Hat die Deutsche Welle ein Antisemitismus-Problem, Peter Limbourg?
9. Dezember 2021
Große Welle: Die Deutsche Welle erlebt eine bewegte Vorweihnachtszeit. Medien wie die “Süddeutsche Zeitung”, Vice Deutschland oder die “Welt” veröffentlichen Berichte über Antisemitismus in der Arabisch-Redaktion des deutschen Auslandssenders und TV-Kooperationen mit fragwürdigen Partnern in der Arabischen Welt. Im Interview mit Markus Trantow widerspricht Intendant Peter Limbourg: “Weder die Mitarbeitenden der DW als Ganzes noch unser Programm sind antisemitisch.” Israelhass habe kein Platz bei der DW. Im Gespräch erklärt er aber auch, dass Kritik an der israelischen Regierung, ihren Institutionen oder dem Siedlungsbau in der arabischen Welt ganz anders diskutiert wird als in Deutschland. Er nimmt Stellung zu den Vorwürfen gegen den Partner-Sender Al Jadeed und sagt, wie der Sender die Vorwürfe jetzt aufarbeitet.
Peter Limbourg, hat die Deutsche Welle ein Antisemitismus-Problem?
Eines vorweg: Weder die Mitarbeitenden der DW als Ganzes noch unser Programm sind antisemitisch. Wir haben es aber im Moment mit einer ziemlich verzerrten Darstellung in Teilen der Berichterstattung zu tun. Es gibt da große Qualitätsunterschiede. Aber jenseits dessen haben wir natürlich ein Problem, das wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir haben wegen der bekanntgewordenen privaten Äußerungen einiger Mitarbeitender im digitalen Raum sofort eine unabhängige externe Prüfung beauftragt. Wir gehen den Vorwürfen mit großer Sorgfalt nach, weil Antisemitismus und Israelhass in der DW keinen Platz haben. Aber natürlich haben wir jetzt insofern auch ein Problem durch die Vielzahl der Vorwürfe gegen unsere Distributionspartner, womit wir in der medialen Darstellung wirken als hätten wir ein Antisemitismus-Problem.
Seit anderthalb Wochen überschlagen sich die Berichte, zuletzt in der “Welt”, die DW-Beschäftigten in Deutschland und im Ausland vorwirft, Israel-Hass zu verbreiten. Was ist da dran?
Der letzte Artikel mischt viele Dinge zusammen, die in der Arabisch-Redaktion schon vor zwei Jahren stattgefunden haben. Diese Vorfälle sind von unabhängiger Seite untersucht und arbeitsrechtlich behandelt, sie haben dem Rundfunkrat vorgelegen, der darüber auch beraten hat. Auch die Einschätzung unserer Distributionspartner ist offenbar ohne gründliche Recherche passiert: Da werden einzelne Zitate genommen und daraus ein Gesamtbild gezimmert. Der Sender Al Jadeed wird als “Hisbollah-Sender” bezeichnet und alle, die dort arbeiten, werden mit verunglimpft. Nach den Informationen, die uns vorliegen wird der libanesische Sender seit zwei Jahren von der Hisbollah boykottiert. Ein Reporter von Al Jadeed hat gerade einen Preis vom US-Außenministerium erhalten. Und die sind eher nicht verdächtig, Antisemiten auszuzeichnen. Ich will gar nicht sagen, dass alle Sender in der Region in ihrem Programm immer frei von Antisemitismus oder Israelhass sind, aber man muss dann bitte differenzieren.
Wo ziehen Sie die Grenze?
Die ist ganz klar: Wenn purer Antisemitismus propagiert wird, dann dürfen und wollen wir mit diesen Sendern nicht zusammenarbeiten. Es stellt sich aber auch die Frage: Wo ist Israel-Kritik legitim, etwa an der jeweiligen Regierung, an Regierungsorganisationen oder am Siedlungsbau? Die Meinungen in der arabischen Welt unterscheiden sich in diesen Punkten sehr stark von den Diskursen in Deutschland und Europa. Da werden Sie immer einen Abwägungsprozess haben. Zudem ist es ja gerade unsere Aufgabe, dort hinzugehen, wo Menschen anderer Meinung sind als wir, und mit unseren deutsch-europäischen Sichtweisen zu überzeugen und ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Die Kommission mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Ahmad Mansour hilft uns jetzt dabei, unsere Grenzen noch mehr zu schärfen.
Was untersucht die Kommission konkret?
Sie haben die Aufgabe, die konkret in der “Süddeutschen Zeitung” berichteten Fälle zu untersuchen. Da geht es darum, zu schauen, was tatsächlich gesagt worden ist. Denn einige Betroffene widersprechen den Aussagen der Zeitung und wie die tatsächlichen Äußerungen zu bewerten sind. Und sie schauen sich auch unsere Distributionspartner im arabischen Raum an, darunter sicher auch Roya TV und werden unseren Umgang damit prüfen. Was sie nicht werden leisten können ist, alle 4.000 Partner-Medien weltweit zu untersuchen. Davon sind sicher einige Hundert in der arabischen Welt. Das ist eine zweite Untersuchung, die wir selbst durchführen. Da schauen wir uns an, ob es Versäumnisse gegeben hat und wo wir unsere laufendende Evaluierung unserer Distributionspartner verbessern müssen.
Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?
Am Freitag der kommenden Woche wird es eine Sondersitzung des Vertriebs-Ausschusses des Rundfunkrats geben. Dort wollen wir erste Ergebnisse vortragen und auch eine erste Diskussion über mögliche Folgen führen.
Sie sprechen ja bei Roya TV, mit dem die Zusammenarbeit gerade ruht, und bei Al Jadeed von “Distributionspartnern”. Wie sehen diese Partnerschaften aus? Wer hat da das Sagen?
Das Standard-Modell ist, dass diese Sender Programme und Sendungen, die wir in Berlin und Bonn produzieren, eins zu eins übernehmen. Dann gibt es einige Koproduktionen, ganz wenige davon im arabischen Raum. Dazu gehört etwa auch “JaafarTalk” mit Jaafar Abdul Karim, die Themen aufgreift, die in der Region hochkontrovers sind, wie bspw. die Rechte von Frauen oder Homosexualität. Ganz wichtig: Die Deutsche Welle hat immer die redaktionelle Hoheit – bei unseren eigenen Produktionen aber auch bei Koproduktionen. Von den Partnern kommen dabei technische Dienstleistungen, sie helfen bei der Recherche oder liefern Einspielfilme zu. Und sie strahlen die Sendungen in ihrem Programm unverändert aus. Das dritte Modell sind Schaltgespräche. Zum Beispiel zur Frage: “Angela Merkel geht – was heißt das?” Ein Kollege oder eine Kollegin aus der DW-Redaktion erklärt das dann in den Hauptnachrichten eines Partnersenders. Das ist sozusagen Wertevermittlung at its best. Damit erreichen wir sehr viele Menschen, näher kommen wir in unseren Zielgebieten nicht ran an die Leute.
Der Vice-Chefredakteur Felix Dachsel hat bei Twitter gerade über verängstige Quellen berichtet, die ihm Geschehnisse aus der Deutschen Welle zugetragen haben sollen. Herrscht in Ihrem Haus ein Klima der Angst?
Das ist eine absurde Behauptung, die leider immer wieder von einzelnen Journalisten aufgestellt wird. Mitarbeitende der DW haben jederzeit die Möglichkeit, ihre Meinungen zu äußern, ihre Anliegen und Fragen an die Geschäftsleitung, Führungskräfte und Beschwerdestellen der DW zu richten und diese bis zu einer Klärung zu diskutieren. Die Geschäftsleitung setzt sich aus Überzeugung für eine offene, angstfreie Unternehmenskultur ein und fordert unsere Führungskräfte aktiv dazu auf, dies zu unterstützen.
Wie gehen Sie damit um, wenn Beschäftigte sich eingeschüchtert fühlen?
In dieser und der kommenden Woche haben die Mitarbeitenden in digitalen Townhall-Meetings Gelegenheit, ihre Fragen an die Geschäftsleitung zu richten. Aus meiner bisherigen Erfahrung sind das sehr offene Diskussionen, bei denen keiner ein Blatt vor den Mund nimmt. Ich denke, dass es uns gelungen ist, den allermeisten Mitarbeitenden in der DW die Sicherheit zu vermitteln, dass Kritik willkommen ist, weil sie uns zu einem noch besseren Unternehmen macht.