turi2 edition #17: Markus Heidemanns über Authentizität und unerwünschte Gäste.
27. März 2022
Früher war mehr Schampus: TV-Produzent Markus Heidemanns ist der Mann hinter dem Erfolg von Markus Lanz – und einer der bestverdienenden Strippenzieher im deutschen Fernsehen. Seit den 90ern hat sich am Zuschauergeschmack nicht viel verändert, beobachtet er. Ein guter TV-Talk sei immer noch wie “ein Boxkampf von Muhammad Ali”, sagt er im Interview mit seiner früheren Redakteurin Heike Turi in der turi2 edition #17.
Markus, viele junge Menschen träumen von einer Karriere beim Fernsehen. Du hast den Traum wahr gemacht, produzierst die wichtigste Talkshow in Deutschland, bist erfolgreicher Unternehmer und Chef von 90 Mitarbeiter-innen. Und trotzdem kennt kaum jemand den Mann hinter dem Erfolg von Lanz. Bist du auf Markus Lanz manchmal neidisch?
Neid ist mir relativ fremd. Ich bin ja auch nicht der Mann hinter Markus Lanz, ich bin der Mann mit Markus Lanz. Ich habe mit meiner Firma Fernsehmacher in den zurückliegenden 18 Jahren an die 6.000 Sendungen gemacht, davon entfallen rund 1.600 auf „Markus Lanz“. Ich liebe meinen Job, genau so, wie er ist: Ich kann neue Formate entwickeln und Sendungen gestalten, habe also den vollen Spaß, den das Arbeiten beim Fernsehen mit sich bringt – und kann mich weiter frei und unerkannt in der Öffentlichkeit bewegen. Als Moderator bist du das bekannte Gesicht: Wenn es mal nicht gut läuft, bekommst du die ganze Kritik ab und musst den Kopf hinhalten. Da bleibe ich doch lieber auf meinem Weg.
Was kann der Lanz, was der Heidemanns nicht kann?
Markus Lanz kann ganz viele Sachen, die ich nicht kann. Wir ergänzen uns hervorragend. Eine gute Sendung ist ein Gesamtkunstwerk, wie ein toller Song. Die Redaktion und ich komponieren das Lied. Wir überlegen: Wen laden wir ein, wie bauen wir das Gespräch auf, welche Fragen müssen gestellt werden, welche Meinungen und Perspektiven wollen wir zeigen? Markus Lanz ist der Künstler, der auf die Bühne geht und den Song interpretiert. Wir könnten noch so Tolles vorbereiten, wenn vorne nicht der beste Moderator sitzen würde, der sich traut, Haltung und Meinung zu zeigen und die auf seine unnachahmliche Art und Weise rüberzubringen.
Wie gut wärst du auf dem Bildschirm? Hast du es je probiert?
Gott sei Dank wurde der Gedanke erst an mich herangetragen, als ich schon alt genug war und Einiges beim Fernsehen erlebt hatte, um zu wissen, dass ich lieber im Hintergrund bleibe. Ein Manko: Ich spreche sehr schnell und undeutlich. Dazu kommt, dass ich als Fernsehproduzent an vielen verschiedenen Sendungen parallel arbeiten kann. Wenn du das als Moderator machst, wird es dir vorgeworfen. Johannes B. Kerner ist ein glänzender Fußball-Kommentator, er kann Talksow und große Samstagabend-Unterhaltung, doch den Leuten wurde das zu viel. Es war von der „Kernerisierung“ des Fernsehens die Rede. Fair ist das nicht. Bei mir als Produzent sagt niemand: „Jetzt kocht er auch noch.“
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Lass uns über Karriere beim Fernsehen reden. Was braucht’s, um auf dem Bildschirm Erfolg zu haben?
Moderator lernst du nicht, Moderator musst du ganz früh wollen. Du musst den Mut mitbringen, dich in die Manege zu setzen. Und du solltest vor der Kamera genauso sein, wie wenn die Lichter aus sind. Die Zuschauer bekommen ganz schnell mit, wenn jemand den Moderator mimt. Bei einer Unterhaltungsshow ist es ein bisschen anders – Show ist großer Zirkus, da darf gespielt werden. Auch einige Comedians sind abseits der Bühne nicht unbedingt so locker drauf wie auf dem Schirm. Aber als Talkshow-Moderator musst du absolut authentisch sein. Und sehr gut vorbereitet. Rudi Carrell wusste das: „Wenn du ein Ass aus dem Ärmel ziehen willst, musst du vorher eines hineingesteckt haben.“ Moderieren wirkt immer so leicht, aber das geht mit dieser Leichtigkeit nur, wenn du dich auf dich selbst verlassen kannst. Und das heißt, du hast dir sehr viel Wissen anzueignen. Das ist richtig Arbeit.
Seit über 15 Jahren produziert Markus Heidemanns aus der Mitte Hamburgs mit 90 Mitarbeiterinnen an die 400 Sendungen im Jahr. Darunter Prime-Events, die Talks „Markus Lanz“ und „#beisenherz“ sowie mehrere Kochshows. 2022 kommen nochmals rund 400 Sendungen dazu
Und was sollte ich mitbringen, um wie du hinter den Kulissen Karriere zu machen?
Neugier und Aufgeschlossenheit Menschen und Themen gegenüber. Du solltest gern im Team arbeiten und kritikfähig sein – und zwar in beide Richtungen. Du solltest konstruktive Kritik geben können, Du solltest Kritik aber auch gut annehmen können. Das ist gerade in der Entwicklungsphase einer Sendung sehr wichtig.
Wen würdest du bei dir anstellen?
Noten interessieren mich wenig, mich interessiert das gesamte Bild einer Biografie. Wo kommt jemand her, wie ist er oder sie aufgewachsen, was hat die Person nach der Schule gemacht, vielleicht eine Schreiner-Lehre oder ein Praktikum in einem Tattoo-Studio. Solche Stationen überzeugen mich mehr als ein Bachelor in London. Für eine Sendung wie „Markus Lanz“ ist es gut, wenn du Erfahrung im politischen Bereich hast sammeln können. Entweder hast du schon für einen Politiker gearbeitet oder du kommst aus dem politischen Journalismus oder der Forschung.
Würdest du deinen Kindern raten, zum Fernsehen zu gehen?
Für den Moment ja, denn fürs Fernsehen zu arbeiten ist einfach spannend. Das lineare Fernsehen wird schon lange totgeschrieben. Als Markus Lanz 2008 von RTL zum ZDF wechselte, wünschte ihm Anke Schäferkordt „viel Vergnügen beim Senioren-Fernsehen“. Heute versucht Stephan Schäfer mit RTL so ein bisschen das ZDF der Privaten zu werden, denn es sind die älteren Zuschauer, die nicht so schnell ins Netz und zu den Streamingdiensten wechseln. Aber wie lang genau das lineare Fernsehen noch Zukunft hat, vermag niemand zu sagen.
Markus Heidemanns erklärt Heike Turi, dass der Zuschauerrang bei „Markus Lanz“ auch nach Corona unbesetzt bleiben soll – der Talk sei ohne Publikum intensiver
2000 bin ich bei dir ausgestiegen – was hat sich seitdem geändert in der TV-Branche?
Lustigerweise nicht viel, im Programm finden sich nach wie vor Fußball, Krimis, Dokus, Talk- und Kochshows. Worauf man heute aber achtet, ist die Zweitverwertung von Sendungen, dass sie direkt in die Mediathek gehen.
Was ist der beste Einstieg beim Fernsehen?
Ich finde, bei einer Fernsehproduktionsgesellschaft. Da kannst du unheimlich viel lernen und direkt mitmachen. Und wenn du einmal verstanden hast, wie Fernsehen funktioniert, also warum die Leute einschalten, dann nutzt dir das auch, wenn du später mal auf YouTube deinen eigenen Kanal starten willst.
Wie steht es um die Entwicklungschancen in der TV-Produktion?
Gut bis sehr gut, es kommt auf die Person an. Zwei unserer Teamleiter sind erst Anfang 30. Beide haben während des Studiums als Praktikant bei uns reingeschnuppert und sich nach dem Ende ihrer Ausbildung wieder gemeldet. Der Weg vom Jungredakteur zum Teamleiter mit Sendungsverantwortung hat bei beiden nur wenige Jahre gedauert.
Ich höre nur Teamleiter, nicht Teamleiterin?
Derzeit sind von sechs nur zwei Teamleiterinnen, das war mal anders. Wenn eine Mitarbeiterin zu mir kommt und sagt, sie ist schwanger, dann lacht mein eines und weint mein anderes Auge. Ich finde es großartig, wenn sich jemand dafür entscheidet, eine Familie zu gründen. Ich weiß aber auch, dass der Job des Teamleiters nicht in Teilzeit zu erledigen ist.
Ist Fernsehen überhaupt noch die glamouröse, glänzend zahlende Branche, von der viele träumen?
Glamourös wird es immer für die sein, die den Glamour suchen. Es wird immer Leute geben, die den Grüßonkel machen, wenn ein Politiker oder Filmschauspieler in die Sendung kommt. Mein Ding ist das nicht. Aber die Zeiten, in denen beim Fernsehen mit Schampus rumgespritzt wurde, die sind ähnlich wie in den Werbeagenturen oder der Plattenindustrie vorbei.
Steht in den Arbeitsverträgen noch „Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten“?
Ich glaube ja. Aber die Frage ist: Was sind Überstunden? Wenn ich mir Gedanken zur nächsten Sendung mache? Wenn mir ein neues Format einfällt? Nach der Berechnung arbeite ich 24/7. Aber das erwarte ich von niemandem. Die Kollegen sollen sich so einbringen, wie sie können. Wenn einer seinen Job in drei Stunden erledigt bekommt und der andere neun Stunden für die gleiche Tätigkeit braucht, dann ist das so. Klar ist aber auch, wenn es brennt, sollte man Bereitschaft zeigen, da zu sein.
Du hast eine Finca auf Mallorca, ein Segelboot auf der Alster und eine attraktive Frau an deiner Seite – das erinnert mich arg an den Werbespruch „Mein Haus, mein Auto, meine Frau“. War der Sprung vom Chefredakteur zum Fernsehproduzenten eine wirtschaftliche Überlegung?
Mir geht es wirklich unfassbar gut, und es ist überhaupt keine Frage, dass du als Fernsehproduzent auch sehr viel Geld verdienen kannst. Aber Geld war nie meine Antriebsfeder. Ich wollte einfach wissen – und das will ich bis heute – ob die Idee, die ich habe, im Fernsehen eine Chance hat, ob ein Sender sie kauft und ob sie wirklich funktioniert. Und das erfährst du erst, wenn sie ausgestrahlt ist.
Wie sehr bist du heute noch Journalist, wie sehr Manager?
Ich bin nach wie vor der Kreative und Journalist im Laden, ich bin kein Manager. Aber es gibt natürlich eine Abteilung, die mir am Ende des Jahres sagt, wie viel der Laden abgeworfen hat.
Was liebst du an deiner Arbeit?
Dass sie nie aufhört. Dass ich mir immer wieder Neues einfallen lassen kann. Und dass ich mit Menschen zusammenarbeite und Menschen für eine Idee begeistern kann. Seit dem 6. Dezember 1995 kriege ich fast täglich eine Note für das, was ich mache. Damals ging die erste Harald Schmidt Late Night auf Sendung. Ich glaube an die gute alte GfK und die TV-Quoten. An den Minutenverläufen siehst du ganz genau, an welchen Stellen eine Sendung schwächelte oder stark war.
Was stört dich an deiner Arbeit?
Dass es manchmal spät wird und ich die Kinder kaum sehe. Gerade an Sendungstagen kann es acht, halb neun werden, auch mal halb elf. Dann sind die Kinder schon im Bett.
Markus Lanz und du, ihr seid Geschäftspartner mit der Firma Mhoch2, die „Markus Lanz“ produziert. Wer entscheidet, wer in die Sendung kommt?
Die Redaktion legt fest, wer in die Sendung kommt. Markus Lanz ist involviert und kann jederzeit ein Veto einlegen. Die Redaktion und ich überlegen, was der rote Faden der Sendung sein soll und entwickeln die einzelne Gesprächsverläufe. Ein guter Talk ist wie ein Kampf von Muhammad Ali: Da wird ein bisschen getänzelt, man macht einen Schritt vor, man kann auch mal eine einkassieren. Unterm Strich muss ich Qualität liefern.
Was muss ein Talkshowgast haben, damit er gut rüberkommt?
Der Politiker muss gewillt sein, den Schlagabtausch anzunehmen statt grundsätzlich zu blocken und nur sein politisches Stehsatzgesäusel zu bringen. Ein Journalist oder Experte muss die Dinge erklären können, die wir erklärt haben wollen. Lange galt gerade im Privatfernsehen – also noch vor Joko und Klaas – die Maxime, den Zuschauer bloß nicht zu überfordern. Der Meinung bin ich nicht. Wenn eine Sendung gut vorbereitet ist, kannst du den Zuschauer überall mit hinnehmen.
Welche drei Ratschläge würdest du denjenigen aus der turi2-Community geben, die zum ersten Mal Gast in einer Talkshow sind?
Er oder sie sollte sich vorab gut überlegen, was sie rüberbringen möchte. Sie sollte sattelfest im Thema sein, aber nicht die Oberlehrerin spielen. Und sie sollte authentisch und als Mensch erkennbar bleiben.
Hat sich schon jemand so schlecht benommen, dass er nicht wiederkommen darf?
Hans-Hermann Tiedje haben wir vor die Tür gesetzt, nachdem er sich über einen Mitarbeiter von uns echauffiert und absolut im Ton vergriffen hatte. Man erinnert sich an seine Zeit bei „Bild“.
Und wer darf jederzeit wiederkommen?
So jemand wie Karl Lauterbach. Er ist in der Lage, die Leute zu Hause am Bildschirm wirklich mitzunehmen und sie über ein Fachgebiet aufzuklären. Deshalb haben wir an ihm als Erklärbär auch sehr lange festgehalten.
Ihr seid mit den zahlreichen Einladungen an Karl Lauterbach nicht ganz unschuldig an seiner Popularität. Macht ihr euch da nicht zum Sprachrohr der Politik?
Nein, Lauterbach war zu dem Zeitpunkt zwar gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, aber er war nicht in dieser Funktion eingeladen, er hat auch nicht für die Partei gesprochen, sondern er war als Experte in der Sendung.
Ihr habt trockene Politik im Gewand der Fernsehunterhaltung präsentiert. Wäre sie nicht viel besser bei den Nachrichten oder einem der Politmagazine gut aufgehoben?
Wir sind eine politische Sendung! Den Deutschen Fernsehpreis haben wir im letzten Jahr in der Kategorie Information gewonnen. Ich kann die Sichtweise, Politiker sollten nicht in Talkshows gehen und besser im Parlament bleiben und dort diskutieren, nicht nachvollziehen. Eine Parlamentsdebatte sehen sich nur wenige Menschen an, und die Berichterstattung darüber auch nicht mehr. Wir hingegen schaffen mit unserer Sendung einen echten Mehrwert für das Politikverständnis im Allgemeinen.
Für wen macht Ihr die Sendung – Junge, Alte, deutsches Bildungsbürgertum?
Eigentlich für jeden. Die Sendung soll meine Schwester und meine 84-jährige Mutter interessieren. In den letzten zwei Jahren ist uns zudem gelungen, eine für das ZDF unfassbar junge Zielgruppe zu holen. Der Marktanteil der 14- bis 49-Jährigen liegt beim ZDF im Schnitt bei sechs Prozent. Wir kommen mit „Markus Lanz“ oft über zehn.
BR oder RBB haben das 50:50-Mann-Frau-Programm der BBC übernommen und achten bei der Auswahl der Interviewpartnerinnen und Talkgäste auf einen ausgewogenen Mix. Wie divers muss Fernsehen werden?
Das ist ein großes Thema. Das ZDF achtet stark drauf. Es fängt bei den Politikern an: Da sollte am Ende eines Jahres der prozentuale Anteil von Grün, Rot, Gelb, Schwarz oder auch mal Blau ungefähr dem im Bundestag entsprechen. Männliche und weibliche Talkgäste halten sich bei uns schon lange die Waage. Es gibt in Deutschland zum Glück so unfassbar gute Journalistinnen, dass es leicht fällt, weibliche Talkgäste zu finden. People of Color laden wir sehr gern ein, aber nicht, weil er oder sie einen Migrationshintergrund hat und wir mal wieder über Rassismus sprechen wollen, sondern dann, wenn die Person die beste Expertise auf einem Gebiet hat, das wir am Abend behandeln wollen.
Du produzierst für den deutschen Fernsehmarkt seit Jahren auch eine beachtliche Anzahl an Kochsendungen. Sind die Leute nicht mal satt?
Nicht von Kochsendungen. Ich habe das Gefühl, da ist noch mehr drin. 83 Millionen Bürger im Land wollen ans Kochen herangeführt werden. Eine Kochsendung ist auch so ein bisschen wie eine Ersatzfamilie für die vielen Single-Haushalte. Da wird nett gesprochen, man lernt neue Menschen und neue Gerichte kennen. Und Kochsendungen erfüllen den Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen, denn du kannst darin auch Aspekte wie bewusstes Leben, gesundes Essen und Nachhaltigkeit ansprechen.
Markus Heidemannns
Geb. 1964 in Witten
1988: Volontär, „Westfalenpost“
1991: Redakteur, „Bild am Sonntag“
1995: Redaktionsleiter der „Harald Schmidt Show“, Sat.1
1998: Redaktionsleiter von „Johannes B. Kerner“, ZDF
2004: Gründung der TV-Produktion Fernsehmacher
2008: Redaktionsleiter von „Markus Lanz“, ZDF
2010: Gründung der TV-Produktion Mhoch2 mit Markus Lanz
2021: Deutscher Fernsehpreis, Kategorie Information, für „Markus Lanz“