Rückverzauberung der Welt: Warum Weihnachtsfilme so beliebt sind.
12. Dezember 2024
“Der kleine Lord” und “Sissi”? Oder doch etwas neuer: “Tatsächlich…Liebe” und der “Grinch”? Die klassischen Weihnachtsfilme laufen dieser Tage im TV wieder rauf und runter und füllen das Angebot der Streamer. In unserer neuen Reihe “NewsKNAcker” geht Stefan Volk der Frage nach, warum die Filme zum Fest so begehrt sind und findet uralte Narrative, die zum Teil aus der Erzähltradition der Bibel stammen. In “NewsKNAcker” veröffentlichen wir alle 14 Tage ein Lese-Stück aus dem Ticker unseres Medienpartners KNA.
Von Stefan Volk (KNA)
Geschenke gibt es auch in der Bibel. Bescherung ist da allerdings erst etliche Tage nach Jesu Geburt. Heutzutage sind dagegen, wenn die Heiligen Drei Könige Anfang Januar an der Tür klingeln, die ersten Geschenke längst zurückgeschickt. Diese kapitalistische Aneignung, die einen Randaspekt der biblischen Erzählung in den Mittelpunkt rückt und die Weihnachtsgeschichte in ein Weihnachtsgeschäft verwandelt, wird alle Jahre wieder beklagt, meist verbunden mit dem frommen Wunsch nach Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte.
Das ergibt ein so unverbindlich schönes Narrativ, dass es die Filmindustrie gerne aufgegriffen hat. Chevy Chase treibt den Gigantismus in seiner Rolle als Clark Grisworld Jr. in Jeremiah S. Chechiks “Schöne Bescherung” (1989) auf die Spitze. Der Weihnachtsbaum ist derartig überdimensioniert, dass beim Aufstellen das halbe Haus zu Bruch geht. Und die mit Tausenden Glühbirnen bestückte Lichterkette zieht solche Unmengen von Strom, dass im zuständigen Atomkraftwerk ein zweiter Reaktor zugeschaltet werden muss.
Dass die Weihnachtskomödie aus Hollywood die Kommerzialisierung Weihnachtens, die sie ad absurdum führt, zugleich selbst betreibt, muss nicht unbedingt ein Widerspruch sein. Auch wenn sich an Weihnachten scheinbar alles nur noch um Geschenke dreht, funktioniert das Geschäft nur deshalb so gut, weil die meisten mit diesem Fest letztlich doch mehr verbinden. Diese Ambivalenz spiegelt sich in einigen der Filme wider, die im Fernsehprogramm zu Weihnachtsklassikern avanciert sind.
Die Frohe Botschaft indirekt verpackt
Die “Sissi”-Trilogie (1955-57) oder Jack Golds “Der kleine Lord” (1980) entfalten ihre zeitlose Anziehungskraft nicht zuletzt aus dem Spannungsfeld von oberflächlichem aristokratischem Reiz und innigen Gefühlen. Ein Zwiespalt, der sich in der tschechischen Aschenputtel-Varianten “Drei Nüsse für Aschenbrödel” (1973) auf märchenhafte Weise löst. Ein dreifacher Zauber führt die seelengute Stieftochter (Libuse Safrankova) ihrer Bestimmung als Braut des Prinzen (Pavel Travnicek) zu. Der Schuh, der passt, versinnbildlicht am Ende die Harmonie zwischen innerem und äußerem Adel.
Die frohe Botschaft des Neuen Testaments aber verkünden diese Werke allenfalls in einem fragmentarischen, uneigentlichen Sinne. Zu den beliebtesten Dauerbrennern im weihnachtlichen TV-Programm gehört kein einziger Film, der die Geschehnisse um Jesu Geburt nacherzählt. Der diesjährigen Netflix-Produktion “Mary” (2024), die die Perspektive der Gottesmutter einnimmt, dürfte es da in Zukunft kaum besser ergehen.
Mal altmodisch, mal humorig
Selbst wenn sie zur Weihnachtszeit spielen, setzen sich die beliebtesten Weihnachtsfilme mit der christlichen Religion lediglich indirekt auseinander. In Frank Capras “Ist das Leben nicht schön?” (1946) tritt am Heiligabend ein Engel in Erscheinung und weckt neuen Lebensmut bei dem gutherzigen, aber verzweifelten George Bailey (James Stewart), als dieser sich von einer Brücke stürzen will. In Terry Zwigoffs Krimikomödie “Bad Santa” (2003) überlebt der geläuterte Bösewicht, der seinen Job als Kaufhaus-Weihnachtsmann für Diebstähle missbraucht hat, einen Kugelhagel wie durch ein Wunder.
Meistens jedoch ereignet sich das Wunderbare auf einer symbolischen, zwischenmenschlichen Ebene. So führt die Erzählung in Billy Wilders “Das Appartement” (1960) aus der Tristesse ins Glück, indem sie zwei unglückliche Seelen schicksalhaft zueinander führt: die beiden Angestellten C. C. Baxter (Jack Lemmon) und Fran Kubelik (Shirley MacLaine), die wie Aschenbrödel von der bösen Stiefmutter von ihrem skrupellosen Chef ausgenutzt werden.
In seiner aus heutiger Sicht altmodischen Erzählweise vereint der Schwarzweißstreifen die Sehnsucht nach Harmonie und einer heilen Welt mit nostalgischen Gefühlen und Kindheitserinnerungen. Das Glück, das die Jahr für Jahr im (Vor-)Weihnachtsprogramm gezeigten Filmklassiker allen Widerständen zum Trotz verheißen, vermag an Weihnachten auch auf das der Heiligen Familie zu verweisen.
Weihnachten verzaubert einfach alle
Familienzusammenhalt und Liebe bilden die Grundlage für eine metaphorisch-christliche Dramaturgie des Versöhnens und Bekehrens – etwa in Richard Curtis’ Ensemblekomödie “Tatsächlich… Liebe” (2003). Willie T. Stokes (Billy Bob Thornton), der in “Bad Santa” das Weihnachtsfest als günstige Gelegenheit für ein Verbrechen begreift, und der “Grinch” (2000), der es zu zerstören versucht, indem er Geschenke stiehlt, erliegen am Ende doch dem moralischen Zauber des Festes.
In Tim Burtons Roald-Dahl-Verfilmung “Charlie und die Schokoladenfabrik” (2005) ist das Verhältnis des Schokoladenfabrikanten Willy Wonka (Johnny Depp) zu seiner Familie derart gestört, dass er nicht einmal das Wort “Familie” aussprechen kann. Der Familiensinn des kleinen Charlie berührt ihn aber so sehr, dass er sich schließlich mit seinem Vater aussöhnt.
In der Schlussszene von Chris Columbus’ “Kevin allein zu Hause” (1990) beobachtet Kevin McCallister (Macaulay Culkin) durch ein Fenster hindurch, wie sich sein einsamer, mürrischer Nachbar Marley (Roberts Blossom) im Garten mit seinem Sohn versöhnt und seine Enkeltochter in die Arme nimmt. Während Kevin aus dem Fenster blickt, fallen dicke Schneeflocken vom Himmel.
Weiße Weihnacht – zumindest auf der Mattscheibe
Schnee ist in Weihnachtsfilmen nicht nur allgegenwärtig, weil der Weihnachtsmann seine Werkstatt am Nordpol hat, wo alle Jahre wieder “Der Polarexpress” (2004) hinfährt. Der Wunsch nach weißer Weihnacht symbolisiert zudem die Hoffnung auf Magie, Frieden und eine Überwindung der Zeit.
Schnee kommt in der Bibel an mehreren Stellen vor. Im Alten Testament ist etwa vom ewigen Schnee auf “den felsigen Hängen” des Libanon zu lesen. Im Neuen Testament wird Schnee ausschließlich metaphorisch verwendet – allerdings nicht im Zusammenhang mit Christi Geburt, sondern vielmehr mit seiner Auferstehung. Der Engel, der den Stein vor Jesu Grab wegwälzt und verkündet, dass Jesus auferstanden sei, trägt ein Gewand “weiß wie der Schnee”.
Dieses Motiv der Auferstehung findet sich indirekt auch in etlichen beliebten Weihnachtsfilmen wieder, unverkennbar etwa in “Ist das Leben nicht schön?” oder “Das Appartement”. In beiden Filmen wollen sich die Hauptfiguren – George Bailey beziehungsweise Fran Kubelik – das Leben nehmen, ehe sie durch die Kraft eines Wunders beziehungsweise der Liebe ein neues Leben beginnen. Das moderne Weihnachtsfest überwindet auf rituell-spielerische Weise die Zerstörung des naiven, kindlichen Glaubens an Wunder und Gott und versöhnt Religion und Aufklärung, Magie und Zweifel miteinander – und sei es nur für die Dauer der Weihnachtsfeiertage oder die Länge eines Spielfilms.
Mit filmischer Magie gegen reale Krisen
Jon Favreaus “Buddy – Der Weihnachtself” (2003) zeichnet diese Bewegung auf klamaukige Weise nach. Buddy Hobbs (Will Ferrell) landet als Baby versehentlich am Nordpol und wird dort von Papa Elf (Bob Newhart) aufgezogen. Als Erwachsener erfährt er, dass er kein Elf ist, sondern adoptiert wurde. Daraufhin verlässt er das Elfenreich, um fortan in der Menschenwelt zu leben. Erst am Ende des Streifens gelingt es ihm, beide Welten miteinander zu vereinen, indem er dem Weihnachtsmann, der mit seinem Schlitten feststeckt, auf die Sprünge hilft – und damit Weihnachten rettet.
Was hier wörtlich zu verstehen ist – nämlich, dass das Weihnachtsfest gerettet wird, weil alle Kinder ihre Geschenke bekommen und sie dadurch den Glauben nicht verlieren – macht im übertragenen Sinne alle Filme aus, die zur weihnachtlichen Fernsehtradition gehören. Sie retten Weihnachten, indem sie mit ihrer filmischen Magie nichts weniger inszenieren als die Rückverzauberung der Welt.
(Foto: IMAGO / Depositphotos)
Dieser Text ist Teil unserer neuen Lese-Reihe “NewsKNAcker”: Alle 14 Tage veröffentlicht turi2 ein Lese-Stück aus dem Ticker der Nachrichten-Agentur KNA – im Wechsel mit der Medienkolumne Kurz und KNAckig. weitere Beiträge