Keine Likes für Lügen: Wie eine digitale Schulstunde zu Extremismus gegen Angst und Verwirrung helfen will.
27. Februar 2025
Immer wieder begegnen Kindern und Jugendlichen im Internet rechtsextreme und gefälschte Inhalte. Wie sie damit umgehen können, sollen sie beim “Safer Internet Day” in einer digitalen Schulstunde erfahren. In unserer Reihe NewsKNAcker, die wir in Kooperation mit der KNA veröffentlichen, besucht Jana Ballweber Schüler und Schülerinnen bei diesem speziellen Unterricht. Ein Learning für die Jugend könnte sein, fragwürdige Inhalte nicht zu teilen, sondern bei den Plattformen und externen Stellen zu melden.
Von Jana Ballweber (KNA)
Das Gebrabbel ist laut an diesem Dienstagmorgen in der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen. Für einen Vormittag haben etwa 25 Schüler der Gesamtschule Ludwigshafen-Gartenstadt ihr Klassenzimmer gegen einen Vortragsraum eingetauscht. “Keine Likes für Lügen” steht groß auf den Bannern. Am “Safer Internet Days” – einem Aktionstag, der seit 21 Jahren jährlich für mehr Sicherheit im Internet veranstaltet wird – findet hier eine Schulstunde zu den Gefahren von Rechtsextremismus und Falschinformationen im Netz statt.
“Seid nicht aufgeregt”, sagt Moderatorin Leonie Maderstein vom SWR den Achtklässlern. – “Sie sagt, seid nicht aufgeregt. Hier stehen ja nur vier Kameras rum. Ich bin gaaaaar nicht aufgeregt”, raunt eine der Schülerinnen ihrer Klassenkameradin zu. Denn nicht nur die Gesamtschule Ludwigshafen-Gartenstadt lernt heute etwas über Medienkompetenz im Netz. Digital wird die Schulstunde live an 25.000 weitere Schüler von über 800 Schulen in ganz Deutschland gestreamt.
Veranstaltet wird die Aktion von der EU-weiten Initiative Klicksafe gemeinsam mit der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz und der Regionalzeitung “Rheinpfalz”. Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr haben 61 Prozent der befragten Jugendlichen online bereits “Fake News” entdeckt; über die Hälfte gab an, schon mit extremen politischen Ansichten in Kontakt gekommen zu sein. In anderthalb Stunden wollen Medienpädagogen den Jugendlichen heute Tipps und Tricks an die Hand geben, wie sie mit diesen Problemen umgehen können.
TikTok besonders beliebt
“Es geht nicht darum, nicht in sozialen Medien unterwegs zu sein”, sagt Albrecht Bähr, Versammlungsvorsitzender der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz, in seinem Grußwort: “Da seid ihr ja eh.”
Dass er damit Recht hat, zeigt die erste interaktive Umfrage, an der die Schülerinnen und Schüler vor Ort wie auch in den Klassenzimmern mit ihren Handys oder Tablets teilnehmen. Eine überwiegende Mehrheit der 25.000 Jugendlichen nutzt mehrmals täglich ein Social-Media-Angebot. TikTok ist dabei besonders beliebt, aber auch Instagram, WhatsApp und andere Angebote werden angeklickt.
Die interaktiven Elemente, die in den folgenden eineinhalb Stunden immer wieder eingesetzt werden, stehen exemplarisch für die Medienbildung, die Fachleute für besonders vielversprechend halten. Keine Verbote, keine Einschränkungen, sondern Lernen mit den Geräten und Angeboten, die das Netz für junge Menschen bereithält.
Und das tun die Veranstalter dann auch. Franziska Böndgen von jugendschutz.net, dem Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für Jugendschutz im Internet, gibt einen kurzen Input: Was ist der Unterschied zwischen rechts und rechtsextrem? Wie können rechtsextreme Inhalte im Netz aussehen? Ein Video zeigt Beispiele von Memes und Videoclips, die Nutzern in sozialen Medien begegnen können und die rechtsextreme Ideologien vermitteln sollen.
Erschwerte Meinungsbildung
Kurzer Check mit den Jugendlichen: Wie fühlt ihr euch, nachdem ihr das Video gesehen habt? Viele geben an, dass sie schockiert sind, traurig, verwirrt. Doch auch lustig finden das Video viele der Teilnehmenden in den deutschen Klassenzimmern.
Medienpädagogin Böndgen klärt auf, warum solche Inhalte so gefährlich sind: “Rechtsextreme Positionen werden damit verharmlost”, warnt sie. Das bestätigen die Schülerinnen und Schüler vor Ort: “Wenn man die ganzen Falschinformationen glaubt, bekommt man immer mehr Angst”, sagt eine Jugendliche. Eine andere ergänzt: “Das kann zu Verwirrung führen. Wenn einer sagt, Putin ist gestorben, und ein anderer sagt, dass er noch lebt, weiß man nicht, was man glauben soll.”
Gut auf den Punkt gebracht, findet Böndgen: “Wenn Misstrauen gegenüber den Medien geschürt wird und man die Wahrheit nicht mehr erkennen kann, kommt Unsicherheit auf.” Das erschwere die Meinungsbildung.
Motive hinterfragen, Lösungen aufzeigen
Doch was können die Jugendlichen mit all den Informationen anfangen? Wie man Fakes erkennt, Extremismus auf die Schliche kommt und wie man sich dann am besten verhält, üben die Schulklassen, vor Ort in Ludwigshafen und in den Klassenzimmern bundesweit. So müssen sie beispielsweise erkennen, ob ein Social-Media-Profil rechtsextrem ist.
Auch Gegenrede üben die Schülerinnen und Schüler. Wie könnte man auf einen Post in einem sozialen Netzwerk reagieren, in dem Abschiebungen als Lösung für Sicherheitsprobleme propagiert werden? “Warum verbreitet jemand solche Nachrichten? Wer hat etwas davon?”, lautet ein Vorschlag aus dem digitalen Klassenzimmer. “Wie wäre es, wenn wir statt über Abschiebungen darüber reden, wie Menschen gut integriert werden können”, ein anderer. Martin Bregenzer, Referent bei Klicksafe, ist begeistert: “Ihr hinterfragt die Motive hinter einem solchen Inhalt, ihr zeigt eine bessere Lösung auf.”
Melden statt verbreiten
Getreu dem Motto “Keine Likes für Lügen” sei es auch wichtig, rechtsextremen oder falschen Inhalten keine zusätzliche Aufmerksamkeit zu schenken. Denn weil Extremisten mit Angst arbeiten, erreichen sie große Reichweiten, und werden dabei von Algorithmen unterstützt. Also: keine Likes, kein Teilen, stattdessen Inhalte an die Plattformen und externen Meldestellen melden. Das gehe auch anonym, sodass niemand Angst haben müsse, seine Stimme zu erheben, betont Franziska Böndgen.
Eine ganze Menge Input für eine Doppelstunde. Doch die Achtklässler aus Ludwigshafen gehen gestärkt heraus: “Die Beispiele, die sie gezeigt haben, waren sehr realistisch”, sagt eine Schülerin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). So etwas begegne ihr regelmäßig im Netz. “Jetzt weiß ich, wo ich diese Sachen melden kann.”
Das wolle er in Zukunft auch noch mehr machen, betont ein anderer Schüler. “Bisher habe ich höchstens mal einen Kommentar geschrieben. Aber es ist mir immer sehr schwer gefallen, sachlich zu bleiben.” Jetzt habe er gelernt, dass er damit im Zweifelsfall mehr erreichen könne. In der Schule lerne man so etwas leider nicht, bedauert er. Umso besser, dass es den “Safer Internet Day” gebe.
(Fotos: Jana Ballweber/KNA)
Dieser Text ist Teil unserer neuen Lese-Reihe “NewsKNAcker”: Alle 14 Tage veröffentlicht turi2 ein Lese-Stück aus dem Ticker der Nachrichten-Agentur KNA – im Wechsel mit der Medienkolumne Kurz und KNAckig. weitere Beiträge