turi2 edition #16: Warum sollten Zuschauerinnen noch ins Kino, wenn der Film im Stream ganz ohne Werbung läuft, Oliver Adrian?
8. Januar 2022
Großes Kino: Ob Actionfilm, Romanze oder Horror — auf Netflix & Co ist die Auswahl groß. Trotzdem zieht es viele Menschen ins Kino, schreibt Oliver Adrian in seinem Gastbeitrag für die turi2 edition #16. Der Chief Sales Officer beim Kinovermarkter Weischer Cinema schwärmt von großen Leinwänden und echten Gefühlen.
Von Oliver Adrian
Das Erleben eines Films im Kino weicht maßgeblich vom Filmerlebnis im Streaming ab. Neben der deutlich besseren Bild- und Tonqualität durch große Leinwände, Hochleistungs-Projektoren und Surround-Sound unterscheidet insbesondere ein Faktor das Geschehen: gemeinschaftliches Single-Tasking.
Kinobesucher tauchen für zwei bis drei Stunden in eine andere Welt ab. Keine Ablenkung, Unterbrechung, Störung – der Fokus liegt ausschließlich auf der Leinwand und der Geschichte, auf die sich die Menschen emotional einlassen. Und zwar nicht allein, sondern zusammen mit anderen. Das Kino ist einer der letzten Orte, an dem sich das medial häufig beschworene “Lagerfeuer-Gefühl” noch einstellt. Weder Streaming, noch Online-Video, noch TV können diese Funktion heute übernehmen.
Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Werbung einen anderen Stellenwert. Studien belegen, dass Werbung im Kino nicht als störend, sondern als Teil des Entertainments empfunden wird. Das ist umso bemerkenswerter, als dass sich die Clips in Kino und TV oder Online gar nicht mehr unterscheiden. Trotzdem löst derselbe Spot im Kino deutlich emotionalere und damit werbewirksame Reaktionen aus als in anderen Bewegtbild-Kanälen.
Nun hören wir immer wieder, dass ein Großteil des Publikums zu Beginn der Vorstellung gar nicht im Saal sei und die Werbung nicht sehen könne. Unsere regelmäßigen Besucherbefragungen sagen etwas anderes und sind seit Jahren erstaunlich stabil: In Großstädten sind bis zu 80 % des Publikums im Saal, wenn der Werbeblock beginnt, in kleineren Städten und Kommunen bis zu 100 %.
Schönes Plädoyer, Herr Adrian, mögen Sie sagen. Aber der Großteil des Film- und Werbekonsums findet doch inzwischen online statt. Oder? Wahr ist: Die Zeit, die Menschen mit Streaming-Diensten verbringen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wahr ist aber auch, dass im Streaming überwiegend serieller und erst in zweiter Linie filmischer Content geschaut wird. Ebenfalls wahr ist laut diverser Studien, dass ein Großteil der Heavy User im Streaming auch überdurchschnittlich oft ins Kino geht.
Kino ist und bleibt der Ort, an dem echte Menschen echte Gefühle erleben. Gemeinsam mit anderen. Ein zutiefst menschlicher Wesenszug.