eXit, aber wohin? Die Verbrüderung von Donald Trump und Elon Musk während des US-Wahlkampfes und danach führt aktuell zur nächsten großen X-Fluchtwelle. Prominentester Abgänger ist sicher der britische “Guardian”. Die Tageszeitung macht nach eigenen Angaben über 80 Accounts auf der “toxischen” Musk-Plattform dicht. Dass sich viele X-Exilanten dem Konkurrenten Bluesky “an den Hals” werfen, findet Jana Ballweber in unserer Medienkolumne “Kurz und KNAckig” unverständlich. Auch diese Plattform sieht die KNA-Medienjournalistin “kaum mehr als ein paar durchgeknallte Manager vom Schicksal von X entfernt”. Für Medienunternehmen gebe es eine echte Alternative.
Die Kolumne “Kurz und KNAckig” vom KNA Mediendienst erscheint alle 14 Tage donnerstags bei turi2. weitere Beiträge
von Jana Ballweber, KNA
Es ist nicht das erste Mal, dass Nutzerinnen und Nutzer der Plattform X zu Tausenden den Rücken kehren. Schon als im Frühjahr 2022 die ersten Gerüchte aufkamen, der umstrittene Tech-Milliardär Elon Musk könnte die Plattform übernehmen, legten viele sich eine Exit-Strategie zurecht. Dann wieder, als er die Plattform tatsächlich kaufte. Als er Journalistinnen und Journalisten sperrte. Als er die Verifikation abschaffte. Rassisten, Vergewaltiger und Antisemiten zurück auf die Plattform ließ – und als Höhepunkt Donald Trump, der über die Plattform seinerzeit den Sturm auf das Kapitol anheizte.
Immer wieder lösten diese Ereignisse Stürme der Entrüstung und gleichzeitig Fluchtwellen aus, hin zu Bluesky, Threads oder Mastodon. Bluesky verzeichnet seit der US-Wahl Millionen Neuzugänge. Die Neuanmeldungen auf Mastodon stiegen laut Gründer Eugen Rochko um 27 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Prominente wie der Autor Stephen King, die halbe österreichische Medienlandschaft und das britische Verlagshaus “The Guardian” wollen ihre Inhalte nicht weiter zwischen rassistische Memes, Kremlpropaganda und Bitcoin-Scams quetschen.
Andere zieren sich noch. Die “Süddeutsche Zeitung” berichtet beispielsweise über den Guardian mit dem Hinweis, man selbst diskutiere auch regelmäßig, ob das Aufrechterhalten der eigenen X-Kanäle noch mit den Standards vereinbar sei – allerdings ohne die Info, auf welchen Tropfen man denn im randvollen Fass wartet, bevor man sich dessen Überlaufen eingesteht.
Sicher, die Kosten für einen “eXit” sind hoch. Soziale Netzwerke, wie wir sie heute kennen, sind absichtlich so gebaut, dass man sie kaum verlassen kann, ohne seine Kontakte zu verlieren.
Umso unverständlicher, dass sich nun viele mit Bluesky dem nächsten von Venture Capital finanzierten Abenteuer an den Hals werfen. Es ist der Lauf der Dinge bei kommerziellen Plattformen: Nutzerinnen und Nutzer werden mit einem attraktiven Angebot gelockt und binden sich an die Plattform. Sie netzwerken fröhlich vor sich hin – bis die Investoren Gewinne sehen wollen und die Entscheidungen der Betreiber sich an deren Bedürfnissen orientieren.
Noch ziehen keine Gewitterwolken durch den blauen Himmel. Es ist auch nicht gesagt, dass der Sturm unweigerlich folgen muss – in vielerlei Hinsicht ist Bluesky (noch) besser aufgestellt. Aber dass auch diese Plattform kaum mehr als ein paar durchgeknallte Manager vom Schicksal von X entfernt ist, sollte doch zu denken geben. Alternativen gäbe es schon. Gerade für Medienhäuser könnte sich eine ausgefuchste Mastodon-Strategie lohnen – ein Netzwerk, das niemandem gehören kann, das Verlinkungen auf andere Webseiten nicht beschränkt, das man mit relativ wenig Aufwand auf die eigenen Bedürfnisse anpassen kann. Doch dafür müsste die Medienbranche nicht nur erkennen, dass das Internet kein Neuland mehr ist, sondern auch, dass man selbst eine Verantwortung für die Ökosysteme übernehmen kann, in denen man sich online bewegt.
Dieser Text ist Teil der neuen Kolumnen-Reihe “Kurz und KNAckig”, die alle 14 Tage erscheint. weitere Beiträge