“Von Tradition allein kann man sich nichts kaufen” – Horst von Buttlar über Finanz-Journalismus und PR-Geschwurbel.
16. Oktober 2024
Über Geld spricht man – bei der “Wirtschaftswoche” schon seit 1926. Seit anderthalb Jahren steht Horst von Buttlar an der Spitze des Magazins. Im Interview mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow spricht er über Nähe und Distanz zu Wirtschaftsbossen und stellt klar: “Wir sind nicht deren Kumpel”. Er positioniert das Blatt als “Stimme der ökonomischen Vernunft”, deren Herausforderung es ist, die nächste Generation zu gewinnen. Dafür setzt von Buttlar auch auf die gerade als “Magazine of the Year” ausgezeichnete Print-Ausgabe – und ein Online-Angebot, das in genau einer Woche in neuem Glanz erstrahlen soll. Im Interview erklärt er, was das alles mit Fleischsalat zu tun hat.
Horst von Buttlar, du bist seit anderthalb Jahren Chefredakteur der “Wirtschaftswoche”, vorher warst du Chef des Wirtschaftsmagazins “Capital”. Über Geld spricht man? Oder spricht man besser nicht darüber?
Früher wurde nicht oder viel zu wenig über Geld gesprochen. Aber das hat sich geändert. Heute kann man recht offen über Geldanlagen und Vermögensaufbau sprechen. Es gibt auch eine Fülle neuer Angebote, die sehr niedrigschwellig und einfach sind. Man sieht auch, dass die Menschen im Internet häufig nach Finanzthemen suchen – seien es Geldanlage oder Immobilien.
Es gibt Länder und Kulturen, in denen offener über Geld gesprochen wird als hierzulande. Was meinst du: Wollen die Deutschen überhaupt wissen, wie viel ihre Kollegen oder ihre Chefs verdienen?
Tatsächlich sind Gehälter immer noch ein großes Geheimnis. Aber das wird sich ändern. Bis 2026 müssen alle Unternehmen die EU-Richtlinie zur Gehalts-Transparenz umsetzen. Das wird viele Firmen vor Herausforderungen stellen. Die junge Generation redet ohnehin schon offener darüber, was sie verdient. Sie sprechen sich zum Teil auch ab, wenn es um Gehaltserhöhungen geht. Und natürlich fühlen sie sich unterbezahlt. Aber das ging mir als junger Redakteur auch so! Die junge Generation tritt allerdings bei Gehaltsforderungen viel selbstbewusster und robuster auf.
Während Reichtum etwa in den USA oft Bewunderung auslöst, führen wir in Deutschland vor allem Neid-Debatten: Die einen wollen reiche Erben stärker zur Kasse bitten, die anderen neiden Geflüchteten die staatliche Unterstützung. Kannst du dir erklären, warum das so ist?
Generell gibt es bei uns eine Schieflage in der Art und Weise, wie über Geld gesprochen wird. Erfolg wird geneidet, und Geld, das am Kapitalmarkt angelegt wird, wird “verzockt” und nicht “investiert”. Ein Privatbankier hat mir mal erklärt, dass das Framing des “Spekulanten” auch aus der Nazizeit stammt. Diese Relikte finden sich noch heute in unserer Sprache. Statt zu sagen, dass man Geld investiert und vermehrt, sprichen viele gezielt vom “Spekulieren” – und das wird auch stark politisch beeinflusst. Nehmen wir die Diskussion um eine kapitalgedeckte Rente: Ich bezweifle stark, dass kalifornische Busfahrer oder Lehrer in New Jersey das Gefühl haben, ihr Pensionsfonds würde ihre Rente verspielen. Sie legen die Beiträge an und vermehren sie. Wir sollten insgesamt entspannter und weniger negativ über Geld sprechen, mit mehr Coolness und einem gesunden Verständnis dafür, wie man Geld sinnvoll anlegen und vermehren kann.
Wir sprechen im Rahmen der Themenwoche Finanz-Kommunikation. Da fallen mir zuerst die Werbung und die PR von Banken, Versicherungen und Finanzberatern ein. Aber auch die Presse ist Teil der Finanzkommunikation. Wie definierst du für dich und deine Redaktion diese Rolle?
Die “Wirtschaftswoche” berichtet nicht jede Quartals- oder Halbjahreszahl, das ist nicht unser Fokus. Wir schauen immer, was passt zu unserer Marke und zu den Bedürfnissen unserer Leserinnen und Leser. Und das ist oft die Perspektive der Anleger – und die von Unternehmern. Wir müssen nicht berichten, sondern einordnen. Wir fragen eher, wie sich Zahlen auf bestimmte Branchen und Trends auswirken, sei es die Autobranche oder der Maschinenbau. Was mir dabei auffällt, ist, dass das PR-Gewäsch und das Geschwurbel in der Kommunikation leider zunimmt. Krisen und Verluste werden immer häufiger in unverständliche Formulierungen verpackt. Neulich sprach ein Autobauer von einer “Anpassung der Jahresprognose” – früher hätte man das schlicht eine “Gewinnwarnung” genannt. Unsere Kunst besteht darin, solche Euphemismen zu entlarven und die Nachricht in eine klare, verständliche Sprache zu übersetzen.
In Filmen und Serien wie “Bad Banks” oder “Wolf of Wall Street” wird die Finanzbranche oft als knallhart, korrupt, gierig und wahnsinnig dargestellt. Wie viel Wahrheit steckt da drin?
Wie bei vielen Darstellungen gibt es da sicher einen wahren Kern, aber meist sind es Zerrbilder und es werden Klischees bedient. Im Moment sehe ich diese Welle von dramatischen Darstellungen abflachen. Ich sehe keinen aktuellen Stoff, den man verfilmen würde – oder würdest du dir die Übernahme der Commerzbank anschauen? Natürlich gibt es immer wieder große Finanzskandale, die kommen und gehen. Nach Wirecard war der Fall um Sam Bankman-Fried und die Kryptobörse FTX der letzte große Skandal. Das ist Stoff für Hollywood! Im Bereich Krypto werden wir auch noch einige Skandale erleben. Gier und Größenwahn verschwinden nie. Aber für die meisten Leute in der Finanzbranche ist das tägliche Geschäft ziemlich unspektakulär.
Im Zuge des Wirecard-Skandals gab es viel Kritik an der deutschen Wirtschaftspresse. Man wirft ihr vor, zu spät reagiert und sich von der PR des Konzerns einlullen lassen zu haben. Hat die Wirtschaftspresse Fehler gemacht?
Die Aufdeckung des Skandals war zweifellos das große Verdienst der “Financial Times”. Aber die “Wirtschaftswoche” – zu der Zeit war ich noch nicht dabei – hat mit dem Team um Melanie Bergermann eine Vorreiterrolle eingenommen. Sie haben vorbildliche Arbeit geleistet. Natürlich stellt man sich bei solchen Skandalen immer die Frage, ob man sich hat täuschen lassen. Man war an manchen Stellen nicht kritisch und hartnäckig genug – aber das betraf nicht nur die Medien, sondern auch die Politik. Einige wollten unbedingt das erfolgreiche Technologieunternehmen, das nächste SAP, sehen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Es wurden auch Heerscharen von Wirtschaftsprüfern, Anwälten und Bankern von Wirecard betrogen. Das Interesse an Wirecard nimmt allerdings stark ab. Wichtiger ist jetzt, dass wir das nächste “Wirecard” frühzeitig erkennen.
Was hat die Wirtschaftspresse konkret aus dem Wirecard-Skandal gelernt?
Das wird sich zeigen, wenn wir das nächste “Wirecard” entdecken. Ich kann für die “Wirtschaftswoche” sagen, dass unser Investigativteam regelmäßig über den Graumarkt, Skandale oder Betrugsmaschen berichtet. Trotzdem sehe ich keine wirkliche Verbesserung auf der Anlegerseite. Viele fallen immer wieder auf dieselben Muster herein. Das ist ein Phänomen, das sich durch die vergangenen 200 Jahre Finanzgeschichte zieht: Schneeballsysteme, Betrug, Hochstapelei. Es wiederholt sich. Wir können nur hoffen, dass wir solche Fälle früh genug aufdecken und darüber berichten.
Wirtschaftswoche investigativ: Bereits seit 2012 arbeitet Investigativ-Journalistin Melanie Bergermann für die “Wirtschaftswoche”. Sie und ihr Team liefern regelmäßig Enthüllungen aus der Finanz- und Wirtschaftswelt. Bei der Aufdeckung des Wirecard-Skandals spielte sie eine herausgehobene Rolle und veröffentlichte bereits 2016 den ersten Artikel.
Aktuelle investigative Recherchen der “Wirtschaftswoche”:
Der Ölprinz: Anleger haben mehrere Millionen Euro investiert und verloren alles – auch weil Geld über zweifelhafte Kanäle abfloss wiwo.de
Wie Hörmann die Russland-Sanktionen umschifft wiwo.de
Ottobock: Wie Näder die Zukunft des Unternehmens gefährdet wiwo.de
Wie Angermayer bei Northern Data abkassiert wiwo.de
Die unseriösen Geschäfte des Spielerberaters Daudert wiwo.de
Im Politikjournalismus liegt die Herausforderung oft im Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz zu den Akteuren. Bei Wirtschaftsthemen dürfte das ähnlich sein. Wo ziehst du die Grenze zwischen Nähe und Distanz zu den Protagonisten der Wirtschaft?
Grundsätzlich sollte man als Journalist immer eine gesunde Distanz zu seinen Gesprächspartnern wahren, egal ob es sich um einen Dax-CEO oder einen lokalen Unternehmer handelt. Sie wissen auch, dass es unsere Aufgabe ist, ihnen auf die Finger zu schauen. In der Startup-Szene wirkt das auf den ersten Blick manchmal anders. Dort wird sich schneller geduzt und der Umgangston ist lockerer. Da kann es vorkommen, dass manche überrascht sind, wenn wir kritisch berichten. Aber wir sind nicht deren Kumpel! Andererseits bedeutet kritische Distanz nicht, alles schlecht zu finden. Es geht um gesunden Menschenverstand, Respekt und eine normale journalistische Distanz. Was ich derzeit als größeres Problem sehe, ist, dass manche Journalisten seit Corona ihre Gesprächspartner nicht mehr persönlich treffen. Stattdessen macht man schnell einen Teams-Call. Aber es ist so wichtig, Menschen persönlich kennenzulernen! Für Journalisten geht es weniger um die Frage “Homeoffice oder Büro?”, sondern darum, draußen unterwegs zu sein und vor Ort mit den Menschen zu sprechen. Der klassische “rasende Reporter” wird auch im Zeitalter der KI erfolgreich sein, weil er das Neue in die Welt bringt.
Du hast der “Wirtschaftswoche” vor knapp einem Jahr ein neues Layout und neue Strukturen gegeben. Von der turi2-Mutter Oberauer gab es dafür den European Publishing Award als “Magazine of the Year”. Woran machst du fest, ob ein Relaunch gelungen ist? In Zeiten, in denen die Auflagen branchenweit sinken, ist die Zahl der verkauften Hefte immer weniger ein Gradmesser.
In der heutigen Zeit braucht man deutlich mehr Geduld, um den Erfolg eines Relaunchs zu beurteilen. Aber wir sind nach einem Jahr sehr zufrieden: Wir haben nicht nur Preise gewonnen – sondern sind in diesem schwierigen Jahr auf Wachstumskurs. Besonders bei den digitalen Abos konnten wir zulegen, auch bei den Anzeigen, die Reichweite von wiwo.de ist um ein Drittel gestiegen. Der Relaunch strahlt also auf die gesamte Marke ab. Darum ging es mir, es ging nicht nur um das neue Design eines Magazins. Der Relaunch war ein Startpunkt, um die “Wirtschaftswoche” neu zu denken. Ich wollte gemeinsam mit der Redaktion die Marke aufwerten, auffrischen – und den Markenkern schärfen und stärken: Wir haben ja einen starken Kern im Bereich Nutzwert, bei den Themen Geldanlage und Immobilien, bei Karriere und Management. Darüber hinaus haben wir Schwerpunktthemen definiert, bei denen wir in jedem Fall vorne mitspielen wollen – und überall dort haben wir die Redaktion umgebaut, ausgebaut und neue Produkte geschaffen. Unser neuer Claim “Weiterdenken, weiterkommen” unterstreicht das. Die “Wirtschaftswoche” soll Menschen befähigen, bessere Entscheidungen zu treffen – sei es für ihr Depot, den Kauf einer Immobilie, das eigene Unternehmen oder die Karriere. Insgesamt lässt sich nach einem Jahr sagen, dass das Konzept sehr gut bei den Leserinnen und Lesern ankommt.
Wirtschaftswoche historisch: Unter dem Namen “Der deutsche Volkswirt” erscheint die “Wirtschaftswoche” 1926 das erste Mal. Das Blatt ändert seinen Namen mehrfach und fusionierte mit unterschiedlichen Wirtschaftstiteln, der wohl prominenteste ist 1971 “Der Aktionär”. Seit 1974 steht der Name “Wirtschaftswoche” allein auf dem Cover der Zeitschrift, die zur Handelsblatt Media Group gehört und in Düsseldorf produziert wird.
Die “Wirtschaftswoche” ist eine der traditionsreichsten Zeitschriften Deutschlands. In zwei Jahren feiert Ihr 100. Geburtstag. Wie schwer ist es, so eine Traditionsmarke neu zu erfinden?
Als ich die “Wirtschaftswoche” übernommen habe, habe ich mich gefreut, hatte aber auch großen Respekt und Demut vor dem Erbe dieser Marke. Schon bei “Capital” habe ich allerdings gelernt: Von Tradition allein kann man sich nichts kaufen. Wir müssen die nächste Generation für uns gewinnen. Das bleibt eine ständige Herausforderung. Zweitens: Ich glaube fest an die Stärke unserer Marke. Unsere Branche hat oft den Fehler gemacht, zu denken, dass sinkende Print-Auflagen bedeuten, die Marke sei nicht mehr stark. Das stimmt aber nicht. Gerade in Krisenzeiten merken wir, wie viel Vertrauen Menschen in die “Wirtschaftswoche” haben. Nicht nur in den Nutzwert: Wir sind eine Stimme der ökonomischen Vernunft. Viele Leserinnen und Leser verbinden mit unserem Namen Werte wie Freiheit, Unternehmertum und die soziale Marktwirtschaft. Die eigentliche Herausforderung wird sein, dass die nächste Generation auch lernt und schätzt, wofür die “Wirtschaftswoche” steht. Die Millennials erinnern sich vielleicht noch daran, dass die Eltern die Zeitschrift im Abo hatten. Aber bei den Kindern der Millennials ist das schon nicht mehr selbstverständlich.
Zum Relaunch hattest du Print als die “Herzkammer” der “Wirtschaftswoche” bezeichnet. Aber diese Herzkammer schrumpft: Ihr verkauft noch knapp 87.000 Exemplare, eure Auflage hat sich seit 1998 mehr als halbiert. Wie lange lohnt es sich noch, zu drucken?
Der starke Rückgang der Auflage betrifft nicht nur uns, sondern viele Traditionstitel. Gleichzeitig konnten viele Marken digitale Abos aufbauen, bei uns ist es etwa die Hälfte. Das ist gut, aber nicht genug. Wir arbeiten hart daran, weiter zu wachsen. Wir alle erleben aber eine Sättigung im Abomarkt, es geht jetzt um Haltbarkeit und Werthaltigkeit der Abos, nicht mehr nur um die reine Anzahl. Als ich von der “Herzkammer” gesprochen habe, meinte ich die Relevanz und die Gravitas, die ein Magazin für eine Marke mit sich bringt. Es symbolisiert, woher wir kommen. Natürlich liegt die Zukunft im Digitalen, das ist uns allen klar. Aber das Print-Magazin spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Es bietet Orientierung und trägt zu einem signifikanten Teil unserer Erlöse und Gewinne bei. Wir werden drucken, solange genügend Menschen sich eine gedruckte Ausgabe wünschen.
Es ist also durchaus vorstellbar, dass die “Wirtschaftswoche” irgendwann nur noch digital erscheint?
Die “Wirtschaftswoche” wird in den nächsten Jahren als gedrucktes Magazin auf jeden Fall eine Rolle spielen, so viel steht fest. Kann ich garantieren, dass es in 20 Jahren noch gedruckt wird? Natürlich nicht. Aber: Wir sind keine reine News-Marke und unser Wochenzyklus passt gut zu den Lesegewohnheiten am Wochenende. Alle großen Marken kämpfen darum, das Wochenende zu besetzen, weil die Menschen Zeit zum Lesen haben. Da geht es um Vertiefung und Entschleunigung. In dieser Hinsicht hat die “WiWo” eine gute Ausgangsposition.
Glückliche Gewinner in Wien: Verleger Johann Oberauer zeichnet Creative Director Patrick Zeh und Chefredakteur Horst von Buttlar im Juni für den Relaunch der “Wirtschaftswoche” mit dem Award “Magazine of the Year” aus.
Dein nächster großer Schritt ist der Relaunch des Digitalangebots, der genau heute in einer Woche, am 23.10., live gehen soll. Was kannst du uns dazu schon verraten? Was plant ihr?
Wir passen zum einen das Design von wiwo.de an – es wird aufgeräumt, wertig und unverwechselbar, wie das Magazin. Gleichzeitig bieten wir neue Formate, Kolumnen und Tools, etwa für die Suche von Immobilienpreisen. Wir wollten aber auch unser digitales Angebot schärfen: Wir haben uns gefragt: Wo können wir einen Unterschied machen? Unser Anspruch ist es nicht, die erste News zu liefern, sondern nach der Nachricht die erste fundierte Einordnung und den ersten klugen Gedanken. Natürlich haben wir auch exklusive News und investigative Recherchen, aber unser Fokus liegt auf Nutzwert und Analyse. Diese klare Fokussierung spiegelt sich in unserer täglichen Arbeit. Jeden Tag fragen wir uns: Können wir bei einem Thema einen wirtschaftlichen Dreh bieten? Können wir einen echten Mehrwert liefern?
Kannst du ein Beispiel dafür geben?
Ein Beispiel sind geopolitische Konflikte, wie die Eskalation im Nahen Osten. Wir berichten natürlich darüber, was passiert, aber wir machen das mit einer wirtschaftlichen Perspektive. Was bedeutet das für den Ölpreis? Wie schlägt sich Israels Wirtschaft? Wir haben mit Unternehmern und Gründern aus Israels Tech-Szene gesprochen, wie die unter diesen Umständen ihre Unternehmen am Laufen halten. Wir haben aber genug klassischen Stoff bei unseren Kernthemen – sei es die Zinswende, die Rezession, die Höchststände am Aktienmarkt – und das Transformationschaos in der Autoindustrie. Diese Branche ist für uns und unsere Leser von großer Bedeutung, da haben wir eine hohe Kompetenz. Wir können aber nicht in jeder Branche vorn mitspielen – nimmt etwas die Musikindustrie: Wir machen vielleicht eine Spotify-Geschichte, das ist aber nicht unser Kern. Und wir müssen und werden alle Kräfte darauf ausrichten, den Kern zu stärken. Bei den im Schnitt 20 selbst recherchierten Artikeln, die wir täglich online publizieren, ist es wichtig, die Kräfte richtig einzuteilen. Andernfalls laufen wir Gefahr, uns zu verzetteln.
Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Die Inflation ist noch nicht ganz überwunden, der Krieg in der Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten sind aktuelle Themen. Sind das gute Zeiten für den Wirtschaftsjournalismus?
Ich möchte nicht zynisch sein, aber ja, Krisen und die ständigen Aufs und Abs in der Wirtschaft liefern für uns als Journalisten neuen Stoff. Das aktuelle Jahr war aber schwierig, alle fragen sich ja: Wie schlecht ist die Lage und wie die Stimmung? Und tragen wir Medien zu der schlechten Stimmung bei? Da muss man sich immer wieder prüfen: Wir müssen klar und hart sagen, wie die Lage ist, dürfen nicht wie der Kanzler etwas schönreden. Aber viele Leserinnen und Leser wollen nicht nur Geschichten über Krise und Untergang, wir müssen auch Inspiration und Lösungen anbieten. Ich nenne das “Inseln der Hoffnung”. Ich nerve meine Redaktion auch damit: Ein Magazin, sage ich oft, sollte nie wie ein Fleischsalat sein. Die erste Gabel schmeckt, die zweite auch, aber bei der dritten hat man genug. Es muss immer Abwechslung und etwas Neues kommen.
(Fotos: Holger Talinski für turi2 (Titel), Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl)