“Eine geringere Auflösung kann auch mal reichen” – Sebastian Klöß über die Nachhaltigkeit von Streaming.
15. Dezember 2022
Die Umwelt guckt in die Röhre: Vielen ist gar nicht bewusst, dass ein Serien-Marathon bei Netflix, Prime und Co. ebenso CO2 produziert wie beispielsweise eine Fahrt mit dem Auto. Sebastian Klöß, Referent Consumer Technology beim Branchenverband Bitkom, erklärt im Interview, dass es dabei auf viele Faktoren ankommt: “Muss ich wirklich jeden Inhalt in 4K streamen?” Auch die Wahl des Geräts spielt eine Rolle. Die gute Nachricht: “Jeder und jede kann viel dafür tun, dass der CO2-Ausstoß so gering wie möglich ausfällt.”
Sebastian Klöß, stimmt der Spruch: Streaming ist das neue Fliegen?
Die Aussage ist ganz sicher nicht korrekt. Die Schlagzeilen von der Streaming-Scham und vom Streamen als dem neuen Fliegen erschienen 2019 auf Basis eines Berichts des französischen Think-Tanks The Shift Project. Deren Annahmen wurden inzwischen widerlegt – und The Shift Project musste unter anderem eingestehen, Bits und Bytes verwechselt zu haben. Der CO2-Ausstoß beim Streamen hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab und hier kann jeder und jede viel dafür tun, dass dieser so gering wie möglich ausfällt.
Wenn ich eine Stunde lang eine Netflix-Serie in bester Auflösung streame, wie viel CO2 produziere ich dann?
Schaue ich die Serie in 4K auf einem 65 Zoll großen Fernseher, benötige ich pro Stunde ungefähr 1,28 Kilowatt an Strom, dieselbe Serie in 4K auf einem Smartphone benötigt etwa 1,14 Kilowatt pro Stunde. Geht man vom deutschen Strommix aus, bedeutet das 537,6 bzw. 478,8 Gramm CO2. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen theoretischen Wert, denn Rechenzentren werden überdurchschnittlich mit erneuerbaren Energien betrieben. Zum Vergleich: Wer in einem PKW der Mittelklasse mit Benzinmotor 1 km weit fährt, stößt rund 200 Gramm CO2 aus.
Wie schneidet Video-Streaming im Vergleich zu Audio-Streaming ab?
Da beim Videostreaming die nötige Datenmenge deutlich größer ist, benötigt Audiostreaming in den Rechenzentren und bei der Übertragung weniger Energie. Außerdem benötigen die Endgeräte, auf denen wir Musik hören, beispielsweise das Smartphone mit Kopfhörern oder die Bluetooth-Box, weniger Energie als ein Fernseher mit seinem Bildschirm. Als Richtwert gelten 0,06 Kilowatt pro Stunde Audiostreaming.
Sollten wir jetzt wieder Videokassetten auf einem alten Röhrenfernseher anschauen – oder gibt es Möglichkeiten, nachhaltiger Videos zu streamen?
Jede und jeder hat die Möglichkeit, seinen individuellen Stromverbrauch beim Streaming zu senken. Streame ich auf dem Smartphone statt auf dem großen Fernseher, benötigt das weniger Strom. Und: Derselbe Inhalt als Stream in HD-Qualität auf dem Smartphone benötigt pro Stunde 0,22 Kilowatt, auf einem 50-Zoll-Fernseher 0,30 Kilowatt und auf einem 65-Zoll-Fernseher 0,37 Kilowatt. Außerdem kann ich die Auflösung reduzieren und mich fragen, ob ich wirklich jeden Inhalt in 4K streamen möchte oder ob nicht auch HD oder sogar mal SD ausreichen. Und: Festnetz, gegebenenfalls in Kombination mit Wlan, benötigt deutlich weniger Energie als eine Mobilfunk-Übertragung. Wer über einen aktuellen Fernseher streamt, kann auch die Bildoptimierung reduzieren und dadurch Strom sparen. Ein Fernseher im HDR-Modus mit größerem Kontrast und erweitertem Farbraum benötigt mehr Energie als im SDR-Modus mit Standard-Dynamikumfang. Auch die Helligkeit des Fernsehers zu reduzieren, spart Strom.
Lese-Tipp:
Der Bitkom gibt in einem Leitfaden Tipps, um den CO2-Fußabdruck beim Streaming zu senken. Hier downloaden >>>
Liegt die Verantwortung nicht auch bei den Plattformen und Providern von Kommunikationsnetzen?
Die Plattformen und Provider sind sehr an einer Senkung des Energiebedarfs beim Streamen interessiert, schon alleine, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und auch schlicht, um ihre Stromkosten zu senken. Sie entwickeln daher beispielsweise die eingesetzte Komprimierung laufend fort, um die nötigen Datenmengen zu reduzieren. Mit effizienten Ausspielverfahren gelingt es, die Bitrate zu senken, ohne bei der Qualität Abstriche machen zu müssen. Zum Beispiel können bei Titeln mit wenig Bildwechseln, etwa einer Naturdoku, sehr viel geringere Bitraten eingesetzt werden als bei einem schnellen Actionfilm. Außerdem lässt sich der Weg, den die Daten zur Zuschauerin oder dem Zuschauer zurücklegen müssen, optimieren. Besonders häufig genutzte Inhalte können nahe bei den Nutzerinnen und Nutzern bereitgestellt werden.
Ist lineares Fernsehen besser fürs Klima als Streaming?
Aktuell gibt es zum Energiebedarf des Fernsehens über Kabel, Antenne oder Satellit keine belastbaren Zahlen. Denn auch hier kommt es auf viele unterschiedliche Parameter an. Grundsätzlich gilt: Beim linearen Broadcasting wird auch Energie aufgewendet und CO2 ausgestoßen. Je mehr Menschen eine Sendung schauen, desto mehr sinkt der einzelne Pro-Kopf-Anteil des CO2. Wird aber eine Sendung von nur sehr wenigen Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt, ist das CO2 pro Kopf deutlich höher.
Foto: Bitkom
Dieses Interview ist Teil der Agenda-Wochen von turi2: Bis zum 18.12. blicken wir jeden Tag auf die Themen, die die Kommunikationsbranche zum Jahreswechsel bewegen.