turi2 edition #13: Philipp Welte beklagt eine “Infodemie”.
1. Januar 2021
Social-Schelte: Burda-Vorstand Philipp Welte ärgert sich in seinem Gastbeitrag für die turi2 edition #13 über die Marktmacht der großen Tech-Konzerne und über eine Flut an falschen Informationen in sozialen Netzwerken. Facebook & Co seien die Profiteure von Fake News: “Je abstruser die Geschichte, desto höher die Interaktion, desto besser das Geschäft”. Sie können das Buch hier als kostenloses E-Paper lesen oder gedruckt bestellen.
Keiner von uns wird 2020 so verlassen, wie er hineingekommen ist. Das Jahr hinterlässt seine Spuren tief im Innern der Menschen: Jeder von uns wird am Ende eine Person kennen, die durch Corona einen Freund oder jemanden aus der Familie verloren hat. Krankheit, Tod, die Morbidität unseres gerade noch für unangreifbar gehaltenen Seins sind unsere täglichen Begleiter geworden.
2020 hat uns auf die Probe gestellt: persönlich, ökonomisch, politisch, gesellschaftlich. Nichts fühlt sich mehr so an wie vorher. Das Jahr war ein grausames Bermudadreieck auf unserem Weg durch die Zeit.
Wir Medienleute sind, Seefahrern gleich, immer auf hoher See, Stürme sind unsere Begleiter, Windstille scheint uns das größte Risiko. Unsere Fracht ist unser Auftrag: Es ist die Wahrheit, die es zu den Menschen zu bringen gilt. Was aber, wenn die gelernten Navigationssysteme außer Kraft sind? An was orientieren wir uns?
Navigation beginnt mit der Bestimmung des Standorts: Corona hat unsere Märkte weit in die Zukunft katapultiert, etwa den Werbemarkt. In der Finanzkrise 2008 flossen noch vier Prozent der werblichen Investitionen in Deutschland in digitale Medien, 2020 sind es schon 40 Prozent. Aber 73 Prozent davon landen bei drei US-amerikanischen Monopolisten. Schätzungen zufolge werden Google, Facebook und Amazon 2020 rund 6,5 Milliarden Euro Werbeerlöse und damit drei Viertel des digitalen Werbemarktes in Deutschland unter sich aufteilen.
Corona hat neben der Pandemie eine Infodemie entfesselt: Eine nie gesehene Flut an falschen Informationen wurde über die sozialen Netzwerke ungefiltert in die Köpfe der Menschen gespült. Was Mark Zuckerberg als “Verteidigung der Meinungsfreiheit“ bezeichnet, ist nichts anderes als knallharte Strategie. Je abstruser die Geschichte, desto höher die Interaktion, desto besser das Geschäft. Eines der mächtigsten Unternehmen unserer Zeit setzt in seinem Geschäftsmodell gezielt auf Unwahrheit und Lüge.
Corona hat nicht dazu geführt, dass sich die Politik in Berlin der Macht dieser Kartelle und ihrer destabilisierenden Wirkung auf unsere Gesellschaft bewusst geworden ist. Eine Handvoll Tech-Monopolisten haben sich die digitalen Märkte Europas einverleibt, und anstatt diese fest kartellierten Strukturen aufzubrechen, sorgt Berlin für die Zementierung der bestehenden Machtverhältnisse – etwa mit dem Vorschlag einer komplett fehlsteuernden E-Privacy-Richtlinie oder der geplanten Aufweichung des europäischen Urheberrechts.
Schaut man sich diese Koordinaten an, könnte man den Mut verlieren – wären da nicht auf der anderen Seite die Menschen, die sich auf uns verlassen. Wenn es ernst wird, greifen sie intuitiv zu journalistischen Medien, sie vertrauen der Arbeit der über 20.000 Redakteurinnen und Redakteure, die in Deutschland für die Verlage arbeiten.
Menschen über die Wirklichkeit zu informieren, ihnen gerade in Zeiten großer Unsicherheit Orientierung zu geben, ist unser Auftrag und mein Vorsatz für 2021. Und es ist unsere Verantwortung in dieser Demokratie. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen. Jeden einzelnen Tag.