“FAZ Plus” in der turi2-Kritik.

FAZ Plus App -600Eine Art Revolution des digitalen Zeitunglesens soll “FAZ Plus” sein. Doch das ist nur ein Werbe-Spruch, den sich das Team um Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron ausgedacht hat. Der turi2-Test auf dem iPhone zeigt: “FAZ Plus” hält ihr Versprechen, Zeitung zu sein. Genau das ist ihr Problem.
 

Von der “FAZ” erwarte ich im Digitalen eigentlich gar nichts. Der Verlag war im Online-Geschäft lange Notstandsgebiet. Seit Mathias Müller von Blumencron vor zwei Jahren als Ein-Mann-Blauhelm-Truppe anrückte, hat sich einiges getan. Doch der knockentrockene Geist der “FAZ” durchweht auch ihr neuestes digitales Produkt, die Zeitungs-App “FAZ Plus” für Apple- und Android-Geräte. Das ist selbst für mich, der nichts erwartet, eine Enttäuschung. Ich habe mir die iPhone-App angeschaut.

Ihr Design folgt der konservativen Tradition des Kluge-Köpfe-Blatts: Kein Schnickschnack stört die Konzentration auf den Text. Die in der Werbung versprochene “opulente Optik” bedeutet übersetzt in die “FAZ”-Realität: Agentur-Bilderware von der Stange, Fotostrecken gibt es kaum, einminütige News-Videos aus dem Reuters-Pool vereinzelt. “FAZ Plus” ist tatsächlich Print gespiegelt auf den Bildschirm von Smartphones und Tablets. 2012 hätte das genügt, aber im Jahr 2016 gibt es die “Süddeutsche” als App und auch die “Welt” – und beide haben auf ihre Art ein Konzept gefunden, das “FAZ Plus” gänzlich fehlt.

IMG_2375Die Navigation entpuppt sich als gewöhnungsbedürftig. Nicht jeder Schritt erklärt sich von selbst, was gehörig nervt. Zurück- und Home-Button liegen auf dem Handy so nah beieinander, dass es grazile Fingerchen und einen ordentlichen Schluck Zielwasser braucht. Der Home-Button führt anders als erwartet nicht zur Ressort-Übersicht – die verbirgt sich mittig hinter dem “Frankfurter Allgemeine”-Schriftzug – sondern zur Auswahl aller geladenenen Ausgaben der vergangenen Tage. Ein einzelnes Ausklapp-Menü mit allen Funktionen hätte genügt.

Wie in Print sind viele Textblöcke lang, Sätze reihen sich auf dem Handy ohne strukturierende Absätze aneinander, wo in der Tablet-Version klare Leerzeilen zu erkennen sind. App und Print-Zeitung verwenden augenscheinlich dieselbe Typo, in der App ist der Zeilenabstand augenfreundlich vergrößert. Hier haben die Entwickler gute Arbeit geleistet.

Völlig schleierhaft ist mir, warum der Verlag die Sonntagszeitung “FAS” nicht über die Plus-App verfügbar macht. Auch wenn die “FAS” in meinem Digitalabo verfügbar ist – über die App bekomme ich auch am Sonntag nur die Samstags-“FAZ” angezeigt. Eine dicke, vertane Chance für den Lesetag zum Ende der Woche! Bei einem Abo-Preis von 40 Euro monatlich (bzw. 10 Euro extra für Print-Abonnenten) langt die “FAZ” im Vergleich mit anderen Blättern kräftig zu: Bei der “Süddeutschen” kostet das Digitalabo 30 Euro, die “Welt” als App gibt es für 13 Euro.

IMG_2372 aEin Lob verdient die Teilen-Funktion. Der Klick aufs Facebook-Symbol öffnet problemlos ein Fenster, der Mail-Button kopiert den gesamten Text in eine E-Mail. Auch via WhatsApp lassen sich Inhalte teilen. Ärgerlich ist nur, dass die Überschrift des Artikels im WhatsApp-Textfeld vorgegeben ist. Wer das nicht will, muss ihn umständlich löschen. Beim Teilen via Twitter tritt das Problem ebenfalls auf. Immerhin funktioniert das Teilen technisch und Empfänger können den eigentlich kostenpflichtigen Artikel frei lesen.

Was gänzlich fehlt, sind Möglichkeiten zur Interaktion. Die Autorinnen und Autoren bleiben bis auf vereinzelte, kleine Fotos anonym. Eine Anbindung an die umfangreiche Biografien-Seite auf faz.net fehlt ebenso wie die naheliegende Möglichkeit, dem Autor direkt aus der App heraus eine E-Mail schreiben zu können. Wie das besser geht, macht etwa “Handelsblatt Live” vor.

FAZ Plus ist alles andere als eine Revolution des digitalen Zeitunglesens. Der Satz “In dieser Form gab es Zeitung noch nie” ist nicht mehr als eine Werbelüge. Vielmehr müsste es heißen: “In dieser Form gab es die ‘FAZ’ noch nie”. Und das im Jahr 2016 zu sagen, ist traurig genug.

Digitale Zeitungen-600

Wie digitale Zeitung heute geht
, machen die Konkurrenten der “FAZ” schon seit längerer Zeit vor. Die Welt Edition etwa spiegelt Inhalte der gedruckten Welt aufs Handy, schafft es dabei aber Tag für Tag, ein kleines Magazin auf den Bildschirm zu zaubern. Die Optik ist grandios, die Navigation flüssig und sehr viel logischer als bei “FAZ Plus”.

Die “Süddeutsche” ist weniger bunt, dafür aber digital so wunderbar einfach, herrlich schlicht und pragmatisch reduziert. Die digitale “SZ” macht die gesamte Eleganz und den intellektuellen Tiefgang der gedruckten Zeitung visuell neu erlebbar. In der Welt der Wochenmedien gilt das ebenso: Die neue “Spiegel”-App ist durchdacht und die “Zeit” auf dem iPhone macht inzwischen auch Spaß.

Eine Frage muss erlaubt sein: Haben sich die Macher von “FAZ Plus” die Konkurrenz-Produkte angeschaut? Falls ja: Warum haben sie aus ihnen nichts gelernt?