“Klingt geil, Bro” – Warum die Schufa Influencer ins #schufaoffice schickt.
15. Oktober 2024
Sketche für den Sympathie-Score: Wenn alte Marken junge Menschen ansprechen, lauert hinter jeder Werbebotschaft der Cringe, dieses knirschende Gefühl, wenn sich einem vor Fremdscham alles zusammenzieht. Die Schufa setzt seit 2023 in ihrer Imagekampagne #SCHUFAKlärt auf Influencer-Sketche und Selbstironie und schickt die 2024 im #schufaoffice sogar in Serie. Die Auskunftei beweist: Wer den Cringe umarmt, kann daraus Comedy machen, darin Werbebotschaften verpacken – und ganz nebenbei Sympathiepunkte sammeln, findet Autorin Anne-Nikolin Hagemann.
Beinahe jeder kennt sie, viele fürchten sie, nicht wenige wollen sie am liebsten abschaffen – nur wie genau die Schufa arbeitet, wissen die wenigsten. Lange Jahre hatte das Unternehmen selbst auch gar kein Interesse daran, dass Verbraucher wissen, wie genau sich ihr persönlicher Score berechnet, mit dessen Hilfe die Unternehmenskunden der Schufa entscheiden, wem sie Wohnungen vermieten, Darlehen geben oder Kreditkarten verkaufen.
Doch seit 2022 ist das anders: Die “neue Schufa” will modernes Digitalunternehmen sein, verspricht Transparenz und entdeckt den Verbraucher als Kunden – und Verbündeten. Sie positioniert sich als Schützerin vor der Schuldenfalle und Retterin des guten Rufs, verrät Tipps und Tricks, um den eigenen Score zu verbessern, warnt vor Finanz-Fehlern, die ihn verschlechtern können. Denn auch die Schufa habe kein Interesse daran, dass Menschen Schwierigkeiten mit ihr bekommen, sagt Josephine Ackerman, Head of Strategy and Brand: Die neue Schufa verstehe sich als fairer Vermittler zwischen Verbrauchern und Unternehmenskunden. Nach Gesprächen mit Schuldnerberatern und Psychologen habe man 2023 beschlossen, dass die “konsequente Weiterentwicklung der Transparenz-Offensive” bedeute, aktiv auf eine (noch) unvoreingenommene Zielgruppe zuzugehen – bevor diese überhaupt zur Fokus-Zielgruppe wird: “Wir wollen jungen Menschen am Beginn des Wirtschaftslebens erklären, wer wir sind und welche Rolle Credit-Scoring in der Gesellschaft hat, bevor bei ihnen Mythen darüber entstehen.”
Josephine Ackerman ist Bereichsleiterin Strategie und Marke der Schufa und einer der Köpfe hinter der Influencer-Werbung der Auskunftei.
Also entsteht in Zusammenarbeit mit der Kreativagentur bitfuel die Markenkampagne #schufaklärt: Influencer auf Instagram und TikTok drehen und posten Sketche und Finanztipp-Videos mit Schufa-Bezug. Denn: “Komplexe Inhalte wie Finanzthemen werden besser aufgenommen und haben eine größere Reichweite, wenn sie en passant kommuniziert und wahrgenommen werden – zum Beispiel beim Lachen”, sagt Ackerman. So lässt etwa Jovana Jovic alias @joyyy_tv ihre Kunstfigur Celine, mit zu dunklen Make-Up, aufgemalten Brauen-Balken und dem Highlighter-Ausrufezeichen auf der Nase schon rein optisch der personifizierte Cringe, in prollig-überzeichnetem Slang erklären, warum der Schufa-Score wichtig ist, wenn man eine Kreditkarte haben möchte. Dass zwischen all dem “Baba”, “Bruder” und “Isch schwör” die Bonität zur Bonsität wird – geschenkt. “Man darf nicht davor zurückschrecken, dass man als weniger seriös wahrgenommen werden könnte, wenn man Botschaften ungewohnt aufbereitet”, sagt Ackerman. Zu Beginn der Kampagne schlägt sie schon mal im Jugend-Dictionary nach, um herauszufinden, dass Celine den verantwortungsvollen Umgang mit Geld ihres Gegenübers lobt, wenn sie quietscht: “Boah, du hast voll Kontrolle über dein Para!”
Kommentar aus der Community: “Ist das wirklich Schufa-Werbung?!”
2024 entwickeln Schufa und Agentur die Markenkampagne weiter, um mehr Reichweite zu erzielen und das Publikum zum Dranbleiben zu bringen: Statt einzelner, auf die jeweiligen Influencer und ihre Followerschaft zugeschnittene Sketche gibt es nun eine Social-Media-Serie, in der mehrere Influencer gleichzeitig als Schauspieler auftreten. Im Stil einer Fake-Doku nach Vorbild von “The Office” und dessen deutscher Variante “Stromberg” geben kleine Clips Einblick ins #schufaoffice: @joyyy_tv als Celine ist die neue Praktikantin und bekommt stellvertretend für die Zielgruppe erklärt, wie die Schufa arbeitet. Die präsentiert sich selbstironisch: Da gibt es zum Beispiel den bemüht-lockeren Boomer-Chef (Cringe!), gespielt von Flo Simbeck, den die Älteren noch als Stefan von Erkan und Stefan erkennen dürften. Und den IT-Nerd, der natürlich auf keinen Fall private Daten abfragt.
Das Schufa-Office spielt mit Vorurteilen, in denen ein kleiner Kern Wahrheit steckt: Natürlich ist die neue Art der Kommunikation ein krasser Kontrast zur früheren Linie der Schufa – und erscheint auf den ersten Blick ähnlich unbequem wie die Versuche des fiktiven Chefs, die Praktikantin zum Lachen zu bringen. Aber: “Um in der heutigen Zeit zwischen der Vielzahl an kommunikativen Botschaften die neue Schufa anders zu positionieren, braucht es ein mutiges Konzept”, sagt Josephine Ackerman. Das sei auch dem Vorstand klar gewesen. Trotzdem: Als sie das Konzept von #schufaklärt 2023 präsentiert, denkt ein Vorstandmitglied erst, sie mache Scherze. Nachdem der Kollege aber merkt, dass es ihr ernst ist, steht er, wie der Rest des Vorstands, voll hinter der Idee.
Kommentar aus der Community: “Celine lösch mal so mäßig mein Score. Wallah billah ich küss doch dein Herz”
Die große Herausforderung, sagt Josephine Ackerman, sei der Spagat zwischen Inhalt und Unterhaltung gewesen: “Thematisch und inhaltlich auf den Punkt sein – aber trotzdem noch genügend Witz mitbringen, damit es gut ankommt.” Das Serienformat vermittelt dabei noch mehr Inhalte als die Influencer-Sketche zu Beginn der Kampagne, bei denen es reichte, klar zu machen, was die Schufa eigentlich ist. Im #schufaoffice dagegen erklärt Felix Berthold in einer Doppelrolle als Buchhalterin Sonja und sich selbst als deren eher desinteressiertem Sohn, was sie eigentlich bei der Arbeit tut: das “Next Gen Scoring” entwickeln. Eine Gesprächssituation, die viele aus der Zielgruppe von zuhause kennen dürften.
In zwei Tagen, erzählt Josephine Ackerman, habe man 24 Folgen #schufaoffice gedreht, von denen nun rund 20 nach und nach live gehen. Alle Influencer zum Dreh zusammenbringen, die Skripte vorab mit ihnen und den verantwortlichen Abteilungen der Schufa abstimmen und jetzt, kurz vor Livegang, noch einmal letzte Feinkorrekturen im Schnitt vornehmen: Das Produktionsvolumen und ein enger Zeitplan seien die größte Herausforderung gewesen.
Die Influencer überhaupt zur Zusammenarbeit mit der Schufa zu bewegen, sei dagegen mit der Zeit einfacher geworden: Zu Beginn der Kampagne war die Absagequote “relativ hoch”. Die eigene Marke für die Zusammenarbeit mit der nicht unumstrittenen Schufa zu risikieren, traute sich nicht jeder. Mittlerweile sei die Influencerbranche “positiver eingestellt”, sagt Josephine Ackerman: “Die Auszeichnungen, die die Kampagne inzwischen gesammelt hat und die positiven Rückmeldungen der Community werden wahrgenommen.”
Kommentar aus der Community: “Schufa zu sehen triggered mich, aber weil du so funny bist habe ich bis zum Schluss geguckt 🙌”
“Das sind ja richtige Hustler hier bei der Schufa”
Celine bekommt Büro-Besuch von ihrem “Kuseng” – der ist beeindruckt, auch wenn der Chef nicht verraten will, was er verdient, und lieber stotternd die Neuerungen bei der Schufa aufzählt. Fazit: “Klingt geil, Bro”. Ein “gar nicht mal so riesiges” Mediabudget von weniger als 200.000 Euro sorgt dafür, dass Sketche wie diese auch das relevante Publikum auf Social Media erreichen, wenn es keinem der mitwirkenden Influencer folgt. Dass sie selbst die Kampagne nicht in ihren privaten Feed gespült bekommt, wertet Josephine Ackerman als Beleg dafür, dass das Targeting funktioniert.
Natürlich, erzählt sie, sei das #schufaoffice mit den Mitarbeitenden abgestimmt worden, zeigt es doch einen fiktiven Einblick in ihr Arbeiten. Und die seien “echt stolz darauf”, helfe es ihnen doch auch, die “neue Schufa” Familien und Freunden zu erklären. So taugt die Kampagne auch zum Employer Branding.
Kommentar aus der Community: “Ist das Comedy oder echt?”
“Isch wette, isch hab bessere Schufa-Score als du!”
Wenn Celine ihren Score in der Bonify-App checken kann, kannst das auch du: Auch dann, wenn die Sketche nicht nur unterhalten, sondern klar erkennbare Werbung sind, werden sie gerne angesehen. “Ein Produktbezug wird sofort von der Zielgruppe erkannt, aber nicht negativ bewertet”, sagt Josephine Ackerman. Bilanz nach mehr als der Hälfte des Kampagnenzeitraums von #schufaoffice: 28 Millionen Impressionen, 67.000 Likes und 1.200 Kommentare. Der Großteil davon positiv: “70 bis 80 Prozent positive Kommentare im Schufa-Kontext: So etwas hätte es früher nie gegeben.” Und: Kommen doch einmal negative Kommentare (“Digga, ihr wisst schon alle, was die Schufa ist und was sie mit euch macht”), werden sie oft “von der Community selbst beantwortet und eingeordnet”.
Der Erfolg von #schufaklärt und #schufaoffice beweist für Josephine Ackerman: “Kunden von morgen wollen auf Augenhöhe angesprochen werden, da, wo sie sich aufhalten, mit relevanten Botschaften. Und auf eine Weise, die sie kennen und mögen.” Es werde zu oft vom Absender her gedacht und den Botschaften, die der platzieren will. “Das wirkt schnell abstrakt und wenig individuell. Und wird schlechter verstanden.”
Vielleicht müssen sich Marken also in Zukunft einfach umgewöhnen: Dass die Zielgruppe über sie lachen könnte, muss ihnen keine Angst mehr machen. Sondern könnte das Ziel sein.
Kommentar aus der Community: “Richtig gut gemacht haha 🙌🏼”