turi2 edition #16: Julia Becker über Verlag und Verantwortung.
22. Januar 2022
Selbst ist die Frau: Julia Becker ist es wichtig, sich zu erinnern, wo sie herkommt. Als Chefin der Funke Mediengruppe sieht sie sich in den Fußstapfen ihres Großvaters und “WAZ”-Mitgründers Jakob Funke. Zum Interview für die turi2 edition #16 trifft sie Peter Turi denn auch im Gründerzimmer des Verlags, wo heute der Schreibtisch ihres Großvaters steht. Becker erklärt, wie der Verlag durch Investitionen, Kooperationen und Zukäufe wachsen soll – und bekennt sich klar zu Diversität: “Die Hälfte unserer Gesellschaft ist weiblich und die Hälfte der Führungspositionen muss mit Frauen besetzt sein.”
Wir sitzen im Gründerzimmer des Verlags, schräg gegenüber steht der Schreibtisch Ihres Großvaters Jakob Funke. Warum haben Sie hier im Neubau der Funke-Gruppe im Essener Westviertel so eine Art Zeitkapsel eingebaut?
Wir sehen das Büro unseres Großvaters und den kleinen Besprechungsraum daneben als ein Stück Vergangenheit, das uns täglich bewusst macht, woher wir kommen. Eine Reminiszenz an die Zeit, als die “WAZ” unweit von hier ihren Aufschwung begann.
Was denken Sie, wenn Sie hier sitzen?
Ich denke oft: Was sind unsere Wurzeln? Was hat Jakob Funke gedacht, als er an diesem Schreibtisch saß? Was hat unseren Großvater damals bewegt? Und was von seinem Antrieb, von seiner Mission können wir für uns in das Heute mitnehmen? Ich spüre, wie dieser Raum die alte Zeit atmet: der Schreibtisch, das Wählscheibentelefon, die Unterschriftenmappe, der Aschenbecher, die Strohblumen – die reinste Zeitgeschichte. Es ist sehr inspirierend für uns als Familie zu wissen, wo wir herkommen und was unsere Werte sind. Gerade wenn sich so viel ändert und man nicht immer ganz genau weiß, wohin der Weg uns führt.
Wie oft sitzen Sie hier?
Gar nicht so oft. Gelegentlich bespreche ich mich mit meiner Mutter hier am Couchtisch. Auf den Sessel meines Großvaters setze ich mich nie, das machen nur männliche Besucher mit großem Selbstbewusstsein. Wenn Gäste kommen, ist es schön, ein Stück Verlagsgeschichte begehen und erleben zu können. Dieser Raum mit seinem leicht angeranzten Mobiliar zeigt die Werte, an denen wir festhalten wollen.
Welche Werte meinen Sie?
Nachhaltigkeit und Sparsamkeit. Jakob Funke war ein Gründer, der begeistern konnte mit seiner Mission, die Menschen hier in der Region über die Wahrheit in der Welt zu informieren. Er musste aber auch die Ressourcen organisieren: Papier, Druckerfarbe, Bleistifte – alles war knapp nach dem Krieg. Zeitlebens war mein Großvater sparsam: Kein Bleistift wurde weggeworfen, bevor er nicht bis zum Stummel heruntergeschrieben war. Er hat immer gesagt, wir haben es nicht vom Ausgeben, sondern vom Behalten. Ressourcenschonend würde man das heute nennen.
Spüren Sie auch eine Last, die auf Ihnen ruht?
Ich fühle Verantwortung und eine große Dankbarkeit. Ein Medienunternehmen mit mehreren Tageszeitungen und vielen Zeitschriften unterscheidet sich doch von einer Schraubenfabrik oder einem Industriekonzern. Es gibt wenig Sinnstiftenderes, Wertvolleres als mit Journalismus Aufklärung zu betreiben und die Demokratie lebendig zu halten. Es ist unser Auftrag, das in eine neue, digitale Welt zu transformieren.
Der Platz an der Spitze des Verlags war für Sie nicht reserviert. Ihrem Großvater gehörte nur die Hälfte der “WAZ”. Er hatte vier Töchter, Ihre Mutter war die Jüngste. Jahrzehntelang gab es Streit. Jetzt haben Sie als Verlegerin das Sagen – auch über das “Hamburger Abendblatt”, die “Hörzu” und die “Bild der Frau”.
Ich stehe hier zusammen mit meinen Geschwistern Nora Marx und Niklas Wilcke. Und das hat viel mit meiner Mutter zu tun. Auf dem kleinen Schemel im Sitzungszimmer nebenan saß sie, wenn die Gesellschafter getagt haben, und hat die Protokolle getippt. Sie war die jüngste von vier Töchtern und hatte als einzige Interesse daran, im Unternehmen ihres Vaters mitzuarbeiten. Es sagt viel über das Bild der Frau in der Arbeitswelt der 60er Jahre, dass sie nach dem Abitur als Sekretärin ihres Vaters arbeitete. Sie kann bis heute sehr gut Steno.
Für Sie wäre das nichts, Frau Becker.
Nein. Aber ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin, wenn ich nicht eine solche Mutter hätte. Eine Mutter, die ihre Rolle nie in Frage gestellt und ihr Leben im Dienst des Unternehmens gelebt hat. Als nach dem Tod meines Großvaters 1975 sein Vertrauter Günther Grotkamp die Geschäfte übernommen hat, war meine Mutter auch seine Sekretärin – obwohl sie ja die Eigentümerin und Grotkamp ihr Angestellter war. Es war ihr Beitrag, ihre Rolle, ihr Stuhl. Aus der Zusammenarbeit wurde Liebe und aus Petra Wilcke, geborene Funke, Petra Grotkamp. Die beiden haben das Haus zu dem gemacht, was es heute ist. Ich finde es bis heute unglaublich, wie unsere Mutter so mutig und über eine so lange Strecke ihren Weg gegangen ist.
Fühlten Sie sich jemals gedrängt, die Rolle als Aufsichtsratschefin und Gesicht des Verlags zu übernehmen?
Die große Weisheit meiner Mutter bestand darin, dass sie nie Erwartungen an mich und meine Geschwister formuliert hat in Sachen Studium, Ausbildung, Wahl des Partners. Sie hat keinem von uns dreien das Gefühl gegeben, wir müssen das tun. Gleichwohl war der Weg immer sichtbar. Vielleicht waren wir drei uns gerade deshalb so einig, dass wir gemeinsam Verantwortung übernehmen wollen. Am Ende gilt: Blut ist dicker als Wasser.
Ihre Familie hat viel Geld aufnehmen müssen, um die Gesellschafter rauszukaufen. Zeitungsverlage sind aber keine Maschinen zum Gelddrucken mehr, auch Zeitschriften haben es in digitalen Zeiten schwer. Sie könnten scheitern.
Davor haben wir keine Angst. Im Grunde genommen haben wir als Familie dreimal in unser eigenes Haus investiert, um die alten Blockaden und die Manövrierunfähigkeit aufzulösen. Erst hat meine Mutter die Brost-Anteile gekauft, dann haben wir den Springer-Deal gemacht. Der war wichtig für uns, um eine Größe und eine Strahlkraft am Markt zu haben, die über das Ruhrgebiet hinausreichen und uns die Zukunft sichern. Dann haben wir drei Geschwister die restlichen Anteile der Familien Schubries und Holthoff-Pförtner gekauft.
Das “manager magazin” hat Sie in einem hämischen Artikel als eine Art blondes Dummchen vom Pferdehof beschrieben. Es sei seltsam, dass nicht Ihr Bruder, der Rechtsanwalt ist, an die Spitze des Verlags gerückt ist.
Da sieht man mal, dass die Rollenbilder der 60er Jahre noch nicht überall überwunden sind und das “manager magazin” mit Klischees arbeitet. Kein Mann wäre derart klischeehaft charakterisiert und wegen seines Geschlechts in die Dummchen-Ecke gestellt worden.
Dabei gibt sich die Verlagsbranche gern aufgeklärt und modern.
Ein Trugbild. In dieser Branche gibt es viele verkrustete Strukturen. Man sieht sich auf Podien, verteilt Awards, klopft sich auf die Schultern und sagt: “Das haben wir super gemacht.” Doch zuhause brennt die Hütte.
Bei Goethe heißt es:
“Was du ererbt von
deinen Vätern hast
Erwirb es, um es zu
besitzen.
Was man nicht nützt,
ist eine schwere Last,
Nur was der Augenblick erschafft
das kann er nützen.”
Ich übersetze das für Ihre Situation mal so: Sie müssen das Unternehmen neu erfinden, um es zu sichern. Wie gehen Sie das an?
Als erstes haben wir uns entschieden, dass dieses Team jetzt mal rauskommt aufs Spielfeld, um mitzuspielen und aufhört, in der Kabine zu sitzen, sich mit der Trikotfrage, der Taktik und sich selbst zu beschäftigen. Wenn wir dieses Unternehmen in eine digitale Zukunft führen wollen, müssen wir investieren. In den goldenen Zeiten war aber festgeschrieben worden, dass 80 Prozent der Gewinne an die Gesellschafter ausgeschüttet werden. Das haben wir als erstes geändert, nachdem wir Durchgriff hatten.
Sie haben alle Knoten zerschlagen, die Funke gefesselt haben – jetzt kann der Aufbruch kommen. Wie sieht der inhaltlich aus?
Das neue Führungsteam nutzt die nächsten zwei Jahre für eine dezidierte Phase der Transformation. Bis 2023 wollen wir – vereinfacht gesagt – aufräumen mit den Altlasten und Funke nachhaltig und schlank auf gesunde Strukturen stellen. Dabei drehen wir jeden Stein um und prüfen, welche Services ein schlanker Sparten-Konzern selbst leisten muss. Alle Dienstleistungen, die wir für das Unternehmen oder Partner aus der Branche erbringen, müssen benchmarkfähig sein und am Markt bestehen.
Sprechen wir da von Kürzungen bei den Redaktionen?
Eben nicht. Wir sprechen vor allem von Doppelstrukturen und Ineffizienzen in Verlagsbereichen. Kein anderes Unternehmen hat ein solches Portfolio aus Zeitungen, Zeitschriften und Digitalem wie Funke. Bei einer klaren, schlanken Struktur können wir in jedem der drei Bereiche Kooperationen und Übernahmen realisieren. Wir wollen wachsen über Zukäufe, über Partnerschaften und auch als Dienstleister. Was wir sicher nicht tun, ist verkaufen oder einstellen.
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Wollen Sie doch wieder zukaufen?
Was heißt “doch wieder”? Wir waren und sind kaufwillig, wenn der Preis stimmt. Das war zuletzt bei ein paar Angeboten nicht der Fall. Das kann sich bald wieder ändern. In jedem Fall sind wir sehr offen für jede Form von Kooperation in der Branche. Wir haben gemeinsame Probleme, zum Beispiel, dass der Papierpreis um bis zu 35 Prozent steigen wird. Warum also kein gemeinsamer Papier-Einkauf? Auch in der Anzeigenvermarktung täte mehr Kooperation gut.
Wie ist der Plan der drei Geschwister für die nächste Generation?
Der Plan für die vierte Generation ist, dass die selbst entscheidet: Es gibt die Möglichkeit, keine Pflicht. Meine Schwester hat zwei Kinder, ich habe drei Töchter – sie werden vollkommen frei wählen können. In einem Familienunternehmen ist allen Familienmitgliedern klar, dass sie gemeinsam Verantwortung für das Unternehmen tragen und miteinander auskommen müssen.
Was steht auf Ihrer Agenda 2022: Was kommt, was bleibt, was wird wirklich wichtig?
Was bleibt, ist klar: Unser Anspruch an verlässlichen, kritischen, objektiven Journalismus. Der wird weiter gedruckt stattfinden, aber in Zukunft natürlich auch digitaler sein. Wir müssen die Plattformen nutzen, auf denen junge Leute unterwegs sind, wie zum Beispiel TikTok. Was kommen muss, ist ein Mehr an Diversität in unseren Häusern – auch, um ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben. Wir müssen jünger werden, weiblicher, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Redaktionen holen.
Haben die Frauen im Journalismus dieselben Chancen wie Männer?
Bei Funke schon, in unserem Führungsteam sind jetzt drei von fünf Positionen mit Frauen besetzt. Gleiche Bezahlung ist für uns selbstverständlich. Eines muss klar sein: Die Hälfte unserer Gesellschaft ist weiblich und die Hälfte der Führungspositionen muss mit Frauen besetzt sein. Umso besser werden wir weibliche Leserinnen binden können.
Wie gehen Sie damit um, dass die “WAZ” und das “Hamburger Abendblatt” ein wichtiger Teil des demokratischen Gemeinwesens sind – und auf der anderen Seite Ihre Yellows mit zweifelhaften Methoden und niederen Impulsen gutes Geld verdienen?
Gut, dass Sie das ansprechen. Ich würde hier eine klare Unterscheidung vornehmen zwischen informierendem und unterhaltendem Journalismus. Unsere Titel aus dem People-Segment bedienen ein Bedürfnis nach Unterhaltung und Entspannung, ein bisschen Klatsch und Tratsch, wie über den Gartenzaun hinweg. Was in unseren People-Blättern steht, ändert nicht den Lauf der Geschichte, es hält niemanden davon ab, sich impfen zu lassen oder auf die Straße zu gehen für oder gegen irgend etwas. Wut- und Hassreden, Fake News oder Verschwörungstheorien finden woanders statt.
Helene Fischer beschwert sich, dass sie unwillentlich ständig Thema bei “Das Goldene Blatt” und Co ist.
Helene Fischer lebt gut davon, dass die Menschen sich für sie interessieren, ihre Musik hören und ihre Shows schauen. Und wenn sie etwas zu verkaufen hat, dann kommt Helene Fischer gern ins Fernsehen und zeigt sich und ihren Babybauch. Wir berichten dann gern. Aber dass Helene Fischer die Berichterstattung über sich wie mit einem Schalter an- und ausschalten kann, das wird nicht passieren. Zum Thema “Goldenes Blatt” kann ich gern eine Geschichte erzählen, die ich gerade erlebt habe.
Nur zu.
Ich saß vor einigen Wochen mit einer meiner drei Töchter in der Notaufnahme, weil ein Pferd ihr die Nase gebrochen hatte – das passiert nun mal im Reitsport. Eine ältere Dame, vermutlich über 90, saß auch da mit ihrem Sohn und wartete auf eine Untersuchung. Die Dame war wirklich verunsichert, aufgeregt, fragte ständig, wie lange es noch dauert und wann sie endlich nach Hause könne. Ihr Sohn war rührend um sie bemüht und hat ihr schließlich aus einem Zeitschriften-Stapel “Das Goldene Blatt” herausgefischt und gesagt: “Schau Mama, deine Lieblingszeitschrift!” Und die Dame hat dann wirklich darin gelesen und sich beruhigt. Das ist doch toll!
Schlecht ist, wenn da echte Falschmeldungen stehen.
Das passiert kaum noch, dafür haben wir klare Richtlinien definiert. Viele alte, kranke und einsame Menschen kommen nicht mehr raus, haben das echte Gespräch über den Gartenzaun nicht mehr. Diese Generation, die in zehn oder 15 Jahren nicht mehr da sein wird, ist mit dieser Form der Unterhaltung groß geworden. Früher war Grace Kelly gefühlt Teil der Familie, heute ist es Helene Fischer. Das sind einfach gelebte und vertraute Konstanten im Leben dieser Menschen. Das sollte auch mal Jan Böhmermann sehen.
Der hat die Yellows ja frontal angegriffen. In seiner Satire-Ausgabe war Julia Becker der männermordende Vamp, deren Geschäftsführer um ihre Aufmerksamkeit buhlen und depressiv werden, wenn sie die nicht kriegen.
Sehr gelungen! Wir haben herzlich gelacht über die Idee, den Spieß einfach mal umzudrehen und die Yellow-Verleger wie Promis vorzuführen. Aber: Der Promi findet es immer nur dann schwierig, wenn er sich in einem Kontext wiederfindet, der nicht in sein Image passt. Bei uns rufen viele Promis an und bieten Fotos mit dem Kinderwagen an, dem neuen Lover oder Hund. Oder sie posten es gleich selbst bei Instagram. Schwierig wird es erst, wenn ein Promi seine neue Villa in ein Naturschutzgebiet baut und wir darüber berichten.
Kritisiert wird, dass häufig auf dem Titel etwas suggeriert wird, was im Heftinneren gar nicht steht. So nach dem Motto: “Krebsdrama bei Günther Jauch” und dann hat der Hund was weggeschnippelt bekommen. Könnten Sie das nicht unterbinden?
Die Grenze wird dann überschritten, wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden und jemand beispielsweise für tot erklärt wird. Diese Vorgaben haben wir klar in unseren Redaktionen kommuniziert. Aber die Kreativität unserer Chefredaktionen zu beschneiden in Sachen doppeldeutiger Titelzeile ist schwierig, das ist Teil der redaktionellen Freiheit. Es gibt ja den Kampf um Aufmerksamkeit am Regal im Supermarkt – und unsere Chefredakteurinnen und Chefredakteure stehen unter gehörigem Druck, jede Woche am Regal zu bestehen. Trotzdem gibt es bei uns Spielregeln.
Axel Springer hat mal gesagt, er leide wie ein Hund, wenn er die “Bild-Zeitung” liest. Geht es Ihnen genauso, wenn Sie gelegentlich “die aktuelle” lesen?
Die Leiden des Axel Springer haben so gar nichts mit mir zu tun. Ich begeistere mich jeden Tag neu für unsere Marken und für meine Aufgabe.
Dieser Beitrag ist Teil der turi2 edition #16 über das Thema Nachhaltigkeit.