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turi2 edition #15: Sawsan Chebli über Kindheit und Kopftuch.

19. September 2021

Neue Realität: Mit zwölf Geschwistern wächst Sawsan Chebli in Berlin auf. Ihr palästinensischer Vater kämpft dafür, im Land bleiben zu dürfen und lebt ihr deutschen Patriotismus vor. Bei der SPD hat es Chebli seitdem weit gebracht. Heute will sie es Menschen mit ähnlichen Biografien wie ihrer leichter machen, aufzusteigen.

Von Tessniem Kadiri

Sawsan, wann war dir klar, dass du nach oben willst?
Als staatenloses Kind habe ich jeden Tag gespürt, was es heißt, dass andere über unser Leben richten, was es heißt, arm und abhängig zu sein. Das hat mich geprägt. Ich habe dadurch einen starken Ehrgeiz entwickelt, habe gemerkt, dass man durch Leistung Anerkennung bekommt. Das war der Reiz für mich, immer weiter zu machen und immer die Beste sein zu wollen. Bücher habe ich verschlungen. Ich wollte die ganze Welt bereisen, alle Völker der Erde kennenlernen, alle Sprachen der Welt erlernen. In der 8. Klasse habe ich dann einen Rückschlag erlebt.

Welchen?
Ich bin sitzen geblieben. Auf der Schule gab es einen Lehrer, der mir immer wieder das Gefühl gab, dass ich und Kinder mit einer Biografie wie meiner auf dem Gymnasium nicht richtig sind. Ich hatte in seinen Fächern Fünfen. Je mehr er mich niedermachte, desto demotivierter wurde ich und desto weniger lieferte ich ab. Ein Teufelskreis, aus dem ich nur kam, weil ich die Schule gewechselt habe. Ich wusste, dass ich auf dieser Schule meine Wünsche und Träume nicht verwirklichen kann. Auf der neuen Schule wurden aus den Fünfen Bestnoten. Allein an mir können die schlechten Noten also nicht gelegen haben.

Wann wusstest du dann, dass du es nicht nur zu besseren Noten, sondern auch zur Staatssekretärin schaffen kannst?
Hättest du mich während des Studiums gefragt, was ich werden möchte, dann hätte ich sicher nicht mit “Staatssekretärin” geantwortet. Ich hatte nie einen Master-Plan, sondern vielmehr eine Art Kompass, eine Vision für meine Zukunft: Ich wusste, dass ich die Realität verändern will. Mitentscheiden will. Nicht abhängig sein möchte. Ich habe ein großes Bedürfnis, es Menschen, die ähnliche Biografien haben wie ich, leichter zu machen, aufzusteigen. Und ein großer Traum war und ist es, zu helfen, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern herzustellen.

Was wolltest du früher werden?
Als Kind wollte ich Tier- oder Kinderärztin werden. In meiner Kultur gibt es grundsätzlich nur zwei Karrieremöglichkeiten: Ärztin oder Anwältin. “Doktora” auf Arabisch ist ein Beruf, mit dem man die Eltern stolz macht. Eingeschrieben habe ich mich deswegen sowohl für Medizin als auch für Politik. Ich habe mich für Politik entschieden, weil ich Sorge hatte, beim zeitaufwendigen Medizinstudium alles Politische vernachlässigen zu müssen.

Warst du ein fröhliches Kind?
Die Fotos von mir als Kind zeigen ein sehr glückliches Kind. Es gibt wunderschöne Erinnerungen. Ich habe viel Liebe erfahren. Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie mein Vater mir das Fahrradfahren beigebracht hat. Und die Momente mit meinen Geschwistern, die ausgelassenen Hochzeitsfeiern, wie unsere Wohnung immer voll mit Menschen war – da war ich einfach nur ein fröhliches Kind. Unbekümmert war es dagegen nicht, dafür waren die politischen und sozialen Probleme und Spannungen in meiner Kindheit zu groß.

Wie war es, staatenlos zu sein?
Staatenlosigkeit bedeutet, dass kein Land dich auf Grundlage seiner Gesetze als Staatsangehörigen ansieht. Es war für mich eine permanente existenzielle Bedrohung. Mein Vater wurde ja mehrfach abgeschoben. Wir wussten nicht, ob und wann wir ihn wiedersehen werden. Staatenlosigkeit bedeutet auch Entrechtung. Dass die Würde des Menschen unantastbar ist, gilt für dich nicht. Staatenlosigkeit ist Unfreiheit. Ich durfte als staatenloses Kind das Land nicht verlassen, nicht ins Ausland reisen. Kein Mensch auf dieser Erde sollte staatenlos sein müssen.

1993 hast du die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Was hat sich dadurch verändert?
Ich habe Freiheit gewonnen. Ich war frei, die Welt zu bereisen. Und ich fühlte mich deutscher als vorher. Mit der Staatenlosigkeit wurde mein damaliger Wunsch erfüllt, endlich ohne Wenn und Aber dazu zu gehören und endlich “echte” Deutsche zu sein.

Wurde bei euch am Küchentisch über Politik diskutiert?
Politik war omnipräsent. Mein Vater war sehr politisch. Über den Nahostkonflikt hat er nicht so viel geredet, vermutlich weil ihm diese Entwurzelung und Entrechtung zu sehr wehgetan hat. Dafür hat er sich viel für die Politik in Deutschland interessiert. Er war ein deutscher Patriot, der dieses Land in Diskussionen immer verteidigt hat. Trotz der Ungerechtigkeiten, die wir – und besonders er – immer wieder erlebt haben. Mein Vater war sehr dankbar, in Deutschland sein zu dürfen.

Dein Vater ist mittlerweile verstorben. Wie stand er zu deiner politischen Karriere?
Mein Vater war sehr stolz auf mich. Wir hatten eine sehr enge Verbindung. Immer hat er zu meiner Mutter, die oft besorgt und streng war, gesagt, dass sie locker lassen soll, ich würde schon alles gut machen, meinen Weg gehen.

Wie ist das mit deiner Mutter?
Sie konnte mit meinem Politikstudium nie etwas anfangen. Heute ist auch sie stolz, sie hat aber vor allem Angst um mich, wegen der permanenten Bedrohungen von rechts.

Deine Mutter und dich unterscheidet unter anderem das Kopftuch: Wieso trägst du es als muslimische Frau nicht?
Weil ich es nicht möchte. Weil es für mich wichtigere Dinge im Islam gibt. Ich möchte, dass Frauen frei entscheiden können, ob sie es tragen oder nicht. Ich finde diese Obsession mit dem Kopftuch in unserem Land schlimm. Es gibt einen Kulturkampf um das Kopftuch. Meine Mutter trägt eins, die Mehrheit meiner Schwestern tragen eins, und alle erleben heute mehr als jemals zuvor Hass und Hetze – nur weil sie ein Kopftuch tragen. Sie werden bespuckt, ihnen wird das Tuch vom Kopf gerissen. Das ist schrecklich.

Ist Deutschland bereit für eine Staatssekretärin mit Kopftuch?
Nein. Wir brauchen gar nicht so weit gehen. Mir berichten Frauen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt trotz exzellenter Qualifikation den Job nicht bekommen. Da soll dann eine Staatssekretärin ein Kopftuch tragen? Ich beobachte da sogar eine Rückwärtsentwicklung und einen wachsenden antimuslimischen Rassismus. Bestimmte Stereotype und antimuslimische Ressentiments, die man sonst aus dem rechten Lager kennt, sind auch in der Mitte der Gesellschaft stark verankert. Das macht mir große Sorgen.

Bist du heute stolz auf das, was du geschafft hast?
Ich weiß zumindest, dass ich hart gearbeitet habe, um hier zu sein und dass es kein gewöhnlicher, selbstverständlicher Weg ist. Ich zahle dafür auch einen hohen Preis mit all der Hetze, dem Hass und den Drohungen, die ich erlebe.

Musstest du wegen deiner Herkunft mehr als andere geben?
Das müssen wir alle, die wir nicht aus Akademikerfamilien kommen und einen Migrationshintergrund haben. Ich musste zeigen, dass ich als Flüchtlingskind aufs Gymnasium gehöre, dass ein Studium auch für mich eine Option ist und als Frau in der Politik ging es dann später ähnlich weiter. Immer müssen wir einen Tacken mehr geben, um weiter zu kommen.

Gefällt es dir, dass du eine Aufsteigerinnen-Story mitbringst?
Ich bin dankbar, da zu sein, wo ich bin. Gleichzeitig verbinde ich damit eine Verantwortung, weil viele junge Menschen genau schauen, was ich tue und wie ich Dinge tue, aber auch wie mit mir umgegangen wird. Ich erhalte immer wieder Zuschriften, in denen mir junge Frauen, aber auch Männer, sagen, dass ich für sie Vorbild bin und sie sich wünschen, dass es mehr von mir in der Politik gäbe. Das macht mich demütig und auch stolz.

Wer ist dein Vorbild?
Ich hatte zu unterschiedlichen Stationen in meinem Leben verschiedene Vorbilder. Als ich in die SPD eingetreten bin, war es Schröder. Er ist es heute definitiv nicht mehr. Ehrhart Körting (ehemaliger Innensenator des Landes Berlin, Anm. d. Redaktion), bei dem ich gearbeitet habe, ist für mich auch ein Vorbild. Ich habe jeden Tag der Zusammenarbeit mit ihm genossen. Ich habe viel von ihm gelernt und denke, auch er hat durch mich eine neue Perspektive erhalten. Und natürlich ist da Frank-Walter Steinmeier, der beste Chef, den man sich vorstellen kann. Wir haben noch heute ein sehr vertrauensvolles Verhältnis.

Du wirst für Uhren an deinem Arm oder andere Zeichen deines Aufstiegs öfter mal kritisiert: Ist Sozialneid typisch deutsch?
Ich glaube schon – und es nervt. Mir bedeuten Uhren wenig und ich würde sie mir nicht kaufen. Aber ich möchte mich auch nicht rechtfertigen müssen, ein Geschenk meines Mannes zu einem besonderen Anlass zu tragen. In den USA war es lange anders. Da siehst du jemanden, der es geschafft hat und denkst: “Wow! Das will ich auch.” Hier sagt man: “Warum trägt sie das? Woher hat sie das?” Bei mir kommt Rassismus hinzu. Da heißt es: “Diese Migrantenfrau lebt auf unsere Kosten. Das sind unsere Steuergelder.”

Gibt es einen German Dream?
Wenn man an die Gründer des Impfstoffs Biontech denkt, könnte man meinen, das ist der German Dream. Schaut man sich die Biografien genauer an, sieht man, wie viel Steine zum Beispiel Biontech-Gründer Uğur Şahin in den Weg gelegt wurden. Seine Lehrerin wollte ihn auf eine Hauptschule schicken, weil sie der Meinung war, Gastarbeiterkinder wie er gehören nicht auf ein Gymnasium. Sein Vater hat sich dagegen gewehrt. Solange wir immer wieder solche Geschichten hören, solange kann ich nicht von einem German Dream sprechen. Ich hoffe, mein Sohn erlebt es anders.

Sawsan Chebli wird 1978 in Berlin-Moabit geboren. Als Tochter von palästinensischen Geflüchteten erhält sie zunächst nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Deutsch lernt sie in der Schule in West-Berlin, an der FU studiert sie Politikwissenschaften und arbeitet nebenbei als studentische Hilfskraft im Bundestagsbüro eines SPD-Politikers. Seit 2016 ist sie Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in Berlin. Chebli lebt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Berlin-Charlottenburg

Fotos: Holger Talinski

Dieser Beitrag ist Teil der turi2 edition #15 über Bewegung. Hier das kostenlose E-Paper lesen!

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