turi2 edition #17: Darf man Sie ungestraft Lobbyist nennen, Matthias Berninger?
23. April 2022
Seitenwechsel:Matthias Berninger war mal Grünen-Politiker und jüngster Abgeordneter im Bundestag. Heute ist er Leiter der Politischen Kommunikation bei Bayer. Für ihn sind beide Berufe wichtig für die Demokratie. Nur ein Fähnchen im Wind sollte man nicht sein, sagt er im Interview in der turi2 edition #17.
Zumindest machen es viele Leute ungestraft. Ich finde an dem Wort nichts Schlimmes. Es wird aber versucht, Lobbyismus mit negativen Assoziationen zu belegen. Dabei ist Lobbyismus für eine funktionierende Demokratie unerlässlich.
Wie das?
Für die Gesellschaft ist es extrem wichtig, dass die Politik vernünftige Entscheidungen trifft. Wenn die Wirtschaft nicht das Richtige tut, dann wird die Politik falsche Entscheidungen treffen. Deshalb muss man im Dialog bleiben. Nicht nur Unternehmen sprechen mit der Politik. Auch Kirchenvertreter, Gewerkschaften und Umweltverbände sind letztlich Lobbyisten.
Was ist mit dem Klischee der diskreten Treffs in Hinterzimmern?
Was sich seit den 90er Jahren deutlich geändert hat, sind die Transparenzregeln – das ist auch gut so. Meine Argumente im persönlichen Gespräch kann man auf meinem Twitter-Account nachlesen. Mir ist Transparenz wichtig, ich verstehe die Aufregung in Berlin nicht wegen der Einführung des Lobbyregisters. Ich lebe in Washington D.C., da ist Lobby-Transparenz seit Jahrzehnten üblich, genau wie in Brüssel.
Wie würden Sie das beschreiben, was Sie machen?
Das Gemeinsame aus meiner Zeit in der Politik, bei Mars und Bayer ist, dass ich an Transformationen arbeite, an grundlegenden Veränderungen mit dem Ziel der Lösung von Problemen, die sich stellen – und an der Kommunikation dieser Lösungen. Ich vergleiche das gerne mit einem Baum und seinem Schatten. Der Baum steht für Relevanz – also den Beitrag, den ein Unternehmen für die Gesellschaft leistet. Der Schatten ist die Wahrnehmung dessen in der Gesellschaft – die Präsenz. Ich will dafür sorgen, dass wir relevant sind – und präsent.
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Ist Politische Kommunikation ein Beruf mit Zukunft?
Absolut. Ohne professionelle Kommunikation können wir die Probleme, die wir haben, nicht lösen und die notwendige Transformation nicht schaffen. Meine Definition von PR ist, Präsenz und Relevanz miteinander zu verknüpfen. Wenn ein Unternehmen toll kommuniziert, aber nicht macht, was es verspricht, dann landet es schnell in schwierigem Fahrwasser. Ein Unternehmen, das viele gute Sachen macht und darüber nicht kommuniziert, bekommt auch Probleme. Die Politik braucht ebenfalls eine gute Balance zwischen Präsenz und Relevanz.
Wer sollte diesen Beruf ergreifen?
Wer offen dafür ist, seine Perspektive zu erweitern. Jürgen Trittin hat mir mal gesagt “Umwege erhöhen die Ortskenntnisse”. Man sollte die Bereitschaft haben, Umwege zu gehen. Das Wichtigste ist, dass man weiß, warum man tut, was man tut. Wenn der Wind bläst, sollte man eher Fahnenmast als Fahne sein.
Sie spielen Schach. Was kann man dabei für die Karriere lernen?
Ich spiele am liebsten Blitzschach, drei Minuten Zeit zum Nachdenken pro Partie. Wie im normalen Schach und im Leben gilt: Du musst einen Plan haben und die Flexibilität, ihn jederzeit zu ändern.
Tipp von Matthias Berninger: “Ich nenne es den Karriere-Triathlon: Sich selbst besser kennenlernen. Sich selbst beherrschen lernen. Sich mit Disziplin weiterentwickeln”
Matthias Berninger
Geb. 1971 in Kassel
1990: Mitglied Bündnis 90/Die Grünen, Studium Chemie und Politologie
1994: Jüngster Abgeordneter im Deutschen Bundestag
2001: Parlamentarischer Staatssekretär Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
2005: Wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion
2007: Mandatsverzicht, Lobbyist für Mars Inc.
2019: Leiter Politische Kommunikation, Wissenschaft, Nachhaltigkeit bei der Bayer AG, Washington D.C.