“Wir müssen Risiken bewusst in Kauf nehmen” – Katrin Eigendorf über Berichterstattung im Krieg.
2. September 2023
Frau von Welt: Für das ZDF berichtet Katrin Eigendorf aus Afghanistan, Irak und der Ukraine. Als Kriegs- und Krisenberichterstatterin darf man sich nicht “für allmächtig und allwissend halten”, sagt sie im Interview mit Ellen Nebel von epd Medien. Das Korrespondenten-Netz sei heute viel kollegialer als früher. Doch das Berufsfeld müsse an die veränderte Welt angepasst werden, es gäbe noch immer blinde Flecken. Ihren Job könne man nicht vom Schreibtisch aus machen. Das sei wie bei der Bundeswehr: “Wenn ich in einen Kampfeinsatz gehe, kann ich nicht in der Kaserne bleiben.” Im Interview berichtet sie außerdem über das festgefahrene Bild des Kriegsreporters und wie die Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihre Karriere beeinflusst hat: “Dass ich Mutter bin, war mehrfach ein Hindernis.”
Interview von Ellen Nebel / epd Medien
Frau Eigendorf, der Auslandsjournalismus zieht sich wie ein dicker roter Faden durch Ihre Biografie. Nach dem Volontariat beim WDR ging es für Sie direkt ins ARD-Studio Paris. War es schon immer Ihr Wunsch, Auslandskorrespondentin zu werden?
Das war tatsächlich der Grund, warum ich Journalistin werden wollte. Für mich war die Motivation das Entdecken und Überschreiten von Grenzen, also Neugier. Ich komme aus einer Kleinstadt, Krefeld, und wollte so schnell wie möglich woandershin. Nach meinem Grundstudium der Journalistik, das ich in Dortmund gemacht habe, war für mich klar, dass ich ins Ausland muss.
Für RTL waren Sie Mitte der 1990er Jahre als Korrespondentin in Moskau im Einsatz, bevor Sie 1999 zum ZDF kamen. Was unterscheidet die Korrespondententätigkeit für einen Privatsender von der für ARD oder ZDF?
Ich fange mal mit dem Positiven an. Für eine junge Journalistin gab es große Chancen bei RTL. Dort wurde nicht gefragt: Hast du ein Volontariat, hast du schon mal vor der Kamera gestanden? Sondern es wurde gesagt: Willst du das machen und traust du dir das zu? Dann geh! Ich erlebe uns im öffentlich-rechtlichen System häufig eher zögerlich, da werden manchmal junge Kollegen im Alter von 30 Jahren als zu jung für Einsätze in Krisengebieten befunden. Das war bei RTL anders, da konntest du einfach machen, solange die Geschichte gut war.
Warum sind Sie dann zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückgekehrt?
Das Negative an der Arbeit bei RTL war für mich, dass die Nachrichten sehr verkürzt werden und lange Formate kaum eine Chance hatten. Die große Hintergrundstory findet nicht statt. Mir wurde oft gesagt: Mach es nicht so kompliziert! Vor allem die außenpolitische Berichterstattung konzentriert sich auf die großen Schlagzeilen. Als meine Familie und ich dann beschlossen, nach Deutschland zurückzugehen, war mein Wunsch, zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen zurückzukehren.
Dann sind Sie zum ZDF gewechselt, um hintergründigeres Fernsehen machen zu können?
Ganz genau. Und es war ja auch eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, ich hatte ja beim WDR volontiert und während meines Studiums gearbeitet.
Seit 2018 sind Sie im Reporterpool der ZDF-Hauptredaktion Aktuelles mit Berichterstattungs-Schwerpunkten in Afghanistan und der Ukraine, Sie berichteten aber auch aus Russland, Libanon, dem Irak und der Türkei. Was unterscheidet Ihre Arbeit vom Fallschirmjournalismus?
Mit dem Begriff Fallschirmjournalismus kann ich nicht viel anfangen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Sender nicht in jedem Land Korrespondenten haben kann. Wenn Fallschirmjournalismus bedeutet, dass Journalisten irgendwohin gehen, wo gerade ein Ereignis stattfindet, dann bin auch ich manchmal eine Fallschirmjournalistin. Denn es ist meine Aufgabe als internationale Reporterin des ZDF, dorthin zu gehen, wo gerade etwas passiert, was nachrichtlich relevant ist. Ich war auch schon im Amazonas, um über Brände zu berichten, obwohl ich dort vorher noch nie gewesen war und mich neu einarbeiten musste. Das war Fallschirmjournalismus. Ich habe damit im Prinzip keine Probleme, wenn man sich bewusst ist, was man da tut, und nicht suggeriert, man wisse alles.
Aber wie fundiert kann ein schneller Einsatz im Krisengebiet denn wirklich sein?
Wenn man will, kann man auch in eineinhalb Tagen eine gute Geschichte machen, zumindest im Fernsehen. Eine gute Reportage zeichnet aus, dass man die Realität so gut es geht abbildet, offen darauf zugeht, Menschen zu Wort kommen lässt. Natürlich muss man sich auch für einen solchen Einsatz entsprechendes Hintergrundwissen aneignen, sich mit der Materie beschäftigen. Wesentlich ist jedoch, dass man die Augen offen hält, unvoreingenommen und neugierig ist. Ich habe sehr oft festgestellt, dass mir die Themen vor die Füße fallen, wenn es darum geht, die Realität abzubilden. Es ist egal, wo du abgeworfen wirst, du kannst die Realität sehen und daraus etwas reportieren. Genau das macht die Reportage aus.
Also halten Sie Fallschirmjournalismus in der Auslandsberichterstattung für unproblematisch?
Selbstverständlich arbeite ich viel lieber dort, wo ich mich auskenne, Kontakte habe und im besten Fall auch die Sprache spreche. Allerdings wird es sich als internationaler Journalist nie ganz vermeiden lassen, dass man auch ein Fallschirmjournalist ist. Ich habe ein Problem damit, wenn sich Kollegen am Schreibtisch eine Story zurechtbasteln und dann auf die Suche nach Informationen gehen, die diese Story und ihre Vorurteile bestätigen. Das ist eine schlimme Art von Journalismus. Wir müssen uns nur der eigenen Beschränkung bewusst sein und dürfen uns nicht für allmächtig und allwissend halten.
Wie sprechen Sie Ihre Arbeit mit den zuständigen Auslandsbüros ab, also beispielsweise mit Phoebe Gaa in Moskau? Die inhaltliche Abgrenzung stelle ich mir herausfordernd vor.
Ich spreche mich mit meinen Kollegen und Kolleginnen eigentlich eher weniger über die Planung meiner Einsätze ab, das macht die Zentrale. Ich nutze aber unser großes Korrespondentennetz, um Wissen und Einschätzungen auszutauschen. Was Moskau angeht, da sind die Positionen ganz klar: Ich bin nicht die Korrespondentin in Moskau, ich berichte aus der Ukraine. Wenn ich in einer Talkshow oder in einem Interview etwas zu Russland sage, dann immer als Expertin, nicht als Korrespondentin. Der Unterschied ist: Ich kann nicht sagen, was jetzt gerade in Moskau passiert. Das kann Phoebe. Aber ich kann den weiten Rückblick geben, weil ich mich seit über 30 Jahren mit Russland intensiv beschäftige, die Sprache spreche und eben auch Sachen sagen kann, die ein Korrespondent vor Ort aus Sicherheitsgründen nicht sagen kann. Die heutige Generation von Auslandskorrespondenten hat dieses Revierverhalten nicht mehr, ich erlebe selten, dass Kollegen ihr Territorium abstecken. Es macht viel mehr Spaß, im Team zu arbeiten.
Gilt das auch für die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer Medien?
Ja. Warum sollte man gegeneinander arbeiten? Warum sich nicht austauschen und gegenseitig unterstützen? Vor allem dann, wenn man in gefährlichen Gebieten arbeitet. Meine Berichterstattung wird nicht dadurch schlechter, dass ich einem Kollegen oder einer Kollegin helfe, sondern guter Austausch von Informationen nutzt allen. Wenn ich gut bin, dann wird auch meine Story gut. Und das bleibt sie auch dann, wenn der Kollege ebenfalls eine gute Story macht.
Haben Sie schon einmal einen Auslandseinsatz abgelehnt, weil er Ihnen zu gefährlich war oder Sie ihn sich aus anderen Gründen nicht zugetraut haben?
Tatsächlich habe ich mal ein Angebot für einen Korrespondentenposten in China abgelehnt, weil ich mich dort nicht auskenne und die Sprache nicht spreche. Ich halte es für keine gute Idee, dort jemanden hinzuschicken, dessen einzige Expertise in ein paar Besuchen in Chinarestaurants liegt. Und ich habe auch schon Einsätze abgelehnt, zum Beispiel in der Türkei. Ich hatte dort keine Akkreditierung und hätte dort mit Touristenvisum einreisen müssen.
Und folglich nur unter Pseudonym berichten dürfen?
Ja, so etwas ist riskant und auch nicht klug. Die Türkei ist ein autokratisches Regime, man bringt damit sich und andere in Gefahr. Und man sollte als Journalist die Gesetze nach Möglichkeit respektieren. Wir reisen ja auch in die USA nicht ohne gültiges Arbeitsvisum ein. Aber es ist auch nicht so, dass meine Redaktion einfach sagt: Du fährst jetzt nach Afghanistan. Auslandseinsätze, vor allem in gefährlichen Gebieten, geschehen in gegenseitiger Absprache.
Sie haben eine jahrzehntelange Perspektive auf den Auslandsjournalismus. Der Journalist Marc Engelhardt bezeichnete im vergangenen Jahr in einem Arbeitspapier der Otto-Brenner-Stiftung den Zustand des deutschen Auslandsjournalismus als “katastrophal”. Ausgedünnte Korrespondentennetze lieferten ein verzerrtes Weltbild. Vermeintliche Überraschungen wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder die rasche Machtübernahme der Taliban nach dem US-Truppenabzug aus Afghanistan im Sommer 2021 seien auch Ergebnis der Tatsache, dass viele Medien über manche Länder gar nicht mehr berichten. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich teile das nicht in dieser Schärfe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ein großes Korrespondentennetz, das sich kaum ein anderes Medium erlaubt, auch im weltweiten Vergleich mit anderen Sendern stehen ARD und ZDF gut da. Das Problem ist meiner Meinung nach eher, dass außenpolitischer Berichterstattung, vor allem Kriegsberichterstattung, in Deutschland bislang nicht genug Bedeutung beigemessen wurde.
Aber ist es nicht gerade die Aufgabe des Auslandsjournalismus, Entwicklungen wie die Machtübernahme der Taliban frühzeitig auf dem Schirm zu haben?
Ich habe seit 2019 regelmäßig über Afghanistan berichtet und hatte sehr gute Kontakte im Land. Das ZDF hatte mit Nesar Fayzi einen ausgezeichneten afghanischen Producer in Kabul, der uns schon sehr früh darauf hingewiesen hat, dass die Taliban bei einem Abzug der USA und ihrer Verbündeten die Macht ergreifen würden. Dazu haben wir auch im Vorfeld, bereits im Frühjahr 2021, viele Beiträge und eine große Reportage gemacht (“Die Rückkehr der Taliban”), die beim New York Film Festival 2022 mit dem Silver Award ausgezeichnet wurde. Der grundlegende Fehler lag darin, dass wir im August 2021 nicht vor Ort waren, als die Taliban in Kabul einmarschierten. Weder ARD noch ZDF hat Reporter im Land gehabt.
Woran lag das?
Die damalige Chefredaktion des ZDF hielt es für zu gefährlich und auch zu kompliziert, unser Team im August 2021 nach Kabul zu schicken. Eine ähnliche Situation hatten wir im Februar 2022 in der Ukraine: ARD und ZDF wollten ihre Reporter wegen der gefährlichen Lage nicht nach Kiew schicken, wir mussten vor der Hauptstadt haltmachen. Dass wir uns nicht missverstehen: Die Situation in Kabul im August 2021 und auch die in Kiew waren sehr gefährlich, auch sehr unübersichtlich. Aber Kriegsberichterstattung ist immer mit Gefahren verbunden. Wir können internationale Krisenberichterstattung nicht CNN, Al Dschasira oder der BBC überlassen, wir müssen selbst vor Ort sein. Denn das, was in der Ukraine heute passiert, hat große Auswirkungen auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Gerade die Krisen der letzten Zeit, angefangen mit Corona, haben gezeigt, dass wir vor Ort sein müssen, wenn wir verstehen wollen, was passiert.
Heißt das, Reporter müssen sich auch in gefährliche Situationen begeben?
Das ist genau wie mit der Bundeswehr. Wenn ich in einen Kampfeinsatz gehe, kann ich nicht in der Kaserne bleiben. Und wenn ich als Journalist in ein Kriegsgebiet gehe, kann ich meine Berichterstattung nicht vom Hotel aus erledigen, sondern dann muss ich dahin gehen, wo der Krieg ist. Ich halte es für eine falsche Leitlinie zu sagen: Sicherheit geht über alles. Wir sind Profis, wir müssen die Lage beurteilen, Risiken abwägen, aber letztendlich auch Risiken bewusst in Kauf nehmen.
Dieser provinzielle Blick auf die Welt, den Sie vorhin beschrieben haben, woher kommt der?
Ich vermute, es hängt auch damit zusammen, dass Deutschland seine Rolle und Bedeutung in der internationalen Politik erst in den letzten Jahren akzeptiert hat.
Ist der Zuschnitt des Korrespondentennetzes ein Beleg dafür, dass es bislang kein Bewusstsein dafür gibt, wie sehr die globalisierte Welt heute unser Leben bestimmt?
Das Korrespondentennetz entspricht nicht der veränderten Weltordnung. Während wir in Europa zum Teil sehr gut besetzt sind, haben wir keinen Korrespondenten in Indien, obwohl es eines der wichtigsten Länder der Welt ist. In den USA haben wir Korrespondenten in Washington und New York, aber keinen in Kalifornien, mittlerweile die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir haben nicht zu wenige Korrespondenten, wir investieren auch nicht zu wenig Geld. Aber wir sollten das Korrespondentennetz und die Prioritäten, die wir setzen, an die veränderte Welt anpassen.
Im Fall der Ukraine wurde auch deutschen Reportern vorgeworfen, unausgewogen über den Krieg zu berichten und zu sehr die Perspektive der Ukrainer einzunehmen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Dieses Bild zu vermitteln, dass Journalismus objektiv ist, halte ich für falsch. Ich halte die Herangehensweise zu sagen, dass sich ein guter Journalist nie mit einer Sache gemein machen sollte, nicht einmal mit einer guten, für sehr verkürzt. Auch ich habe in Afghanistan Frauen, über die ich berichtet habe, aus dem Land herausgeholfen, weil ich mich in der Verantwortung sehe. Das ist Aktivismus. Wir sind als Journalisten nie objektiv, sondern berichten immer aus unserer eigenen Perspektive, geprägt von den Informationen und Zugängen, die wir haben. Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet, aber nicht der Objektivität, denn die gibt es gar nicht. Für ganz fatal halte ich den “He-said-she-said-Journalismus”. Ich kann bei einem Ereignis wie Butscha nicht sagen: Dort ist ein Massaker passiert, und die russische Regierung sagt, das ist eine Inszenierung der Ukrainer. In meinem Verständnis darf sich ein Journalist nicht zum Sprachrohr von Desinformationskampagnen machen.
Im Zeitalter von Social Media glauben viele, sie könnten sich über das Internet selbst ein Bild machen. Wozu braucht es da noch Journalismus?
Unsere Aufgabe als Journalisten ist es zu recherchieren, statt zu behaupten, unsere Informationen müssen auf Fakten und nicht auf Glauben basieren. Dass wir als professionelle Augenzeugen vor Ort sind, dass wir zeigen, was ist, und dies auch einordnen, ist extrem wichtig. Sonst kann sich in der Tat jede und jeder die Presseverlautbarungen der ukrainischen Regierung und der russischen Regierung angucken und sich dann selbst ein Bild machen. An Butscha sieht man außerdem, wie enorm wichtig es ist, dass wir Leute vor Ort haben, die sehen, was dort passiert. Die Desinformationskampagnen, die Regierungen betreiben, sind teilweise brillant. Was die Russen machen, ist handwerklich manchmal richtig gut. Dem müssen wir entgegensetzen, dass wir Journalisten Augenzeugen sind. Wir machen uns vor Ort ein Bild, wir stellen klar, aus welcher Perspektive wir erzählen, und basieren das Ganze auf Fakten. Das sind für mich die drei Kriterien für professionellen Journalismus, der uns unterscheidet von jenen, die Informationen auf die eine oder andere Art verbreiten.
Die Situation der Pressefreiheit in der Ukraine war schon vor dem Krieg nicht gerade rosig. Im Frühjahr untersagte es die Regierung Journalisten, in bestimmte Frontgebiete zu reisen. Wie erleben Sie die Arbeitsbedingungen vor Ort?
Die ukrainische Regierung ist relativ offen, was die Arbeit von Journalisten angeht. Wer eine Akkreditierung haben möchte, bekommt sie in der Regel auch. Wenn es um den Einsatz im Kriegsgebiet geht, gibt es Restriktionen, und die sind im Verlauf des Krieges gewachsen. Generell kritisch sehe ich die Zugänge zur Machtelite. Ich finde es sehr problematisch, dass sich Präsident Selenskyj so darauf fokussiert, nur bestimmten Medien in Deutschland Interviews zu geben. Es darf nicht sein, dass nur “Bild”, später auch ZDF und ARD, ein Interview bekommen. Mir hat der Sprecher von Selenskyj auf die Frage, warum ich kein Interview bekomme, ganz klar gesagt: Weil wir Probleme mit der deutschen Politik haben.
Sind Journalisten in der Ukraine einer Zensur ausgesetzt?
Das würde ich nicht sagen. Wenn sie uns die Genehmigung erteilt haben, konnten wir immer alles machen. Die Ukrainer haben nie versucht, mich auf ihre Seite zu ziehen oder mir zu verbieten, etwas Bestimmtes zu sagen. Aber nichtsdestotrotz können wir uns nicht frei in diesem Land bewegen, denn es ist ein Kriegsgebiet. Und das wird jetzt restriktiver, denn man braucht nun eine Sondergenehmigung, um an der Front zu arbeiten. Wir bekommen bestimmte Sachen nicht zu sehen, zum Beispiel ein Militärkrankenhaus. Ich weiß von Militärärzten, dass die Soldaten teilweise katastrophale Verletzungen haben. Aber ich habe nie einen offiziellen Zugang bekommen, denn das wollen die Ukrainer natürlich nicht zeigen.
Worin sehen Sie hier den Unterschied zu Russland?
Was die Ukrainer machen, ist Panik-PR. Denn teilweise sind sie einfach panisch, dass die falschen Nachrichten rauskommen. Aber es ist keine Propaganda. Diese Panik-PR muss man natürlich entsprechend einordnen und sich seine Informationen dann im Zweifelsfall woanders beschaffen. Aber das ist für einen professionellen Journalisten immer Teil der Arbeit. Ich übernehme ja auch nicht eins zu eins, was die Bundesregierung an Infos herausgibt. Trotzdem sind die Infos keine Lügen. Aber es ist natürlich eine sehr einseitige Darstellung der Realität. Und so ist es auch in der Ukraine. Was Russland hingegen macht, ist Propaganda.
Sie haben häufig gesagt, dass es Ihrer Meinung nach keinen speziellen “weiblichen Blick” auf die Themen gibt, Frauen als Kriegsreporterinnen also nicht anders berichten als Männer. Dabei sind Frauen längst nicht in allen Ländern gleichberechtigt, denken wir an Afghanistan. Als Frau müssen Sie hier gezwungenermaßen aus einer ganz anderen Position berichten. Beeinflusst das nicht auch den Blickwinkel?
Es kommt wohl auf die einzelne Frau an. Es ist immer eine Frage, inwieweit man das an sich heranlässt. Als ich erlebt habe, wie Frauen in Afghanistan gezwungen wurden, sich komplett zu verschleiern, hat das meinen Blick sehr stark beeinflusst. Du musst jetzt auch als deutsche Journalistin darauf achten, dass deine Haare nicht zu sehen sind, und die Beine bedecken. Da habe ich selbst körperlich gespürt, wie das eigentlich ist, wenn du unter deinen Kleidern aus der Öffentlichkeit verschwinden sollst. Das hat meine Perspektive auf die Situation der Frauen ganz sicher beeinflusst. Aber das muss nicht zwangsläufig bei jeder Frau so sein, sie berichten nicht generell anders als Männer. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch mit seiner eigenen Perspektive an die Themen herangeht. Andererseits finde ich es sehr wichtig, dass mehr Frauen in den Auslandsjournalismus gehen. Ich bin häufig die einzige Frau in meinem Team. Kriegsberichterstattung ist immer noch ein männerdominiertes Business, und das ist nicht gut, wir brauchen Vielfalt.
Trauen sich die Frauen nicht oder wird es ihnen nicht zugetraut?
Das liegt am Image und fehlenden Vorbildern. Als ich 30 Jahre alt war, war der durchschnittliche Auslandsreporter männlich, weiß, über 40 und aus Westdeutschland. Obwohl sich das langsam ändert, haben wir immer noch viel zu wenige Frauen und auch Reporter mit Migrationshintergrund.
Welche Rolle hat in Ihrer Karriere die Tatsache gespielt, dass Sie Mutter sind?
In meiner journalistischen Laufbahn war die Tatsache, dass ich Mutter bin, mehrfach ein Hindernis. Bei RTL in Moskau war mein damaliger Chefredakteur schier entsetzt, dass ich ein Kind bekomme. Der hätte mich am liebsten gleich abgezogen, der hat das fast als Affront angesehen, weil ich gerade meinen Vertrag unterschrieben hatte. Vor 20 Jahren hat man mir aber auch beim ZDF gesagt: Mit zwei Kindern kannst du nicht in den Reporterpool gehen. Dabei ist es doch meine Entscheidung, wie ich in der Familie die Kinderbetreuung organisiere. Es ist eine private Sache. Vielleicht habe ich ja einen tollen Mann, der sich um die Kinder kümmert.
Für Ihre Arbeit haben Sie zahlreiche Preise gewonnen. Ist Ihnen das manchmal ein zu großer Fokus auf Ihre Person?
Ich habe mich über alle Preise sehr gefreut. Aber bei der Würdigung der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg fand ich, dass manche Kollegen, die auch einen guten Job gemacht haben, zu kurz gekommen sind. Ich fand es dann super, dass das “Medium Magazin” Paul Ronzheimer und mich zusammen als Journalisten des Jahres ausgezeichnet hat. Ich würde mir zudem wünschen, dass wir den Fokus nicht nur auf die Gesichter vor der Kamera richten, sondern zum Beispiel mal Producer auszeichnen, die unsere Berichterstattung aus Afghanistan oder der Ukraine überhaupt erst ermöglichen. Die brauchen viel mehr Mut als wir, weil sie in dem Land leben und sich auf eine ganz andere Art und Weise mit der eigenen Regierung und ihrem Umfeld auseinandersetzen müssen.