Kurz und KNAckig: Willkommen in der Schnipsel-Demokratie.
20. Februar 2025
Von den unzähligen Wahldebatten, TV-Duellen und Talkshows vor der Bundestagswahl bleiben in sozialen Medien oft nur kurze Videoschnipsel, die zeigen sollen, wie die Kandidaten sich gegenseitig “einsargen”, “zerlegen”, “rasieren”, “auseinandernehmen”, “an die Wand nageln“ oder “entlarven”, beobachtet Jana Ballweber. In unserer Kolumne Kurz und KNAckig, die wir in Zusammenarbeit mit dem KNA Mediendienst veröffentlichen, schreibt sie: “Da kann der restliche Auftritt noch so unsouverän oder blutleer gewesen sein, im Schnipsel darf jede und jeder mal kurz zum Helden werden.” Warum das der Demokratie und dem politischen Diskurs schadet.
Die Kolumne “Kurz und KNAckig” vom KNA Mediendienst erscheint alle 14 Tage donnerstags bei turi2. weitere Beiträge
Von Jana Ballweber (KNA)
Scholz gegen Merz im Duell. Scholz, Merz, Habeck und Weidel im Quadrell. Linke, FDP und BSW im Kreuzverhör. Alle gegen das Publikum in der Wahlarena. Wählerinnen und Wähler, die sich in der Woche vor der Wahl noch nicht entschieden haben, wo sie ihr Kreuz bei der Bundestagswahl machen wollen, werden im Fernsehen und im Netz derzeit mit Informationsangeboten überhäuft. Wer nicht gerade als Medienjournalistin arbeitet und beruflich einschalten darf (oder muss), wird kaum die Zeit finden, das mediale Wahlkampfgetöse in seiner Gänze zu verfolgen.
Über Sinn und Unsinn von Wahlduellen im Fernsehen wurde viel gesprochen und geschrieben. Immer wieder machen Kommunikationswissenschaftler und Fachleute für Medienwirkungsforschung darauf aufmerksam, dass der Einfluss von herkömmlichen wie von sozialen Medien auf die Wahlentscheidung eher gering sei. Im Vergleich mit grundlegenden Wertvorstellungen, Erfahrungen und dem Austausch mit dem sozialen Umfeld geradezu vernachlässigbar. Doch weil weder Politik noch Medien diese Faktoren beeinflussen können, stürzen sie sich immer wieder mit Freude auf die TV- und TikTok-Auftritte der Spitzenkandidaten vor den Wahlen.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, die CDU habe die Wahl 2021 nur verloren, weil Armin Laschet an der falschen Stelle ein bisschen zu fröhlich in die Kamera geschaut hat. Oder Nixon habe 1960 gegen Kennedy das Nachsehen gehabt, weil er im Fernsehstudio ein bisschen zu doll geschwitzt habe. Die steigenden Umfragewerte der Linkspartei führen viele fast ausschließlich auf Heidi Reichinneks TikTok-Game zurück, nicht auf die politischen Inhalte. Und so lümmeln Anhänger aller Parteien mit schnellen Fingern vor den Bildschirmen herum und lauern auf den einen Fauxpas, der den politischen Gegner vermeintlich die Wahl kosten könnte.
So auch bei Wahlduellen und Talkshows: Kurz nach der Ausstrahlung kursieren knappe Videoschnipsel, die zeigen sollen, wie die Kandidaten sich gegenseitig “einsargen”, “zerlegen”, “rasieren”, “auseinandernehmen”, “an die Wand nageln” oder “entlarven”. In oft weniger als 30 Sekunden hat eine oder einer der Kandidaten einen starken Moment, wird emotional, bringt ein gutes Argument oder das Gegenüber in Erklärungsnot. Da kann der restliche Auftritt noch so unsouverän oder blutleer gewesen sein, im Schnipsel darf jede und jeder mal kurz zum Helden werden.
Was den PR-Abteilungen entgegenkommt, weil es ihnen Material für die zahlreich zu bespielenden Kanäle liefert, schadet der Demokratie und dem politischen Diskurs. Denn für alle zweitverwerteten Zuschauer verschwinden im Netz neben den Missgeschicken auch die Momente des Ausgleichs. Nicht bei jeder Frage sind alle Kandidaten in allen Konstellationen auf maximalem Konfrontationskurs. Nach der Wahl kommt es ohnehin nicht mehr darauf an, wer am lautesten durch ein Fernsehstudio poltern kann. Nach der Wahl sind Kompromisse gefragt, Verhandlungsgeschick, der Ausgleich zwischen politischen Positionen, die vor der Wahl unvereinbar schienen.
Um sich voneinander abzugrenzen, hüten sich Parteien und Kandidaten, diese Kompetenzen im Wahlkampf in den Vordergrund zu rücken. Medien und Publikum tun ihnen immer wieder den Gefallen, sie damit durchkommen zu lassen. Und wo in zweistündigen Sondersendungen aus Versehen doch mal eine Art Verständigung entsteht, verschwindet sie spätestens im Schnitt der Parteisoldaten, die ihren Lieblingskandidaten als einzigen, wie Stefan Raab es nennen würde, “King of Kotelett” präsentiert sehen wollen.
(Foto: Jan Woitas / dpa / picturedesk.com, KNA, Montage: turi2)
Dieser Text ist Teil der neuen Kolumnen-Reihe “Kurz und KNAckig”, die alle 14 Tage erscheint. weitere Beiträge