Friederike Sittler, wie geht gerechte Sprache, die nicht nervt?
13. Dezember 2022
Keinen Krieg der Sterne: Das generische Maskulinum funktioniert nicht, “weil es im Unklaren lässt, ob Frauen mitgemeint sind”, findet Friederike Sittler in ihrem Gastbeitrag für die turi2 Agenda-Wochen. Das Gleiche gelte für das generische Femininum: “Wann sollen Männer mitgemeint sein, wann nicht?” Da aber auch das Gendersternchen seine Tücken hat, plädiert die Vorsitzende des Journalistinnenbundes für die Suche nach Alternativen und zeigt mit Beispielen, wie das funktionieren kann.
Von Friederike Sittler
Der inflationäre Gebrauch des Gendersternchens nervt und ist zudem oftmals falsch. Genauso wenig trägt die Forderung nach der Rückkehr zum generischen Maskulinum. Stattdessen gilt es, präzise zu schreiben und zu zeigen wer handelt. Guter Journalismus folgt dem Prinzip: Sagen was ist. Dazu zählt eben auch: Sagen, wer es ist. Das ist gar nicht so schwer wie viele denken, braucht jedoch das Bewusstsein für Sprache und den sorgfältigen Umgang damit. Somit kann das Sternchen eingesetzt werden, aber eben nicht unüberlegt und inflationär.
Um zunächst einmal mit der Rückschritts-Forderung aufzuräumen: Natürlich ist es einfacher, nur eine Form zu benutzen, kurz und prägnant. Das generische Maskulinum funktioniert aber deshalb nicht, weil es im Unklaren lässt, ob es sich um eine rein männliche Gruppe handelt oder aber Frauen mitgemeint sein sollen. Sind wirklich nur Soldaten in Mali und nur Männer im weißen Kittel beim Kongress oder bei einem Wirtschaftstreffen?
Zu wissen, ob Frauen Teil der Gruppe sind, ist Teil journalistischer Sorgfaltspflicht. Das gilt umgekehrt genauso für das generische Femininum. Wann sollen Männer mitgemeint sein, wann nicht? Beispiel Journalistinnenbund. In dem vor 35 Jahren gegründeten Netzwerk für Frauen in den Medien sind keine Männer dabei. Das Sternchen oder auch der Doppelpunkt lockt dagegen als Alternative, Frauen und Männer zu meinen und auf die Beidnennung zu verzichten, also aus Journalistinnen und Journalisten die Journalist*innen zu machen. Die einen finden es super, die anderen und zwar die Mehrheit lehnen dies als “das Gendern” ab. Gewonnen ist durch den leider schludrigen Umgang mit dieser neu geschaffenen Form nichts.
Das Sternchen hat eine klare Aufgabe: Markiert werden soll, dass sich in einer Gruppe nicht nur Männer und Frauen befinden, sondern auch Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen. Es geht um geschlechtliche Vielfalt und darum, sprachlich Räume zu öffnen. Daher fordern auch viele trans Personen das Sternchen für sich ein, wollen ebenso wie nicht-binäre Personen dadurch sichtbar werden. Kommen dagegen eine Kollegin und ein Kollege zu einer Verabredung, dann ist es Unsinn sie als Liebe Kolleg*innen zu begrüßen, denn weder sind mehrere Frauen da, noch eine nicht-binäre Person. Mitunter tarnt sich damit das Patriarchat, das Modernität vorgaukelt, aber ansonsten alles beim Alten lässt. Wer das mitmacht, verletzt die journalistische Sorgfaltspflicht.
Das Sternchen nur einzusetzen, um bei der Benennung von Männern und Frauen Zeit zu sparen, ignoriert das Anliegen, Menschen außerhalb der alten Norm sichtbar zu machen. Das Argument für den grundsätzlichen Gebrauch des Sternchens lautet, dass es sowieso mehr als zwei Geschlechter gibt, dass daher immer und überall von nicht-binär ausgegangen werden müsse. Da ist dann von der Ministerpräsident*innenkonferenz und von Gastarbeiter*innen die Rede, selbst wenn von keiner dieser Personen bekannt ist, dass sie sich weder als Mann oder als Frau definiert.
Egal, so wird nun argumentiert, denn selbst wenn sie es nicht wissen, dann lösen sich die Geschlechter ja doch auf, solle genau das gezeigt werden. Merke: Auch in Dir steckt die Nicht-Binärität, Du weißt es nur noch nicht. Das ist übergriffig. Jede Person hat das Recht, selbst zu kommunizieren, wie sie sich definiert. Ungute Erinnerungen an das Zwangsouting von Homosexuellen werden wach. Was aber tun, wenn unklar ist, welche Personen mit welcher Identität in einer Gruppe sind und ob es ein Sternchen braucht? Ganz einfach: Alternativen suchen. Das ist die Methode genderleicht.de:
– Aus den Erstklässler*innen (ein Wort, das auch im Maskulinum nicht schön ist), werden dann die Kinder, die in die 1. Klasse der Grundschule in der Kölner Südstadt gehen.
– Der Bürgersteig ist der Gehweg.
– Aus den beteiligten Kollegen werden die Beteiligten oder auch das Team oder die Personen.
– Aus der Forderung, dass Texte für die Leser verständlich sein müssen, wird die Forderung, dass Texte beim Lesen verständlich sein müssen.
– Aus der Kollegin und dem Kollegen, die zu einer Verabredung kommen, werden ganz konkrete Personen mit ihren jeweiligen Namen. Das hat zudem den Effekt, dass schon anhand der Namen sich mitunter mehr Vielfalt zeigt als gemeinhin angenommen.
– Statt “meine Gäst*innen heute sind …” heißt es: Bei mir zu Gast sind…
– Selbst das generische Maskulinum kann als Fachwort oder im Amtsdeutsch nach wie vor brauchbar sein, wenn anschließend geschlechtergerecht weiter formuliert wird: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen die Länderchefs und –chefinnen …
– Manche Partizipien wie Urlaubende oder Demonstrierende sind noch nicht sehr
gängig, Auszubildende oder Studierende dagegen schon.
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Beim Texten gilt es locker, kreativ, undogmatisch und heiter zu sein. Mehr zu den vielfältigen Möglichkeiten gibt es mittels der Schreibtipps und im Textlabor von genderleicht.de oder auch im Duden-Verlag, ebenfalls mit dem Titel Genderleicht. Gut formulierten, geschlechtergerechten Texten ist das Gendern kaum anzumerken. Stattdessen sind sie leicht verständlich, gut zu lesen und zugleich präzise. Dafür braucht es anfangs Übung und einen Moment des Nachdenkens, aber dann ist es schlicht das, was Grundlage des Journalismus ist: Handwerk.
Das Interview ist Teil der Agenda-Wochen von turi2: Bis zum 18.12. blicken wir jeden Tag auf die Themen, die die Kommunikationsbranche zum Jahreswechsel bewegen. Am 11. Januar erscheint die turi2 edition #20 – Agenda 2023 als Jahrbuch der Kommunikation mit den Schwerpunkten Vielfalt, Nachhaltigkeit und Resilienz.