turi2 edition #13: Martin Brüning über Vertrauen und Führung.
27. Dezember 2020
Vertrauenssache: Supermärkte sind systemrelevant, Produkt-PR ist zweitrangig. Das macht die Krise deutlich. Martin Brüning, Kommunikations-Chef der Rewe Group, blickt auf ein verstörendes aber lehrreiches Jahr zurück und erklärt in seinem Gastbeitrag für die turi2 edition #13, warum Vertrauen gerade jetzt eine besonders wichtige Führungskompetenz ist. Sie können das Buch hier als kostenloses E-Paper lesen oder gedruckt bestellen.
Lange habe ich nach einem Wort gesucht, mit dem ich 2020 auf einen Nenner bringen kann. Wie habe ich die Corona-Pandemie beruflich und privat erlebt? Keine treffendere Beschreibung kommt mir schließlich in den Sinn als: verstörend. Im Unternehmen mache ich die Erfahrung von zwei Extremen unter einem Dach. Einerseits bilden sich Warteschlangen vor unseren Supermärkten. Andererseits kommt das Geschäft bei unseren Reiseveranstaltern der DER Touristik fast völlig zum Erliegen.
Neue Normalität? Ist bei mir noch nicht wirklich angekommen. Vieles ist aus dem Gleichgewicht geraten. Viele Routinen, die Halt geben, sind dahin. Und viel Verzicht ist erforderlich. Berufliche Belastungen, auch seelische, haben an der Substanz gezehrt. Mehr als einmal fällt der Satz: “Ich bin mürbe.“
Aber wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät, kann vergewissernde Orientierung helfen. Und mit etwas Glück (ich bin an einem Sonntag zur Welt gekommen) vergrößern sich auch die Kräfte dazu. Vier Orientierungspunkte halte ich auf dem weiteren Weg im Blick.
Erstens: Die Leistung und Wirksamkeit von Pressearbeit bemisst sich mehr denn je an sachlicher Information, Erklärung und Einordnung von Unternehmensstrukturen, Prozessen und Entscheidungen. Während der Pandemie haben wir bei der Rewe Group vor allem erklären müssen, wie Logistik, Marktorganisation, Schutz und Sicherheit von Mitarbeitern und Kunden funktionieren. Wirtschaftsjournalisten und Medien dürstet es nur selten danach, zu erfahren, warum dieses oder jenes Produkt supergeil ist. Sie wollen und müssen verstehen, wie wir als Unternehmen funktionieren und was die Räson unseres Tuns ist. Nur so können wir die breite Öffentlichkeit adäquat informieren und damit unserem Auftrag gerecht werden. Ohne Zweifel: PR-Arbeit darf über Gutes reden, das getan wurde. Aber Werbung gehört ins Marketing.
Zweitens: Interne Kommunikation ist die Basis eines resilienten Unternehmens. Sie hat im Zweifel Vorrang vor der Medienarbeit. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst aus der Zeitung erfahren, wie der Vorstand denkt oder – schlimmer noch – entschieden hat, bleibt das Vertrauen auf der Strecke, nicht nur in der Krise.
Drittens: Vertrauen ist die wichtigste Führungskompetenz. Am 13. März war für die meisten Kinder in Deutschland der letzte Schultag – bis kurz vor den Sommerferien. Am 16. März habe ich meine Teams gebeten, auf mobiles Arbeiten umzustellen. Bis heute. Gesundheit und Arbeitsfähigkeit sind wichtiger als Präsenz im Büro. Gedankt haben mir viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Sätzen wie: “Großartig, dass Du mir so vertraust.“ Darüber habe ich mich ebenso gefreut wie gewundert. Würde ich – unabhängig von Corona und Home-Office – mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meinen Teams zusammenarbeiten, denen ich nicht vertraue? Ist Vertrauen abhängig vom Arbeitsplatz – oder von Ausnahmesituationen? Sagen wir Manager unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich genug, dass wir ihnen vertrauen und sie schätzen?
Viertens: Wir haben jetzt hoffentlich endgültig verstanden, dass digitale Zusammenarbeit und Führung funktionieren. Aber, Hand aufs Herz: Wir wollen uns bei der Arbeit auch treffen, in die Augen sehen, miteinander zu Mittag essen, wollen quatschen und uns erleben. Und, ja, manchmal wollen wir uns auch anschreien oder in den Arm nehmen. Bildschirme ersetzen keine Kolleginnen und Kollegen. Anwesenheit im Büro ist kein Kontrollinstrument, sondern eine soziale Erfahrung und auf Dauer unverzichtbar.
2020 war für mich ein verstörendes Jahr. Wenig deutet daraufhin, dass schon bald alles wieder so wird wie vor der Krise. Es bleiben Fragen, Zweifel, Erinnerungen an Schmerzhaftes. Was wir entschieden wählen können, ist unsere Orientierung in bewegten Zeiten. Ich denke an Søren Kierkegaard: “Verstehen kann man das Leben rückwärts; leben muss man es aber vorwärts.“