Buchkritik: “Einer muss den Job ja machen” – der erste Krimi von Lars Haider, Chefredakteur des “Hamburger Abendblatt”.
19. September 2023
Journalisten-Morden im Norden:Lars Haider, im Hauptberuf Chefredakteur von Funkes “Hamburger Abendblatt”, profiliert sich immer öfter als Buch-Autor. Ende 2021 legte er das erste Buch über Kanzler Olaf Scholz vor, Mitte 2022 folgte ein Buch-Porträt über ZDF-Talker Markus Lanz. In diesem Spätsommer zeigt Haider, dass er auch Krimi kann: Mit Einer muss den Job ja machen, veröffentlicht er ein fiktionales Werk – sein erstes unter Klarnamen. Es soll der Auftakt einer ganzen Krimi-Reihe sein, die – natürlich – in Hamburg spielt, einen Journalisten zur Hauptfigur hat und den Musiker Udo Lindenberg als prominente Neben-Figur einführt. Beim Lesen erfreut sich turi2-Chefredakteur Markus Trantow an vielen Charakteren, die ihn an prominente Köpfe aus Politik und Medienbranche erinnern.
Eine Reihe von Journalisten-Morden erschüttert die Hansestadt Hamburg. Zwei Reporter des renommierten “Politik Insider” werden kurz nacheinander tot aufgefunden, ein Anschlag auf eine weitere Journalistin scheitert spektakulär. Die Polizei tappt im Dunkeln, gemeinsam mit der Politik lässt sie sich von den Schlagzeilen der Boulevard-Presse treiben. Kurz zuvor hat Hamburg sein größtes Trauma seit der Flut-Katastrophe von 1962 erlebt: brennende Straßen während des G20-Gipfels 2017. Eher unfreiwillig, weil er eigentlich im Sabbatical ist und mit seiner Ehefrau das erste Kind erwartet, gerät Lukas Hammerstein, Reporter bei der Tageszeitung “Hamburg News”, in den Fall hinein. Er ist es, der den Job am Ende machen, die Ermittlungen zu Ende bringen muss. Das ist die Ausgangslage, auf der Lars Haider seinen ersten Kriminalroman aufbaut, der Auftakt einer ganzen Roman-Reihe sein soll.
Der Chefredakteur des “Hamburger Abendblatt” adressiert auf seinen 384 Seiten die übliche, vor allem weibliche Krimi-Kundschaft. Doch auch wer sich für die Medien interessiert, nicht nur am langsam ausblutenden Standort Hamburg, kommt auf seine Kosten. Auch weil Haider seine Journalisten-Figuren deutlich weniger eindimensional anlegt, als wir es aus dem sonntäglichen “Tatort” oder vielen anderen Krimi-Reihen kennen. Sein Personal-Tableau ist genauso bunt wie die Medienwelt selbst – zuweilen glaubt man, sich in einem Schlüsselroman zu befinden. Wenn ein Magazin-Chefredakteur mit Kriegsreporterhintergrund wegen diverser Affären mit Volontärinnen sich wegen Machtmissbrauchs verantworten muss oder ein Boulevard-Reporter, der früher mal Edelfeder war, in jedem seiner Texte Hass aufs Medien- und Politik-Establishment durchblicken lässt, werden die realen Vorbilder der Charaktere sehr greifbar. Auch für den Alt-Verleger Karl Friedrichsen und den zahlenverliebten aber sonst kaltherzigen Medien-CEO Martin Grube fällt es nicht schwer, reale Entsprechungen zu finden.
Hauptfigur Lukas Hammerstein, der womöglich nicht zufällig die gleichen Initialen führt wie Autor Lars Haider, balanciert auf gleich mehreren Drahtseilen: Privat muss er seiner hochschwangeren Frau verheimlichen, dass er seine dreimonatige Arbeits-Auszeit nicht ganz so genau nimmt, wie sie sich das wünscht. Beruflich erlebt er das, was Medienschaffende überall auf der Welt kennen: Versuche der Einflussnahme. Dass er die Avancen eines reichen Polit-Strategen ablehnt, ist Ehrensache. Aber wie verhält es sich mit der Nähe zur Politik? Der erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt ist einer von Lukas’ engsten Jugendfreunden – einmal pro Monat treffen sie sich mit weiteren Freunden zum Umtrunk.
Überhaupt, der Bürgermeister: Er heißt bei Haider Julius Wolff, neigt dazu, auf Pressefragen eher unkonkret zu antworten oder jedenfalls so, dass sich daraus im Nachhinein kein Strick drehen lässt, und hat Ambitionen auf das Kanzleramt. Da braucht es kaum den Zusatzhinweis, dass Haider die erste Biografie über Kanzler Olaf Scholz geschrieben hat, um zu erkennen, wer hier Vorbild ist.
Spannend auch, wie Haider Diskussionen aufgreift, die zuweilen die Gesellschaft quer durch die Generationen spalten. Im Erstling ist es die “Lügenpresse”-Bewegung, der Online-Hass und die Hetze gegen Medienschaffende, die der Autor immer wieder anspricht. Auch Polizeireporterin Kaja, die sich mit Vorliebe in Polizisten verliebt, deren wahre Liebe aber eine etwas übertriebene Gendersprache ist, dürfte polarisieren.
Haider legt mit “Einer muss den Job ja machen” einen unterhaltsamen Regionalkrimi vor, dem es gelingt, die Spannung bis fast zur letzten Seite zu halten. Das ist umso erstaunlicher, weil auf der ersten Seite schon klar wird, wer hinter den Verbrechen stecken wird, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geschehen sind. Dabei streift er die für Regionalkrimis typischen Klischees – wenn überhaupt – nur am Rande. Haider schafft es, gesellschaftlich relevant zu sein, ohne in Sonntagspredigten zu verfallen. Er beweist einen feinsinnigen Humor, ohne seine Figuren lächerlich zu machen – selbst jene nicht, die es aus Sicht des Lesers durchaus verdient hätten.
Die heimlichen Stars der Reihe sind aber vor allem Dackeldame Finchen und Udo Lindenberg. Mit den Ticks und Hinterlassenschaften des Hundes müht sich Hammerstein redlich – ihr reales Vorbild lebt im haider’schen Haushalt. Auch der in Hamburg ansässige Panik-Rocker Lindenberg spielt eine tragende Nebenrolle, die maßgeblich zur Auflösung des Mordkomplotts beiträgt. Zudem wird der zweite Teil der Hammerstein-Reihe “Ich lieb’ dich überhaupt nicht mehr” heißen und damit wie schon der Erstling den Titel eines Lindenberg-Songs tragen.
Zum Buch
“Einer muss den Job ja machen”
Hammersteins erster Fall von Lars Haider ist bei Hoffmann und Campe erschienen und kostet 18 Euro. Im April erscheint Hammersteins zweiter Fall “Ich lieb’ dich überhaupt nicht mehr”. thalia.de, hugendubel.de, amazon.de
(Fotos: Picture Alliance, Hoffmann und Campe / Montage: turi2)