turi2 edition #10: 20 Fragen an 2020 – beantwortet von 20 Expert*innen.
16. Januar 2020
Was wird sein? Wir haben 20 Expert*innen aus Medien, Wirtschaft und Politik 20 wichtige Zukunftsfragen. Lesen Sie hier die zukunftsweisenden Antworten – u.a. Antje Neubauer übers Aussteigen, Thomas Lindner über Innovation, Friederike Sittler übers Gendern und Sylvie Nicol über Führungskräfte.
Klaus Goldhammer, läuft Netflix auf einen großen Crash zu?
Nein, das glaube ich nicht. Der alte Marketing-Merksatz gilt: Es ist besser, Erster zu sein, als besser zu sein. Netflix ist globaler Marktführer, da müssen die Wettbewerber erst mal hinkommen. Alle neuen Anbieter müssen beweisen, dass sie bei Inhalten, Technik und Usability mit Netflix und Amazon mithalten können. Und: Wir haben heute schon die Situation, dass in Deutschland im Schnitt zwei Videostreaming-Abos gebucht sind. Warum soll nicht ein drittes dazukommen? Die deutschen Sender müssen sich ins Zeug legen, um ihre Marktanteile zu sichern. Denn der Wettbewerbsdruck ist hoch. 2018 haben die US-Player mit 60 Mrd Dollar über 500 Serien produziert. Diese Reiseflughöhe können wir mit drei, vier ambitionierten Produktionen im Jahr kaum erreichen. Netflix kann sein Schicksal sogar selbst steuern: statt 15 Mrd Dollar pro Jahr etwas weniger für Content ausgeben, wenn es eng wird, und an der Account-Sharing-Schraube drehen, um die Abo-Zahl zu steigern. Klaus Goldhammer, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer Goldmedia Link
Thomas Lindner, kann eine 70-Jährige durch das Fenster der Innovation steigen?
Sie kann nicht nur, sie will sogar unbedingt und am liebsten würde sie springen! Doch auch die “FAZ” hat es in diesen Zeiten nicht leicht und kämpft sich vorwärts. Aber sie hat Stärken, die sie auch in Zukunft unverzichtbar machen: Die Gesellschaft braucht, was wir tun. Wir erstellen relevante journalistische Nachrichten-Produkte – primär für die Leistungsträger in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur – und erhalten dafür Premiumpreise. Im Gegenzug liefern wir Analysen und Denkanstöße und unterstützen unsere Leserinnen und Leser bei der Meinungsbildung. Trotzdem stehen wir vor einer großen Herausforderung. Die “FAZ” muss auch in einer digitalen Welt das werden, was sie in der analogen ist. Auf dem Weg dahin haben wir längst die entscheidenden Schritte eingeleitet und uns personell wie technisch verstärkt. Die digitale Zeitung und F+ wachsen, wir arbeiten an neuen Audio-Produkten und Newslettern und rollen Text-to-Speech über mehr digitale Angebote aus. Dabei stellen wir alles bezahlpflichtig, was irgendwie geht und planen, auch die aktuellen Angebote und Preise im Sinne stärker integrierter Angebote neu zu konfigurieren. Es gibt genug zu tun auf dem Weg nach vorn. Ein Spagat aber wird bleiben: Digitales Wachstum forcieren und gleichzeitig die Auflage der gedruckten Zeitung stabilisieren, dabei keinerlei Kompromisse bei Anspruch und Qualität. Und bei den Inhalten? Pluralistisch im Geiste, fundiert in der Sache und besonnen im Umgang. Thomas Lindner, Geschäftsführer „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Link
Matthias Entenmann, Sie bauen Startups – wie sähe ein Startup aus, das die deutsche Gesellschaft voranbringt?
Gefühlt gibt es Einhorn-Herden bis an den Horizont, aber nur wenige in Deutschland. So könnte man Rankings interpretieren, in denen Deutschland im Unicorn-Rennen auf dem fünften Platz hinter China, den USA, Indien und Großbritannien liegt. Aber “Made in Germany” und digitale Erfolgsgeschichten sind keine entgegengesetzten Eigenschaften! Deutsche Industrieunternehmen und Mittelständler sind finanziell stark und haben mit Know-how, Kundenbeziehungen und Vertriebsnetzwerken entscheidende Wettbewerbsvorteile. Legt man allein den Wert dieser Unternehmen zugrunde, gibt es hier Einhörner an jeder Ecke. Wir müssen nur ihre Kraft, die sie seit Jahren analog unter Beweis stellen, auf den digitalen Markt übersetzen. Mit der Erweiterung des bestehenden Geschäfts auf eine App ist es noch lange nicht getan. Auch ein Digital Hub in Berlin ist nur ein kleiner Baustein. Es geht um einen tiefen industriellen Wandel, Deep Tech und künstliche Intelligenz in allen Produkten und Prozessen. Wo müssen wir ansetzen? Es fängt mit dem kulturellen Wandel an. Statt sich in festen Abteilungen zu organisieren, muss es möglich sein, teamübergreifend und dezentral zu arbeiten. Zweitens müssen wir Prozesse neu denken. Prozesse, die uns in der Vergangenheit Iso-Zertifizierungen eingebracht haben. Drittens: Wir müssen es schaffen, unsere Ideen schnell zu entwickeln und am Markt zu testen und zu verbessern, nicht nur im Labor. Wenn unsere etablierten Unternehmen das schaffen, bin ich sehr optimistisch, dass die 20er-Jahre ein gutes Jahrzehnt für Deutschland werden. Mathias Entenmann, Deutschland-Chef BCG Digital Ventures Link
Hannes Ametsreiter, wie schnell wird das Internet durch 5G und Kabel?
In jedem Fall gigabitschnell. Unter der Erde sind wir heute schon da: Mit über elf Millionen Gigabit-Anschlüssen in unserem Kabelglasfasernetz, Ten- denz steigend. Denn wir machen auch das Unitymedia-Netz flächendeckend fit fürs Gigabit: Bis 2022 wollen wir so 25 Millionen Gigabithaushalte schaffen – und zwei Drittel aller Deutschen mit richtig schnellen Anschlüssen versorgen. Bei einem Gigabit hört es aber nicht auf. Perspektivisch können wir Geschwindigkeiten von über zehn Gigabit erreichen. Das wird nötig, weil der Appetit der Menschen auf mehr Daten und Geschwindigkeit ungebrochen ist. In der Luft werden die Mobilfunknetze auch immer schneller. Der größte Treiber ist die neuste Mobilfunkgeneration 5G. Die macht Geschwindigkeiten von rund einem Gigabit möglich, künftig sogar mehr. Das neue Echtzeit-Netz haben wir im Sommer als erste gestartet. Jetzt folgt die zweite Ausbaustufe. Ende 2020 wollen wir zehn Millionen, Ende 2021 zwanzig Millionen Menschen mit 5G versorgen. Dieser Turbo bringt Deutschland richtig nach vorne. Denn er macht autonomes Fahren, smarte Fabriken und neue virtuelle Welten möglich. Bei 5G und Kabelglasfaser lassen wir es aber nicht bewenden. Bis das neue 5G-Netz großflächig steht, werden noch einige Jahre vergehen. Bis dahin muss auch 4G immer schneller und breiter werden. Denn mit der Abdeckung können auch wir noch nicht zufrieden sein. Was bei uns im Fokus steht, ist der Kampf gegen die letzten Funklöcher. Die schließen wir jetzt mit Hochdruck. Hannes Ametsreiter, Geschäftsführer VodafoneLink
Lena Wittneben, die Digitalisierung hat zu einer allumfassenden Beschleunigung geführt – wie können wir abschalten und doch mithalten?
Anstatt sich ausschließlich auf Achtsamkeits- und Entschleunigungstipps zu stürzen, können wir uns zunächst nach unseren persönlichen Stressoren fragen. In welchen Momenten lassen wir uns im Multitasking-Modus ablenken, indem wir ständig auf Social Media schauen und die Arbeit so unterbrechen? Wann sind wir von einer Aufgabe gelangweilt, überfordert oder einfach nur müde? Bewusstwerden ist der erste Schritt zur Veränderung. Warum fällt es uns mitunter so schwer, zu einer Bitte von Kollegen “Nein” zu sagen? Warum glauben wir, auf alle Anfragen ad hoc reagieren zu müssen? Um uns von “E-Mail is a To-Do-List made by other people” zu lösen, ist es clever, “digitale Öffnungszeiten” einzurichten, Mails nur en bloc in einem festen Zeitrahmen abzuarbeiten und sich in kleinen Dosen der Nicht-Erreichbarkeit zu probieren. Multitasking killt 40 Prozent unserer Produktivität. Um produktiv zu arbeiten und nicht im digitalen Dauerrausch zu versinken, nutze ich die “Pomodoro-Technik”: Jegliche Störquellen abschalten (Handy im Flugmodus, Telefon auf Kollegen umleiten, Postfach und Browser schließen) und sich einer zuvor formulierten Aufgabe für 25 Minuten ablenkungsfrei widmen. Anschließend klingelt der Timer und eine fünfminütige Pause wartet. Dann startet der nächste 25-Minuten-Slot, der wieder von einer Fünf-Minuten-Pause beendet wird. Nach insgesamt vier Phasen haben wir in Summe 100 Minuten ohne Störungen gearbeitet und gönnen uns eine 20-minütige Pause. Die sogenannten Deep-Work-Phasen in Sprints helfen ungemein, um Aufgaben wirklich abzuschließen. Ratsam sind tägliche Phasen der Regeneration – nicht nur am Wochenende und im Jahresurlaub. Pausen sollten nach Möglichkeit immer ein Kontrastprogramm liefern. Wer analytisch am Laptop arbeitet, gönnt sich in der Pause ein bisschen Bewegung und mental eher leichte Kost. Lena Wittneben, Edutainerin und Gedächtnistrainerin Link
Sven Schmidt, sollten die deutschen Medienhäuser ihre Disruptoren Google, Apple, Facebook und Amazon umarmen oder bekämpfen?
Disruptoren ist noch eine beschönigende Bezeichnung für Gafa. Sie alle missbrauchen mehr oder weniger ihre horizontale Marktmacht. Damit gefährden sie die Wertschöpfungstiefe in Deutschland und zerstören unsere wenigen digitalen Champions. Ganz zu schweigen von den Steuervermeidungsstrategien der großen Vier. Amazon billigt zudem, dass chinesische Händler weder Mehrwertsteuer noch Zoll zahlen. Daher ist es die journalistische Pflicht der Medien, dies aufzuzeigen. Stattdessen machen manche Vorstandsvorsitzenden der Medienhäuser lieber Selfies mit Jeff Bezos. Und merken dabei noch nicht einmal, dass sie von den Tech-Titanen als willfährige Opfer und nicht als Gesprächspartner angesehen werden. Medienhäuser sollten niemanden umarmen oder bekämpfen, sondern immer objektiv berichten und Konsequenzen transparent machen. Wie in der Politik scheint es in deutschen Medien allerdings an digitalen Strategen zu mangeln. Mathias Döpfner verleiht lieber Preise an Jeff Bezos, und Dorothee Bär glaubt, dass Flugtaxis wichtiger sind als Breitband. Sven Schmidt, Geschäfts- führer Maschinensucher.de Link
Friederike Sittler, müssen jetzt alle Journalist*innen und Kommunikator*innen das Gendersternchen nutzen?
Frauen nicht nur mit meinen, sondern auch benennen: 2020 könnte das Jahr werden, in dem wir das mit elegantem Schwung hinkriegen. Ob in Print oder Online, in Radio, Podcasts oder Fernsehen – viele Journalistinnen und Journalisten testen bereits die Möglichkeiten, Frauen und Männer angemessen zu benennen. Im Radio hören wir Moderationen wie “Berliner und Brandenburgerinnen” oder ein beiläufig gesprochenes Gender-Gap. Selbst die “FAZ” hat im Herbst ein Gendersternchen gedruckt. Wer über Gap oder Sternchen stolpert, kann auf andere Art kreativ werden. Manchmal fällt das Gendern gar nicht auf, weil Texte so geschickt geschrieben sind, dass sich alle Geschlechter angesprochen fühlen. Niemand muss, aber wer mag, kann sich auf genderleicht.de inspirieren lassen. Es ist gar nicht so schwer, so zu formulieren, dass alle gemeint sind. Wer es tut, zeigt: “Vielfalt ist uns etwas wert.” Friederike Sittler, Vorsitzende Journalistinnenbund Link
Martin Korosec, die Luftfahrt wächst, Werbung am Flughafen boomt – stören die Klimakrise und das Phänomen Flugscham den Aufschwung?
Grundsätzlich und persönlich sehe ich Fridays for Future positiv, weil uns die Bewegung zu mehr nachhaltigem Verhalten verpflichtet. Ob sich nun aber die vielfach beschworene Flugscham auf die Passagierzahlen auswirkt, muss sich erst noch zeigen. Derzeit zählen wir 69,5 Millionen Fluggäste im Jahr und ein Plus von über 2 Prozent für 2019. Am Flughafen Frankfurt haben wir viele Business-Reisende, ein Gutteil aus Asien, wo das Thema nicht so breit diskutiert wird. Die Auswirkungen einer Flugzurückhaltung wären, wenn überhaupt, nur bei den Reichweiten spürbar. Ein Imageschaden für Flughafenwerbung lässt sich nicht feststellen. Der Flughafen ist eine Spielwiese für cleveres Storytelling mit vielen brillanten Formaten. Auf diese kreative Fülle sind wir stolz. Martin Korosec, Geschäfts- führer Media beim Flughafen Frankfurt Link
Christof Ehrhart, die Presse ist im Niedergang – wozu braucht man noch Pressesprecher?
Gegenfrage: Die Presse ist im Niedergang – wozu braucht man noch Journalisten? Die Antwort liegt in beiden Fällen auf der Hand. Gerade weil die Klaviatur der öffentlichen Kommunikation durch die Digitalisierung viel breiter geworden ist, steigt der Bedarf an kommunikativer Darstellung, Vermittlung und Beratung. Und wie bei den Journalisten auch hat sich das Berufsbild des Pressesprechers angesichts der neuen Herausforderungen sehr verändert – vom Öffentlichkeitsarbeiter zum Kommunikationsmanager. Mehr als 80 Prozent des Werts eines Unternehmens ist heute immateriell, besteht aus Vertrauen, Reputation und Markenwerten. Zugleich ist Kommunikationsfähigkeit zur Schlüsselkompetenz in Wirtschaft und Politik geworden: Die Formel “Die Idee war gut, aber wir haben nicht überzeugend kommuniziert” klingt jedem Nachrichtenzuschauer im Ohr. Legitimität ist an die Stelle von Legalität als Anforderung an Unternehmen getreten. Unternehmen müssen dialogfähig auch im Austausch mit kritischen Stimmen sein. Modernes Kommunikationsmanagement vermittelt daher zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und den Interessen der eigenen Organisation. Der amerikanische Soziologe David Graeber nennt das einen “Bullshit-Job”. Er könnte kaum mehr irren. Andere sehen – wie im Journalismus – ein Maschinenzeitalter heraufziehen, in dem der Algorithmus den PR-Mann arbeitslos macht. Das Gegenteil wird geschehen. In einer zunehmend technisierten Welt nimmt der Bedarf an Menschlichkeit im kommunikativen Austausch eher zu. Empathie wird zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal von Organisationen und der Nachfahre des guten alten Pressesprechers wird dann dafür sorgen, dass Unternehmen den umgekehrten Turing-Test bestehen – also menschlich überzeugen. Christof Ehrhart, Kommunikationschef Robert Bosch GmbH Link
Peter Figge, die neuen Möglichkeiten der Kommunikation gleichen einem explodierenden Werkzeugkasten, haben Sie mal gesagt – fliegt der uns um die Ohren, weil keiner mehr durchblickt?
Der Volksmund versteht unter einer Explosion etwas Destruktives. Ich glaube aber an positive Explosionen und deren Veränderungskraft: “Das ist Bombe”, “Da steckt Sprengstoff drin” – viele Dinge, die wir als positiv erachten, haben im engeren Sinn etwas mit der Explosion gemeinsam. Das gilt auch für die neuen Möglichkeiten der Kommunikation. Das große Feuerwerk gibt es immer noch – aber es gibt inzwischen auch die vielen kleinen Wunderkerzen und gezielten Detonationen. Natürlich fordert uns das. Neben spannenden Inhalten geht es um eine wirkungsvolle Distribution bei gleichzeitig immer anspruchsvollerer Prognose-Fähigkeit: Wo entfaltet ein Werbe-Euro den größten Effekt? Wir begegnen dem mit wachsender Data-Analytics-Power, Business-Strategien, Content-Produktion, hoher Geschwindigkeit und kreativer Exzellenz. Eine Schlüsselqualifikation ist die Kooperationskompetenz: Kreative und Distributeure müssen näher zusammenrücken und sich der Sprunghaftigkeit der Menschen bewusst sein: Denn die glauben ja nur noch, was sie sich selbst zusammengeklickt und -gefollowt haben. Deshalb beschäftigt uns 2020 alles, was “Influence” hat – auf Instagram, YouTube, Twitch, TikTok, Pinterest. Zudem wird es wichtiger, die Inhalte, die auf viele Kanäle verteilt sind, lückenlos zu verdrahten. Wer seinen Werkzeugkasten bedienen kann, dem fliegt er auch nicht um die Ohren. Die Frage ist doch eher: Will ich mit dem Feuer spielen und habe ich Lust, andere anzuzünden? Peter Figge, Partner und Vorstand Jung von MattLink
Klaus Gorny, bleibt Facebook auch 2020 der Lieblingsgegner der etablierten Medien auf allen Podien?
Ich sehe uns keineswegs als Gegner der etablierten Medien. Aber vielleicht nehmen die Medien uns auch nicht unbedingt als Liebling wahr. Wir haben eine große Verantwortung und werden in den Medien für unsere Handlungen und Entscheidungen manchmal hart kritisiert. Dieser Kritik stellen wir uns – ob nun auf Podien, Veranstaltungen oder im direkten Austausch. Medien sind essentiell für unsere Demokratie und nehmen eine große gesellschaftliche Aufgabe wahr. Ich sehe unsere Aufgabe darin, uns und unsere Entscheidungen zu erklären. Und genau das möchten wir 2020 noch offensiver tun. Wir wissen, dass die Menschen in Deutschland von uns erwarten, dass wir große Anstrengungen unternehmen, um Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu liefern – sei es in Bezug auf Hassrede, bei der Bekämpfung von Extremismus oder beim ethischen Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Die Herausforderungen, denen wir uns stellen, sind komplex und Lösungen selten einfach. Ich würde mir wünschen, dass auch dies hin und wieder gesehen wird. Wir nehmen das Feedback von Medienmachern ernst, passen unsere Produkte laufend an und gehen diverse Kooperationen ein: Erst im Sommer haben wir Workshops mit Publishern zu innovativen Abo-Lösungen im Rahmen unseres Facebook Journalism Projects durchgeführt. Und nach einem erfolgreichen ersten Absolventenjahrgang geht das Digital Journalism Fellowship mit der Hamburg Media School nun in die zweite Runde. 2020 würde mich freuen, wenn wir vielleicht nicht als Liebling, aber dennoch mehr als ein Partner der Medien wahrgenommen werden. Klaus Gorny, Leiter Unter- nehmenskommunikation DACH Facebook Link
Marcus Schuler, wird 2020 der Anfang vom Ende von Facebook?
Mark Zuckerberg ist immer dann am besten, wenn er sich mit dem Rücken zur Wand wähnt. Bewiesen hat der 35-Jährige das 2019, als der blaue Konzern aus Menlo Park (mal wieder) allzu freizügig mit den Daten seiner Nutzer umgegangen ist. Kaum war die US-Politik im fernen Washington aufgewacht, hat Zuckerberg schon die nächsten Schritte eingeleitet, um einer möglichen Regulierung oder gar Zerschlagung seines Lebenswerks zuvorzukommen. Er verkündete die Zusammenlegung von Facebook, dem Messenger, WhatsApp und Instagram auf einer technischen Plattform. Damit zeigte er US-Präsidentschaftskandidatinnen wie Elizabeth Warren, die eine Zerschlagung des Konzerns gefordert hatte, den Stinkefinger. Ein Abendessen bei Donald Trump im Weißen Haus rundete den Eindruck des smarten Unternehmenslenkers ab. Zuckerberg hat seit seinem Umzug von Boston ins Silicon Valley 2004 schnell von Google und Co gelernt: Das eine tun und das andere nicht lassen. Auf gut deutsch: nur das Beste für die Menschheit wollen, immer fleißig Reue-Punkte sammeln und gleichzeitig den Ausbau des Unternehmens vorantreiben. Jüngstes Beispiel ist Libra. Washington und Brüssel wollen die Facebook-Währung verhindern, gelingen dürfte ihnen das kaum. Nicht umsonst hat Zuckerberg die Schweiz als sicheren Hafen für Libra ausgewählt. Selbst vor dem US-Kongress braucht Zuckerberg keinen Bammel mehr zu haben. Geschickt pariert er die Fragen unbedarfter US-Politiker. Und wenn er gerade mal keine Antwort parat hat, lächelt er darüber hinweg und verspricht, selbige asap nachzureichen. Auch wenn Facebook sein altes Unternehmensmotto geändert hat, für Zuckerberg gilt es auch im neuen Jahr: Move fast and break things. Marcus Schuler, Silicon-Valley-Korrespondent der ARD Link
Christoph Sieder, warum ist es plötzlich cooler, mit E-Autos im Kreis rumzufahren als mit den Boliden der Formel 1?
Faszinierend sind beide Rennserien, es gibt kein entweder oder. Die Formel 1 kann auf eine lange Historie zurückblicken, zieht nach wie vor die Massen an, arbeitet an ihrer Zukunft und wird deshalb weiterhin ihre Berechtigung haben. Die ABB Formel E ist eine junge Serie in einem völlig neuen Segment – und sie ist in der Tat “cool”! Sie entwickelt sich stetig weiter, spricht andere Zielgruppen an – vor allem Familien – und setzt zudem auf die interaktive Einbindung der Zuschauer. Hauptziel der ABB Formel E ist es, die Elektromobilität in der Gesellschaft emotional aufzuladen und das Potenzial von elektrischen Antrieben zu unterstreichen. Dabei bietet sie alles, was Motorsport ausmacht. Der Wettbewerb ist äußerst ausgeglichen, die Leistungsdichte sehr hoch, das sorgt für spannende Rennen und eine unvorhersehbare Meisterschaft. ABB ist seit 2018 Titelpartner dieser ersten rein elektrischen Rennsportserie der Welt. Für uns als globalen Technologiekonzern ist dieses Engagement die logische Ergänzung zu unserer Rolle als treibende Kraft hinter der globalen Entwicklung der Elektromobilität. So verfügt ABB mit mehr als 13.000 in 77 Länder gelieferten Ladestationen nicht nur über den weltweit größten installierten Anlagenbestand an Schnellladelösungen für Elektroautos, sondern bietet auch eine breite Palette von Produkten für elektrisch betriebene Busse und Lastwagen sowie führende Lösungen für die Elektrifizierung von Schiffen und Bahnen an. ABB und die Formel E passen perfekt zusammen. Beide sind Spitzenreiter, wenn es um die neuesten Technologien zur Elektrifizierung und Digitalisierung geht. Christoph Sieder, Leiter Konzernkommunikation ABB Link
Sylvie Nicol, ist die ideale Führungskraft des Jahres 2030 eine dreifache Mutter mit doppeltem Doktor und Migrationshintergrund?
Das würde die Nachwuchssuche jedenfalls äußerst schwierig gestalten. Aber mal ernsthaft: Die Frage muss ich mit einem klaren “Nein” beantworten. Denn eine gute Führungskraft kann man nicht am Lebenslauf erkennen. Jeder Mensch ist einzigartig und aus ganz unterschiedlichen Gründen für diese Aufgabe geeignet – oder eben nicht. Da gibt es kein Patentrezept. Doch mir gefällt die Frage, weil sie zeigt, wie sich unsere Wahrnehmung von und unser Anspruch an Führung verändert. Und zwar nicht erst mit Blick auf das Jahr 2030. Der Transformationsprozess im Management hat schon längst begonnen. Wir arbeiten zunehmend projektorientiert, Hierarchien werden flacher. Die Statussymbole der jungen Generation sind Selbstbestimmung, sinnhafte Aufgaben und starke Netzwerke. Führungskräfte nehmen dabei immer mehr die Rolle des Enablers ein: motivieren statt anweisen, empowern statt kontrollieren. Die ideale Führungskraft zeichnet sich – heute wie auch in zehn Jahren – durch Empathie, Erfahrung, Agilität und Entschlusskraft aus. Die in der Frage genannten Eigenschaften sind dafür sicher gute Voraussetzungen. Und es ist ein großer Fortschritt, dass immer mehr Unternehmen das Potenzial von Diversity erkennen und heben, etwa indem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen, kulturelle Vielfalt fördern, oder Leistung auf allen Hierarchie-Ebenen sichtbar machen. Jedoch brauchen wir vielfältige, dynamische Teams – und nicht einzelne Menschen an der Spitze, die möglichst viele Diversity-Faktoren in sich vereinen. Herkunft, akademischer Grad oder Familienstatus sind keine Garantie für Führungsqualitäten. Eines kann ich aber dennoch aus eigener Erfahrung bezeugen: Wer es schafft, drei Kinder zu managen, der lässt sich auch im Arbeitsalltag so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Sylvie Nicol, Vorstand für Personal und Infrastruktur- Services Henkel Link
Gerald Hüther, macht die Digitalisierung uns dümmer oder schlauer?
Was die Digitalisierung mit uns macht, hängt davon ab, wie und wofür wir die neuen Technologien nutzen. Manche erweitern damit ihren Horizont, manche engen ihn ein. Aber die Digitalisierung bringt etwas mit sich, das uns alle gleichermaßen erfasst: eine in der Menschheitsgeschichte nie dagewesene Beschleunigung. Doch wofür ist sie gut? Biologen kennen sich selbst beschleunigende Prozesse. Sie sind zu beobachten, wenn Lebewesen ums Überleben ihrer Art kämpfen: Notreife, das Auswachsen geiler Triebe oder eine überbordende Samenproduktion bei Bäumen. Auch die mit der Digitalisierung einhergehende Beschleunigung lässt sich als eine sich selbst organisierende Überlebensstrategie verstehen. Und die Lösung, die sie erzwingt, liegt auf der Hand: Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Schäden, die eine Generation anrichtet, nicht erst zwei oder drei Generationen später zutage treten, sondern den Verursachern noch zu Lebzeiten auf die eigenen Füße fallen. Die Beschleunigung zwingt uns, aus den eigenen Fehlern zu lernen. Gerald Hüther, Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung Link
Michael Bolle, wann bringt uns die Kaffeemaschine den Kaffee ans Bett?
Ein angenehmer Gedanke, selbst nicht mehr zur Kaffeemaschine gehen zu müssen, nicht wahr? Ich halte Bewegung fürs körperliche Wohlbefinden allerdings für nützlich. Und da kommen wir schon zum Punkt: Automatisierbar ist nahezu alles. Die Frage ist aber: Wo bringt Vernetzung einen Mehrwert für uns Menschen? Die Antwort liegt nicht im technisch Möglichen, sondern im individuell Notwendigen. Das mag für einige ein vollautomatischer Kaffee-Kellner sein. Ich denke aber in anderen Dimensionen. Wir arbeiten an digitalen Schutzengeln, die uns ständig begleiten – im Auto, auf dem Fahrrad – und im Notfall eigenständig Hilfe organisieren. Auch denke ich an das Auto als Superhirn und niemals müden Co-Piloten für den Menschen. Oder an Technologien im smarten Zuhause, die helfen, den Haushalt ökologisch und effizient zu führen. Das ist Technik fürs Leben, für die sich Forschung und Entwicklung lohnen. Michael Bolle, Geschäftsführer Robert Bosch GmbHLink
Ulrike Handel, wozu braucht es in einer Welt der Influencer, Streamingdienste und digitalen Medien noch Mediaagenturen?
Vor meiner Zeit bei Dentsu Aegis habe ich mich das auch gefragt. Damals wurden noch Dinge dis- kutiert, die für mich selbstverständlich waren: Ob Agenturen Berater seien, ihre Strukturen nach Kundenbedürfnissen ausrichten und ihr Geschäft rund um Da- ten ausbauen sollen. Heute ist klar: Me- diaagenturen müssen all dies natürlich erfüllen. Und wir tun das! Wir haben uns effizienter aufgestellt und unsere Agentu- ren in vier Geschäftsbereiche organisiert. Unser Beratungsspektrum reicht von Media über Kreation, CRM und Social Media. Diesen Change-Prozess macht unsere Organisation parallel zum Tages- geschäft. Denn Transformation heißt: Bestehendes optimieren! Wir entwickeln neue Produkte und Innovationen, stär- ken bestehende Bereiche durch Zukäufe und schaffen eine agile Infrastruktur. Wir haben über 20 Prozent Neugeschäfts- wachstum allein 2019, stehen für Erfolg und für ein starkes Führungsteam. Vom Ende dieses Geschäftsmodells sind wir meilenweit entfernt! Ulrike Handel, Geschäftsführerin Dentsu Aegis Network Deutschland Link
Gerrit Schumann, ist der Verlag der Zukunft ein Bildungsunternehmen?
Bildung und Weiterbildung sind zentrale Themen für unsere Medien. Ein großes Bedürfnis vieler unserer Leserinnen und Leser ist es, Wissen aufzubauen für fundierte Entscheidungen – in unserem Fall in einem wirtschaftlichen Kontext. Ich glaube, das wird für den Verlag der Zukunft eine immer wichtiger werdende Komponente für Wachstum sein. Darin sehe ich gleichzeitig eine große Chance – denn digital können wir dabei spezifisch und sehr genau auf einzelne Zielgruppen oder sogar den Einzelnen eingehen und so einen hohen individuellen Mehrwert liefern. Daran zeigt sich auch, ob die digitale Transformation unserer Geschäftsmodelle erfolgreich ist, wenn wir mit modernen, digitalen Produkten neue Zielgruppen erreichen und die Interessen unserer jetzigen Leserschaft vertiefter und individueller bedienen. Aus dem Grund haben wir mit “Ada” eine große Bildungsinitiative zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und der Bundesregierung gegründet, mit dem Ziel, die digitale Transformation in deutschen Unternehmen zu unterstützen. In dem einjährigen Fellowship-Programm steht vor allem der fachlich moderierte, unternehmensübergreifende Austausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vordergrund. Denn richtig interessant wird es dann, wenn nicht wir alleine der Absender sind, sondern wenn wir als Plattform für Communitys auch den direkten Austausch und somit eine offen gestaltete Bildung fördern. Das wird sowohl für unsere Medien “Handelsblatt” und “Wirtschaftswoche” als auch auf unseren Veranstaltungen eine immer größere Rolle einnehmen: Auf der einen Seite Weiterbildung als smarten, digitalen Service anbieten und auf der anderen den Austausch in der Community fördern. Gerrit Schumann, Geschäftsführer Handels- blatt Media Group Link
Horst von Buttlar, wo kann man sein Geld mit gutem Gewissen und schlechten Zinsen anlegen?
Wenn ich wüsste, was die richtige Geldanlage ist, müsste ich nicht darüber schreiben, sondern wäre ein reicher Mann. Aber Spaß beiseite: Das neue Jahrzehnt wird für Anleger nicht einfach werden. Vermutlich werden sich viele auf niedrigere Renditen einstellen müssen als in der Vergangenheit. Vorweg: Das Thema Nachhaltigkeit ist da und geht nicht mehr weg. Denn es ist keine Frage der Mode, sondern der Regulierung. Klar, viele Unternehmen betreiben Greenwashing und CO2-PR – aber die drei Buchstaben ESG (Environmental, Social, Governance) sind aus dem Asset Management nicht mehr wegzudenken, weil der Zeitgeist und die EU es so wollen. Renditen werden also schmaler und grüner, selbst wenn manche mit Öl noch prächtig verdienen werden. Der Rest meiner Antwort klingt wie ein alter Schlager und Spinat: Die Zinsen werden niedrig bleiben oder nahezu verschwunden sein. Viele mögen den “armen deutschen Sparer” beklagen und auf die EZB schimpfen – es ist müßig und ungerecht. Die Gründe für Null- und Negativzinsen sind kompliziert, die Lektion ist viel wichtiger: Gerade wir Deutschen müssen noch mehr lernen, umzudenken, rein ins Risiko! Soviel zum “alten Schlager”. Nun zum “Spinat”: Wir wissen, dass er gesund ist, trotzdem essen wir ihn ungern. Das gleiche gilt für den Aktienmarkt. Die Börsen sind zum Ende des Jahrzehnts gut gelaufen, oft auf neuen Höchstständen, aber an Aktien führt kein Weg vorbei. Und hier gilt: Breit streuen, einen langen Atem mitbringen – nicht vom täglichen Geschrei ablenken lassen, nicht zocken, nicht die Nerven verlieren. Horst von Buttlar, Chefredakteur “Capital” Link