Warum Arbeit kein Ort ist – Hypr-Chef Sachar Klein über die Vorteile des Remote-Arbeitens.
1. März 2023
Homeoffice-Hommage: “Wenn Arbeit ein Ort wäre, dann kriegen wir nicht die besten Köpfe, sondern die, die im Umkreis dieses Orts verfügbar und willig sind”, schreibt Sachar Klein, Gründer und Geschäftsführer der PR-Agentur Hypr. Sein Team arbeitete schon vor Corona komplett remote. Er ist überzeugt, dass es für erfolgreiches Arbeiten kein gemeinsames Büro braucht. Wichtig seien dafür ein gleiches Ziel und gemeinsame Werte aller Beteiligten.
Benjamin Minack, Geschäftsführer von Ressourcenmangel, schrieb vor ein paar Tagen auf Linked-in: “Arbeit ist kein Ort.” Ich stimme ihm zu. Wenn Arbeit aber kein Ort ist, wie gehen wir dann “zur Arbeit”? Und was ist Arbeit dann?
Bis zum 16. März 2020 haben mich Menschen verwundert angeschaut, wenn ich ihnen sagte, dass Hypr komplett remote arbeitet. Wie das denn gehen soll? Und was remote überhaupt bedeutet? So was könne ja auf Dauer nicht funktionieren. Man müsse sich schließlich in die Augen schauen und auch mal “an der Kaffeemaschine” begegnen. Dann kam Corona, und die ganze Welt sah, dass Remote-Arbeiten durchaus funktioniert. Weil es genug Tools gibt, über die man gemeinsam an Dokumenten, Präsentationen, Produkten und Ideen arbeiten kann. Naja, und wir hatten ja auch keine andere Wahl im Lockdown.
Nun, da Corona zum Glück nicht mehr die ganz große Bedrohung darstellt, stellen sich viele Arbeitgeber:innen die Frage: Wie kriege ich meine Mitarbeiter:innen wieder ins Büro? Schließlich braucht es doch die Begegnung an der Kaffeemaschine, den Plausch, das kreative Meeting mit Post-its.
Ist diese Herangehensweise, also die Rolle rückwärts, falsch? Das wäre mindestens anmaßend – nachvollziehbar ist sie für mich trotzdem nicht. Denn worum geht es bei Arbeit im Kern? Um das Ergebnis oder den Weg hin zum Ergebnis?
In Zeiten der Industrialisierung war Arbeitszeit ein zwangsläufiger KPI für Erfolg. Wenn die Maschine länger lief, konnte mehr produziert werden. Wenn Menschen mehr Zeit für einen standardisierten Prozess aufwenden, gab es ein umfassenderes Ergebnis. Die Zeiten, in denen wir leben, sind jedoch andere: Für viele Aufgaben gibt es keinen klaren Weg – vor allem im kreativen Bereich. Bisweilen gibt es nicht mal ein klar definiertes Problem. Es braucht nicht mehr Zeit, es braucht die richtigen Menschen.
Menschen wünschen sich heute – nach den Erfahrungen der Corona-Zeit – Flexibilität. Sie wollen nicht gesagt bekommen, wann und wo sie zu arbeiten haben. Sie wollen Vertrauen spüren und Verantwortung übernehmen. Zumindest für sich selbst. Und gerne auch für ihre Arbeit. Und vielleicht sogar für einen Teil des Unternehmens, in dem sie tätig sind.
Diese Flexibilität kann Arbeitgeber:innen zur Verzweiflung bringen. Die Eine möchte am liebsten fünf Tage ins Büro gehen, der Andere möchte gerne komplett auf dem Land arbeiten, die Dritte favorisiert einen hybriden Ansatz. “Wo kommen wir denn da hin, wenn wir nun jeder Person die Lösung bauen, die sie sich wünscht?” Solche Beschwerden hört man dann oft.
Im E-Commerce weiß man seit Jahren, dass der Weg zum Erfolg nur über eine gelungene Customer Journey führt. Käufer:innen dürfen nicht vor dem Bezahlvorgang abspringen. Und weil Menschen wahnsinnig unterschiedlich sind, braucht es eine Segmentierung und sich anpassende Websites und Apps. Genau diese Erkenntnis brauchen auch Arbeitgeber:innen: Es braucht eine gute Employee Journey. Wenn wir die besten Köpfe anlocken und nicht verlieren wollen, dann müssen wir ihnen das Ökosystem bieten, in dem sie erfolgreich arbeiten können. Dann ist die Frage nicht: Wie kriege ich meine Mitarbeiter:innen zurück ins Büro? Sondern: Was muss ich tun, damit meine Mitarbeiter:innen gut und gerne arbeiten? Ja, das ist anstrengend und bisweilen auch teuer. Noch anstrengender und teurer ist aber eine hohe Personalfluktuation.
Dezentrale Teams können vor allem dann erfolgreich zusammenarbeiten, wenn sich alle Beteiligten an einige wenige simple Regeln halten:
Es gibt niemals zu viel (asynchrone) Kommunikation. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte man möglichst viel transparent dokumentieren.
Es braucht eine Ebene jenseits der fachlichen Arbeit. Man kann auch gemeinsam einen Kaffee trinken, wenn man sich nicht an der Kaffeemaschine begegnet. 15 Minuten Videokonferenz ohne ein inhaltliches Anliegen können Wunder wirken.
Kultur schlägt fachliche Qualifikation. Vertrauen ist in dezentralen Strukturen die Basis für erfolgreiches Arbeiten. Umso wichtiger ist daher, dass alle Beteiligten ein (gleiches) Ziel vor Augen haben und nach ähnlichen Werten Entscheidungen treffen. Um das sicherzustellen, gewinnen Recruiting und Onboarding massiv an Bedeutung. Der Kultur-Check wird zum zentralen Element.
Am Ende ist Arbeit das gemeinsame Hinwirken auf ein oder mehrere Ergebnisse. Alle Menschen ticken anders und dürfen das auch tun, wenn wir die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich meistern wollen. Wenn Arbeit ein Ort wäre, dann kriegen wir nicht die besten Köpfe, sondern die, die im Umkreis dieses Orts verfügbar und willig sind. Wer sich für den Ort entscheidet, entscheidet sich somit auch nicht für das bestmögliche Ergebnis.
Dieser Beitrag erscheint in der Themen-Woche Future of Work bei turi2, in der wir auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen der Arbeitswelt schauen.