turi2 edition #18: Wie viel Inflation verträgt der Werbemarkt, Thomas Koch?
18. Juli 2022
Mit Witz und Wut: Im Werbemarkt läuft einiges schief, glaubt Thomas Koch. Deswegen setzt “Mr Media” in seinem Gastbeitrag in der turi2 edition #18 zum bissigen Rundumschlag an. Er stellt in Frage, weshalb trotz rasant steigender Preise der TV-Markt boomt und Digital-Werbung trotz Ad Fraud floriert. Der Konkurrenz empfiehlt er entsprechend, einfach mal die Preise hochzuschrauben “oder, noch besser, an Bots zu senden”.
Von Thomas Koch
Wie viel Inflation verträgt der Werbemarkt? Nach meiner Beobachtung: ungeheuer viel. Ich würde es sogar noch drastischer formulieren. Wenn du als Medium nicht eine ordentliche Portion Inflation mitbringst, hast du bei Werbekunden keine Chance.
Nehmen wir das Fernsehen: TV hat im letzten Jahr 25 Prozent der Zuschauer unter 30 Jahren verloren. Infolge zusätzlicher Preiserhöhungen ist der Tausenderkontaktpreis um 30 Prozent gestiegen. Was machen die Werbekunden? Abwandern? Nein! Die Inflation weckt erst ihre Nachfrage. Sie rennen den TV-Vermarktern die Bude ein. Oder Online-Werbung: Erzähl Marketingleuten, dass der Anteil ihrer Online-Spendings, der Ad Fraud ausgesetzt ist, bei 30 bis 70 Prozent liegt – und sie blicken gelangweilt auf und steigern die Online-Ausgaben. Beweise ihnen, dass entlang der Supply Chain 70 Prozent ihrer digitalen Werbegelder verloren gehen und nie einen Menschen aus Fleisch und Blut erreichen – und sie rufen begeistert: “Alles Geld in digital!”
Nehmen wir dagegen den umgekehrten Fall: Beim Radio sehen wir, was ohne Inflation passiert. Radio geht es prima, die Preise sind stabil. Es ist überhaupt eines der preiswertesten Medien und seine Fähigkeiten als wirksames Medium sind nicht halbwegs ausgeschöpft. Kunden und Agenturen gehen achtlos vorbei. Radio? Hä? Uninteressant. Oder Digital-Out-of-Home: neu, innovativ, digital, bewegtbildlerisch, reichweitenstark, programmatisch, preiswert. “Ach, lass mal stecken”, sagen die Kunden, passt gerade nicht. “Wir müssen unser Geld zu Google, Facebook, Amazon schaufeln. Hab für euch leider nichts übrig.”
Das Problem, das manche Medien haben, springt einem förmlich ins Gesicht. Es fehlt ihnen an Inflation und Möglichkeiten, Werbegeld inflationär zu verbrennen. So kommen sie natürlich nicht weiter. Der Werbemarkt wird erst dann auf sie aufmerksam – und sie auch einsetzen –, wenn sie die Preise erhöhen, Zielgruppen verlieren oder, noch besser, an Bots senden. Ich empfehle im ersten Schritt eine Preisanhebung von 30 Prozent. Das müsste funktionieren.
(Foto: Alex von Spreti)
Dieser Beitrag ist Teil der turi2 edition #18 Kapital – alle Geschichten hier im E-Paper: