Der Musikwettbewerb ESC soll ein Fest der guten Laune und eine Feier von Diversität und Inklusion sein – und dabei möglichst unpolitisch. Dass diese Werte gerade heute hochpolitisch sind, analysiert KNA-Medienjournalistin Jana Ballweber in unserer Kolumne “Kurz & KNAckig”. Und auch sonst sieht sie die Bemühungen um einen unpolitischen Wettbewerb auf ganzer Linie gescheitert – von den Songtexten bis zu den Entscheidungen des Veranstalters EBU.
Die Kolumne “Kurz und KNAckig” vom KNA Mediendienst erscheint alle 14 Tage donnerstags bei turi2. weitere Beiträge
Von Jana Ballweber, KNA
Jahr für Jahr fiebern Fans auf diesen einen Tag hin, am Samstag ist es endlich so weit. Der Eurovision Song Contest steigt in Basel – und alle sind in heller Aufregung. Die Halbfinals sind in vollem Gange, die Wettbüros laufen heiß und die Berichterstattung rollt gerade erst so richtig an.
Wie in jedem Jahr begleiten politische Debatten den Wettbewerb, gegen die sich die Europäische Rundfunkunion EBU, die den ESC veranstaltet, mit Händen und Füßen zu wehren versucht. Die EBU betont immer wieder gerne, dass der ESC eine unpolitische Veranstaltung sein soll. Alle teilnehmenden Sendeanstalten sind dem Regelwerk zufolge verpflichtet, sicherzustellen, dass der Wettbewerb nicht politisiert oder instrumentalisiert wird.
Wenn das so einfach wäre… Ob die Teilnahme Israels, der Ausschluss Russlands oder das Verbot von Regenbogen-Flaggen auf der Bühne: Immer wieder trifft die EBU im Dunstkreis des ESC hochpolitische Entscheidungen – und verweist zur Rechtfertigung dann auf den unpolitischen Charakter der Veranstaltung.
So wurde zum Beispiel Russland nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 vom ESC ausgeschlossen und verlässt die EBU dann als Reaktion darauf. Der belarussische Staatssender wird hingegen wegen der politische Lage 2021 ganz aus der EBU gekegelt und kann nur deshalb nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen.
Mit dem kaum weniger autokratischen Regime in Aserbaidschan scheint hingegen niemand ein Problem zu haben; der Staat durfte den Wettbewerb 2012 sogar selbst ausrichten. Im Vorfeld der großen Party sollen Häuser rechtswidrig geräumt und abgerissen und Demonstranten verhaftet worden sein, die das ESC-Motto „Light your Fire“ in „Fight your Liar“ ummodelten.
Und auch ein kurzer Blick in die deutsche Eurovision-Historie genügt, um die Strategie der Entpolitisierung als Bequemlichkeit zu entlarven.
2007 trat Roger Cicero mit „Frauen regier’n die Welt“ an. Dass die Frage, ob Frauen die Welt regieren, eine unpolitische ist, darf im Hinblick auf den Trump’schen Feldzug gegen Diversitätsprogramme und Quotenregeln sehr wohl bestritten werden. Abseits davon wäre Cicero knapp zwanzig Jahre später für die Message, dass Frauen die Welt nicht etwa mit Klugheit, Weitsicht und Besonnenheit regieren, sondern mit einem „lasziven Blick“, wohl (zurecht) gecancelt worden.
1999 trällerte die Gruppe Sürpriz „Reise nach Jerusalem – Kudüs’e seyahat“. Im mehrsprachigen Text heißt es „Schon als ich ein Kind war, spielten wir dieses Spiel / Reise nach Jerusalem, einer nur kommt ans Ziel / Denn wenn der Rhythmus plötzlich schweigt / Heißt das, es ist vorbei – kein Platz mehr frei“. Und in der nächsten Strophe fügen die Sängerinnen und Sänger hinzu: „Frieden ist mehr als nur ein Spiel, bei dem nur einer gewinnt.“ Ein lupenreines Plädoyer für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt.
Der deutsche Sieger-Titel aus dem Jahr 1982, „Ein bisschen Frieden“ klingt im Rückblick zwar wie ein naiver Wunsch, auf den sich alle einigen können. Doch wenn Krieg ein politisches Thema ist, kann Frieden eben leider nicht unpolitisch sein.
Wie gut, dass Komponist Ralph Siegel, das Mastermind hinter überraschend vielen der deutschen ESC-Songs, auf alle Eventualitäten vorbereitet war und schon 1979, nur wenige Jahre vor „Ein bisschen Frieden“, mit dem Song „Dschingis Khan“ eine gut gelaunte Hymne auf einen Feldherrn ins Rennen schickte, die Krieg und Mordlust einer der gefürchtetsten Armeen der Geschichte feiert. Natürlich alles total unpolitisch.
Der ESC soll eine Veranstaltung der guten Laune sein, laut den eigenen Werten ein Fest der Diversität und Inklusion. Wenn man aber nicht begreift, dass diese Werte in dieser vom Kulturkampf gezeichneten Zeit hochpolitisch sind, sollte man in die Debatte gar nicht erst einsteigen.
Dieser Text ist Teil der Kolumnen-Reihe “Kurz und KNAckig”, die alle 14 Tage erscheint. weitere Beiträge