Kurz & KNAckig: Das Regionale ist das neue Lokale.
5. Dezember 2024
Steppt da der Bär? Die Krise des Klimas und die Krise der Presselandschaft haben gemein, dass wir bei der Analyse viel Augenwischerei betreiben, findet Steffen Grimberg. Zuletzt hat das Projekt “Wüstenradar” eine “Versteppung” im Lokaljournalismus konstatiert, aber noch keine “Wüsten” gefunden. Dem entgegnet der Leiter des “KNA Mediendienstes”, dass die Berichtsgebiete von Lokalteilen einzelner Medien immer größer werden: “Was da heute alles als lokal daherkommt, ist oft ganz im Wortsinn meilenweit voneinander entfernt”. Zeigen, wie die Lage wirklich ist, könnte eine neue Stichtagssammlung, wie sie der inzwischen verstorbene Walter J. Schütz bis 2011 betrieb.
Der Klimawandel und die deutsche Medienlandschaft haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Gut, die Initiative “Klima vor acht” lässt nicht locker und will die ARD jetzt mit deren eigenen Waffen schlagen. Wenn die im Ersten kein eigenes tägliches Klimaformat hinbekommen, bekommen sie eben eins – getarnt als Werbespot vor der “Tagesschau”. Smarte Idee, um auf die zunehmende Versteppung unserer Welt hinzuweisen.
Ein zweiter Blick auf die deutsche Medien- und vor allem Presselandschaft zeigt: Dort sieht es mittlerweile genauso aus. Vor allem im Regionalen und Lokalen droht das große Austrocknen, was das Projekt “Wüstenradar” gerade wieder eindrücklich zeigt. Die Studie nennt das auch ganz “Versteppung”. Zum Glück konnten noch keine echte “Wüsten” ausgemacht werden, wo in Sachen lokale Information gar nichts mehr läuft.
Doch wie beim Klima machen wir uns auch hier oft etwas vor. Denn viele sogenannte Lokalteile von Regionalzeitungen werden immer größer. Nicht etwa, was ihren Umfang und schon gar nicht das redaktionelle Personal angeht. Sondern rein flächenmäßig. Was da heute alles als lokal daherkommt, ist oft ganz im Wortsinn meilenweit voneinander entfernt. Das Publikum findet seine wirkliche lokale Umgebung, den eigenen Ort, nur noch höchst selten wieder – womit sich der Sinn und Zweck eines solchen “Lokalteils” eigentlich erübrigt. Dass ein solches “Wachstum” bei gleichzeitiger Aushöhlung des Inhalts keinen Erfolg haben kann, versteht sich von selbst.
Und so dreht sich die Abwärtsspirale im Lokalen immer weiter, unterbrochen von Sonntagsreden und mahnenden Worten, dass die Demokratie vor Ort ohne unabhängigen Qualitätsjournalismus im Lokalen ziemlich schutzlos dasteht. Besonders krass ist die Situation auf dem Lande, und da vor allem im Osten.
Abhilfe täte bitter Not, doch die scheitert schon daran, dass es kaum verlässliche Zahlen, Daten und Fakten gibt, wie es sich wirklich im Lokalen verhält. Was auch daran liegt, dass Walter J. Schütz seit über zehn Jahren tot ist. Über 60 Jahre lang hatte Schütz bis ins hohe Alter regelmäßige “Stichtagssammlungen der deutschen Tagespresse” vorgelegt. Und seit auskunftsunwillige Verleger in den 1990ern dafür sorgten, dass die amtliche Pressestatistik eingestellt wurde, fand sie bei Schütz zu Hause in Bonn statt.
Denn weil schon lange vor dem Wüstenradar weder der BDZV noch die Auflagenzähler von der IVW vollständige Zahlen hatten, begegnete Schütz dem Problem mit einem so aufwendigen wie pragmatischen Ansatz: Mangels verlässlicher Erhebungen müsse er dann wohl mal selbst nachzählen. Und das tat er. 2012, ein Jahr vor seinem Tod, fand die letzte “Stichtagssammlung der deutschen Tagespresse” statt, für die sich der frühere Ministerialrat im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine Woche lang alle, wirklich alle, deutschen Zeitungen mit allen Lokalausgaben, Nebentiteln und Beilagen zusenden lies. Und dann ging das große Zählen los.
Wenn Ausgaben nicht eindeutig zuzuordnen waren, wurde der Verlag angerufen, und Schütz raufte sich immer häufiger die zuletzt schlohweißen Haare, weil er mal wieder mehr wusste als deren eigener Vertrieb. Auf Zombie-Zeitungen, die keine eigenen Inhalte mehr hatten, sondern mit Artikeln der Konkurrenz Etiketten- und Titelschwindel betrieben, fiel hier niemand rein.
Nun zählt keiner mehr, und dem Lokaljournalismus geht es schlechter als je zuvor. Doch es gibt auch Lichtblicke. In Stuttgart übernimmt die gemeinnützige Kontext-Wochenzeitung nächstes Jahr die zwei Stadtteilzeitungen Blättle-West und Blättle-Süd. Weil Lokaljournalismus leben kann, wenn man will.
Schütz hätte daran seine Freude gehabt. Sein Credo lautete: “Zum deutschen Zeitungsmarkt gehört, dass jedes Dorf seine zuständige Zeitung hat”. Oder eben sein Blättle.
Dieser Text ist Teil der neuen Kolumnen-Reihe “Kurz und KNAckig”, die alle 14 Tage erscheint. weitere Beiträge