Phubbing & Doomscrolling: Brauchen wir ein Schulfach gegen Internetsucht?
27. März 2025
Immer mehr Kinder haben ein problematisches Internetverhalten, sagt eine neue Studie. Ärzte und Lehrer fordern die Einführung eines Schulfachs für Medienbildung. Die Bildungsminister der Länder befassten sich zuletzt auch mit einem Handyverbot auf dem Schulhof. Nina Schmedding hat sich für unserer Reihe NewsKNAcker, die wir in Kooperation mit der KNA veröffentlichen, die Studie “Ohne Ende online?!” genauer angeschaut und bei Experten nachgefragt, wie sehr junge Menschen belastet sind.
Von Nina Schmedding (KNA)
25 Prozent der zehn bis 17-Jährigen hierzulande nutzen Soziale Medien in einem riskanten oder krankhaften Umfang, 4,7 Prozent gelten als abhängig: Das ist das Ergebnis der DAK-Studie “Ohne Ende online?!”, die Anfang März in Berlin vorgestellt wurde. Insgesamt sind demnach 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen.
“Die Mediennutzung ist zum Dauerproblem geworden”, sagte Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstandes der DAK-Gesundheit. Er forderte vor der Kultusministerkonferenz, die kürzlich in Berlin tagt, ein Signal: “Wir brauchen ein Schulfach zur Gesundheitsbildung”, sagte er. Die Bildungsminister befasst sich bei ihrem Treffen zwar nicht mit der Idee eines Schulfachs, aber mit dem Thema Handyverbot an Schulen. Jedoch beschloss die Konferenz noch keine gemeinsamen Empfehlungen dafür, inwieweit die private Handy-Nutzung an Schulen in Deutschland eingeschränkt werden könnte.
Schulfach zur mentalen Gesundheit erforderlich
Oberärztin und Studienleiterin Kerstin Paschke nannte als Vorbild für ein Schulfach zur Gesundheitsbildung entsprechenden Unterricht, wie es ihn etwa bereits in Kanada, Australien, Großbritannien und Finnland gebe. In dem Fach solle die mentale Gesundheit des Schülers im Fokus stehen und etwa Suchtprävention, Medienkompetenz, Selbstakzeptanz, Resilienz und gesunde Beziehungen thematisiert werden.
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Michael Hubmann, wies darauf hin, dass durch übermäßige Internetnutzung bereits eine Vielzahl von gesundheitlichen Folgen für Kinder und Jugendliche entstanden seien – wie etwa Haltungsschäden, Entwicklungsprobleme im Bereich Sprache und Motorik und psychische Belastungen.
Ein pauschales Handyverbot an Schulen werde der Dimension des Problems seiner Einschätzung nach aber nicht gerecht, so DAK-Vorstand Storm. Stattdessen gehe es um das Erlernen eines vernünftigen Umgangs mit digitalen Medien; die Kinder müssten Wissen erwerben, “wie sie die Balance zwischen digitaler und realer Welt finden”.
Schulleiterin Silke Müller, die gleichzeitig auch Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen ist, sprach von “erschütternden Ergebnissen” – die sich aber mit ihren Erfahrungen in der Schule deckten. Dabei gebe nicht nur ein zeitliches Problem bei der Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen – sondern auch ein inhaltliches: Kinder würden im Netz mit Pornografie und Rassismus konfrontiert, erführen Cybermobbing oder seien Pädophilen schutzlos ausgeliefert. Auch das Thema „Doomscrolling“ – das extreme Konsumieren negativer Nachrichten im Netz – beobachten Experten häufiger.
Kinder starren in der Pause nur auf ihr Handy
Smartphone-Nutzung in der Schule müsse an Projekte im Unterricht geknüpft sein, forderte sie weiter. “Mindestens in den Pausen muss es verboten werden, um Kindern zu ermöglichen, auf Augenhöhe miteinander zu lachen und zu kommunizieren”, so Müller. Dies sei in vielen Schulen nicht gegeben; die Kinder hockten bewegungslos nebeneinander auf dem Boden und starrten auf ihre Smartphones. Sofortiges Gegensteuern aus Gesellschaft, Schule und Elternhäusern sei dringend notwendig: “Wir schauen nur zu und handeln nicht. So verlieren wir unsere Kinder”, sagte die Lehrerin.
Laut Studie hat sich die Mediensucht auf hohem Niveau eingependelt und liegt deutlich höher als bei der vorigen Untersuchung vor fünf Jahren: 2019 lag etwa der Anteil der problematischen Social-Media-Nutzung demnach bei 11,4 Prozent. Das bedeutet einen Anstieg von 126 Prozent. Was die Abhängigkeit angeht, zeige sich zudem ein deutlicher Geschlechterunterschied: So seien Jungen mit sechs Prozent fast doppelt so häufig betroffen wie Mädchen (3,2 Prozent).
“Insgesamt ist die Mediennutzung extrem hoch”, sagte Studienleiter Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ). Dies betreffe auch Gaming und das Streaming von Filmen.
Täglich über zwei Stunden bei Tiktok & Co.
An einem typischen Wochentag nutzten die Befragten laut Angaben zweieinhalb Stunden (157 Minuten) Social Media. Dies sei ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu vor fünf Jahren: So verbrachten Kinder und Jugendliche im Jahr 2019 täglich durchschnittlich eine halbe Stunde weniger auf sozialen Medien.
In der Erhebung wurde auch das Phänomen “Phubbing” untersucht: Es beschreibt die unangemessene Nutzung des Smartphones in sozialen Situationen, beispielsweise bei Gesprächen oder am Esstisch. Demnach erleben die Befragten das Phänomen häufig: 35,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Smartphone-Nutzung anderer Personen ignoriert; rund einem Drittel der Eltern geht es genauso.
Psychische Störung durch “Phubbing”
“Es gibt hier eine sichtbare Verbindung zu psychischen Belastungen wie Depressivität”, so Thomasius. Die digitale Welt werde zwar zunehmend als störend empfunden. Gleichzeitig zeige sich ein fehlender Effekt bei der elterlichen Regulation. “Das Handeln der Eltern passt also häufig nicht zum eigentlichen Erziehungsanspruch”, so Thomasius. Laut Studie wird von etwa 40 Prozent der Eltern der zeitliche Umfang der Mediennutzung nicht hinreichend festgelegt.
Für die Studie wurden im Auftrag der DAK zwischen 2019 und 2024 insgesamt rund 1.000 Kinder und Jugendliche sowie ein Erziehungsberechtigter zu ihrem Nutzungsverhalten in den Bereichen Gaming, Social Media und Streaming befragt.
(Foto: Julia Steinbrecht/KNA)
Dieser Text ist Teil unserer neuen Lese-Reihe “NewsKNAcker”: Alle 14 Tage veröffentlicht turi2 ein Lese-Stück aus dem Ticker der Nachrichten-Agentur KNA – im Wechsel mit der Medienkolumne Kurz und KNAckig. weitere Beiträge