Blattkritik: Carsten Könneker, Chefredakteur “Spektrum der Wissenschaft”, über “National Geographic”.

blattkritik-koenneker-ng20150809_600Carsten Könneker, Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft, kauft National Geographic wegen der Fotos. Die App findet er gelungener als die Druckausgabe.

Er freue sich sehr, dass dieses Magazin nun auch auf Deutsch erscheine, schrieb der Physiker Arnold Schmidt im Oktober 1999 der Erstausgabe von “National Geographic Deutschland” als Willkommensgruß ins Stammbuch. “Forschung für eine breite Leserschicht spannend und geschmackvoll aufzubereiten, war schon bisher das Markenzeichen dieser Zeitschrift”, so der Professor weiter. Ein großzügiger Begriff von Forschung, der das Magazin mit dem gelben Rahmen bis heute prägt und trägt.

Freilich, das Heft ist dünner geworden. Statt 264 Seiten, für die ich als Leser der ersten Stunde damals 5,00 D-Mark ausgab, aktuell noch 154 Seiten für 5,50 Euro. Doch was besagt schon die Anzahl der Seiten? Leserinnen und Leser kaufen heute selektiver, die Nachfrage geht weg vom Wunderhorn eines waschechten Magazins hin zu Spezialausgaben mit schmalerem thematischem Fokus. “Hiermit bestelle ich mein Abo ab, Sie schicken einem sonst ja ständig neue Hefte ins Haus!” Für viele Menschen ist weniger mehr.

Doch auch die Ausstattung des Heftes hat nachgelassen, und das ist schade. Während Klaus Liedtke noch schnieke ausklappbare Infografiken produzieren und großformatige, doppelseitig bedruckte Poster beilegen durfte, ist das “National Geographic” von Florian Gless im August 2015 so etwas wie ein – ganz normales Heft. Sowie eine App, logisch, und als solche nicht nur preislich die bessere Variante. Denn was mein Leserherz für “National Geographic” schlagen lässt (sorry, Professor Schmidt), ist nicht Forschung, sondern Foto.

Und die Bildersalven knallen auf dem Tablet einfach besser. Schade nur, dass die teils geringe Bildauflösung der NG-App es nicht erlaubt, frei nach Schnauze ohne Qualitätsverlust reinzuzoomen. Etwa in die pittoresken Kostüme der “Fiesta de la Candelaria”-Parade in Puno, Peru. Oder in das imposante Bullenhai-Happening vor der Fidschiinsel Viti Levu.

Besser funktioniert das Zoomen paradoxerweise jenseits der Aufmacher-Rubrik “Zoom”, zum Beispiel bei der Infografik zum weltweiten Konsum von Marihuana, die das gut gewählte Titelthema des Augustheftes ergänzt. Hier geht es dann auch tatsächlich um Forschung: das therapeutische Potenzial von Cannabinoiden bei chronischen Schmerzen, Epilepsie und womöglich sogar Krebs. Eine gut erzählte, vielschichtige Geschichte, in der App noch nett erweitert durch das mit deutschen Untertiteln unterlegte, unter die Haut gehende Video “Cannabis für Kids”.

Bei der App genieße ich auch, dass Bildunterschriften zunächst ausgeblendet sind. Davon profitieren vor allem die besonders ästhetischen Bilder, etwa die Unterwasseraufnahme eines Schwertwals, der einen ganzen Heringsschwarm in Schach hält. Oder ein wunderbar ausgeleuchtetes Bild eines schnöden Knoblauchs, das einen Artikel über die Sinneswelt von Pflanzen ziert – ein überraschendes Thema, über das man sich freilich schon im Frühjahr 2014 bestens im G+J-Schwesterheft “GEO kompakt” hätte informieren können.

Abseits von Videos und Animationen liefert die App ein weiteres Zusatzelement: ein zweites Editorial im Inhaltsverzeichnis, dessen Zweck sich mir nicht erschließt. “National Geographic” zeige, so lese ich darin, “wie großartig unsere Erde noch immer ist”. Noch immer. Dies ist auch mein persönliches Fazit dieser kurzen Blatt- und App-Kritik. Ein bisschen ist “National Geographic” wie die Erde, das zentrale Objekt der Berichterstattung. Die meisten Storys sind noch immer gut und die Bildwelten teils noch immer grandios. Doch das gedruckte Heft gewährt den Inhalten nicht mehr, was ihrer vollen Entfaltung im Jahr 2015 dient – die App hingegen tut es.

Bisher wurden folgende Titel einer Blattkritik unterzogen: 11 Freunde, B.Z., Cicero, Clap, c’t, Donna, Enorm, Euro am Sonntag, Fit for Fun , Gala, Geo Wissen Gesundheit, Kontext, National Geographic, People, Playboy, Séparée, Sneaker Freaker, Women’s Health, Zeit-Magazin.

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