KI rührt die Werbetrommel: Wie Content Fleet mit “Keyword Cluster” das SEO-Game aufmischen will.
15. März 2024
Schlagwortspiele: Seit dem Siegeszug von OpenAI haben Tools, die Künstliche Intelligenz nutzen, in vielen Redaktionen und Agenturen Einzug gehalten. In der Werbetechnologie und in der Verarbeitung großer Datenmengen spielt KI schon deutlich länger eine bedeutende Rolle – aber auch hier wird die KI immer besser. Im Interview mit turi2 erklären Gerald Engel, Director Consulting bei der Hamburger Agentur Content Fleet, und Max Braun, Director SEO & Performance, die Möglichkeiten von KI im SEO-Geschäft. Mit ihrem Tool “Keyword Cluster” soll die Optimierung von Landing Pages deutlich einfacher werden – Google helfe durch die kontinuierliche Anpassung seines Algorithmus sogar dabei.
Bei KI in der Werbung denke ich zuerst an Kreation, an Texte, an Werbevideos, an Kampagnenmotive, die man bisher so noch nicht gesehen hat. Bei der Aussteuerung von Kampagnen ist das, was die KI macht, für mich als Journalist deutlich weniger greifbar. Könnt Ihr das ein wenig erklären? Gerald Engel: Ganz generell hilft uns KI auch bei der Generierung von Inhalten und Texten. Fertige Texte kann sie noch nicht in einer Qualität liefern, die unseren Maßstäben entspricht. Da stecken zu viele Halluzinationen drin. Aber in der Struktur von Inhalten, in der Auswahl von Themen, im Vorbereiten von Arbeiten, in Brainstorming-Prozessen nutzen wir das sehr gerne, weil mit der KI eine völlig andere Perspektive reinkommt, die uns hilft, Dinge besser zu verstehen. Klar ist aber auch, ohne HI – ohne humane Intelligenz – geht es noch nicht recht. Bei der Steuerung von Kampagnen setzen die großen Netzwerke schon jetzt auf KI. Der menschliche Eingriff ist kaum noch vorgesehen. Hier geht es vor allem um die Bewertung von Werbemitteln, welche funktionieren gut, welche schlecht. Und das auf vielen Ebenen: Tageszeit, Zielgruppe, Umfeld, vorher gesehene Inhalte, Nutzungsverhalten. Es spielen so viele Daten eine Rolle, dass ein Mensch schlicht überfordert wäre, hier die Zusammenhänge zu erkennen und dann auch zielgerichtet auszuspielen. Die Möglichkeiten, die wir bei der manuellen Ausspielung von Kampagnen haben, bilden nur einen Bruchteil der vorhandenen Daten ab, diese kann man nur mit KI voll ausnutzen.
Soll es denn irgendwann ganz ohne humane Intelligenz gehen? Gerald Engel: Besser nicht. Das wäre doof. Wenn man sich anschaut, wie rasant sich die KI-Tools entwickelt haben, können wir davon ausgehen, dass die Qualität stetig steigt. Aktuell haben wir Probleme mit der Datenbasis, die aus Prinzip immer veraltet ist, weil nichts in Echtzeit funktioniert. Unsere Vision ist es, dass wir notwendige Arbeiten, die “lästig” sind, verstärkt maschinell erledigen können. Damit sich die Menschen auf das konzentrieren können, wo echte Kreativität und emotionale Intelligenz gefragt sind. In der emotionalen Ansprache von Zielgruppen, Reportagen, bei Interviews und Reporter-Situationen, die man tatsächlich erlebt haben muss, werden wir weiterhin auf Menschen setzen. Hier braucht es vor allem Authentizität und das kann eine KI nicht leisten. Auch im strategischen Überbau, in der Konzeption, bin ich sehr überzeugt davon, dass wir am Ende alle das Gleiche machen würden, wenn es eine KI erledigt, weil die echte Kreativität fehlt.
Max Braun: Auf der anderen Seite ist es auch so, dass wir viele Prozesse durch KI überhaupt erst ermöglichen können. Beispielsweise ermöglicht die Applikation “Keyword-Cluster”, die wir gerade vorgestellt haben, Analysen, die von Hand gar nicht machbar wären. 100.000 Keywords auf Basis einer Such-Intention sortierst du auch mit einer Armada von 50 Werkstudenten nicht mit demselben Ergebnis, wie eine KI das schafft. Heißt: Wir sind schon völlig abhängig in bestimmten Prozessen und können gar nicht mehr ohne sie arbeiten, weil bestimmte Datenmengen anders nicht auswertbar sind.
Gerald Engel, 40, ist bei Content Fleet als Director Consulting und Mitglied der Geschäftsleitung an Bord. Er verantwortet die generelle Unternehmenssteuerung und -Entwicklung, außerdem ist er für Konzeption und Strategie im Neu- und Bestandskundengeschäft zuständig und leitet das Strategie-Team. Er ist seit 2019 bei der Hamburger Agentur. Zuvor war er zehn Jahre bei der SEO-Agentur Testroom, u.a. als Head of SEO und Director Consulting. linkedin.com
Ihr habt die App Keyword-Cluster gerade schon angesprochen. Nehmt uns doch mal mit und erklärt: Was kann dieses Programm und wie funktioniert es? Max Braun: Keyword-Cluster beantwortet zentrale kritische Fragen in der SEO Strategie. Nämlich, in dem es einen Paradigmenwechsel vollzieht, dass nicht mehr das Keyword im Fokus steht, wie es die letzten 20 Jahre immer der Fall war, sondern ein Keyword Cluster. Dieses besteht aus einer Zusammenfassung von Begriffen, die im Kern die gleiche Such-Intention haben. Beispielsweise sind “Margarita Pizza köln”, “Margarita Pizza günstig Köln” und “Margarita in Köln bestellen” syntaktisch unterschiedliche Begriffe, die aber im Kern dieselbe Such-Intention haben. Dadurch, dass Menschen fragmentiert suchen, wird der Datensatz extrem aufgeblasen und Marketing-Entscheider haben die Herausforderung, aus 100.000 Keywords die richtige Handlungsempfehlung zu generieren. Da greift Keyword-Cluster direkt an, indem es dir nicht sagt: Der Markt nutzt 100.000 Keywords und 10 Millionen Suchvolumen. Das ist der alte Stand. Wir sagen Marketing-Entscheidern dagegen – egal für welche Industrie, für welchen Ort – wie viele und welche Zielseiten sie brauchen. Und wir sagen dir auch zusätzlich, welche Priorität Zielseiten haben. Ist Salami Pizza oder Margarita Pizza wichtiger in Köln? Wir sagen auch, welches Keyword auf welche Zielseite gehört und verhindern so Keyword-Kannibalisierung. Zusätzlich können wir durch die Analyse sagen, ob nicht nur Text, sondern auch Bild und Video wichtig sind. Hintergrund: Google sieht eine große Bedrohung durch die TikTok- und Social-Media-Suchmaschinen und reagiert darauf, indem es für viele Suchbegriffe primär Videos oder Bilder rankt. Und wir können dir sagen, wie tief dein Inhalt optimiert sein muss. Ich denke bei “Margarita Köln Pizza bestellen” ist die Tiefe begrenzt. Wenn du aber bei “Was hilft gegen Halsschmerzen” optimieren möchtest, beispielsweise als Pharmahersteller, dann kannst du dazu auch ruhig 6.000 Wörter schreiben und bist immer noch nicht am Ende, weil das ein großes Thema ist.
Max Braun, 35, ist bei Content Fleet Director SEO & Performance, er ist Co-Founder und Geschäftsleiter von Keyword-Cluster. Er ist seit 2014 bei Content Fleet und ist neben der generellen Unternehmenssteuerung und Entwicklung für die Geschäftsentwicklung aller performance-relevanten Produkte zuständig. linkedin.com
Wo kommen die ganzen Daten her, auf die Ihr da zugreift? Max Braun: Die Daten kommen aus unterschiedlichen Quellen. Am Anfang steht die Keyword-Recherche. Das sind primär Google-eigene Daten. Die Suchmaschine bietet ihren Werbekunden Keyword-Daten an, damit sie wissen, worauf sie buchen können. Wir nehmen dann jedes einzelne Keyword, geben es bei Google ein und importieren es in unser Data Warehouse. Das können durchaus mehrere Hunderttausend sein, je nachdem, wie groß die Seite ist. Keyword-Cluster kann über 52 Sprachen und 155 Länder abdecken und so den gesamten Google-Index bedienen. Das ist die Datengrundlage für unseren Machine-Learning-Sortier-Algorithmus, der die Cluster bildet. Das Ergebnis ist die Cluster-Analyse, woraus dann die Fragen beantwortet werden, die am Anfang standen.
Wenn Google seine Suchalgorithmen ändert, zittern alle Content Creators und Werbemenschen. Wie oft müsst ihr euer Data Warehouse updaten und aktualisieren? Max Braun: Das ist das Tolle an Keyword Cluster: Google macht unser Produkt von sich aus immer besser, weil nämlich der Google-Suchalgorithmus immer besser wird. Und dadurch werden auch die Ergebnisse der Analyse immer besser. Wir kennen zwar nicht den Suchalgorithmus von Google, aber dessen Ergebnisse. Und wenn der Algorithmus besser wird, werden auch unsere Ergebnisse besser. Das heißt, wir haben eine Billionen-Company im Hintergrund, die unser Tool kostenlos besser macht. Veränderung ist für uns also eher eine Chance als eine Bedrohung. Und ich gehe nicht davon aus, dass die Leute in den nächsten vier Jahren nur noch Chatbot-Suchmaschinen nutzen. Allein schon, weil Google und Microsoft es sich finanziell nicht leisten können, dauerhaft nur AI-Antworten zu geben. Eine Suchergebnis-Seite über ChatGPT ist viel teurer als eine normale Suchergebnis Seite, was Strom- und Server-Kosten angeht.
An wen richtet sich Keyword-Cluster neben der erwähnten Pizzeria um die Ecke? Max Braun: An jeden, der über Suchmaschinen Reichweite aufbauen möchte.
Also im Prinzip auch an den Journalismus? Max Braun: Keyword-Cluster hat keine Limitierung in der Industrie oder der Zielgruppe. Eine Schwäche hat Keyword Cluster, die Schwäche, die jede Suchmaschinen-Strategie hat: Wir wissen nur, was in der Vergangenheit relevant war. Wir wissen nicht, was für die Zukunft relevant sein wird. Wir wissen, dass das Videospiel “Fifa 23” ein hohes Suchvolumen hat. Wir wissen aber nicht, wie “Fifa 26” funktionieren wird. Für alle Branchen, in denen der Markt konstant ist, ist Keyword-Cluster super. Pizza Margarita werden die Leute noch in zehn Jahren essen wollen. Aber die Neuerungen im Markt können wir natürlich nicht abdecken, weil die Daten nicht zur Verfügung stehen.
Die Content Fleet GmbH wurde 2010 als Content-Marketing-Agentur in Hamburg gegründet. Mit mehr als 180 festangestellt Beschäftigten, davon 100 Content-Expertinnen, bietet Content Fleet u.a. Konzeption, Portal-Entwicklung und Content-Kreation an. Zum Kundenstamm gehören Unternehmen aus verschiedensten Branchen, Agenturen und Publisher. Seit 2015 ist Content Fleet Teil von Ströer und nutzt das Netzwerk des Außenwerbe-Riesen.
Darüber, wie sich die Agentur ausspricht – ob deutsch, mit langem “e” und Referenz auf den niederdeutschen Begriff für “Wasserlauf”, oder wie das englische Wort für “Flotte” – scheiden sich die Geister, auch innerhalb der Agentur. contentfleet.de
Wenn jetzt viele Anbieter Keyword Cluster nutzen und auf die gleichen Suchbegriffe zugreifen, wird es da nicht ein bisschen eng? Max Braun: Nein. Ich glaube tatsächlich, dass jede Marke einen Mehrwert davon hat, weil am Ende deren Kunden einen absoluten Mehrwert davon haben. Der Nutzer bekommt zielgerichteter den Inhalt, den er wirklich braucht. Bleiben wir bei dem Margarita-Pizza-Beispiel: Wenn ich weiß, dass Margarita in Köln gesucht wird, dann ist es doch viel schöner, wenn ich eine Landingpage direkt für Margarita zur Verfügung stelle statt für alle Pizzen, die ich im Angebot habe. Kunden müssen dann nicht mühselig 27 Vorschläge durchwühlen, bis sie die Margarita finden. Was natürlich der Punkt bei allen evolutionären Ansätzen ist: Der erste hat den größten Mehrwert.
Gerald Engel: Wenn jetzt zehn im Wettbewerb stehende Unternehmen Keyword-Cluster nutzen, dann ist es wie in jedem Wettbewerb: Wer es am besten nutzt und die Daten am besten interpretiert, der wird sich am Ende auch durchsetzen. Wir bieten ja am Ende nur eine Datengrundlage, die dann weiterverarbeitet werden muss.
Max Braun: Ein anderes Beispiel: Wir können bei Keyword-Cluster durch die Rohdatenanalyse exakt sagen, zu welchem Cluster welcher Marktteilnehmer welchen Marktanteil hat. Zum Beispiel bei Pflanzen. Auch Otto, Real, Amazon und Ebay verkaufen Pflanzen. Aber sie haben wirklich wenige URLs zu dem Thema. Da geht es um große Pflanzen, kleine Pflanzen oder Kunstpalmen. Sich als kleiner Anbieter dagegen durchzusetzen ist anfangs schwer. Wenn du aber “Pflanze klein im Topf” oder “Schreibtischpflanze klein” aussuchst und das tatsächlich 1.000 Leute im Monat suchen, merkst du plötzlich: “Ach, das ist als Cluster tatsächlich relevant.” Jedes Keyword an sich ist nicht groß, aber wenn man sie alle zusammennimmt, kannst du dich als Nischenanbieter positionieren. Für Otto oder Amazon ist das nicht relevant genug. Für den Nischenanbieter ist es aber Gold wert. Weil Google immer zuerst die Seite rankt, die genau “Schreibtischpflanze klein im Topf” anbietet.
Dass die großen Sprachmodelle zum Fantasieren neigen, dass deren Ergebnisse zum Teil diskriminierend sind, wissen wir alle. Wie ist das bei Keyword-Cluster. Kann man da Gefahr laufen, dass es in eine falsche Richtung geht? Max Braun: Natürlich kann es nicht zu 100 % ausgeschlossen werden. Die Daten kommen ja nicht von uns, sondern sie werden primär von Google entwickelt.
Aber ihr stellt die Zusammenhänge her. Gerald Engel: Diskriminierung müsste strukturell in den Daten drin sein und das haben wir bei Google noch nie beobachtet. Die Gefahr ist eher, wenn ich jetzt als menschlicher Redakteur oder Redakteurin die Daten bekomme und dazu einen Text schreibe, dass dann Diskriminierung reinkommen kann. Aber das liegt völlig außerhalb der Einflusssphäre vom Keyword-Cluster. Das ist anders als bei den Sprachmodellen, weil kein fertiger Text rauskommt, der durch irgendwelchen Input entstanden ist, sondern die Texte entstehen einfach nur auf Grundlage der Daten. Und die sind per se erst mal nicht diskriminierend, soweit wir das beobachten konnten.
Zum Schluss ganz grundsätzlich: Was kann KI im Ad-Tech-Bereich im Moment schon gut und wo stößt sie an ihre Grenzen? Max Braun: KI ist durch ChatGPT 3.0 total viral gegangen, aber Midourney, ChatGPT, Stable Diffusion – das gab es alles vorher auch schon. Google arbeitet seit über einem Jahrzehnt mit AI, alle großen Werbeplattformen, sei es Meta oder sonst wer, tun das. Im Datenbereich ist AI schon lange die Norm. Mein Lieblingszitat des Google-Chefentwicklers ist: “Ich weiß selber nicht, wie die Rankingfaktoren bei Google sind. Wir können das Suchergebnis nicht mehr debuggen.” Denn die KI entscheidet zu stark, welche Gewichtungsfaktoren pro Keyword welche Relevanz haben. Das heißt, sie haben tatsächlich die gesamte Hoheit der Datenentscheidung in die AI-Modelle integriert.
Wo seht ihr die nächsten großen Sprünge, die da noch kommen? Max Braun: Die Zukunft wird aus meiner Sicht immer weiter darauf aufbauen. Dann sind aber die Daten nicht mehr nur dazu da, zu supporten oder Empfehlungen auszusprechen, sondern aus meiner Sicht haben die Daten in Zukunft die einzige Entscheidungshoheit über alle Konten. Die großen Werbepartner und die großen Industrien im Markt wollen eigentlich nur noch zwei Knöpfe zur Verfügung stellen: Einen mit der Kreditkartennummer und der zweite ist ein Knopf mit: “Los geht’s”. Dort kannst du sagen, was du erreichen willst und Meta und Google machen alles im Hintergrund automatisch. Google-Max-Performance-Kampagnen sind ein Ansatz in diese Richtung und auch die Werbepartner machen immer mehr mit AI-Unterstützung. Das heißt, die Daten entscheiden, wie ein Asset gestaltet wird und schreiben neue Anzeigen. Google selbst schreibt seit mehr als fünf Jahren schon Suchergebnisse um, wenn Google denkt, das sieht besser aus als das, was du eigentlich schreiben wolltest.