turi2 edition #16: Wolfgang Link hebt bei Klimawandel und Pandemie die Stimme.
14. Januar 2022
Applaus, Buhrufe und lange Gesichter: Schon im Kindergarten-Alter lebt Wolfgang Link fürs Publikum, seit fast 20 Jahren ist er Fernsehmann, 13 davon bei ProSiebenSat.1. An seinem Job liebt der CEO vor allem “die Unbeständigkeit in der Beständigkeit” und bringt Menschen gern zum Lachen, Weinen und Denken, erzählt er im Porträt von Anne-Nikolin Hagemann in der turi2 edition #16.
Er guckt viel auf dem iPad, in der Küche beim Brotschmieren, im Bad beim Zähneputzen, abends im Bett. Manchmal nimmt Wolfgang Link aber doch auf dem Sofa vor dem Fernseher Platz. Und dann kann er ganz schön nerven. “Wenn ich unsere Sendungen mit anderen schaue, bin ich wahnsinnig anstrengend”, sagt der Vorstand von ProSiebenSat.1. Dann linst er ständig rüber, ob der andere auch wirklich an den richtigen Stellen lacht, mitfiebert, gefesselt ist.
Dinge erschaffen, die etwas mit den Menschen machen: Das sei sein Antreiber im Leben, sagt Link. Sie zum Lachen bringen, zum Weinen, zum Denken. “Egal, in welchem Genre.” Ob Krippenspiel im Kindergarten, Chor, Orchester oder Theater-AG in der Schule, Statistenrollen am Theater: “Wenn es irgendwo eine Bühne gab, war ich dabei.” Nach dem Studium geht er hinter die Bühne, produziert Musicals wie “Tabaluga und Lilli”. Manchmal stellt er sich nach der Nachmittagsvorstellung an die Saaltüren und beobachtet die Kinder, die mit “tellergroßen Augen” ins Freie treten: “Man hat gemerkt, für die ist etwas ganz Großes passiert, an das sie lange denken werden.” Er selbst erinnert sich noch heute, wie sich so etwas anfühlt: Der Vorhang vor der Kinoleinwand geht auf, er hat sich ins Publikum geschmuggelt, mit neun eigentlich viel zu jung für den ersten “Star Wars”-Film.
Heute, beim Fernsehen, bekommt Link Feedback über Reichweiten, Quoten, Social Media. Er übersetzt es für sich in Applaus, Buhrufe, lange Gesichter. Und versucht noch immer, so oft es geht, bei Live-Shows seiner Sender dabei zu sein. Links Weg ins Fernsehen ist Zufall. 2003 besucht er Ute Biernat, Chefin von Grundy TV, auf einen Kaffee. Die sucht einen Produzenten für die Castingshow “Deutschland sucht den Superstar”, die Link bis dato nur als “Bild”-Schlagzeile kennt. Und bietet ihm den Job an. Ab da ist Link nicht nur Bühnen- sondern auch Fernsehmann.
Im Sommer 2009 wird Wolfgang Link Unterhaltungschef von Sat.1, nach verschiedenen Positionen im Unternehmen ist er seit März 2020 Vorstand der ProSiebenSat.1 Media. Einen Karriereplan habe er nie gehabt: “Ich hatte Menschen, die mir Türen geöffnet haben. Ich bin durchmarschiert, habe mich im neuen Raum umgeguckt und die Ärmel hochgekrempelt.”
13 Jahre beim selben Arbeitgeber – nicht die Regel in der schnelllebigen Branche. Für Wolfgang Link fühlt sich das nicht besonders an. Er liebt “die Unbeständigkeit in der Beständigkeit”. Die rasanten Veränderungen, das Jeden-Tag-neu-Antreten um die Gunst der Zuschauer und Werbekunden, immer neue Ideen, neue Formate entwickeln, alte anpassen: anstrengend, aber “irgendwie auch das Tolle am Job”. Er sei “kompletter Bauchmensch”, der von einer Idee grundsätzlich erstmal begeistert ist, bevor er sie nach Faktenlage prüft. Zeit zum Weiterziehen, Zeit für Veränderung ist für ihn immer dann, “wenn man nichts mehr zur Erneuerung beitragen kann. Am besten merkt man das schon, bevor es so weit ist.”
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Nach diesem Rezept verhilft Wolfgang Link auch TV-Formaten zur Beständigkeit. “The Voice”, “Germany’s Next Topmodel”, Shows mit Joko und Klaas laufen seit Jahren erfolgreich im Programm, “The Masked Singer” ist schon zum Klassiker geworden. Um die Shows herum sind eigene Welten in Social Media entstanden. Sollen TV-Marken in Würde altern, sagt Link, muss man das Vertraute frisch halten. Neue Ideen einbringen, ohne die Grundidee zu verraten. “Es wäre falsch, Topmodel heute so zu produzieren wie vor zehn Jahren.” Die Show ist noch immer Wettbewerb um Heidis Gunst, Zickereien inklusive. Aber der Cast ist betont divers – und setzt auf andere Auswahlkriterien als Körpermaße.
Das Programm von ProSiebenSat.1 ist ernsthafter geworden in den vergangenen Jahren, als viele ihm zugetraut hätten. Sieben Stunden Pflege-Reportage, preisgekrönte Dokus, Aktionen für den Umweltschutz, viel gelobte Polit-Talks vor der Wahl, für den Klatsch-Klassiker “taff” gilt laut Link: “Weniger Wasserrutschen, mehr Gesellschaftspolitik”. Für Wolfgang Link darf Information gerne auch unterhalten – und Unterhaltung auch einfach mal nur Quatsch sein. “Trotzdem steckt immer das Wort ‘Haltung’ mit drin. Wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir da draußen eine große Stimme sind. Die sollte Dinge zum Besseren verändern.” Die Pflegereportage, sagt er, hätten sie auch gebracht, wenn sich keine Werbepartner gefunden hätten.
Klimawandel und Pandemie, das sind die großen Themen, bei denen Link die Stimme besonders laut werden lassen will. Sorgen macht ihm im Augenblick vor allem, “dass wir als Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften, im Kleinen wie im Großen. Wir müssen sehr viel tun, damit wir wieder zusammenkommen als Menschen.“
In dieser Zeit der Unsicherheit boomen die Klassiker des Lagerfeuer-TV, neben “Wetten dass..?” ist auch “TV Total” bei ProSieben zurück. Als er die erste Ausgabe im TV gesehen hat, vom Sofa aus, war Wolfgang Link “etwa zwei, drei Minuten sehr nervös”. Was wird es machen mit den Menschen, wird es Applaus geben, lange Gesichter? Dann habe er sich zurückgelehnt. Und sich begeistern lassen.