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“Es ist ein Startpunkt, kein Endpunkt” – Chefredakteur Horst von Buttlar über den Relaunch der “Wirtschaftswoche”.

29. September 2023

Kapitaler Wandel? Horst von Buttlar wirkt seit März als Chefredakteur der “Wirtschaftswoche”. Heute legt er das Wirtschafts­magazin mit neuem Konzept und mit neuer Optik an den Kiosk. Ziel sei es, die “Wiwo” als Wochenend-Lektüre zu positionieren, dafür investiert der Verlag u.a. auch in hochwertigeres Papier. Zudem gibt es neue Schriften, Rubriken und einmal im Monat das neue Ressort “Leben”, in dem es u.a. um Reisen, Kulinarik und Luxus geht. Im Relaunch-Interview mit Peter Turi spricht von Buttlar über seinen Abschied von “Capital”, wo er zuvor zehn Jahre lang Chefredakteur war, und den Wert von Print-Relaunches in der heutigen, digitalen Zeit. In unserer Bildstrecke zeigen wir viele Seiten der neuen “Wirtschaftswoche”.
 
Von Peter Turi
 
Horst, kennst Du das Gefühl, wenn der Lieblingsspieler Deines Bundesligavereins nach vielen Jahren plötzlich zur Konkurrenz geht?
 
Das kenne ich gut. Ich bin HSV-Fan und beim HSV wurden oft die besten Spieler verkauft.
 
Viele Fans spüren dann eine Art Phantomschmerz. Immerhin warst Du zehn Jahre Chefredakteur von “Capital”.
 
Schmerzen haben bisweilen auch die, die weggehen. Das muss man schnell hinter sich lassen. Ich glaube zudem, “Capital” hat genug gute Spieler und einen guten, neuen Spielführer.
 
Kannst Du es verstehen, wenn andere Dich vermissen?
 
Das kann ich verstehen. Ich vermisse auch manches, aber es ist immer gut, ab und zu in einer neuen Mannschaft oder mit neuem System zu spielen. Hauptsache, man spielt weiter guten Fußball!
 
Das ist auch für die Podcast-Hörer eine Umstellung. Von Buttlar macht statt Balzli das “Chefgespräch” und ein anderer die “Stunde Null”.
 
Das “Chefgespräch” war der Podcast von Beat Balzli, insofern ist es nicht “mein” Podcast, das stimmt – ich könnte als Hamburger noch nicht mal den Schweizer Akzent imitieren. Ich bin jetzt Co-Host. Aber darum geht es nicht, wir reden hier ja nicht über “Wetten, dass…”, das nur Thomas Gottschalk machen konnte. Jede hat seine Stimme und seinen Stil. Ich habe bei “Capital” “Die Stunde Null” abgegeben – in einem gleitenden Übergang –, ebenso “Aktien fürs Leben”. Daraus wurde bei der “WiWo” “Leben mit Aktien”. Eine kleine Reminiszenz. Und wir haben sofort viele Fans und Hörer wiedergewonnen.
 
Man fragt sich dann: Warum ist der denn weg – war’s das Geld oder die sportliche Perspektive?
 
Für Geld bin ich noch nie gewechselt. Meine Frau hat mich immer gefragt: Was würdest Du machen, wenn Du arbeitslos bist? Dann habe ich gesagt: das Gleiche. Lesen, nachdenken, schreiben. Im Ernst: Es war nach zehn Jahren und in einer turbulenten Phase bei Gruner + Jahr ein guter Zeitpunkt, um die Chance, die die “Wirtschaftswoche” bietet, zu nutzen.
 
Welches Spielfeld bietet sich Dir bei der “Wirtschaftswoche”, das Du bei “Capital” nicht hattest?
 
Es ist breiteres und tieferes Spielfeld. Allein die Redaktion ist ja mit 80 Kolleginnen und Kollegen viel größer. Die Wochentaktung gefällt mir besser, man kann noch in die Tiefe gehen und dennoch aktuell sein. Und die Handelsblatt Media Group ist digital viel besser aufgestellt und weiter, das muss ich anerkennen. Die haben mit der “Subscription first”-Strategie einfach früher und stringenter angefangen.
 
War Dein Umstieg ein Aufstieg? Von der zweiten Liga in die Bundesliga?
 
Nein, da würde ich “Capital” unrecht tun. Beide Marken behaupten sich auf guten Plätzen in der Bundesliga.
 
Aber eben nicht Champions League.
 
Ich glaube, es wäre großspurig zu verkünden, dass die Wirtschaftstitel in der Champions League spielen. Dort spielen die großen und die internationalen Marken. Die Wirtschaftstitel bilden eine eigene Liga. Es ist wichtig zu wissen, in welcher Liga man spielt. Für mich zählt eher: Wo sind wir noch relevant, wo machen wir einen Unterschied? Wo kann ich meine Ideen einbringen, etwas beisteuern und diese Marke mit verändern.
 
Am 29.9. kommt eine “neue” “Wirtschaftswoche”. Warum braucht’s die? Was ist falsch an der alten?
 
Auch wer nichts falsch gemacht hat, muss sich ab und zu erneuern. Wir konzentrieren uns noch mehr auf den Markenkern. Wir werden die “WiWo” aufwerten und auffrischen: Mit einem neuen Design, einer neuen Bild- und Grafiksprache, einer überarbeiteten Heftstruktur. Das klingt anachronistisch, dass wir bei der Markenrenovierung beim Magazin anfangen. Das Magazin ist aber weiter unsere Herzkammer und von entscheidender Bedeutung, nicht nur wirtschaftlich. Und wir werden investieren und neue Stellen schaffen, vor allem im Digitalen – da geht es wie bei vielen Marken vor allem um die Haltbarkeit von Abos: Wir müssen das Engagement erhöhen, das bedeutet: Wie oft nutzt ein Abonnent oder Abonnentin nach Abschluss die “WiWo”? Da müssen wir besser werden. Der Relaunch ist ein Startpunkt, ein Klärungsprozess, was wir sein wollen, wo wir als Marke einen Unterschied machen.
 

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Printprodukte sind ja generell in Abstiegsgefahr – was tut Ihr dagegen?
 
Ich glaube, für Magazin-Marken – und das ist ein bisschen anders als bei News-Marken oder Zeitungen – ist die gedruckte Ausgabe oder das ePaper für die Wahrnehmung der Marke weiterhin wichtig. Ich nutze lieber den Begriff des “Economist” – die “Weekly Edition”. Die muss sitzen! Print ist keine Wachstumsstory, aber es muss stabil sein und von hoher Qualität. Die “Wiwo” galt immer als hoch kompetent und fundiert, sie hat einen gesunden liberalen Kompass, ist exzellent bei den Themen Geldanlage und Immobilien. Aber sie galt für manche auch als bisschen verstaubt. Vielleicht war das Heft ein bisschen zu überfüllt, zu dicht, da musste aufgeräumt werden. Und das haben wir getan. Wir haben das Magazin noch besser fürs Wochenende positioniert, die “Wiwo” soll informieren und inspirieren. Und wir drehen unsere Kampagne um die zwei Begriffe “Weiterdenken” und “Weiterkommen”. Das ist eine moderne Interpretation von Nutzwert. Hier macht die “WiWo” einen Unterschied: Ob es um die persönlichen Finanzen geht, den Kauf einer Immobilie, eine Entscheidung für die eigene Karriere oder das eigene Unternehmen.
 
Ein Printprodukt zu relaunchen, das war früher für den Chefredakteur wie ein Spiel in der Champions League. Ist ein Relaunch heutzutage noch eine sonderlich spannende Sache?
 
Ja, das ist immer noch hochspannend. Neben unserem Creative Director Patick Zeh hatte ich mit Katharina Metschl und Maximilian Virgili zwei hoch talentierte Berliner Grafikdesigner im Team, als Berater hatten wir die Designikone Mario Garcia an Bord. Das waren tolle Workshops! Mario sagt immer: Ein Magazin ist eine Sinfonie! Magazin ist Komposition, ist Denken in Formaten. Es geht um Mischung, Länge, Grafik und Bildsprache. Aber klar, Relaunch klingt ein bisschen nach 90er Jahre: neuer Chefredakteur kommt und macht erstmal fürs Ego einen Relaunch. Das ist es aber nicht! Für uns ist es der Startpunkt für einen Markenprozess, der herausarbeiten soll, was unser Kern ist. Es ist ein Startpunkt, kein Endpunkt.
 
Bei “Capital” heißt der Slogan “Wirtschaft ist Gesellschaft”. Gibt es eine neue Unterzeile für die “Wiwo”?
 
Unterzeile nicht, aber es gibt einen neuen Claim: “Verstehen zahlt sich aus” war der alte. Der wird ersetzt durch “Weiterdenken. Weiterkommen”. Eine Kollegin im Verlag sagte mir mal: “Die WiWo denkt immer an den nächsten Schritt.” Das bringt unser Markenversprechen ziemlich gut auf den Punkt und er geht über das Thema Geldanlage hinaus – denn wer an den nächsten Schritt denkt, will den nächsten Schritt machen.
 
Immobilien ist ein großes Thema bei “Capital”, Wirtschaftsgeschichte ebenso – beides jetzt neu in der “Wiwo”. Hast Du Deine Vergangenheit bei “Capital” kapitalisiert?
 
Da muss ich korrigieren: Immobilien waren bei der “WiWo” immer ein Kernthema. Wirtschaftsgeschichte gab es sporadisch, das bauen wir mit “WiWo History” nun aus, mit dem Fokus auf Wirtschaftsgeschichte. Um das nochmal klar zu sagen: Ich bringe immer etwas von mir mit, nicht von “Capital” – also von meiner Art, Magazin zu machen, die Redaktion zu führen. Aber ich lerne hier auch sehr viel.
 
Wieviel Prozent der Aufmerksamkeit und Investitionen fließt eigentlich in die gedruckte “Wirtschaftswoche”? Und wieviel ins Beiprogramm? Also wiwo.de, Podcasts, Events, Fortbildung?
 
Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe das nicht gemessen. Aber alles in allem geht gefühlt und vermutlich die Hälfte der Energie in neue Produkte – seien es digitale Formate, Newsletter, Events oder Podcast.
 
Dein Vorgänger Beat Balzli hat den Wiwo Club runtergefahren und Wiwo Coach gestartet. Welche Zukunft haben die beiden?
 
Der Wiwo Coach ist eine großartige Idee und Submarke, und wir werden sie weiter ausbauen. Es ist ein tolles interaktives Format, bei dem Leser uns Fragen stellen und Experten antworten. Das hilft auch bei der Abo-Gewinnung. Der Club ist nicht verschwunden, wir machen regelmäßig Club Events. Ich glaube, das ist auch wichtig für die Leser-Blatt-Bindung. Aber die Erwartungen sind nicht mehr so groß wie vor sieben, acht Jahren.
 
Ihr stellt die neue “Wirtschaftswoche” am 28.9. online den Leserinnen und Lesern vor. Bist Du nervös, wie das Publikum den Relaunch aufnimmt?
 
Ich bin nicht nervös, aber angespannt und konzentriert. Du weißt bei Veränderungen nie, wie die Abonnenten reagieren. Es melden sich immer zuerst und lautstark diejenigen, die das blöd finden. Das ist ein bisschen wie eine neue Frisur oder neue Möbel: Es ist erstmal ungewohnt und man findet sich nicht zurecht. Wichtig ist mir, dass alle merken: Wir machen das nicht, um zu sparen, sondern wir investieren. Es gibt sogar neues, besseres Papier! Die neue “Wiwo” wird aufgeräumter, klarer, wertiger – und unverwechselbar sein.

(Foto: Jann Höfer für die “Wirtschaftswoche”)

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