turi2 edition #19: “Am Anfang stand der Überlebenswille” – Armin Hierstetter im Porträt.
1. Oktober 2022
Stimmt so:Armin Hierstetter disruptiert mit seiner Casting-Plattform Bodalgo im Alleingang den Markt. Sein eigener Weg hinters Mikro ist eine Aneinanderreihung von Zufällen – und der Erkenntnis: “Ein besonders guter Chefredakteur bin ich nicht”, sagt er im Porträt in der turi2 edition #19.
Wäre nicht der Journalismus dazwischengekommen, wäre Armin Hierstetter heute womöglich Chemiker. Nur knapp schafft er das Abi, als schlechtester in seinem Jahrgang. „Aber in Chemie war ich eine Leuchte“, erinnert er sich. Dem Chemiestudium kommt die Computerpresse zuvor: Hierstetter wird durch Zufall freier Autor, macht dann ein Volontariat beim Magazin „TOS“. Der nächste Zufall bringt ihn als Vize-Chefredakteur zum Männer-Magazin „Penthouse“, später macht er Jugendpresse, bis er merkt: „Ein besonders guter Chefredakteur bin ich nicht.“
Alle Geschichten der turi2 edition #19 – direkt hier im Browser als E-Paper:
Hierstetter studiert Medienmarketing und wechselt ins Verlagsmanagement. Er ist Verlagsleiter beim Männer-Blatt „FHM“, als er 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise gekündigt wird. Aber er hat einen Plan B.
2004 hatte er für „FHM“ mal einen Werbespot gesprochen und daraufhin naiv für sich beschlossen: „Ich bin jetzt Sprecher.“ Erfolglos klappert er Studios und Agenturen ab und findet ein ziemlich geschlossenes System vor. Im Netz entdeckt er eine US-Website, wo sich Sprecher präsentieren können und Jobs bekommen, die auf ihr Profil passen. Ein deutsches Pendant sucht er vergeblich.
Ein Besuch auf dem Münchner Oktoberfest 2007, Hierstetter hat schon drei Maß getrunken, endet damit, dass er sich an den Rechner setzt und die ersten Zeilen einer Casting-Plattform programmiert, die später zu Bodalgo wird.
Armin Hierstetter
Geb. 1970 in Schwandorf
1990 Volontär, später Redakteur „TOS”
1993 Redakteur, später Vize-Chefredakteur „Penthouse”
1996 Chefredakteur „Baller!”, „Xtreme”
1997 Textchef, später Vize-Chefredakteur „Sugar“
2000 Leiter Jugendmagazine Attic Futura
2004 Verlagsleiter „FHM“
2008 selbstständig mit Bodalgo
Nach der Kündigung bei „FHM“ steckt er seine komplette Abfindung in die Weiterentwicklung von Bodalgo – der Name entspringt übrigens der Phantasie und hat keine Bedeutung. „Am Anfang stand der Überlebenswille. Ich brauchte jetzt ein funktionierendes Business“, sagt Hierstetter.
Daneben reizt ihn die Selbstständigkeit, sein eigener Chef zu sein und selbst zu entscheiden, was er tut und wann er es tut. Bis heute ist Bodalgo eine One-Man-Show. „Es ist so einfach, alleine zu arbeiten“, sagt Hierstetter. „Mir fehlt diese Gier, zu wachsen.“ Für den Vertrieb, nicht gerade seine Stärke, hätte er aber schon gerne einen Sidekick.
Alle neuen Stimmen auf der Plattform überprüft Hierstetter persönlich. Sein Anspruch ist, nur professionelle Sprecherinnen und Sprecher zu vermitteln. Auch, weil er am Anfang viel Gegenwind erlebt: Dass da einer das tradierte System der Stimmen-Vermittlung infrage stellt und mit einer Online-Plattform disruptiert, kommt bei Studios und Agenturen zunächst gar nicht gut an.
Armin Hierstetter über den Sprecher-Markt und gefragte Stimmen im turi2 Jobs-Podcast:
Heute hat Bodalgo gut 12.000 Sprecherinnen und Sprecher in 80 Sprachen in der Datenbank, rund 2.000 davon zahlen als Premium-Mitglied einen monatlichen Beitrag und können sich dafür selbst auf Castings bewerben. Das ist Hierstetters Geschäftsmodell, Vermittlungsgebühren verlangt er nicht.
Im Nachhinein sieht Hierstetter die Selbstständigkeit als beste berufliche Entscheidung seines Lebens und rät: „Dass man Muffe davor hat, sollte kein Hinderungsgrund sein, diesen Schritt zu wagen.“
Fünf Schritte zur perfekten Stimme für dein Projekt:
1. Briefing: Beschreibe Ziel und Zielgruppe und gib Hinweise auf die gewünschte Stimmfarbe und Diktion. Hilfreich sind Beispiele, wem die gesuchte Stimme ähneln soll.
2. Skript: Füge dem Casting-Aufruf Teile des Skripts hinzu, selbst wenn das noch nicht final ist. Bei Online-Castings bewerben sich die meisten Sprecher mit einem Demo auf Basis deines Skripts.
3. Länge: Lies den Text laut, um die Länge zu kontrollieren. Das ist vor allem bei zeitkritischen Texten wie Werbung wichtig. Denn: Wir lesen im Kopf deutlich schneller als in Wirklichkeit. Und: Deutsche Texte sind gesprochen bis zu 30 Prozent länger als beispielsweise ein englisches Original. Wird „auf Bild“ gesprochen, ohne dass die Länge angepasst werden kann, muss dies bei der Übersetzung beachtet werden.
4. Qualität: Professionelle Aufnahmen dürfen nicht rauschen, nachhallen oder abgehackt klingen. Verlange für ein Casting immer Aufnahmen ohne Musikbett und Soundeffekte, die Mängel der Aufnahmetechnik kaschieren würden.
5. Budget: Professionelle Sprachaufnahmen haben ihren Preis. Weil viele Sprecher heute über eigene Studios verfügen, benötigst du in der Regel aber kein externes Studio. Außerdem entfällt bei Online-Castings eine Agenturprovision.