“Einige Behauptungen sind schlicht falsch” – Facebook-Lobbyistin Julia Reuss im Interview.
25. November 2021
Meta-Diskussion: Facebook-Lobbyistin Julia Reuss hat fürs Verkehrsministerium gearbeitet und das Büro von Digital-Ministerin Doro Bär geleitet – im Interview mit Peter Turi spricht sie über ihren Seiten-Wechsel in die Politik-Lobby und nimmt Stellung zu den Vorwürfen gegen den Social-Media-Konzern Meta. Sie habe “Diskussionen und Entscheidungsprozesse fundamental anders erlebt”, als von Whistleblowerin Frances Haugen beschrieben. Zudem gibt Reuss Einblicke in die VR-Pläne von Meta und beschreibt am Beispiel von Horizon Workrooms, wie sich unsere Meeting-Kultur durch virtuelle Realität verändern könnte. Am 14. Januar begrüßt Tess Kadiri Reuss auch als Gast im turi2 Clubraum, dem neuen Live-Podcast.
Julia, mal auf der Meta-Ebene gefragt: Hast du dich schon daran gewöhnt, künftig für Meta statt für Facebook zu arbeiten?
Na klar. Intern wurde ja bereits seit Langem daran gearbeitet. Und der neue Name gibt tatsächlich viel treffender die Vielfalt unserer unterschiedlichen Produktfamilie wieder, von der die Facebook-App tatsächlich nur ein Teil ist.
Du bist promovierte Politologin. Wo ist Digitalpolitik spannender – als Büroleiterin im Bundeskanzleramt oder als Public Policy Director, Central Europe, bei Meta?
Ich hatte das Glück auf meinem beruflichen Werdegang sehr vielfältige unterschiedliche Themenbereiche und Organisationen kennen- und schätzen zu lernen, was die Bandbreite meiner Interessen und meiner Neugierde widerspiegelt. In meinem aktuellen Job habe ich tatsächlich das Gefühl, dass viele positive Aspekte, die ich an unterschiedlichen vorherigen Stationen schätzte, hier zusammenkommen. Dazu gehört beispielsweise das internationale Arbeiten mit Teams aus der ganzen Welt.
Wie übersetzt du den Titel ins Deutsche und Konkrete?
Ich verantworte die politischen Aktivitäten von Meta, also alle Themen rund um das Regulierungsmanagement, den Dialog mit Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, sowie alle gesellschaftspolitischen Initiativen.
Darf man dich eigentlich Lobbyistin nennen?
Na klar, ich habe mit der Berufsbezeichnung an sich kein Problem. Schwierig finde ich allerdings, wenn dieser Begriff von Leuten negativ besetzt wird, die intransparent arbeiten und der Arbeitstag von sogenannten Hinterzimmergesprächen dominiert wird. Da habe ich ein fundamental anderes Berufsverständnis und eine andere Arbeitsauffassung.
Wie würdest Du selbst die Kommunikationsdisziplin nennen, die du ausübst?
Politische Kommunikatorin, die zwischen Meta, der Gesellschaft und der Politik vermittelt.
Was haben deine politischen Freunde zu deinem Seitenwechsel gesagt?
Mein Umfeld hat mich beglückwünscht und sich für mich gefreut.
Was genau ist deine Aufgabenbeschreibung?
Ich verstehe mich als Vermittlerin und Übersetzerin in zwei Richtungen. Zum einen hinein in das Unternehmen: Ich erkläre meinen Kolleg*innen in Menlo Park, was die Länder, die Regierungen und die Menschen meiner Region bewegt. Meine Region Zentraleuropa umfasst insgesamt 28 Länder, von den BeNeLux-Staaten über Deutschland, Österreich und die Schweiz bis hin zu den osteuropäischen Ländern sowie Russland. Mit der Heterogenität dieser Region geht eine große Komplexität einher. Diese zu analysieren und mit den unterschiedlichen Menschen zu arbeiten, bereitet mir große Freude. Der zweite Teil meiner Aufgabe besteht darin, nach außen zu erläutern, was Meta macht und wie unsere Produkte funktionieren. Auch hier bin ich Übersetzerin.
Was hast du dir persönlich vorgenommen?
Mein Ziel ist es, dass Meta als verantwortungsvolles, innovatives Unternehmen wahrgenommen wird, das großartige Produkte entwickelt, die die Gesellschaft, Deutschland und die Welt jeden Tag besser machen. Meta erreicht jeden Tag Milliarden von Menschen, damit geht eine große Verantwortung einher. Dieser werden wir weiter gerecht werden.
Wie groß ist Facebook in Deutschland inzwischen?
Die beiden Standorte Hamburg und Berlin zusammengenommen umfassen mittlerweile rund 220 Mitarbeitende.
In den nächsten 5 Jahren sollen 10.000 Arbeitsplätze in Europa entstehen – wie viele davon in Deutschland?
Der Wettbewerb ist eröffnet. Es ist jedoch von Beginn an mein Bestreben, für die Länder meiner Region zu werben. Es gibt hier großartige Tech-Talente und exzellente Hochschulen. Ich bin absolut überzeugt vom Mehrwert dieser High-Tech-Jobs. Das sind die Jobs, für die die jungen Menschen in der Vergangenheit ins Silicon Valley abgewandert sind. Diese Jobs werden das Startup-Ökosystem bereichern sowie die Forschung und Entwicklung meiner Region befruchten, wovon wiederum viele weitere Unternehmen profitieren werden. Und ich wünsche mir, dass die Zukunft von Meta und des Metaversums durch “Made in Europe” mitgestaltet wird. Unsere innovativen neuen Produkte, die in den nächsten Jahren entwickelt und gebaut werden, sollen vorrangig in Europa entstehen, basierend auf unserem europäischen Wertesystem, und innerhalb eines einheitlichen europäischen Rechtsrahmens.
Wie arbeitest du – und vor allem wo? Ja wohl kaum physisch in der Lobby des Bundestags?
Ich arbeite wie die meisten meiner Kolleg*innen auf der ganzen Welt momentan von zuhause aus. Ich freue mich allerdings schon sehr darauf, hoffentlich bald wieder von der Meta-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin aus zu arbeiten.
Wo triffst du Politiker, wenn das meiste digital wird? Im Metaversum ja noch nicht.
Die Kontaktpflege meiner Teams in den einzelnen Ländern mit unseren Gesprächspartner*innen ist essentiell. Momentan findet natürlich viel in Videokonferenzen statt, aber hoffentlich auch bald in Horizon Workrooms. Das ist der virtuelle Konferenzraum, in dem man sich dank unserer Oculus Virtual Reality Brille zusammensetzen kann. Horizon Workrooms befindet sich derzeit noch in der Beta-Phase, aber schon jetzt ist das Erlebnis, Kolleg*innen in einem virtuellen Raum zu begegnen und nebeneinander Platz zu nehmen, beeindruckend. Es ist mit einer einfachen Videokonferenz nicht vergleichbar. Das Gefühl der Nähe, das in diesem virtuellen Raum entsteht, ist unglaublich. Wir haben bereits intern Team-Meetings abgehalten und freuen uns schon, wenn diese Technologie weiter reift und neben den Meta-Mitarbeiter*innen auch andere Menschen begeistert.
Kannst du uns die Idee Metaversum in einfachen Worten erklären?
Das Metaversum ist ein soziales Erlebnis. Es wird das mobile Internet in Zukunft ablösen. Mit seinen vernetzten digitalen Räumen steckt es voller Möglichkeiten jenseits der physischen Welt. Dabei soll es langfristig den Kontakt zwischen Menschen über weite Entfernungen deutlich verbessern und sie virtuell zusammenbringen. Hier kann man sich mit Freunden treffen, mit anderen Menschen arbeiten, spielen, lernen, einkaufen, kreativ sein und vieles mehr.
Facebook steht ja derzeit sehr in der Kritik. Wie motivierst du dich da zur täglichen Arbeit?
Ich habe vorher im Parlament, im Ministerium und im Kanzleramt gearbeitet; glaub mir, ich bin Kritik gewöhnt. Genau das ist meine Motivation und Ansporn.
Wie erklärst du zum Beispiel einer Freundin aus Schultagen, was du gerade machst?
Meine Aufgabe ist, dass Meta sich mit all seinen komplexen Produkten in den Ländern meiner Region Zentraleuropas über seine eigenen Regeln hinaus an rechtliche Vorgaben hält, aber auch politische, gesellschaftliche und rechtliche Debatten mitgestaltet. Oder ganz aktuell: Mein Team sorgte in Zusammenarbeit mit den Behörden dafür, dass die Wahlen reibungslos abliefen. Wir beteiligen uns aktiv an aktuellen Debatten zu sozio-politischen Themen und treiben diese voran, unter anderem zum Kampf gegen den Klimawandel, Diversität und Inklusion oder sozialer Gerechtigkeit. Zum Beispiel haben wir erst diesen Monat in Zusammenarbeit mit der Stiftung Digitale Chancen zum achten Mal den Smart Hero Award verliehen. Das ist eine Auszeichnung für Projekte und Initiativen, die sich gesellschaftlich engagieren und mittels sozialer Medien für den guten Zweck einsetzen.
Wie verteidigst du Meta gegen Pauschalurteile wie Datenkrake, unsoziale Medien etc.?
Indem ich aufzeige wie es wirklich ist: Weltweit nutzen täglich 2,7 Milliarden Menschen unsere Produkte. Die ganz große Mehrheit tut dies mit guten Absichten und schafft dadurch einen positiven Mehrwert, aber es gibt leider auch eine kleine Anzahl von Nutzer*innen, die unsere Plattform ausnutzen. Wir arbeiten ständig daran, das Schlechte auf unseren Plattformen zu minimieren und das Gute zu maximieren, und wir werden weiterhin in Personal und Technologien investieren, um die Sicherheit der Menschen auf unserer Plattform zu gewährleisten.
Was sagst du auf den Vorwurf: Meta ist nicht gut für die Kommunikationskultur, es schafft radikale Blasen und fördert den Hass?
Meta verbindet jeden Tag Millionen von Menschen. Und ja, wie überall dort, wo Menschen sich begegnen, finden Diskussionen und Auseinandersetzungen statt. Das kennen wir doch alle aus unserer Familie. Ich wundere mich aber schon manchmal über die Verrohung unserer Kommunikation; das scheint mir jedoch mehr eine Frage der Erziehung und des Anstands. Meine Eltern haben mir immer mitgegeben: “Du kannst alles sagen, aber bleib höflich und anständig.” Fakt ist, unsere Arbeit zur Bekämpfung der Polarisierung wird nie abgeschlossen sein, denn schließlich ist der Online-Diskurs auch ein Spiegel der Gesellschaft. Aber es ist unsere Aufgabe, die Auswirkungen der Polarisierung auf die Art und Weise, wie die Menschen unsere Produkte erleben, zu verringern.
Instagram vermittelt jungen Menschen, vor allem jungen Mädchen, ein falsches Körperbild – was setzt du dem entgegen?
Dem Schutz von jungen Nutzer*innen messen wir im Unternehmen eine große Bedeutung bei. Nicht nur meine Entwickler-Kolleg*innen, sondern auch Führungskräfte wie ich fragen sich jeden Tag, wie wir unsere Produkte verbessern und sicherer machen können. Die Debatte um Medienkonsum und Medienkompetenz gibt es seit es Medien gibt. Unser aller Medienkonsum ist in der Zeit der Pandemie noch einmal deutlich gestiegen. Wir setzen auf Wissenschaft und Forschung, um gesellschaftliche Auswirkungen durch die Veränderungen im Medienkonsum herauszuarbeiten und ihnen entgegenzuwirken.
Zur Bundestagswahl wurden heftige Manipulationen via Facebook erwartet – habt Ihr Erkenntnisse, ob es dazu kam? Man hat zumindest wenig davon gehört.
Wir haben bei den Bundestagswahlen – wie wir das bei allen Wahlen rund um den Globus tun – viele zusätzliche Ressourcen investiert. Dank unserer hochspezialisierten Teams, die viel Erfahrung mitbringen, sind wir in der Lage, Muster von potentiellen Angreifern frühzeitig zu erkennen und sie Behörden wie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Bundesinnenministerium zur weiteren Verfolgung zu melden. Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen, unsere Expertise insbesondere im Bereich Cybersicherheit wird sehr geschätzt. Auch hier setze ich mich für Transparenz ein und wir werden deshalb einen Bericht zu den Bundestagswahlen veröffentlichen, in dem jede*r nachlesen kann, was wir bei den Wahlen in Deutschland beobachtet haben.
Wie läuft es in anderen europäischen Ländern?
Bei unseren Wahlbeobachtungen in anderen Ländern läuft es ähnlich. Einen solchen Wahlbericht haben wir beispielsweise auch nach den niederländischen Wahlen im Frühjahr veröffentlicht. Ansonsten ist es äußerst spannend, für eine solch heterogene Region wie Zentraleuropa zuständig zu sein. Und es ist überaus interessant zu sehen, wie manche Themen in bestimmten Ländern für große Aufregung sorgen und in anderen Ländern völlig unkritisch zur Kenntnis genommen werden. Grundsätzlich ist es jedoch schon bemerkenswert, wie stark kleine und mittelständische Unternehmen von unseren Produkten profitieren. Dank der Reichweite unserer Produkte wachsen sie und erwirtschaften Gewinne. Dies nimmt in der öffentlichen Debatte über Meta in manchen Ländern einen großen Stellenwert ein. In anderen Ländern hingegen fokussiert sich die Debatte eher auf mögliche Gefahren und Risiken.
Wie geschockt warst du von der Veröffentlichung der sogenannten Facebook Papers, die ja eigentlich fotografierte Bildschirmseiten sind. Ist so ein Whistle-Blowing wie durch Frances Haugen gerechtfertigt, wenn etwas schief läuft in einer so mächtigen Firma?
Mich persönlich haben die Behauptungen irritiert, denn ich habe in diesem Unternehmen Diskussionen und Entscheidungsprozesse fundamental anders erlebt. Meinem Team, in welchem einzelne Mitarbeitende bereits seit vielen Jahren – und damit deutlich länger als die Whistleblowerin – arbeiten, haben die Vorwürfe ebenfalls zugesetzt. Hinzu kommt, dass einige Behauptungen schlicht falsch sind.
Die Vorwürfe sind heftig: Meta würde weniger als 5 % der Hassreden entfernen – und nicht wie behauptet 94 %.
Die Behauptung ist schlicht falsch.
Für die Werbewirtschaft war es interessant zu lesen, dass Meta selbst ein Erodieren der jungen Nutzerschaft fürchtet: Zwischen 18 und 24 sind die Marktanteile rückläufig. Wie siehst du das?
Ich persönlich finde es gut, dass es einen Wettbewerb gibt und die Menschen die Wahl haben, welche Plattform sie nutzen möchten. Wettbewerb sorgt dafür, dass wir weiterhin innovativ bleiben und unsere Produkte ständig verbessern.
Ist der krasse Gegenwind für Meta eigentlich gerechtfertigt?
Nein, denn im Mittelpunkt dieser Geschichten steht eine falsche Prämisse. Ja, wir sind ein Unternehmen und wir machen Profite, aber die Vorstellung, dass wir dies auf Kosten der Sicherheit oder des Wohlbefindens der Menschen tun, verkennt, wo unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen liegen. Wir verdienen Geld mit Werbung, und die Werbekunden sagen uns immer wieder, dass sie nicht wollen, dass ihre Werbung neben schädlichen oder wütenden Inhalten erscheint. Die Wahrheit ist, dass wir auf dem besten Weg sind, allein in diesem Jahr mehr als 5 Mrd. Dollar für Sicherheit auszugeben, und dass wir über 40.000 Mitarbeitende haben, die nur eine Aufgabe haben: Die Sicherheit der Menschen auf Facebook zu gewährleisten.
Kannst du die Kritik verstehen?
Ich kann verstehen, dass das Thema breit diskutiert wird, denn unsere Produkte sind Bestandteil des täglichen Lebens von Menschen und Gemeinschaften. Allerdings bedauere ich sehr die einseitige Betrachtungsweise. Sie wird der Komplexität der angesprochenen Probleme nicht gerecht. Auch nicht der vielen Verbesserungen und Fortschritte, die unsere Teams in den vergangenen Jahren gemacht haben.
Hast du es schonmal bereut, zu Meta gewechselt zu sein?
Nein, nicht eine Sekunde. Es gibt bei uns intern eine Rubrik, die heißt “Community Stories”; Es sind eindrucksvolle Geschichten, erzählt von Nutzer*innen, wie Facebook ihr Leben positiv verändert hat. Das ist beeindruckend, bewegend und inspirierend. Ich persönlich finde es schade, dass diese Geschichten außerhalb unseres Unternehmens so wenig Aufmerksamkeit erfahren, denn es würde vor Augen führen, wie viel Großartiges durch unsere Produkte erzeugt wird.