Blattkritik: Florian Eder, Managing Editor Politico, über Bento.

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Florian Eder liest sich für turi2 durch Bento, den Junge-Leute-Ableger von Spiegel Online. Der Managing Editor bei Politico.eu und Autor des täglichen Briefings Morgen Europa findet vielversprechende Ansätze, wünscht sich aber mehr versprochene und dann eingehaltene Relevanz.

Bento “erklärt die News, zeigt das Beste aus dem Web und erzählt packende Stories. Nachrichten und Journalismus für alle, die im Internet zu Hause sind”, sagt Bento aus dem Hause Spiegel Online über sich selbst. Das weckt bei mir Erwartungen nach eigenen Zugängen zu großen politischen und gesellschaftlichen Themen, aufbereitet für eine Altersgruppe von 18 bis 30, die wir alle gern zu unseren Lesern zählen würden.

Die Aufmachung ist vielversprechend. Schlank in der Struktur ist die Seite und visuell opulent: Zeile und, kleiner, Autor und Veröffentlichungsdatum auf Optik, sonst nichts. Bis auf den Seitenaufmacher ist alles gleich groß. Bento.de ist eine ästhetische Freude. Es gibt keine Seitenleisten, nichts liegt oben quer drüber außer einem schmalen und textfreien Streifen mit einem Facebook- und Twitter-Symbol und einem ausklappbaren Menu. Auf meinen Mobilgeräten sieht die Startseite auch sehr hübsch aus.

Bento.de sortiert Artikel nicht nach Relevanz, so weit ich das erkennen kann. Das stört mich. Es springt mich aber auch kein selbst startendes Video an. Das mag ich, weil ich zu der bei Werbekunden leider sehr unbeliebten Gruppe gehöre, die sehr gerne Herr darüber ist, was sie wann ansehen oder lesen möchte.

Die Mischung. Bento veröffentlicht alles als Instant Article auf Facebook, die inhaltliche Komposition der Homepage scheint daher nicht die Hauptsorge der Macher. Am Samstagabend war dort unter den drei Aufmacher-Kacheln eine politische Geschichte. “Gerechtigkeit” heißt der Hashtag, unter dem Politik, Wirtschaft und Gesellschaft firmieren, wobei Wirtschaft in den vergangenen Tagen nicht stattfand. Eine Ebene darunter fand ich einen weiteren Artikel zu #Gerechtigkeit, eine Geschichte der Demos zum 1. Mai. Das war es nicht nur mit Politik, sondern überhaupt mit Geschichten, die “News erklären”. Für eine Auch-Nachrichtenseite war mir das zu wenig.

Manche Inhalte tragen das Label “Story”, im Gegensatz zu “Quiz”, was sich erklärt, und anderen Artikeln, die als nichts von beiden ausgewiesen werden und dann sich meistens als eine wohlkuratierte Sammlung von Tweets und Youtube-Videos herausstellten, das Beste aus dem Web halt.

Unter #Fühlen gibt es Texte zu jeder Lustlaune von keinem Sex über Sex während der Tage (überaus unappetitlich bebildert für jemanden, der in einer Frittenhauptstadt lebt), schlechten und unverhüteten Sex über einen ausführlichen Versuch, den so weithin bekannten wie dann doch individuellen Geruch und Geschmack von Geschlechtsorganen (“untenrum”) zu beschreiben, über eine neue Indifferenz gegenüber der Intimrasur und gelegentlichem gleichgeschlechtlichen Sex bis zu einem unbedingten Plädoyer für Sex am ersten Abend. Zum größten Teil aus der Perspektive von Frauen übrigens.

Alle diese Geschichten leben von der ich-Form oder von anderweitiger anekdotischer Evidenz. Mir ist das zu wenig. Ich bekomme gerne News erklärt, auch wenn ich sie noch lieber anderen erkläre, aber das ist eine Berufskrankheit, mit der alle Journalisten leben müssen. Was mir bei Bento fehlt: Ich fand nichts über Außenpolitik, nichts über Wirtschafts-, Sozial- oder Innenpolitik. Nichts über die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst, nichts zur Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie.

Beides sind Themen, die ich auch sonst nirgends für die Bento-Zielgruppe der 18- bis 30-Jährigen aufbereitet gefunden habe. Sicher geht den Gewerkschaften genau wie Medienunternehmen die junge Anhängerschaft aus. Das hilft aber meinen Eindruck nicht ab, dass Bento sich vor allem um Studenten kümmert, ihre Nöte mit Erfurter Straßenbahnschienen und der Frage, welche Pizza heute Abend auf den Tisch kommt.

Was nicht vorkommt, sind die Belange derjenigen jungen Leute, die schon Geld verdienen und sich für #Gerechtigkeit interessieren, jedenfalls für Steuern, Rentenbeiträge und die Auswirkungen der Geldpolitik, während Mama anderen noch die Wäsche macht. Das bedient mit einigem redaktionellem Aufwand eine Blase in der Blase, deren Bedürfnisse Aggregations-Algorithmen wahrscheinlich bald besser kennen.

Die Geschichten. Schauen wir uns einen Text genauer an. “Wir waren bei der Anti-AfD-Demo in Stuttgart, bei der die Polizei 400 Menschen in Gewahrsam genommen hat”, war die Zeile des Aufmachers am Samstagabend. Zu lesen gab es einen unaufgeregten Text, der den Tag der Gegendemonstranten Revue passieren lässt. Deren Tag war in einigen Fällen – die Spiegel Online heftige Randale nannte – früh zu Ende. Der Bento-Text ging weiter.
Man merkt der Stuttgarter Geschichte aber leider nicht an, dass Bento tatsächlich dabei war. Ein Pressesprecher des Protestbündnisses wird zitiert, Tweets von Teilnehmern und Polizei. Das ist alles sehr internet-affin, aber nichts atmet Augenzeugenschaft.

Reporterbequemlichkeit und fehlendes Gegengewicht durch einen Redakteur verrät ein bestimmt gut gemeinter Link-Verweis, der hier keine weiterführende Lektüre anbietet, sondern den eigenen Faktencheck ersetzt: “Laut Polizei sollen die Gegendemonstranten auch Holzlatten und Eisenstangen dabei gehabt haben. (Der Tagesspiegel)”, heißt es bei Bento. In diesem Fall hätte ein schlichter eigener Anruf bei der Polizei genügt.

Dass der ausblieb ist schade, denn der Autor war tatsächlich in Stuttgart, er hat alle (und gute) Fotos einer in den Artikel integrierten und auf der Homepage noch einmal eigens gespielten Bilderstrecke zum selben Thema gemacht. Am Samstagmittag ging aus derselben Feder auch noch ein hübsch portionierter Überblick über Programm und Streitpunkte des AfD-Parteitags selbst online, geschrieben mit der Autorität eines Reporters, der etwas von seinem Beritt versteht.

Die Überschriften. Mein Überschriftenpreis geht an den Macher der Zeile: “Ein Typ baut den Eurovision Song Contest aus Lego nach.” Das ist glänzend, weil es genau dem Küchenzuruf zu der Geschichte entspricht. Niemanden interessiert als Erstes, dass der “Typ” ein 23-jähriger Schwede oder auch ein “Social-Media-Experte” ist. “Conchita goes Lego” überschrieb das Magazin Männer (“#smart #sexy #schwul” – eine einfachere Zielgruppe, als Bento sie hat) dieser Tage ein paar Sätze zum selben Thema, wobei es Conchita Wurst als Legofigur längst gab. Bento gefällt mir da besser.

Andere bento-Überschriften sind auf die erste Maxime der Reichweitenstrategie getrimmt: Zeilen dürfen auf keinen Fall als Spoiler dienen. Sie dürfen nichts verraten, was dem Nutzer einen Klick erspart. Bei Bento folgen sie nahezu ausnahmslos der Machart “warum” (…wir öfter mit Freunden Sex haben sollten), “diese” (…Pizzen mögen Studenten am liebsten) und, wenn es jemand doch einmal gut mit dem Leser meint: “wie” (…Netzaktivisten einem Flüchtling erst zu Geld verhalfen und sich nun zerstreiten – eine gute Geschichte über genau das, was die Zeile verspricht).

Bei Bento macht mich diese Masche insgesamt weniger rasend als auf Spiegel Online oder Welt.de. Dennoch wirkt es einfallslos, wenn einem diese bestimmt klickträchtigen Zeilen nicht irgendwo zwischendurch in Chronik oder Timeline begegnen, sondern eine neben der anderen auf Bento.de steht.
Dazu kommen noch ein paar Geschichten der Art: “Das kennst Du nur, wenn…”. Ein netter Versuch, Facebook-Flügelschlagen in Journalismus umzusetzen.

Drei Gründe, warum Bento noch besser werden muss: Erstens. Das Team solle sich etwas trauen und dürfe auch mal “daneben hauen”, sagte Geschäftsführerin Katharina Borchert zum Bento-Start in der “Süddeutschen Zeitung”. “Wenn das nicht passiert, dann sind sie nicht mutig genug.” Bentos größte Provokation der vergangenen Tage war wahrscheinlich das Foto eines halbvollen Aschenbechers.

Zweitens. Für den Spiegel-Verlag sollte bento.de die Plattform sein, die Native Advertising mal ausprobiert. Ich habe keine Werbung dieser Art gesehen und auch wenig klassische.

Drittens. Zielgruppen-, also Nischenjournalismus halte ich für eine irrsinnig vielversprechende Sache. Er muss aber Relevanz versprechen und das auch einlösen, um Erfolg zu haben. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie das ohne übertriebenen Ernst geht: Bentos 33 Dinge, die Erwachsene angeblich im Haus haben.

Ich pitche hiermit: Diese 5 politischen Themen musst Du kennen, bevor Du wählen gehst.

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Die Blattkritik erscheint jeden Sonntag bei turi2.de und folgt dem Prinzip des Reigens.

Am vergangenen Sonntag hat Ole Reißmann, Redaktionsleiter Bento.de, “Neon” kritisiert.

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