“Mathematisch formuliert ist ein Video vom Aufwand her ein Tweet hoch zwei” – Martin Gansert über Social Media bei Bosch.
24. April 2024
Rudern im Netz: Martin Gansert legt sich seit fast 15 Jahren für die Social-Media-Kommunikation von Bosch in die Riemen. Der Schwerpunkt hat sich verschoben – von Twitter zu Instagram und dem Thema KI. Gansert, Head of Content & Dialog bei Bosch Global, verrät im Interview, warum es manchmal ein Augenzwinkern braucht, um in Social Media erfolgreich zu sein. Privat nutzt Gansert mit Begeisterung Instagram, um Videos zu seinem Hobby Rudern anzuschauen.
Martin Gansert, Sie sind Head of Content & Dialog in der zentralen Bosch Unternehmenskommunikation in Stuttgart. Was beschäftigt Sie derzeit mehr: der Content oder der Dialog?
Beide Themen fordern viel Aufmerksamkeit. Während Dialogthemen häufig kurzfristig und intensiv auf den Kanälen bearbeitet werden müssen, haben sich die Anforderungen an Inhalte und Formate weg von Text und Bild hin zu Videos verschoben. Ein Trend, den wir mit unserer “Visual First”-Strategie aufgenommen haben und für uns nutzen. Zu Anfangszeiten von Social Media empfand ich es schon als eine Herausforderung, komplexe Botschaften in einen Tweet mit damals noch stark beschränkter Zeichenzahl zu quetschen. Heute geht es darum, diese Botschaften in einem Kurzvideo aufzubereiten, das optisch ansprechend, humorvoll, auf Augenhöhe mit der Zielgruppe und dennoch inhaltlich absolut präzise produziert ist. Mathematisch formuliert ist das ist vom Aufwand her ein “Tweet hoch zwei”.
Und die Kurzvideos sind ja auf dem Vormarsch: Viele Social Networks wie Instagram oder Facebook werden durch den Erfolg von TikTok dahin getrieben, mehr Hochkant-Kurzvideos als soziale Beziehungen auszuspielen. Werden Social Networks so zu Entertainment-Kanälen statt zu Orten des Dialogs?
Ich denke, man kann da nicht alle Netzwerke über einen Kamm scheren. Aber tatsächlich folgen viele Social-Media-Plattformen dem Beispiel von TikTok. Dort werden Inhalte grob gesagt nicht mehr nach dem Kriterium “welche Inhalte sieht mein Netzwerk?” ausgespielt. Vielmehr spielt der Algorithmus Dinge aus, die den Inhalten ähneln, auf die der Nutzer vorher positiv reagiert hat. Ich denke, dass dies – kombiniert mit der starken Visualisierung von Inhalten – den Charakter von vielen Social-Media-Plattformen stark verändert. Unabhängig von dieser Entwicklung bleibt eines unserer strategischen Ziele, unsere digitalen Unternehmensauftritte nahbar und offen für Dialog zu gestalten. Unser hauseigenes “Listen & Command”-Servicecenter, das rund um die Uhr die Aktivitäten auf den globalen und vielen weiteren Social-Media-Kanälen im Unternehmen betreut, bearbeitet allein für Bosch Global pro Jahr über 50.000 Interaktionen. Das geht vom einfachen Daumen-hoch-Emoji über die Nachfrage zum Waschmaschinen-Ersatzteil in Ägypten bis hin zur detaillierten unternehmenspolitischen Anfrage.
Haben Sie bei sich schon festgestellt, dass Dialog-Angebote es schwer haben?
Wir stellen auf jeden Fall fest, dass Social-Media-Plattformen im Laufe der Zeit einen gewissen Zyklus durchlaufen. Während wir früher zum Beispiel bei der Live-Berichterstattung von Events einen Schwerpunkt bei Twitter/X gelegt haben, liegt der heutzutage definitiv bei Instagram und zunehmend auch bei Linked-in. Unabhängig von der Plattform ist es unser Ziel, so nahbar wie möglich zu sein und dem Unternehmen durch unsere Inhalte Gesicht und Stimme zu geben. Wir verstehen uns selbst als Content-Kreatorinnen und -Kreatoren, indem wir einzeln oder als Team möglichst häufig vor der Kamera stehen. Das geschieht z.B. bei Events wie der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Wir produzieren dort Video-Formate, die für unsere Community das Live-Erlebnis bestmöglich ins Digitale überträgt. Aber auch bei der Moderation unseres Corporate-Podcasts mit gelegentlichen Live-Produktionen leben wir dieses Prinzip.
Dominieren jetzt auch bei Bosch die Videos? Wo sind die nach Ihrer Erfahrung geeignet? Wo nicht?
Auf allen großen Plattformen – in Ansätzen sogar auf Linked-in – geht der Trend hin zum Bewegtbild. Die Nutzungs- und Sehgewohnheiten großer Teile der Bevölkerung verändern sich und damit natürlich auch die unserer Zielgruppen, egal ob B2C oder B2B. Videos funktionieren dort besonders gut, wo man Botschaften in die Breite senden will. Je komplexer und spitzer ein Thema wird, desto eher kommen wieder Text und Bild zum Einsatz. Manchmal aber auch Audio: Unser Corporate-Podcast “From Know-how to Wow” spricht ganz bewusst die Nerds in unserer Zielgruppe an, indem Bosch-Expertinnen und -Experten sich richtig viel Zeit nehmen, um ein Thema in der technischen Tiefe zu erklären.
Wie ist der Stellenwert von Kanälen bei Ihnen?
Größter digitaler Reichweiten- und Interaktionsbringer ist für die Unternehmenskommunikation unangefochten Instagram. Die Entscheidung, dass wir die Kapazitäten auf die dort gefragten Video-Formate konzentrieren, zahlt sich also aus. Linked-in wird aus meiner Sicht ebenfalls immer wichtiger. Auf dieser Plattform sprechen wir eine Zielgruppe an, die weniger an kreativem Entertainment, sondern stärker an fachlichem Austausch interessiert ist. Auch im Zusammenspiel mit unseren auf Linked-in aktiven Corporate Influencern haben wir begonnen, das große kommunikative Potential der Plattform zu heben.”
Wie spielen Sie heikle Themen auf Social Media, wie zuletzt den geplanten Abbau von 7.000 Stellen und Demos dagegen?
Für den offenen und direkten Austausch zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen haben wir interne Plattformen wie z.B. das social Intranet “Bosch Connect” etabliert. Auf den externen Social-Media-Kanälen fanden diese Diskussionen daher nur in geringem Umfang statt.
Arbeitet Bosch mit Influencern? Oder sind Influencer schon wieder out?
Ich kann hier nur für unseren Anwendungsfall in der zentralen Unternehmenskommunikation sprechen. Da haben wir im Jahr 2012 bei uns einen ersten Bosch Blogger-Roundtable zusammen mit Robert Basic abgehalten. Es folgten ein erster Auto-Hackathon im Jahr 2014. Damals ein kleines Event an dem sich eine Handvoll Auto-Enthusiasten von innerhalb und außerhalb des Unternehmens zum Coden trafen. Heute begleiten wir mit unseren Digitalkanälen den Bosch Connected Experience Hackathon. Das ist mit mehr als 300 Teilnehmern einer der größten KI-Hackathons in Europa. Und wir nutzen solche Events weiterhin dazu spezielle Zielgruppen zu informieren und mit ihnen in den Austausch zu gehen.
Wir hatten auch schon interessante Influencer-Kooperationen, mit denen wir für uns wichtige Events wie die Mobilitätsmesse IAA Mobility begleitet haben. Die immer stärkere Ausdifferenzierung und Spezialisierung bei den Influencern hat dazu geführt, dass wir mittlerweile sehr punktuell für einzelne Projekte zusammenarbeiten: Wenn wir zum Beispiel unserer Zielgruppe vermitteln wollen, welch wichtige Rolle Boschs mikromechanische Sensoren ganz konkret in ihrem Leben spielen, arbeiten wir mit einem Snowboarder-Influencer zusammen, der mit einer alten VHS-Kamera und einer modernen Action-Cam direkt auf der Piste den Unterschied demonstriert, den unsere Bildstabilisierungs-Sensoren bei spektakulären Sportvideos machen.
Hat Bosch eigene Corporate Influencer?
Bei Bosch gibt es aktuell mehrere Corporate-Influencer-Initiativen, die jeweils für einen klar definierten Anwendungsfall in einer spezifischen Zielgruppe angelegt sind. Ein Beispiel dafür sind The movers, eine Initiative unserer Industrietechniksparte Bosch Rexroth. Darüber hinaus bieten wir über eine interne Plattform den Austausch zwischen allen Corporate Influencern an. Das ist einerseits so eine Art Content-Börse, rund um Themen, die für das Unternehmen insgesamt relevant sind, also z.B. Nachhaltigkeit, die Digitalisierung unseres Geschäfts oder der Wandel im Mobilitätsbereich. Zum anderen ist es auch ein Forum zur Diskussion sehr spezifischer Fragen rund ums Corporate Influencing: Welches sind die besten Software-Tools? Was gibt es bei den rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten? Wo stehen die nächsten größeren Events an? Wir sind sehr zufrieden mit diesem Graswurzel-Ansatz und freuen uns, dass die Community ganz organisch bereits über 150 Mitgliederinnen und Mitglieder hat.
Ist Social Media ein Wachstumsfeld innerhalb von Bosch?
Wir müssen dort sein, wo unsere Zielgruppen unterwegs sind und da sprechen die Statistiken zum Mediennutzungsverhalten eine eindeutige Sprache. Innerhalb der digitalen Unternehmenskommunikation haben wir deshalb in den letzten Jahren Kapazitäten hin zu Social Media verschoben. So sind in unserem fünfköpfigen Team mittlerweile drei Personen schwerpunktmäßig mit Social-Media-Strategie, -Formaten und -Inhalten beschäftigt. Dabei arbeiten wir entlang des gesamten Content-Marketing-Zyklus mit einer Lead-Agentur zusammen. Das geht von Strategieentwicklung bis hin zur Content-Kreation, insbesondere Video.
Suchen Sie noch Leute?
Einige Branchen, in denen Bosch aktiv ist, stecken mitten in der Transformation. Deshalb wachsen bei uns derzeit die Ressourcen-Bäume nicht in den Himmel. Weiterhin gefordert ist für unsere Arbeit eine PR-Denke im weitesten Sinne: also die Kompetenz, das zu erkennen, was wir intern den Sweet Spot nennen: die Schnittmenge zwischen der inhaltlichen Relevanz für die Zielgruppe und für uns als Unternehmen. Darüber hinaus braucht es aber mehr denn je die Fähigkeit, auf den sich schnell wandelnden Digitalplattformen immer auf Ballhöhe zu bleiben. Dazu muss man jeweils ihre aktuell angesagten Features und Formate, aber auch ihre spezifischen Themen und Kulturen (Stichwort: Memes) in der Tiefe kennen und wissen, wie man sie für die strategische Kommunikation nutzt.
Was ist im Moment Ihr Lieblingsprojekt?
Am spannendsten für unsere Profession sind im Moment natürlich die Entwicklungen rund um die Künstliche Intelligenz. Derzeit laufen bei uns sehr interessante Piloten mit der Bosch-eigenen KI AskBosch, wo es darum geht, Text- und Bildinhalte so zu erstellen, dass sie inhaltlich, aber auch stilistisch zur Bosch Markenidentität passen. Noch sind einige technische und juristische Hürden zu nehmen, aber das Potential der KI ist faszinierend und wir experimentieren viel, wie wir es für unsere tägliche Arbeit produktiv nutzen können.
Was war das größte Fuck-up?
Richtig ratlos habe ich mich zu Beginn der Corona-Pandemie erlebt: Die Welt rutschte immer tiefer in den Lockdown und es fühlte sich wirklich nicht sinnvoll an, in diese Unsicherheit hinein unverdrossen Unternehmensbotschaften zu senden. Wie sollte man in einer so nie zuvor dagewesenen Situation noch Relevanz für die eigenen Themen schaffen können? Wir stellten schließlich unsere Reichweite zur Verfügung, um Gesundheitsinformationen z.B. der WHO zu teilen. Dieser Kommunikations-Lockdown endete zum Glück, als die Nachricht kam, dass Bosch-Ingenieure einen neuartigen Corona-Schnelltest auf unserem Analysegerät Vivalytic anbieten konnten. Der setzte zur damaligen Zeit in Geschwindigkeit und Präzision Maßstäbe. Und plötzlich hatten wir in schweren Zeiten ein hochrelevantes Thema und konnten darüber mit unseren Zielgruppen wieder Frequenz aufnehmen: Die Social-Media-Postings zu diesen Tests zählen zu den erfolgreichsten, die wir je veröffentlicht haben.
Was wird weniger wichtig? Wo schrumpfen die Etats?
Die Kommunikationsetats sind derzeit vermutlich bei vielen Unternehmen stark unter Druck. Die Herausforderung ist, dass es wenige Felder gibt, aus denen man sich als Unternehmenskommunikation eines globalen Unternehmens komplett rausziehen kann. Das heißt, für uns lautet die Marschrichtung derzeit: Effizienzsteigerung bei Produktion und Ausspielung der Inhalte über alle Kanäle hinweg und kluge Nutzung der freiwerdenden Ressourcen für neue Themen.
Was wird künftig wichtiger?
Ich denke, dass die Visualisierung der Kommunikation weiter voranschreiten wird und hoffe, dass uns die oben beschriebenen Entwicklungen im Bereich KI helfen werden, den entstehenden zusätzlichen Aufwand zumindest teilweise zu kompensieren.
Was ist Ihr wichtigstes Learning aus vielen Jahren Social Media für ein Unternehmen? Persönlich? Als Bosch? Was wäre Ihr Ratschlag für andere?
Ich kam mit Social Media erstmals 2010 in Berührung, als ich für Boschs 125-jähriges Jubiläum eine Website konzipieren sollte: In dem für die damalige Zeit durchaus ambitionierten Projekt zeigte ein dreidimensional animierter Globus in Echtzeit an, wenn irgendwo auf der Welt jemand einen Tweet über Bosch absetzte. Fast im Sekundentakt machte es irgendwo auf der Welt “pling” und mir wurde schlagartig klar, dass dieses Phänomen Social Media Bestand haben und künftig von immer mehr Menschen genutzt werden würde. Es hat mich gereizt, das Kommunikationspotential für Bosch zu heben und die Social-Media-Kanäle, die wir anlässlich des Jubiläums aufgesetzt hatten, wurden anschließend in die ersten regulären Kanäle umgewandelt. Heute erzielt Bosch alleine mit den zentralen Unternehmenspräsenzen pro Jahr über eine Milliarde Kontakte und 72 Millionen Interaktionen. In all den Jahren fand ich es immer wichtig, an der dynamischen Entwicklung der Digitalplattformen dranzubleiben und diesen ständigen Wandel als Chance für die eigene Kommunikationsaufgabe zu verstehen. Gleichzeitig muss man aber auch aufpassen, dass man sich in der Vielfalt der Kanäle, Formate, Memes und Trends nicht verzettelt. Dabei hilft ein klares Bild von der Zielgruppe und der Aufgabe: Letztlich geht es immer darum, die Reputation unseres Unternehmens weiter zu steigern und Vertrauen im Dialog mit unseren Anspruchsgruppen aufzubauen.
Was noch?
Es ist wichtiger denn je, mit der Lebenswelt der Zielgruppe direkt gekoppelt zu sein: unsere Inhalte müssen möglichst nahtlos in die Timeline der Menschen hineinpassen, die wir erreichen wollen. Und sich dort als “Thumb-Stopping-Content” behaupten. Ein richtiger Augenöffner in dieser Hinsicht war für mich unsere Visual-Effects-Videoserie: Wir haben diesen Insta-Trend aufgegriffen und Bosch-Themen authentisch und auch mit einem Augenzwinkern mit visueller Tricktechnik in Szene gesetzt. Die View-Raten dieser Videos waren deshalb überragend, weil ihr Konzept genau darauf ausgerichtet war, sich in den nativen Plattforminhalt zu integrieren.
Sind Sie privat ein Social-Media-Fan und wo unterwegs?
Ich würde mich selbst jahrgangstypisch als Digital Immigrant bezeichnen. Also digital sozialisiert mit Twitter und Facebook, mittlerweile aber hauptsächlich auf Instagram unterwegs. Als begeisterter Ruderer versuche ich, weiter an meiner Technik zu feilen und ich bin jeden Tag aufs Neue beeindruckt von der Vielfalt an Bildern und Videos, die Insta selbst zu diesem extrem nischigen Thema bereithält.