Gegen das “Untergangs-Narrativ”: Funkes Data-Chefin Catherin Anne Hiller über Zeitschriften mit Zukunft.
11. November 2024
Daten und Dramen: Die Zuschreibung “Daten-Dompteurin” ist für Catherin Anne Hiller ein Ehrentitel – obwohl Funkes Data-Chefin früher alles andere als ein Mathe-Ass war. Heute stemmt sie sich mit harten Zahlen und Fakten gegen das “allgegenwärtige Untergangs-Narrativ” für die Zeitschriften-Branche. Im Interview mit turi2-Herausgeber Peter Turi belegt sie, dass auch junge Menschen noch durch Zeitschriften blättern. Statt über “Abwärtstrends” spricht sie lieber über “Transformation”: “Zeitschriften sind für mich nicht nur Printprodukte, sondern Marken, die über verschiedene Kanäle und Touchpoints hinweg erlebt werden können.” Aber auch, wer heute noch zu Print greife, sei keineswegs “abgehängt”, “sondern oft wohlsituierte und damit hochrelevante Zielgruppen für Werbung”.
Catherin, bist du die Robin Hood der Funke-Gruppe?
Ich liebe solche Analogien – und umso mehr, weil Robin Hood und ich beide von der britischen Insel kommen. Aber statt mit Pfeil und Bogen komme ich mit Zahlen und Analysen. Aus den tiefen Wäldern der Datensilos hole ich die Insights-Schätze und verteile sie großzügig an die Menschen, die unsere Kunden und Kundinnen besser verstehen möchten.
Und nebenbei soll Data-Management die Zeitschriften-Verlage retten.
Das Einzige, wovor Verlage wirklich gerettet werden müssen, ist die allgegenwärtige Lust am Untergangs-Narrativ! Daten, die den Erfolg von Verlagen belegen, werden dabei so gerne übersehen, als wären sie gar nicht existent. Mein Lieblingsbeispiel sind die Programmzeitschriften. Man hört oft: “Die kauft ja keiner mehr.” Seltsam nur, dass so viele Menschen in Deutschland Programmzeitschriften kaufen, dass diese mit einer Reichweite von 30 Millionen mehr Leser haben, als einige Nachbarländer Einwohner. Der Programmmarkt ist damit auch wirtschaftlich mindestens genauso groß wie viele andere Produkte, bei denen niemand auf die Idee käme, anzunehmen, dass diese nicht mehr genutzt würden.
Du meinst, die Deutschen geben mehr Geld für Programmzeitschriften aus als man denkt? Was heißt das konkret?
Stellt man sich im Supermarkt vor das Zeitschriftenregal und schaut sich die ganzen Programmzeitschriften an, kann man sich grob vorstellen, das von denen 9 Millionen Stück in die Einkaufskörbe der Deutschen wandern – pro Erscheinung! Das dann auf ein Jahr hochgerechnet macht etwa 550 Millionen Euro Umsatz für Programmzeitschriften.
In Deinem Profil findet man Titel wie “Customer Centriser” und “Branding Buff” – aber offiziell bist du die “Geschäftsleitung Strategic Marketing”. Darf ich dich “Daten-Dompteurin” nennen?
“Daten-Dompteurin” passt perfekt in meine persönliche Alliterations-Ansammlung. Darf ich die künftig benutzen?
Gern.
Danke für diesen kreativen Titel, der mir bisher tatsächlich gefehlt hat. Passt ja auch: Ich verwandle wilde Daten in gezähmte Insights, die greifbar sind und im richtigen Timing harmonisch zusammenspielen, um in der Manege etwas abzuliefern, das unsere Kunden und Kundinnen begeistert. Dabei geht es auch darum, das volle Potenzial der Daten sichtbar zu machen – und genau das macht meinen Job so spannend. Sogar ohne vierbeinige Raubtiere.
Ich hab’ dich kürzlich in einem Vortrag erlebt und war beeindruckt, wie du es verstehst, Erkenntnisse aus der Forschung zu vermitteln. Was sagen deine Daten zum Beispiel über die Jugend?
Danke! Die heutige Jugend tickt echt anders – sie ist technikaffin, hat klare Werte, eine neue Einstellung zur Arbeit und geht offener mit mentaler Gesundheit um als frühere Generationen. Sie ist digitaler, globaler und oft kritischer gegenüber dem, was “normal” ist. Und das ist auch gut so, denn ohne die Jugend gibt’s keine Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.
Sind die wirklich ein Haufen verzogener, leistungsunwilliger TikTok-Opfer?
Die Anteil an jugendlichen TikTokern ist aktuell knapp ein Drittel groß. Doch schon vor TikTok stand die Jugend unter enormem Druck: permanente Erreichbarkeit, Vergleich über Social Media und kaum noch Momente der kreativen Langeweile. Trotz oder vielleicht auch wegen des stark empfundenen Leistungsdrucks hinterfragen die Youngsters die Anforderungen heute bewusster und zeigen so in gewisser Art auch wieder Verantwortung im Umgang mit den Herausforderungen der komplexen Welt.
Wieviel Zeitschriften lesen junge Leute denn?
Allein wir bei Funke erreichen mit unseren Zeitschriftenmarken 40 % der Jugendlichen in Deutschland – 15 % über das gedruckte Format. Damit sind nur die Zeitschriftenmarken von Funke gemeint, ohne weitere Funke-Angebote und ohne unsere Marktbegleiter. Solch ein Marktzugang wäre für viele Hypes, die durch den Markt getragen werden, ein Traum – und auch für uns ist das ein Grund, stolz darauf zu sein.
Wie treu sind die Älteren?
Die Menschen ab 49? Die sind dem Kanal Print beim Zeitschriftennutzen treuer, hier erreichen wir jeden zweiten. Gleichzeitig wachsen die digitalen Kanäle in dieser Altersgruppe kontinuierlich und bedienen dann digitale Bedürfnisse und Verfassungen. Sich entspannt mit einer gedruckten Zeitschrift hinzusetzen, ist für viele eine willkommene “Me-Time” und eine bewusste Auszeit vom ständigen Blick auf Bildschirme – gerade bei Berufstätigen stark zu sehen – bei aller Liebe für den digitalen Zeitgeist.
Sagen Deine Daten, wie der Abwärtstrend bei den Zeitschriften zu stoppen ist?
Um das Thema zu beantworten, ist es zunächst wichtig, den Begriff “Abwärtstrend” zu klären. Zeitschriften sind für mich nicht nur Printprodukte, sondern Marken, die über verschiedene Kanäle und Touchpoints hinweg erlebt werden können. Neue Kanäle sind dabei keine Entwicklung, die man aufhalten möchte; im Gegenteil, sie eröffnen frische Zugänge und Perspektiven, die wir noch stärker nutzen können.
Okay.
Die Daten zeigen zunächst, dass Menschen seit über 20 Jahren Inhalte nicht nur auf Papier lesen wollen, sondern auch auf ihren digitalen Geräten. Manche möchten dabei nicht mehr nur lesen, sondern auch hören oder Inhalte in Bewegtbild konsumieren. Ein Blick auf Flaggschiff-Marken wie “Hörzu” oder “Bild der Frau”, dass es sich bei Print und Digital gerade bei etablierten Marken oft um neue Kunden handelt und es weniger um einen Abwärtstrend als um eine Transformation geht. Wichtig ist hier zu betonen: Es gibt Millionen Menschen in Deutschland, die nicht nur digital lesen möchten – und das sind keineswegs “Abgehängte”, sondern oft wohlsituierte und damit hochrelevante Zielgruppen für Werbung.
Was macht dir Mut?
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, dessen Bedürfnisse wachsen, sobald sie erfüllt sind – genau hier setzen wir an. Die stetig steigenden Erwartungen an Unterhaltung, Information, Inspiration und “Alltags-Hacks” werden uns zukünftig kontinuierlich herausfordern und kreative Anstrengungen verlangen. Ein großer Hebel liegt in der Pflege einer echten Beziehung zu den Lesern. Wenn eine Marke konsequent auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe eingeht und echte Wertschätzung zeigt, entsteht eine emotionale Bindung und Vertrauen – wie in jeder guten Beziehung, die auch in einem Umfeld voller Alternativen Bestand hat. Die Daten belegen, dass der konsequente Einsatz hier stets zu Fortschritt führt – für etablierte ebenso wie für neue Marken.
Erklär doch mal mir Laien in drei Sätzen, was Du eigentlich machst.
Satz 1: Gemeinsam mit vielen wunderbaren Kollegen und Kolleginnen baue ich eine Kultur auf, in der Daten und Insights genutzt werden, um unseren Kunden genau das zu bieten, was sie wirklich brauchen und schätzen. Satz 2: Wir fördern eine Organisation, die darin geschult ist, Daten zu verstehen und anzuwenden, um den Kundenfokus zu stärken und Produkte zu entwickeln, die echten Mehrwert schaffen. Satz 3: Außerdem stellen wir eine technische Infrastruktur bereit, die es uns ermöglicht, unseren datengestützten Ansatz konsequent umzusetzen und so den Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen.
Was früher der Kiosk war, der alles entscheidende Point of Sale, ist heute die Virtualität, der digitale Raum. Richtig?
Naja, über 70.000 Presseverkaufsstellen gibt es schon noch. Unsere Stärke liegt schon immer darin, genau dort zu sein, wo die Menschen sind – ob am Kiosk um die Ecke oder in der virtuellen Welt. Wir sind dabei absolut kanal- und vertriebsagnostisch: Uns geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern darum, auf jedem Weg, den unsere Leser wählen, präsent zu sein.
Was ist der größte Wertbeitrag, den Data-Management für Verlage leisten kann?
Data-Management ist das Fundament. Für Effizienz, da es von zeitraubenden Aufgaben entlastet und so Hirne, Hände und Herzen freisetzt. Und für Exzellenz, um menschliche und künstliche Intelligenz optimal zu verbinden. Ohne solides Data-Management keine echte Wertschöpfung durch KI.
Wie viel KI steckt in Funke?
Einiges, aber immer mit Augenmaß und zum konkreten Zweck: KI hilft uns, Muster in großen Datenmengen zu erkennen und automatisierte Abläufe zu verbessern. Ob in der Content-Personalisierung oder in der Datenanalyse.
Nennst du mal ein Beispiel?
Wir nutzen KI, um mithilfe fortschrittlicher, adaptiver Clustering-Methoden präzise Zielgruppen-Segmente zu identifizieren und Personalisierungen zu entwickeln, die gezielt auf die Bedürfnisse unserer Kunden abgestimmt sind. Aber auch im Bereich NLP arbeiten wir mit Analyseverfahren, um Muster in Inhalten zu erkennen, die noch besser zu den Needs unserer Kunden passen. Und am Ende steht bei allen Prozessen immer ein Mensch von Funke – nur jetzt dank KI noch viel besser informiert und vorbereitet.
Früher waren Vertrieb und Anzeigen zwei völlig getrennte Abteilungen eines Verlags. Warum hast Du jetzt das Data-Management für beide Bereiche in deinen schlanken Fingern?
Diese Trennung ist das Gegenteil von kundenzentrisch. Sie ist rein produkt-, prozess-, oder unternehmenszentriert und suggeriert, dass Vertrieb und Anzeigen isoliert voneinander funktionieren – was aus Kundensicht schlichtweg nicht stimmt. Die Zeitschrift, egal ob Print oder Digital, beeinflusst, wie Anzeigen wahrgenommen werden, und Anzeigen prägen wiederum die Leseerfahrung der Zeitschrift. Beides gemeinsam zu denken und datenbasiert zu optimieren, ist daher der logische Schritt.
Wir erforschen alles rund um Menschen, Märkte und Medien: wie sich Märkte wandeln, was Menschen bewegt und welche Rolle Medien in diesem Zusammenspiel spielen. Wir gewinnen tiefere Einblicke, wie Kommunikation wirkt und wie optimal gestaltet werden kann sie in einer Medienlandschaft, die sich ständig wandelt. Die GIK konnte zum Beispiel schon 2014 zeigen, wie Marken crossmedial genutzt werden: Viele Marken gewinnen dabei inkrementell an Audience …
… also schrittweise …
…indem sie durch digitale Kanäle neue Kundensegmente erschließen. Die jüngeren Marken starten heute oft direkt crossmedial mit Inhalten durch, die für die relevanten Touchpoints von Anbeginn optimiert sind. Apps, Social, Video, Live-Events, Communitys und nach wie vor auch Print sind fast immer dabei, das neue Nutzungsverhalten der Menschen kann man sich beim Eat Club, aber auch bei Marken wie “Myself” sehr schön anschauen.
Du bist auch Co-Gründerin von “The Data Institute”. Was ist das genau?
The Data Institute ist ein Startup, das wir bei Funke aufgebaut haben, um sowohl intern als auch externe Partner dabei zu unterstützen, fundierte Kundenprofile zu entwickeln und automatisiertes Marketing voranzutreiben. Es bietet alles, was für einen erfolgreichen Umgang mit Daten – und auch um KI maximal auszuschöpfen – nötig ist: die richtige Kultur, eine gut abgestimmte Organisation und leistungsstarke Technologie. Ziel ist es, datengetriebenen Erfolg für alle Unternehmen in Deutschland zugänglich zu machen. Da kann man von den Erfahrungen und auch den Datenmengen der Verlage eine Menge übertragen.
Wie wird frau Data-Chefin?
Eigentlich wollte ich Biologin werden – der Forscherdrang war also früh zu spüren – um es mit den Worten von Mark Twain zu sagen: “It is better to find out than to suppose.” Statt Petri-Schale und Mikroskop lernte ich das Datenhandwerk von der Pike auf kennen und merkte schnell, dass ich damit Organisationen und Produkte gestalten kann. Der Forschergeist blieb, nur dass ich heute keine Zellen untersuche, sondern Zahlen.
Warst du ein Mathe-Ass in der Schule?
Meine echte Leidenschaft für Mathe kam erst in der Uni – in der Schule war mein Motto eher “Party-Marathon statt Mathe-Olympiade” und “Mathematiker lösen nur Probleme, die sie selbst erfunden haben.” Mein Mann und ich begeistern unsere Kids übrigens total erfolgreich für Mathe, indem wir ihnen zeigen, welche echten Herausforderungen sich damit im Alltag lösen lassen, das macht einfach Spaß.
Bist Du eher der Excel- oder der Word-Typ?
Ganz klar Excel! Viele empfinden Excel als einschränkend, aber für mich liegt die wahre Stärke in den unbegrenzten Möglichkeiten – egal, in welche Richtung. Es wird total unterschätzt und oft fälschlicherweise als Tool der Kleinkarierten abgetan, doch gerade darin steckt eine Flexibilität, mit der man so kreativ sein kann.
Dieses Interview ist Teil der Themenwoche Zeitschriften bei turi2. alle Beiträge ansehen