“Das goldene Netflix-Zeitalter ist vorbei” – Magnus Gebauer über Trends auf dem Streaming-Markt.
11. Mai 2023
Sturm im Stream: Der Streaming-Markt ist in Bewegung – mehr Anbieter, verändertes Nutzungsverhalten und Inflation fordern ein Umdenken und bringen neue Geschäftsmodelle und Kooperationen hervor. “Im Endeffekt geht es immer darum, Geld zu verdienen. Deswegen müssen die Anbieter schauen, wie sie ein passendes Paket schnüren können, um die Leute weiter bei Laune zu halten”, sagt Magnus Gebauer, Experte für Bewegtbild- und Medientrends beim MedienNetzwerk Bayern, im turi2-Interview zur Themenwoche TV & Streaming. Er beobachtet, dass Streamingdienste zunehmend auf Werbung setzen und mehr klassische TV-Inhalte bringen. Für ihn ein logischer Schritt: “Die Nutzer denken schließlich nicht in Ausspielwegen, die denken nur in Inhalten.” Mit Spannung erwartet Gebauer den Start des Sport-Streamingdienstes Dyn im Sommer – mit Blick auf das Interesse des Publikums und dessen Zahlungsbereitschaft.
Netflix ist seit weniger als zehn Jahren in Deutschland aktiv. Davor gab es nur Sky und Pay-TV, was als etwas Exklusives und Extravagantes galt. Netflix und Amazon haben das Bezahlfernsehen salonfähig gemacht, aber mittlerweile gibt es so viele Streaming-Anbieter, dass die Umsätze bröckeln. Ist das goldene Streaming-Zeitalter schon wieder vorbei?
So pauschal kann man das gar nicht beantworten, aber generell nein. Streaming boomt weiter. Was sicherlich ein Stück weit vorbei ist, gerade mit Blick auf die Nutzerzahlen, ist dieses goldene Netflix-Zeitalter, wo sich ein oder zwei Anbieter den Markt teilen und es im Endeffekt nur Wachstum an Nutzerinnen und Nutzern gibt. Das ist zu einem Ende gekommen, aber Streaming generell boomt weiterhin.
In der Pandemie haben die Streaming-Anbieter große Zuwächse verzeichnet. Inzwischen gehen die Abo-Zahlen und auch die Zuwächse wieder zurück. Wie hat sich das Nutzungsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten verändert?
Das sind die Corona-Effekte, die sich jetzt wieder ausgleichen. Die Mediennutzung befindet sich nun ungefähr wieder auf Vor-Corona-Niveau. Wobei die Social-Media-Nutzung, insbesondere die Bewegtbild-Zeit in Social Media, weiter angestiegen ist. Aber ansonsten verbringen die Menschen ihre Freizeit wieder anders als vor dem Bildschirm, draußen zum Beispiel. Dazu haben wir den Aspekt der Inflation, also der gestiegenen Kosten. Ich muss schauen, wofür ich mein Geld ausgebe. Und es drängen immer mehr Anbieter auf den Markt, die einen Teil des Kuchens abhaben wollen. All diese Entwicklungen zusammengenommen führen dazu, dass die Abo-Zahlen nicht mehr so wachsen wie in der extremen Corona-Zeit.
Wie haben sich denn die Geschäftsmodelle der Anbieter verändert?
Da gibt es verschiedene Stoßrichtungen: Bei den klassischen VOD-Anbietern gibt es eine starke Öffnung in Richtung Werbung, um die Preise zu reduzieren und neue Nutzergruppen zu gewinnen. Zum anderen kommen auch ganz kostenfreie On-Demand-Anbieter wie Freevee von Amazon dazu, die den werbefinanzierten Markt von der anderen Seite aufrütteln. Ein großes Thema ist auch FAST, also Free Ad Supported Streaming Television. Das sind linear gestreamte, werbefinanzierte TV-Programme. Das alles passt sehr gut in die aktuelle Zeit, wo es darum geht, Kosten einzusparen aufgrund von Inflation und Co. Wo sich auch etwas ändert, ist bei den Lizenzen. Noch vor einiger Zeit hat Disney zum Beispiel seinen Rechte-Katalog voll zurückgefahren und nur noch für die eigenen Dienste Disney+ und Hulu bereitgestellt. Von dieser Strategie sind sie jetzt weggegangen und stellen diese Lizenzen wieder Dritten zur Verfügung, um damit zusätzliche Umsätze einzufahren.
Um alles zu streamen, bräuchte man heute mehr als ein halbes Dutzend Abos, die sicher kaum einer hat. Für wie viele Streaming-Anbieter ist Platz am Markt?
Das ist die Frage, die sich alle stellen. Wir wissen, das Budget ist begrenzt. Es gibt Befragungen, die gehen davon aus, dass man maximal zwei bis drei Streaming-Dienste abonniert. Das führt im Endeffekt dazu, dass sich der Markt konsolidiert. Aus den USA kam vor Kurzem die Ankündigung des Mergers von HBO Max mit Discovery Plus, die zum neuen Dienst Max fusionieren. Daran sieht man, wie Dienste zusammengelegt werden, weil es zu viel Auswahl am Markt gibt.
Gehört dazu auch, dass eigentlich konkurrierende Anbieter ihre Dienste in einem Paket zusammen vermarkten? Sky zum Beispiel bietet auch Netflix, Dazn und Paramount+ an.
Ich glaube, dass wir in der nächsten Zeit viele verschiedene Ansätze von Aggregation und Zusammenlegung erleben werden. Da wird es viele Versuche geben, den Markt neu zu bedienen. Manche werden erfolgreich sein, andere werden auch genauso schnell wieder verschwinden. Evan Shapiro aus den USA hat kürzlich zur MIP TV geschrieben, dass dieses binäre Denken in der Streaming-Welt eigentlich vorbei ist. Es gibt nicht mehr nur linear oder On-Demand, Pay-TV oder Free-TV. Alles vermischt sich miteinander. Er hat dafür den ganz schönen Begriff “Collabor-Gaters” geprägt. Damit meint er Kollaboration mit den Aggregatoren, um Angebote zu schaffen, die möglichst viele Leute zufriedenstellen. Im Endeffekt geht es immer darum, Geld zu verdienen. Wenn man zu klein ist, um Lizenzen zu kaufen oder nur noch mittelmäßige Serien auf den Markt bringt, dann springen die Leute ab. Deswegen müssen die Anbieter schauen, wie sie ein passendes Paket schnüren können, um die Leute weiter bei Laune zu halten.
Neben den klassischen Medienunternehmen bieten immer mehr Plattform-Anbieter, die ursprünglich nur die technische Plattform betrieben haben, selbst Inhalte an, die Deutsche Telekom etwa oder Samsung. Wie verändert sich dadurch der Markt?
Erst einmal wird es noch mal mehr Angebot geben, als es jetzt schon gibt. Für das Publikum ist das einerseits gut, weil es mehr Auswahl gibt. Zum anderen wird es auch wieder undurchsichtiger. Wir wissen, wie schwierig es heute schon ist, die Bundesliga oder alle Spiele eines Vereins durchgängig zu verfolgen, weil man nie weiß, auf welcher Plattform oder welchem Sender es nun läuft. Gerade deswegen glaube ich, dass auch Lizenzen und Rechte noch mal mehr an Bedeutung gewinnen werden. Zudem sehen wir gerade besonders stark bei Samsung, dass die ihre eigenen FAST-Kanäle schaffen und diese auf ihren Plattformen auch prominent platzieren können.
Sind diese FAST-Kanäle nicht letztlich nur Abspiel-Stationen für Archiv-Ware? Oder erwarten Sie, dass die Anbieter dafür auch eigene Inhalte produzieren?
Beides. Zum einen ist es eine gute Möglichkeit, Archiv-Ware auf den Markt zu bringen und dadurch noch einmal Umsätze zu generieren. Zum anderen sehen wir z.B. mit dem FAST-Channel von Dazn, dass man so einen Kanal auch mit neuen Formaten, also mit neuen Inhalten geschickt bespielen kann. Gleichzeitig ist etwa SpongeBob-Channel einer der beliebtesten FAST-Channels bei Samsung TV Plus. Das sind keine neuen Inhalte, aber da spielt dieser klassische Lean-Back-Modus eine wichtige Rolle. Und dann ist es auch relativ egal, ob ich das jetzt von der ersten Minute an verfolge oder ob ich erst mittendrin reinschaue.
Was bedeutet denn diese zunehmende Zersplitterung des Streaming-Marktes für die Werbewirtschaft?
Für die Werbewirtschaft ist das ein interessanter Ansatz, um Leute zu erreichen, die man bisher nicht oder nicht mehr erreicht hat, z.B. Menschen, die nur noch Video-on-Demand ohne Unterbrecher-Werbung genutzt haben, aber auch neue und kleinteiligere Zielgruppen. Da sehe ich für die Werbebranche keinen Nachteil, sondern eher neue Möglichkeiten.
Zu Beginn des Streaming-Booms waren es vor allem Serien, insbesondere eigenproduzierte Serien, die das Publikum gelockt haben. Wie haben sich denn die Inhalte im Streaming-Markt seitdem verändert?
Die sind ganz selbstverständlich breiter geworden. Wir sehen mehr Comedy, “LOL: Last One Laughing” zum Beispiel. Wir sehen mehr Sport-Themen. Sport-Dokus sind sehr erfolgreich, aber es gibt auch immer mehr Live-Angebote. Es ist interessant zu sehen, wie die Plattformen in den Sportrechte-Wettbewerb mit eingestiegen sind und da wirklich um die großen Rechte mitbieten. Das zeigt wiederum, dass man es schwer hat, allein mit diesen klassischen, eigenproduzierten Originals am Markt zu bestehen. Man muss immer wieder aktuelle, relevante Inhalte zu den Leuten bringen.
Im Sommer soll der neue Sport-Streamingdienst Dyn von Springer und Christian Seifert starten, der alle Sportarten außer Fußball zeigt. Glauben Sie, dass genug Leute bereit sind, dafür zu zahlen?
Das ist eine sehr gute Frage, die sich wahrscheinlich die allermeisten Leute in der Branche gerade stellen. Fußball dominiert alles, wenn auch mit etwas rückläufigem Interesse. Wenn man alle Sportarten, die danach kommen, zusammen addiert, wäre auf jeden Fall genug Interesse da, um so eine Plattform erfolgreich am Markt zu etablieren. Die Frage ist nur: Wollen oder können sich die Leute das leisten oder nicht? Ich glaube, der Ansatz ist sehr interessant und sehr gut gewählt. Ob es angenommen wird, wird dann die Einführung am Markt zeigen.
Nun sind ja Sport-Inhalte oder Comedy, auch Liveshows oder auch Reality-Formate eigentlich klassische TV-Inhalte. Warum schwenken die Streaming-Anbieter jetzt und machen TV?
Ich glaube, das ist der einzig logische Schritt, den die Streamer machen können oder müssen. Die Nutzer denken schließlich nicht in Ausspielwegen, die denken nur in Inhalten. “Ich will meine Serien sehen, ich will meine Unterhaltung und meinen Live-Sport sehen.” Und dann ist es aufgrund der technologischen Einfachheit, die wir heute haben, relativ egal, ob ich das jetzt auf einem linearen Sender sehe oder auf irgendeiner digitalen Plattform. Mittlerweile ist es ja sogar leichter, auf eine digitale Plattform zu kommen als zum linearen Programm. Früher ist man erst mal auf dem linearen Sender gelandet, den man zuletzt gesehen hat, und dann war es kompliziert, auf irgendeine Plattform zu gelangen. Das hat sich heute quasi umgekehrt. Heute landen immer mehr Leute auf einer von einer Plattform angebotenen Oberfläche, die dann relativ gekonnt und geschickt versucht, zu ihren eigenen Inhalten zu lenken.
Verliert der Big Screen, also der große Fernseher, zugunsten des Small Screens, sprich Smartphones, mehr und mehr an Bedeutung?
Ich glaube nicht, dass der Big Screen an Bedeutung verliert. Natürlich, gerade TikTok hat große Zuwächse und ist in der Gen Z weiter relevant. Aber ich glaube, der Big Screen wird nie verdrängt werden, weil ich bestimmte Formate einfach gar nicht auf dem kleinen Screen anschauen möchte.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Für welche Sendung, welche Serie oder welches Format nehmen Sie sich Zeit und schalten bewusst den Fernseher, den Laptop oder Tablet ein?
Als FC-Bayern-Fan schalte ich immer dann ein, wenn irgendwo Live-Fußball zu sehen ist. Ansonsten schaue ich gerne ältere Serien aus den 90er oder 00er Jahren, weil die oftmals noch aufwändiger gemacht sind, als die neuen Serien, die teilweise nur ein oder zwei Staffeln haben und dann wieder abgesägt werden. Von “Malcom mittendrin” bis zu “Friends” oder “The Wire” – solche Serien schaue ich mir On-Demand an, einfach um abzuschalten und etwas Spaß zu haben.
Dieses Interview ist Teil der Themenwoche TV & Streaming – bis 14. Mai fragen wir auf turi2.de, wie Streaming das lineare TV verändert. Über weitere Medientrends informiert Magnus Gebauer auf der Seite des MedienNetzwerk Bayern.
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