt. Prinzipiell möglich wäre auch ein reines Sachverständigenmodell, nicht ausgeschlossen die Externalisierung der Aufsicht.
Spielraum für Reformen
Verfassungsrechtlich betrachtet muss die innere Organisation allerdings – ebenso wie die Finanzierung – funktionsgerecht und im Übrigen auch funktionsfähig sein. Dieser Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit zur Auftragserfüllung ist durchaus von verfassungsrechtlicher Relevanz, zumal die Anstalten im Rahmen der dualen Rundfunkordnung jederzeit ihren Auftrag vollständig erfüllen müssen. Das ist die Bedingung der Verfassungsmäßigkeit der gesamten dualen Rundfunkordnung auch in Bezug auf ihre private Säule. Wären die Gremien nicht hinreichend funktionsfähig im Hinblick auf ihre Rolle bei der Auftragserfüllung, wäre ein in verfassungsrechtlicher Hinsicht höchst problematischer Zustand erreicht.
Die Frage der inneren Organisation ist nach alledem eine politische und politisch durch die Länder zu entscheidende Frage im Rahmen offener verfassungsrechtlicher Vorgaben. Es besteht also ein großer Spielraum für Reformen. Die Länder müssen dabei aber sicherstellen, dass die Gremien auch von ihrer Zusammensetzung her die ihnen übertragenen auftragsrelevanten Aufgaben erfüllen können. Insofern herrscht Reformbedarf: Die Zuweisung auftragsrelevanter Aufgaben muss mit der Befähigung der Rundfunkräte zur Aufgabenerfüllung einhergehen.
Karl-Eberhard Hain ist Direktor des Instituts für Medienrecht und Kommunikationsrecht an der Universität Köln.