“Wie viele Menschenleben ist es uns wert, nichts zu tun?” ZDF-Meteorologe Özden Terli über Klima und Aktivismus.
22. Januar 2024
Klimatische Veränderung: Kaum ein Meteorologe wird öffentlich so sehr angefeindet wie ZDF-Wettermann Özden Terli – auch weil er im TV regelmäßig auf die Klimafolgen hinweist, die wir im täglichen Wetter spüren. Im Interview mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow spricht er über den Aktivismus-Vorwurf, der oft von rechts kommt: “Ich kann auf Basis meines Wissens nicht so tun, als sei mir das Klima egal.” Er spricht auch über die Zuverlässigkeit von Wetter-Apps und äußert sich zur gesellschaftlichen Debatte um die Aktionen der Letzten Generation: “Die Klimakrise ist viel größer als ein paar Aktivisten, die sich irgendwo festkleben.”
Mit diesem Interview startet die Themenwoche Nachhaltigkeit bei turi2. Bis 28. Januar sprechen wir mit klugen Köpfen aus Medien, Marketing, Wirtschaft und PR über nachhaltiges Wirtschaften und Kommunizieren.
Ich habe diesen Winter im Norden Deutschlands so viel Schnee geräumt wie in den vergangenen drei Jahren zusammen nicht. Ist das mit Blick aufs Klima ein gutes Zeichen? Oder lasse ich mich da vom Schnee blenden?
Da lässt du dich tatsächlich vom Schnee blenden, denn der Schnee ist ja erstmal etwas sehr Lokales. Auch wenn es bei uns örtlich begrenzt kräftig schneit und kalt ist, ist es in anderen Regionen der Welt überdurchschnittlich warm. Der Schnee hat auch damit zu tun, dass sehr viel Feuchtigkeit in der Luft ist, die aus den überhitzten Meeren kommt. Wir messen aktuell Rekordtemperaturen an der Oberfläche der Ozeane. Das führt dazu, dass mehr Wasser verdunstet. Wenn dann ein Tiefdruckgebiet über den Atlantik zu uns kommt, kommt die Feuchtigkeit bei uns als Regen runter. Oder als Schnee, wenn arktische Luft dazukommt. Dann kann es auch mal zu Rekordmengen Schnee kommen wie Ende letzten Jahres im Süden Deutschlands. Das ist aber kein Zeichen dafür, dass sich die Klima-Erwärmung abschwächt. Ganz im Gegenteil: 2023 war so heiß wie kein Jahr seit Beginn der Wetter-Aufzeichnungen 1881.
In der achten Klasse habe ich mal gelernt, dass Wetter und Klima zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe sind. Gilt das heute noch?
Ja. Beim Klima betrachten wir immer die Mittelwerte aus 30 Jahren. Als Vergleichszeitraum nutzen wir aktuell 1961 bis 1990, den Zeitraum vor der großen Erhitzung. Die Temperaturkurven sind zwar auch in den 1980er Jahren schon gestiegen, aber seit den 1990er Jahren gehen sie durch die Decke. Deswegen ist es sinnvoll, die Messwerte von heute mit den 30 Jahren bis 1990 zu vergleichen. Es gibt aber auch Datensätze von der Nasa oder der NOAA, der National Oceanic and Atmospheric Administration, die aus der vorindustriellen Zeit von 1850 bis 1900 stammen. Darauf bezieht sich der Beschluss der Pariser Klimakonferenz von 2015, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Warum ist es dir so wichtig, im Wetterbericht auch über das Klima zu sprechen?
Wetter und Klima lassen sich überhaupt nicht trennen. Denn beim Wetter haben wir es mit den Klimafolgen zu tun. Der Anstieg der Temperaturen hat global einen gravierenden Effekt. Wir spüren gerade im vergangenen Jahr eine massive Veränderung in den Wetter-Systemen, in den Strömungen. Und das hat etwa zu den Extremwetter-Ereignissen in Griechenland im vergangenen Sommer geführt. Da gab es erst wochenlang Hitze und Brände und anschließend sintflutartige Regenfälle. Das gleiche Tief, dass damals über Griechenland gezogen ist, hat sich über dem Mittelmeer noch mal aufgeladen und auch in Libyen zu schweren Unwettern geführt, bei denen tausende Menschen ums Leben kamen. Die meisten Extremwetter-Ereignisse sind heute auf Klima-Veränderungen zurückzuführen. Deswegen wäre es absurd zu sagen, dass Meteorologen nur über das Wetter der kommenden drei Tage reden dürfen.
Darf man sich noch über schönes Wetter freuen?
Jede und jeder darf sich über schönes Wetter freuen. Dass man das nicht mehr dürfe, ist einer dieser Sätze, die mir aus einer bestimmten Ecke in den Mund gelegt wurden. Ich will nur nicht über schönes Wetter reden, wenn wir wochenlang Dürre haben, Menschen, Tiere und übrigens auch die Landwirte darunter leiden, dass es zu heiß und zu trocken ist. Da finde ich es wichtiger, zu warnen, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, sich zu schützen und etwa keinen Sport am späten Nachmittag zu machen, weil es da am heißesten ist. Wer angesichts dessen eine Diskussion über Sprechverbote vom Zaun bricht, der hat nicht verstanden, worum es geht, will ablenken oder will sein Publikum für dumm verkaufen. Wir sind Journalisten, unser Job ist es, Einordnung zu liefern, und das mache ich.
Heutzutage schauen viele morgens als erstes nicht aus dem Fenster, sondern auf ihr Smartphone, wenn sie wissen wollen, ob es regnet oder die Sonne scheint. Wie zuverlässig sind Wetter-Apps? Du warst ja mal bei Wetter.com.
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn ich wissen will, ob es an einem Sommerabend lokalen Regen oder ein Gewitter gibt oder ob ich um 16 Uhr draußen grillen kann, dann hilft eine App nicht wirklich, obwohl viele Apps das suggerieren. Da kann man höchstens Tendenzen ablesen und sagen: Zwischen Franken und Bayerischem Wald kann es Gewitter geben. Wenn es aber um Luftdruck, Temperatur-Verläufe und flächendeckenden Regen geht, dann sind Apps ganz zuverlässig.
Özden Terli präsentiert den Wetterbericht u.a. im “ZDF-Morgenmagazin” und in den “heute”-Nachrichten. Er wird 1971 in Köln geboren, studiert Meteorologie in Berlin und arbeitet schon während des Studiums bei wetter.com. Seit 2013 wirkt er als Redakteur und Moderator in der Wetterredaktion des ZDF. 2022 wird er vom “Medium Magazin” als “Journalist des Jahres” (3. Platz) ausgezeichnet.
Wie sieht es mit Bauernregeln aus? “Ist der Winter kalt und weiß, wird der Sommer lang und heiß.” Treffen diese Sprüche in Zeiten des Klimawandels noch zu?
Auf diesen Reim würde ich nicht so viel geben. Zu einer Wetterprognose gehört schon mehr, als ein paar Sprüche auswendig zu lernen. Natürlich können die sogenannten “Bauernregeln” auf Beobachtungen von Landwirten beruhen und von daher auch mal zutreffen. Aber eine wissenschaftliche Grundlage gibt es da nicht. Das gilt auch für den “Hundertjährigen Kalender”. Der beruht auf Beobachtungen im 17. Jahrhundert und betrachtet auch nicht 100, sondern nur eine Phase von sieben Jahren und fußt auf einem veralteten Weltbild. Ein bisschen anders ist es bei der Siebenschläfer-Regel, nach der sich am Wetter des Siebenschläfertages ablesen lässt, wie der Sommer wird. Diese Regel hat tatsächlich auch einen meteorologischen Hintergrund.
Beim Wetter ist es wie beim Fußball, jeder sieht sich als Experte und meint, alles besser zu wissen. Nervt dich das?
Wir sind alle dem Wetter ausgesetzt und haben unsere Erfahrung damit gemacht, von daher ist es völlig in Ordnung, dass wir alle mitreden. Wichtig ist mir nur, dass das nicht in persönlicher Diskreditierung endet, wie so oft bei Twitter, oder in Wissenschaftsleugnung. Wenn physikalische Fakten geleugnet werden, ist die Diskussion für mich zu Ende. Da könnten wir uns auch über rosa Einhörner unterhalten. Aber das hat dann mit dem Wetter nichts mehr zu tun.
Sven Plöger, Claudia Kleinert oder eben Özden Terli: Ihr seid alle Meteorologen, Journalisten, ein Stück weit auch Unterhalter. Wie dosierst du diese Elemente in deinen Wetter-Moderationen?
Wir sind ja nicht mehr in den 1950er oder 60er Jahren. Damals wurde im Wetterbericht doziert, am Ende hat niemand verstanden, worum es eigentlich ging. Ich glaube, dass man die Menschen zu Beginn des Wetterberichts einfangen muss, deswegen ist das erste Element des Wetterberichts auch besonders wichtig. Das muss nicht jeden Tag die Klimakrise sein. Oft ist es ein Wetterereignis, auf das wir hinweisen oder vor dem wir warnen. Manchmal, wenn es eine besondere Wetterlage gibt, wird das sogar investigativ. Dann lese ich Studien zu ähnlichen Phänomenen oder schaue mir Datensätze aus der Vergangenheit an, um ein Wetterereignis einzuordnen. Es spricht aber auch überhaupt nichts gegen einen unterhaltenden Einstieg.
Kriege, Inflation, bis vor Kurzem noch Corona. Kannst du verstehen, dass es inzwischen eine gewisse Krisenmüdigkeit und speziell Klimamüdigkeit gibt?
Ich kann das nachvollziehen, aber ich sehe das naturgemäß etwas anders. Kriege verursachen natürlich unsagbares Leid, darüber hinaus sind sie auch eine riesige Umweltsauerei. Die Inflation verunsichert die Menschen und bringt viele in existenzielle Not. Dasselbe hat Corona mit der Gesundheit gemacht. Als Journalist kann ich nachvollziehen, dass diese Themen die Klimakrise, die ja permanent ist, aus den Schlagzeilen verdrängen – wie übrigens auch viele andere wichtige Themen. Aber aus meiner Sicht ist die Klimakrise das größere, das existenziellere, weil globale Problem. Sie gefährdet die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, und das Land, auf dem wir leben. Und ich sehe es als meine Aufgabe als Journalist und Meteorologe, diese Tatsache immer wieder in Erinnerung zu rufen.
Wo verläuft für dich die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus?
Wir arbeiten auf der Basis wissenschaftlicher Fakten und der physikalischen Gesetze, die für uns alle gelten. Und als Journalisten fordern wir auch nicht einfach irgendwas, sondern wir ordnen auf Basis ebendieser Fakten ein. Wenn man mich dann fragt, ob ich für Klimaschutz bin, dann antworte ich natürlich mit “Ja”. Ich kann auf Basis meines Wissens nicht so tun, als sei ich in der Frage neutral oder als sei mir das Klima egal. Das wäre auch total unglaubwürdig. Der Aktivismus-Vorwurf kommt in aller Regel von Leuten, die eine Agenda haben, die die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft nicht wollen, zum Teil weil sie befürchten, zu den Verlierern dieser Transformation zu gehören.
Wie blickst du auf die Aktionen der Letzten Generation? Ist das gute PR fürs Klima oder leisten sie ihm einen Bärendienst?
Ich finde es interessant, dass viele Kommentatoren sagen, dass die Aktionen der Letzten Generation der Akzeptanz des Klimaschutzes schaden. Denn die Klimakrise ist doch viel größer als ein paar Aktivisten, die sich irgendwo festkleben. Wer sich dadurch von seinem Engagement fürs Klima abbringen lässt, hat die Zusammenhänge nicht verstanden. Die Aktionen der Letzten Generation sind aber so provokant, dass Teile der Politik und der Medien überreagieren. Aber auch das sagt einiges über deren Umgang mit dem Klimaschutz aus. Denn das, was die Letzte Generation fordert, ist eigentlich Konsens: Es geht um die Einhaltung des Pariser Abkommens und dem hat der Bundestag mehrheitlich zugestimmt.
Die meisten Menschen sagen, dass sie für Nachhaltigkeit sind. Aber seit sie Maßnahmen am Geldbeutel spüren, ist das Klima für Klimaschutz rauer geworden. Spürst du das auch?
Ja, aber das liegt zum großen Teil daran, dass diese Veränderungen schlecht geredet werden. In der Hinsicht sind die Gegner dieser Transformation, die in der Regel aus der rechten Ecke kommen, auch wahnsinnig kreativ. Etwa wenn sie behaupten, es gehe an unser Geld oder an unsere Freiheit. Seit wann haben wir grenzenlose Freiheit? Es gibt in jedem Lebensbereich Regeln, die die Freiheit beschränken. Anders würden weder der Straßenverkehr noch die Wirtschaft funktionieren. Wieso sollte es gerade beim Klima keine Regeln geben? Es gibt diesen Spruch “design by change” und “design by disaster”. Was wir gerade mit den Überschwemmungen in Norddeutschland erlebt haben, ist “design by disaster” und davon wird es künftig mehr geben, das ist sicher, selbst wenn wir uns verändern. Verändern wir uns nicht, wird es noch krasser. Kein Zweifel daran. Ist Physik.
Ich erlebe Menschen, die sagen, dass es auch bei Umweltfragen immer “Trendthemen” gab, die wir überlebt haben: In den 80ern und 90ern waren es saurer Regen, FCKW und Ozonloch. Heute sind es eben CO2 und die Klimaerwärmung, auch das werden wir überleben.
Aber wie wollen wir überleben? Es gibt Szenarien, die sagen, dass um den Äquator herum Milliarden Menschen gefährdet sind, wenn es dort noch heißer wird. Wie viele Menschenleben ist es uns wert, nichts zu tun? Wie viele Menschen sollen sterben? 100 Millionen? 500 Millionen? Drei Milliarden? Und es gibt keine Garantie, dass nicht auch du unter den Millionen und Milliarden bist. Denn die Klimakrise wirkt sich auf den ganzen Planeten aus. Daher finde ich solche Überlegungen wirklich zynisch.
Heute wissen wir, dass der Begriff des CO2-Fußabdrucks eine PR-Erfindung des Mineralölkonzerns BP war, um von der eigenen Verantwortung für das Klima abzulenken und sie auf den Einzelnen zu schieben. Wie viel Veränderung kann der einzelne Mensch überhaupt realistisch bewirken?
Die Frage ist doch, ob wir den Klimaschutz dem einzelnen Menschen überlassen wollen, oder ob wir nicht systematische Veränderungen anstreben sollten. Und systematische Veränderungen funktionieren in einer Demokratie nun mal über Gesetze – oder positiv formuliert – über Anreize, etwas anders oder besser zu machen. Auch das hat viel mit Kommunikation zu tun: Wenn Medien und Politik die Transformation schlecht reden, ist es kein Wunder, dass die Zustimmung bei den Menschen sinkt.
Auch Unternehmen müssen jetzt ihre Nachhaltigkeit belegen. Erstmal ist das eine zusätzliche Pflicht und kein Spaß. Insgesamt wächst das Gefühl, dass Nachhaltigkeit bürokratisiert wird und anstrengt. Ist das ESG-Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung?
Viele Unternehmen sind ja schon auf dem richtigen Weg. Ich denke da z.B. an den Spezialglas-Hersteller Schott AG in Mainz. Die Firma will bis 2030 klimaneutral arbeiten. Auch BMW hat gerade das Aus der Verbrenner-Produktion in München für 2026 angekündigt. Und es gibt noch viele weitere positive Beispiele für Firmen, die verstanden haben, dass etwas passieren muss. Denn es ist ja nicht so, dass eine Mehrheit der Unternehmen sich gegen den Wandel wehrt. Die meisten haben verstanden, dass es ein Wettbewerbsnachteil ist, einfach so weiterzumachen wie bisher. Denn irgendwann kommt die Rechnung. Denken wir zum Beispiel an die Ahrtal-Flut, die 30 Milliarden Euro gekostet hat. Wir alle zahlen das, auch die Klimaleugner.
Deine Prognose: Wird 2024 ein gutes oder ein schlechtes Jahr für das Klima und den Klimaschutz?
Ich sehe positive Tendenzen, etwa in China, wo jetzt viel in E-Autos und Photovoltaik investiert wird, aber das wird nicht reichen. Die Prognosen gehen davon aus, dass wir 2024 noch mehr und heftigere Extremwetter-Ereignisse bekommen werden. Das Jahr wird wahrscheinlich noch wärmer als das vergangene. Wir können also nicht davon ausgehen, dass es von selbst besser wird. Wir haben seit Beginn der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren permanent CO2 in die Luft geblasen, darauf reagiert das Erdsystem jetzt. Und wir werden sicher wieder Wetter-Ereignisse erleben, bei denen auch ich als Meteorologe an meine Grenzen komme. Noch mal das Beispiel der Regenmengen in Griechenland: Da haben wir staunend vor den Wettermodellen gesessen und gesagt “Das kann nicht sein, das sind tropische Mengen.” Und es kam doch so – und noch viel heftiger.