turi2 edition #17: Porsche-Chefdesigner Michael Mauer über Emotionen, E-Autos und “Happy Accidents”.
9. April 2022
Mit Stift am Steuer: Porsche-Chefdesigner Michael Mauer ist eigentlich CEO: Chief Emotion Officer. Mithilfe von 3D-Brille und Knete entwirft er die Autos der Zukunft. Und manchmal sogar Raumschiffe. Weil nur die wenigsten Ideen eines Designers umgesetzt werden, versteht er sein Gehalt auch als “Schmerzensgeld”, erzählt er im Interview in der turi2 edition #17.
Wahrscheinlich schon, aber ich habe es erst nicht gemerkt. Autos haben mich zwar schon als junger Kerl total begeistert, und in der Schule war ich gut in allem, was mit Zeichnen, Gestalten, Kreativsein zu tun hatte. Aber dass ich den Beruf gewählt habe, daran hat letztlich mein Vater einen großen Anteil. Vermutlich aus der Sorge heraus, was aus seinem Sohn werden soll, hat er die beiden Enden zusammengeführt und herausgefunden, dass es tatsächlich einen Beruf und ein Studienfach für Automobildesign gibt.
Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt: Ich will Dinge gestalten?
Nach dem Abitur, als ich bei Mercedes ein Praktikum gemacht habe. Dort habe ich zum Beispiel verschiedene Darstellungstechniken und Materialien kennengelernt und wie man ein Rendering, also ein fotorealistisches Bild einer Idee, erzeugt. Das hat mich sehr fasziniert.
Dann haben Sie in Pforzheim Automobildesign studiert.
Die Hochschule war sehr durch den Bauhaus-Stil geprägt, viel Produktdesign, viel “Form follows Function”. Für mich war klar, ich will Autos designen – und in den ersten Semestern ging’s um Kaffeemaschinen und Rasenmäher. Damit habe ich sehr gekämpft. Nach dem Studium bin ich direkt bei Mercedes eingestiegen und habe dort das Handwerk von Grund auf gelernt – und mich schon gefragt: Warum hast du vier Jahre an der Hochschule verbracht? Aber im Rückblick war es absolut richtig, denn die akademische Ausbildung weitet den Blick in viele Richtungen.
Wozu raten Sie jungen Leuten, die ins Design wollen?
Neben dem Studium viele Praktika machen, überall reinschnuppern und auch eine Zeit lang im Ausland studieren. Ich selbst habe als Design-Studioleiter für Mercedes ein Jahr in Japan verbracht. In einem anderen Land und seiner Kultur zu leben, das bringt einem die Realität nahe. Kein Buch und keine digitale Recherche können das ersetzen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Porsche-Chefdesigner aus?
Der lässt sich zweiteilen. Im Tagesgeschäft entwickeln wir Modelle weiter und arbeiten an Projekten. Dazu tausche ich mich mit den verantwortlichen Designern und Abteilungsleitern aus, auch mit Blick auf vorgegebene Budgets und zeitliche Vorgaben. Zum anderen geht es um meine Aufgabe als CEO.
CEO?
Ja, im Sinne eines “Chief Emotion Officers”. Wie Konsumenten eine Marke und ihr Design empfinden, trägt heute mehr denn je zur Kaufentscheidung bei. Und im Idealfall ist der Chefdesigner weit mehr als ein Produktgestalter: Nehmen wir Apple oder Polestar – beste Beispiele dafür, dass es nicht nur darum geht, wie etwas aussieht, sondern wie es funktioniert und welche Emotionen es auslöst. Ich glaube, viele Unternehmen könnten die Art, wie Designer denken, Dinge visualisieren und umsetzen, besser nutzen. Bei Porsche sind wird da sehr weit vorn.
Wie kommen Sie auf Ideen?
Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt und habe immer mein Notizbuch dabei, ob zu Hause, auf der Fahrt oder im Meeting, damit ich eine Idee sofort zeichnen und zu Papier bringen kann. Vieles entsteht bei uns im Team, und dabei ist zweierlei wichtig: Leitplanken vorzugeben, die der Orientierung dienen, aber zugleich auch viel Freiraum einzuräumen. Ich darf andere Meinungen nicht zu früh abwürgen. Ideen werden besser, wenn man sie multipliziert.
Haben Sie bestimmte Quellen, die Sie besonders inspirieren?
Ich glaube fest daran, dass im Unterbewusstsein ganz viel passiert. Dazu brauche ich Auszeiten und Ruhe. Die finde ich beim Sport in den Bergen, wenn ich allein bin, weiße Wände vor mir habe.
In Ihrer Werkstatt wimmelt es von Stiften und Papier, Sie arbeiten mit Knete. Wird Design nicht immer digitaler?
Kreativität findet nicht im Computer statt, sondern kommt aus dem Menschen. Und der muss seine eigenen Kreativtechniken entwickeln. Technologie mit ihren beeindruckenden Möglichkeiten kommt danach. Wir haben in den 1980er Jahre eine Woche lang an einem S-Klasse-Modell in Originalgröße gezeichnet, heute stellen wir in kürzester Zeit ein Datenmodell in die Landschaft und können es überall auf der Welt fahren lassen. Ein gewaltiger Fortschritt. Die Technik hilft, Ideen schneller zu visualisieren.
Rückt Design also doch zunehmend in die virtuelle Welt?
Die Frage wird in unserer Profession gerade heftig diskutiert: Brauchen wir überhaupt noch physische Modelle? Mich fasziniert es, wie real alles wirkt, wenn ich eine 3D-Brille aufsetze. Unser Gehirn kann immer weniger zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden. Aber wenn ich draußen in der Natur unterwegs bin und zum Beispiel einen prächtigen Berg oder ein schönes Gebäude fotografiere, dann wirken sie später auf dem Bild lange nicht so präsent, so groß, so prominent. Das menschliche Gehirn verarbeitet Daten einfach anders als der Computer. Und so ist es mit physischen Modellen: Da fallen einem Details auf, die man vorher nicht erkannt hat. Und ganz ungeplant passieren dann auch Happy Accidents.
Was meinen Sie damit?
Diesen Begriff habe ich von Doug Chiang, dem Chefdesigner von “Star Wars”. Mit ihm und seinem Team haben wir ein Fantasie-Raumschiff entworfen. Happy Accidents, also diese glücklichen Zufälle, von denen Chiang erzählte, kenne ich aus der eigenen Arbeit. Wenn ich zum Beispiel auf eine Skizze blicke und plötzlich feststelle, dass daraus etwas Größeres werden kann. Da fällt mir wieder die Zeichnung eines jungen Designers ein: Er hatte eine Linie für den Tonmodellierer gezeichnet, aber für mich sah es aus wie die Skizze eines viertürigen Sportwagens und ich war begeistert. So nahm der Taycan, der erste elektrische Porsche, seinen Anfang.
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Geht den Digital Natives der Sinn für dieses Handwerk verloren?
Die jungen Designer sind unglaublich fit in visueller Technik. Wie schnell und gekonnt sie aus einer einfachen Skizze 3D-Modelle mit Licht und Farben hervorbringen, damit könnte man ganze Galerien bestücken. Aber der Nachwuchs ist dann oftmals genauso überrascht, was aus realen Zeichnungen und dem Prozess der physischen Modellierung hervorgeht. Es braucht beides, damit am Ende ein qualitativ hochwertiges Produkt entsteht. Gerade für Luxusmarken wie Porsche ist das enorm wichtig und Teil unseres Qualitätsanspruchs.
Wie frei sind Sie bei der Entwicklung eines Porsche?
Der Anfang ist extrem offen. Deshalb mischen wir unsere Teams aus erfahrenen Leuten, die zum Beispiel schon drei, vier Generationen eines 911ers mitgestaltet haben, und ganz jungen Designern, auch aus anderen Kulturkreisen. Bestehendes in Frage stellen und mit unverstelltem Blick herangehen: Das braucht eine Marke, um frisch zu bleiben. Aber natürlich gibt es einige Grundregeln. Ein Porsche muss wiedererkennbar sein, eine Markenidentität haben. Der sportliche Auftritt, die Proportionen, die klaren Flächen und ausgeprägten Kotflügel gehören dazu. Am Ende ist es ein Grat zwischen behutsamer Veränderung und mutiger Konsequenz.
Wie verändert das elektrische Fahren das Autodesign?
Die Proportionen ändern sich, weil beispielsweise wegen der Batterien die Radstände länger werden. Aber ein E-Auto kommt ohne Verbrennungsmotor, Abgasanlage und Getriebe aus, es braucht also weniger Komponenten im Fahrzeug. Das schafft neue Möglichkeiten. Und mehr Freiraum für Designer.
Sie haben das Buch “Porsche Unseen” veröffentlicht, 328 Seiten mit Designs, die es nie in die Serienproduktion geschafft haben. Warum stellen Sie Ihr Scheitern ins Schaufenster?
Das war ein Herzensprojekt, für das ich intern viel Überzeugungsarbeit leisten musste. So etwas hatte sich vorher noch niemand getraut in der Automobilindustrie. Ich interpretiere das auch nicht als Scheitern, sondern als ein Zeugnis dafür, wie viel Kreativität und Innovation in Porsche und seinem Designbereich steckt – und dass wir eben viel mehr können als nur den 911er.
Ist das ein Signal an Design-Talente, was sie bei Porsche erwartet?
“Unseen”-Fotograf Stefan Bogner hat unser Studio als “Silicon Valley in Weissach” bezeichnet. Das gefällt mir. Die gesammelten Designstudien zeigen, was für ein attraktiver Arbeitsplatz das hier ist, welche enormen Freiheitsgrade wir haben und wie sehr wir uns austoben können. All das ist ein Teil unserer Erfolgsstory. Durch das Buch kann man Porsche als coolste Automarke der Welt kennenlernen, und das macht auch Eindruck bei den besten Talenten und Automobildesignern.
Wie frustrierend ist es, für den Papierkorb zu arbeiten?
Das ist und bleibt schmerzhaft, selbst für mich nach fast 40 Jahren. Designer sein ist Beruf und Berufung, da identifiziere ich mich hochgradig mit meiner Idee und meinem Entwurf, ich will sie verwirklichen. Aber die Chance, und das sage ich jedem jungen Designer, dass die eigene Idee durchkommt, ist gering – und ein Teil des Gehalts deshalb sicherlich eine Form von Schmerzensgeld. Darauf müssen sie sich einstellen und verinnerlichen, dass sie Teil eines Teams sind, das durch ihre Idee beflügelt wird.
Welches Design außerhalb der Autobranche spricht Sie an?
Fahrräder faszinieren mich. Ich fahre selbst viel Rad und habe schon Modelle allein wegen der Optik gekauft, etwa ein Bianchi Rennrad. Als die ersten E-Mountainbikes herauskamen und voluminös wurden, hat mir sehr gefallen, wie die Marke Specialized es geschafft hat, die Proportionen in Harmonie zu bringen.
Und was sind für Sie die schlimmsten Designsünden?
Es gibt zu viele, um einzelne heraus zu heben. Was da unterwegs ist, erfüllt oft den Tatbestand der visuellen Umweltverschmutzung. Das Problem: zu viele Produkte, die immer verrückter, oberflächlicher sind und in kürzeren Zyklen entstehen. Aber mehr Linien und größere Embleme ersetzen keine fehlende Markenidentität und eine starke Designstrategie. Darauf kommt es an.
Was ist für Sie der größte ästhetische Unfall auf den Straßen?
Ach, da hat es in der Autoindustrie immer wieder welche gegeben, wie zum Beispiel den Fiat Multipla. Aber ich will nicht mit dem Finger auf Kollegen zeigen, weil ich weiß, welche Umstände und Zwänge es gibt und dass Designer nicht allein entscheiden.
Braucht es mehr Zeit für Design?
Auf jeden Fall. Die praktische Umsetzung lässt sich heute dank moderner Technologie deutlich verkürzen, aber nicht der eigentliche, kreative Prozess. Gedanken müssen reifen. Und das Unterbewusstsein hat seinen eigenen Takt.
Michael Mauer
Geb. 1962 in Rotenburg
1982: Studium Automobildesign in Pforzheim
1995: Abteilungsleiter Design bei Mercedes
1998: Leiter Advanced Design Studio, Japan
1999: Chefdesigner Smart
2000: Executive Director Design bei Saab
2004: Chefdesigner Porsche