Blattkritik: Nora-Vanessa Wohlert, Chefredakteurin von Edition F, über Morgen Europa.

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Nora-Vanessa Wohlert, Gründerin und Chefredakteurin der weiblichen Business-Lifestyle-Plattform Edition F, liest für turi2 den Politico-Newsletter Morgen Europa von Florian Eder. Sie schätzt den Insider-Blick, wünscht sich aber mehr Einordnung – und mehr grafischen Mut.

Zielgruppenspezifische Angebote sind die Zukunft des Journalismus: denn wenn Journalisten an ihre Leser denken und Redaktionen endlich wieder auf die Bedürfnisse ihrer Leser reagieren, hört das mutlose hinter Klickzahlen her rennen auf. Als so ein Medium nehme ich Politico wahr. Das vorweg.

40 Journalisten für ziemlich wenig Leser
Meine persönliche Freude war also ziemlich groß, als Politico, das Medium, das in Washington für Politiker, Lobbyisten und Journalisten unverzichtbar scheint, 2015 nach Europa kam. Dass mit Springer ein großer Verlag in das Thema investiert hat, hielt ich aus mehrfacher Sicht für spannend. Klar, Springer musste seine Liebe für Journalismus unterstreichen, aber ich empfand diesen Schritt auch als wertvolles Signal für den Glauben an guten Journalismus. Denn Springer investiert nicht alleine fürs Prestige, es muss also auch um Zahlen gehen. Durch das Joint Venture war Politico zudem von Anfang an personell gut aufgestellt, über 40 Journalisten arbeiten von Anbeginn bei Politico in Europa.

Der Anspruch, mit dem Politico 2015 in Europa startete, war ein großer. Das einflussreichste Magazin im Brüsseler Politikzirkus werden. Ein wöchentliches Magazin, eine täglich aktuelle Webseite und vor allem spezifische Newsletter versprach das Medium, so ist es auch gekommen. Sich nur an Menschen zu richten, die Entscheidungen treffen, ist ein großes Vorhaben, eines, das nur aufgehen kann, wenn man ganz nah dran oder mittendrin ist. Investigativ arbeitet und genial ist.

Machen Newsletter noch Sinn?
Ich muss offen und ehrlich gestehen, dass ich nicht sagen kann, ob die Redaktion diesen Ansprüchen bisher gerecht wird. Wahrscheinlich gehöre ich eben nicht zur Kernzielgruppe. Ich lese den Newsletter “Morgen Europa” also zum ersten Mal.

Seit März gibt es diesen Newsletter für Entscheider hier in Deutschland, mit europäischem Fokus, auf Deutsch. Geschrieben wird er von Florian Eder, der Managing Editor bei Politico ist. 5.000 Leser wollte der Newsletter zunächst erreichen. Gute Sache.

Auch wenn ich es immer wahnsinnig finde, wie früh man als Journalist aufstehen muss, um mit ganz aktuellen Themen in den Posteingängen der Menschen zu landen, die gerade die Augen geöffnet haben oder auf dem Weg zur Arbeit sind. Der lang für verstaubt erklärte Newsletter hat für mich nicht erst seit My Little Paris, Lena Dunhams Lenny Letter oder The Skimm wieder viel Modernes bekommen. Ich bin großer Newsletter-Fan und bekomme jeden Morgen etwa fünf, die ich wirklich dezidiert lese. Newsletter sind weit unterschätzt und ein ziemlich kluger Weg, um Leser zu binden und auf die Webseite zu führen. Zumal Politico die Leser vorab ganz genau gefragt hat, was sie gerne in ihr Postfach haben wollen. Sehr kluger Schachzug.

Ich öffne also mal den Newsletter von Freitag, dem 13. Mai 2016. Und hoffe, dass das kein schlechtes Omen ist.

Der erste Eindruck
Positiv fällt mir direkt auf, dass ich die Mailadresse des Newsletter-Autors bekomme. Wenn da mal ein Einwand oder eine Frage bleibt, kann ich diesem direkt schreiben.

Der Betreff fasst die wichtigsten Geschichten zusammen, das kann funktionieren und Lesern helfen, zu entscheiden, ob sie tiefer einsteigen wollen. Allerdings wird der Newsletter dadurch recht lang. Sicher könnte es Sinn machen, den Newsletter anhand einer großen Geschichte aufzumachen.

Was ich sehe, ist zudem ein reiner Text-Newsletter – also keine Bilder – was für mich wie eine zu große Informationsflut wirkt. Ein Bild hier und da oder sogar Videos und Tweets könnten für mehr Abwechslung sorgen.

Die Struktur
Ich werde sofort in die Themen reingeworfen. Der Newsletter startet mit der Türkei. Ein Hallo oder eine persönliche Einschätzung oder eine Einleitung vermisse ich. Wo bin ich hier und wer schreibt mir, was treibt diese Person an, frage ich mich zunächst. Ein Hinweis auf den Namen des Newsletters und die Einladung zum Abo folgen erst nach zwei Absätzen, das verwundert etwas, ist aber sicher eine klassische Frage der Gewohnheit.

Im Folgetext strukturiert sich der Newsletter anhand von gefetteten Key-Wörtern, teilweise auch in Großbuchstaben. Zusätzlich werden hier und da Namen hervorgehoben. Auch hier erkenne ich keine bewusste Struktur, die mich als Leserin ausreichend führt. Da könnte man sicher einfach dran arbeiten. Zumal ich als Leser die Expertise und Einschätzung von Florian Eder erwarte, der meinem Kenntnisstand der verschiedenen Themen mit Sicherheit 1.000-fach voraus ist.

Der Inhalt
Wie gesagt, ich bin keine Europa-Expertin, wenn doch Politik-Ressort-Leserin und Tagesthemen-Zuschauerin.

Die Geschichte, die mich zum Lesen einlädt und mit der der Newsletter aufgemacht wird, ist die Türkei. Die Geschichte kenne ich bereits seit gestern, denke ich mir. Was in den nächsten Absätzen folgt, wusste ich aber noch nicht. Jetzt habe ich den Eindruck, dass er mir Insider-Einblicke gibt, natürlich ein Mehrwert. Mehr davon: Denn neben einigen weiteren kurzen Snippets über Google, Kanada und TTIP fehlen mir Links zum Weiterlesen. Dabei habe ich gar nicht das Gefühl, nun schon richtig Bescheid zu wissen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn ich immer, wenn ich etwas spannend finde, einfach auf “weiterlesen” klicken und den Hintergrund, eine Meinung oder eine ganz andere Einschätzung entdecken könnte. Links zu anderen Medien habe ich mir hier genauso gewünscht wie Links zu Politico.

Es lebe Europa

Ein Newsletter mit Europa-Thema. Klasse, denke ich mir als Europa-Fan und trotzdem geht da noch mehr. Ich will wissen, was Florian Eder weiß, was er denkt und wie ich die gesamte Informationsflut einzuordnen habe. Dann hat der Newsletter einen Abonnenten mehr.

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Die Blattkritik erscheint jeden Sonntag bei turi2.de und folgt dem Prinzip des Reigens.

Am vergangenen Sonntag hat Florian Eder, Managing Editor bei Politico.eu, Bento.de kritisiert.

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