turi2 edition #16: Yasmine M’Barek über Alter und Atomstrom.
8. Januar 2022
Weiblich, jung, migrantisch:Yasmine M’Barek ist mit 22 Jahren eine der einflussreichsten jungen Journalistinnen des Landes. Als typische Vertreterin ihrer Generation will die “Zeit”-Redakteurin sich nicht bewundern oder labeln lassen. Stattdessen plädiert sie im Interview mit Nancy Riegel in der turi2 edition #16 für mehr Atomstrom und einen besseren Kleidungsstil der Regierung.
Yasmine, wir sind heute in einem deiner Lieblingscafés, dem Black Apron in Berlin. Du empfiehlst ein Hefegebäck mit Beeren-Creme. Warum genau das?
Ich bin quasi gegen alle Zutaten allergisch, esse es aber trotzdem immer wieder – eine Mischung aus Disziplinlosigkeit und Leidenschaft für alles, was aus Mehl, Hefe und Milch besteht.
Spielt bei der Auswahl immer die Überlegung mit, ob es auf Fotos gut aussieht und in deinen Insta-Feed passt?
Jedes Café in Berlin-Mitte entspricht meinem Ästhetik-Empfinden. Ich kann es nur schwer ertragen, wenn Cafés lustlos hässlich sind.
Was lernen wir auf deinem Profil über dich? Du zeigst Mode, Accessoires und Kaffee, alles in hellen Farben.
Da können wir direkt eine Generaldebatte darüber aufmachen, was das Internet bedeutet. Mein Instagram-Feed zeigt einfach Dinge, die ich gerne mag – es ist für mich keine Vermarktungsplattform. Ich bin ja keine Bloggerin, ich mache mit Instagram kein Geld. Meine Social-Media-Auftritte sind impulsiv und intuitiv, da steckt nicht immer eine tiefere Bedeutung dahinter.
Warum geistert dann der Begriff “Mode-Bloggerin” im Zusammenhang mit deinem Namen herum?
Weil selbst Medien Social Media nicht verstehen. Ich habe mit 15 häufiger Outfit-Bilder gepostet als jetzt, so wie jeder von Sophie Passmann bis hin zu Hauptstadt-Redakteuren – und damit ist man offenbar automatisch eine Mode-Bloggerin. Das war ich aber nie.
Du hast getwittert, dass sich der neue Bundestag “auf jeden Fall noch bisschen besser anziehen” sollte. Muss Politik gut aussehen?
In Deutschland gibt es ein Problem mit Inszenierung, Wahrnehmung, Führungsstil, Marketing. Und zwar in jeder Partei. Bestes Beispiel: Die Social-Media-Auftritte der Parteien im Bundestagswahlkampf und die Outfits bei den Triellen. Man hat das Gefühl, die Politiker versuchen zu hart, ein bestimmtes Bild von sich zu präsentieren.
Brunch und Business Berlin-Style: Yasmine M’Barek im hippen Café Black Apron in der Invalidenstraße in Mitte.
Sind konservative Outfits aber nicht genau das, was Politik in Deutschland optisch repräsentiert?
Konservativ kann ja auch schick sein. Julia Klöckners Kleiderschrank ist ein gutes Beispiel dafür. Es muss einfach authentisch sein: Wenn Karl Lauterbach eine Fliege trägt oder Angela Merkel ihre bunten Blazer, dann passt das zu ihnen. Wenn aber Kevin Kühnert jahrelang nur mit Hoodie unterwegs ist und im Bundestag dann plötzlich in Sakko und weißen Sneakern auftritt, dann sieht er genauso aus wie die jungen konservativen Abgeordneten, über die er sich sonst lustig macht. Die deutsche Politik hat noch nicht verstanden, dass es Poster-Boys braucht, die inhaltliche Kompetenz mitbringen, sich aber auch nach außen hin gut verkaufen.
Ist das auch ein Grund, warum die FDP bei Jungwählerinnen so gut ankommt? Weil sie den Poster-Boy Christian Lindner hat?
Klar, das hat auch etwas mit dem Label der FDP zu tun. Viele Liberale sind auf Instagram und TikTok unterwegs, wirken dadurch jung und cool, nicht nur Christian Lindner. Das allein ist aber nicht der Grund für das gute Abschneiden der FDP. Es gibt auch junge Wähler, die sich für Klimaschutz interessieren, denen die Grünen aber zu idealistisch sind. Die Medien haben sich im Vorfeld der Wahl beim Thema Klimaschutz immer nur auf die Grünen fokussiert. Die Klimakrise war und ist aber für alle demokratischen Parteien ein Thema. Konservativen Wählern ist der Klimawandel auch nicht egal.
Denken Journalistinnen da zu sehr in Blasen?
Auch die Journalisten-Bubble, ich würde sagen vor allem Twitter, hat aktiv dazu beigetragen, dass Anti-Rassismus und Klimaschutz automatisch mit Links oder Grün gleichgesetzt werden. Mit Ausnahme der AfD sind das aber Grundsätze, die auch die anderen Parteien vertreten. Die Aufgabe von Journalisten ist es aus meiner Sicht, diese Themen in gewisser Weise zu entpolitisieren und als gesamtgesellschaftlichen Konsens anzusehen.
Im März erscheint dein Buch “Radikale Kompromisse: Warum wir uns für eine bessere Politik in der Mitte treffen müssen”. Worum geht es?
Es ist ein Plädoyer dafür, zu echter Realpolitik zurückzukehren und mit ihrer Hilfe Wege zu finden, die Mitte der Gesellschaft für die weitreichenden Veränderungen zu gewinnen, vor denen wir unmittelbar stehen. Demokratie bedeutet in erster Linie, miteinander zu sprechen, für Ideen zu werben und Kompromisse zu schließen, statt die eigene Ansicht gegen den Widerstand der anderen durchzudrücken. Andernfalls verlieren wir alle – trotz der vielen guten Ideen, die derzeit kursieren.
Wer oder was hat dich politisiert?
Ich habe mich schon früh für Geschichte interessiert, dann kam der arabische Frühling, über den in meinem Elternhaus viel gesprochen wurde. Später dann die Debatte über Geflüchtete und Fridays for Future. Meine Generation kann der Politisierung allgemein gar nicht aus dem Weg gehen. Selbst auf TikTok wird über Politik gesprochen.
Siehst du dich mit deinem politischen Interesse als typische 22-Jährige?
Ich wache nicht morgens auf und denke, “Boah, krass, du bist erst 22!” Ich mag die Altersfrage nicht, weil sie einen Graben aufmacht. Entweder man wird dafür bewundert, was man in jungen Jahren erreicht hat, oder es wird einem die Kompetenz abgesprochen, sich zu bestimmten Themen zu äußern. Man ist mit 60 aber nicht automatisch kompetenter als mit 30. Ich hatte Glück, schnell meine Themen und damit meinen Platz gefunden zu haben.
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Du schreibst für Zeit Online und trittst im “Presseclub” und bei “Markus Lanz” auf. Liegt die Zukunft des Journalismus in klassischen Medienmarken?
Ja, klar. Die Herausforderung ist, die Inhalte abseits von Print und TV zu den Menschen zu transportieren. Aber die Nachfrage ist ja da: Bei meinem Medium, Zeit Online, steigen die Abonnenten, Formate der Öffentlich-Rechtlichen auf YouTube und Instagram werden millionenfach geklickt. Junge Menschen, die sich heute für Politik und Gesellschaft interessieren, werden das auch in 30 Jahren noch tun. Ich sehe das vielbeschworene Aussterben der Medien so nicht.
Du genderst nicht. Warum?
Weil ich das generische Maskulinum in der Debatte bevorzuge. Bei der männlichen und weiblichen Form wie “Leserinnen und Leser” werden alle nicht-binären Menschen exkludiert – das ist aus meiner Sicht noch diskriminierender, als eine Form für alle zu benutzen. Sternchen, Unterstrich und Co stören meiner Meinung nach den Sprachfluss. Das Gendern akademisiert zudem die Debatte und damit auch Texte, sodass bestimmte Zielgruppen ausgeschlossen werden. Nur weil ich das generische Maskulinum benutze, denke ich aber nicht in patriarchalen Strukturen.
Siehst du dich als Feministin?
Nein. Das ist nicht meine Aufgabe.
Du warst aber schon in feministischen Formaten wie Podcasts zu Gast.
Das stimmt. Es ist mittlerweile nicht mein Place, ich habe auch nicht die Expertise dafür. Es gibt tolle Kolleginnen wie Teresa Bücker, die als Journalistin und Aktivistin über diese Themen schreibt und aufklärt. Der Begriff der Feministin, wie er gerade im Raum steht, passt einfach nicht zu mir.
Schreiben manche dir den Feminismus vielleicht automatisch zu?
Ich bin eine Frau, jung und migrantisch – das haut immer rein. Viele migrantische Journalistinnen sind links und feministisch, dadurch prägt sich dieses Bild. Diese Frauen braucht es, aber dadurch ist der Diskurs auch sehr festgelegt. Ich will nicht in eine Talkshow eingeladen werden, weil ich ein “Plakat” bin, sondern weil ich Expertise zu Themen wie Innen- und Außenpolitik besitze. Ich will auch nicht als Vertreterin meiner Generation herhalten müssen.
Man ist schon versucht, dich als typisches Beispiel der Generation Z zu labeln.
Ich will das aber nicht. Ich bin zum Beispiel eine Befürworterin von Atomenergie und muss mir dafür immer wieder vorwerfen lassen, “alt” zu denken. Dabei betrachte ich das Thema einfach nur ideologisch befreit: Atomstrom ist eine saubere Energiequelle. Wenn Deutschland selbst nicht auf Atom setzt, muss es irgendwann Atomstrom aus Frankreich importieren – das ist absurd! Und teuer.
Yasmine M’Barek im Gespräch mit Redakteurin Nancy Riegel.
Wohin soll dann der ganze Atommüll?
Es ist ja nicht so, als wäre die Endlagerfrage aufgelöst sobald wir alle Werke runterfahren. Wir suchen für den vorhandenen Müll immer noch Lösungen – da gibt es vielversprechende Anläufe, zum Beispiel in Frankreich oder Belgien. Für mich ist die Endlagerung kein Argument, Atom nicht als Brückenlösung zu verwenden.
Schaffen wir die Klimawende noch?
Wenn sich der Kurs nicht ändert, wird’s knapp. Entscheidend ist, wann wir aus der Braunkohle aussteigen. Sind wir bis 2028 nicht raus, müssen wir mit so schlimmen Klimakatastrophen rechnen, dass Ahrweiler nur ein Vorgeschmack war.
Traust du der neuen Regierung die Schritte in die richtige Richtung zu?
Alle Parteien bringen neue Gesichter und damit eine Unvoreingenommenheit mit, die es jetzt braucht. Die SPD schaut aufs Soziale, die Grünen bringen das Eindrückliche mit und die FDP die realpolitische Ebene. Wenn sie mehr über Themen als über Posten diskutieren, ist das Potenzial zu einer klugen Kompromissfindung da. Wobei die Corona-Politik diesen Eindruck schon dämpft.
Auf welche Schlagzeile kannst du 2022 verzichten?
“Ampel beschließt Milliarden-Kredit wegen Corona” – das wäre eine reine Problemverlagerung. Die Frage nach der Finanzierung von Corona-Nachwehen, aber auch Klimakrise und Renten löst man nicht, indem man vor der Schuldenbremse 2023 einen neuen Schuldenberg anhäuft.
Was wünschst du dir für 2022?
Nach zwei Jahren endlich wieder in einen Club gehen zu können und zum Song “Levitating” von Dua Lipa zu tanzen. Das wird mein Magic Moment werden.