“In ländlichen Gebieten zahlen wir drauf” – Michael Tallai über Digitalisierung bei den Funke-Zeitungen in Thüringen.
29. März 2023
Lange Leitung: Während alle von KI sprechen, stehen Lokalzeitungen vor einer anderen digitalen Herausforderung: Die Leserschaft hängt an der gedruckten Ausgabe, die für Verlage aber immer unrentabler wird. In Thüringen streicht Funke 300 gedruckte Abos in abgelegenen Orten und versucht, mit der Umstellung aufs E-Paper gleichzeitig die Digitalisierung voranzutreiben. Wie das gelingen soll, sagt Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke Medien Thüringen, im Interview.
Alle sprechen von Digitalisierung als Chance. Für Lokalzeitungen wie die “Ostthüringer Zeitung” scheint Digitalisierung eher die letzte Rettung zu sein. Stimmt das?
Es ist beides: Einerseits ein Weg aus der Zustell-Misere – die Kosten sind in den vergangenen Jahren durch Mindestlohn und Energiepreise explodiert und es ist immer schwieriger, Zusteller zu finden. Gleichzeitig ist es eine Chance, unsere Inhalte in digitaler Form noch ansprechender zu präsentieren und damit wieder attraktiver für jüngere Zielgruppen zu machen, als es heute der Fall ist.
Wie hoch ist der Anteil der Zustellkosten bei den Funke Medien Thüringen?
Über 40 % der Kosten im Verlag gehen für die Zustellung drauf. Dazu kommt der Druck der Zeitung mit den hohen Papierpreisen. Der Block Papier, Druckerei und Zustellung kommt zusammen auf über 50 % der Kosten. Das ist ein ziemliches Missverhältnis, denn eigentlich sollten wir mehr Geld in die Inhalteproduktion stecken können, um guten Journalismus zu machen. Aber auf diese Kosten haben wir leider wenig Einfluss. Am Ende blieben nur Sparrunden in Verlag und Redaktion – was definitiv ein Fehler wäre.
Sie stellen 300 gedruckte “OTZ”-Abos im Landkreis Greiz auf E-Paper um. Wie weit ab vom Schuss muss jemand leben, dass die Zustellung der Papierzeitung ein Minusgeschäft ist?
Wir haben jeden Zustellbezirk von “Thüringer Allgemeine”, “Thüringische Landeszeitung” und “Ostthüringer Zeitung” angeschaut und berechnet: Lohnt sich das auf Dauer? In vielen ländlichen Gebieten in Thüringen zahlen wir drauf. Die Abonnenten in größeren Ortschaften oder Städten querfinanzieren die Abos auf dem Land – was nicht sein sollte.
Wäre es für den Verlag nicht sogar finanziell von Vorteil, wenn die Leserschaft auf dem Land einfach ihr Abo kündigt?
Nein, denn die Fixkosten für Verlag, Druckerei usw. würden auf die verbleibenden Abos fallen und diese wiederum teurer machen. Und überhaupt wollen wir die Leser nicht abschneiden. Wir wollen die Lokalausgaben nicht aus den ländlichen Gebieten abziehen und auch keine Redaktionen schließen.
Wie haben die betroffenen Abonnentinnen auf die Ankündigung reagiert, bald keine gedruckte Zeitung mehr zu bekommen?
Natürlich hängen Leser an der gedruckten Zeitung, wenn sie sie seit 30, 40 Jahren am Frühstückstisch lesen. Deshalb – und das war zu erwarten – gibt es Leserinnen und Leser, die ihr Abo kündigen wollen. Andererseits stellen wir fest: Wenn man ihnen hilft, Vorbehalte zu überwinden, erkennen viele die Vorteile der digitalen Zeitung, wie die garantierte Zustellung, die größere Schrift und den günstigeren Abo-Preis. Wir bieten demnächst Schulungen an mehreren Orten im Landkreis an Tablet und Smartphone für das E-Paper an. Außerdem haben wir ein eigenes Callcenter eingerichtet.
Lohnen sich diese Schulungen für den Verlag finanziell?
Wir versuchen in diesem Pilotprojekt zunächst einmal alles, um die Leute von der digitalen Zeitung zu überzeugen. Und können so erkennen: Welches Ergebnis erzielen wir, wenn wir den maximalen Aufwand betreiben? Uns ist auch klar, dass wir nicht alle 170.000 Abonnenten der drei Zeitungen persönlich bei der Umstellung auf E-Paper betreuen können. Aber irgendwo müssen wir anfangen.
Sie haben angekündigt, den Landkreis Greiz zu einer “Modellregion für die Digitalisierung des ländlichen Raums” zu machen. Wie soll das gehen? Allein durch die Umstellung auf E-Paper – zack, ist alles digitalisiert?
Es ist natürlich nicht unsere Aufgabe, die Digitalisierung in Deutschland allein voranzutreiben. Wir führen Gespräche mit anderen Institutionen, die Probleme bei der Versorgung des ländlichen Raums haben, wie Banken, Sparkassen, Krankenkassen und den Kommunen im Allgemeinen. Wenn wir zusammenarbeiten, bekommt der Leser dann nicht nur die Tageszeitung auf sein Tablet, sondern kann auch die Apps der anderen Partner nutzen.
Was fordern Sie von der Politik?
Wir versuchen mit Nachdruck die Politik auf die Notwendigkeit einer Förderung für die Zeit des Übergangs von Print zu Digital aufmerksam zu machen. Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag dazu bekannt – wir warten jetzt auf eine Umsetzung. Wenn man eine Förderung auf den Weg bringt, sollte diese aber kein Feigenblatt sein, sondern so ausfallen, dass sie auch etwas bewirkt.
Die verkauften Auflagen von “Thüringer Allgemeine”, “Thüringische Landeszeitung” und “Ostthüringer Zeitung” sind innerhalb von fünf Jahren um gut ein Drittel gesunken, von 240.000 auf unter 170.000. Gibt es bei Funke Überlegungen, das Zeitungsgeschäft abzustoßen?
Nein, wir glauben an Regionalmedien und wissen um ihren Wert für die Demokratie. Es ist ja nicht so, dass kein Potenzial erkennbar ist. Wir wollen irgendwann den Punkt erreichen, an dem wir unabhängig von Print sind – was nicht bedeutet, dass wir kein Print mehr machen. Ich gehe davon aus, dass wir noch lange Zeit drucken, vor allem dort, wo es kostendeckend ist. Aber die digitalen Produkte sollen irgendwann den Verlag tragen. Der Anteil der E-Paper liegt aktuell bei rund 15 % und steigt ständig.
Mit den drei Zeitungen haben Sie in Thüringen fast ausschließlich Monopolstellung. Haben Sie auch eine gesellschaftliche Verantwortung?
Ja, und das sage ich nicht allein als Vertreter eines Verlags. Ich möchte mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland Kreise gibt, in denen es keine Tageszeitung mehr gibt, ob gedruckt oder digital. Denn in diese Lücke würden im Zweifelsfall Medien stoßen, die nicht der Überparteilichkeit verpflichtet sind und häufig extremistische Ziele verfolgen, was wir in Thüringen auch jetzt schon beobachten. Und das wäre nicht gut für die Gesellschaft. Das Problem besprechen wir aktuell auch mit der Landesmedienanstalt. Überall gibt es Vorbehalte und Skepsis gegenüber klassischen Medien. Medienbildung ist ein sehr dickes Brett, das man bohren muss.
Abgelegene Orte nicht mehr beliefern, weil das unrentabel ist – werden es künftig alle Zeitungsverlage so machen wie Funke?
Das Problem betrifft nicht nur Thüringen und nicht nur Funke. Der Landkreis Greiz ist nur ein Beispielfall, aber eben ein extremer. Am Ende ist es in anderen Orten nur eine Zeitfrage. Einige Verlage haben sich nach der Ankündigung bei uns gemeldet und wollten mehr darüber erfahren. Ich kann mir vorstellen, dass unsere Erfahrungen Grundlage sein werden für andere, einen ähnlichen Weg zu gehen.
Dieses Interview ist Teil der Themenwoche Digitalisierung & KI – bis 2. April fragen wir auf turi2.de, wie der technologische Fortschritt Medien, Wirtschaft und Gesellschaft verändert.