turi2 edition #19: Maria Lorenz-Bokelberg über Podcasts und Perspektiven.
25. September 2022
Sport, Staubfang, Schaumbad:Maria Lorenz-Bokelberg setzt früh alles auf die Karte Podcast. “Es lief zwei Jahre scheiße. Und irgendwann lief es besser”, sagt sie im großen Interview für die turi2 edition #19. Heute ist sie mit ihrer Firma Pool Artists die erfolgreichste Produzentin Deutschlands – und sucht manchmal die Stille. Nur für das Fotoshooting mit turi2 hört sie Podcasts in allen Lebenslagen.
Maria, wir haben dich als Podcast-Produzentin in typischen Situationen fotografiert, in denen deine Produkte gehört werden. Wie gut hältst du selbst eigentlich Stille aus?
Stille halte ich nicht nur aus, sondern brauche sie als Balance zu meinem Alltag. Ich habe so viel mit Audio zu tun, dass ich in meiner Freizeit sehr oft tatsächlich gar nichts hören will. Das geht so weit, dass ich Serien oder Filme lautlos und nur mit Untertiteln gucke, weil ich meinen Ohren totale Ruhe gönnen möchte. Deswegen ist Stille für mich immer etwas ganz Wunderbares. Aber nach einer gewissen Zeit darf es auch wieder laut werden und ich bin bereit für Musik, Podcasts und allerlei andere Menschengeräusche.
Du nimmst regelmäßig kreative Auszeiten. Was bringt dir das?
Ich habe mir das von Bill Gates abgeguckt. Als Geschäftsführerin gibt es bestimmte Sachen, für die man Zeit zum Nachdenken braucht. Und im Alltag ist es schwer, ein paar Schritte zurückzutreten. Ich fahre dafür einmal pro Jahr in die Berge. Da stehe ich um sechs Uhr auf, gehe wandern oder gucke mir was an. Ab elf setze ich mich an den Schreibtisch und arbeite mein Notizbuch ab, das ich über das Jahr mit Fragen fülle. Von Personalfragen bis hin zu: Sollten wir mal was ganz anderes ausprobieren? Ich höre auch liegengebliebene Podcasts nach und arbeite Konzepte aus. Die einzigen Leute, die ich von dort anrufe, sind mein Mann und meine Geschäftspartnerin.
Angefangen hast du nicht im Podcast, sondern in der Musikindustrie. Was hat dich dort hingetrieben?
Ganz stumpf: die Musik. Ich habe Instrumente gespielt und sogar kurz Musikwissenschaften studiert. Viele Menschen aus meiner Familie arbeiten in der Musikbranche. Bei EMI in Köln habe ich meine Ausbildung gemacht, danach auch im Live-Booking gearbeitet und Musik-PR für Jägermeister gemacht. 2010 habe ich alles über den Haufen geworfen und nochmal Amerikanistik studiert. Eine klassische „Jetzt oder nie“-Aktion kurz vor dem 30. Geburtstag.
War das Musik-Business so glamourös, wie man es sich vorstellt?
Das war schon damals keine entspannte, finanziell gut situierte Szene mehr. Das hat man an diversen Dingen gesehen: viele Wechsel in der Geschäftsführung, Unklarheiten über die Zukunft der Firma. Da wurden zwischen den Mitarbeiter*innen auch mal die Ellbogen ausgefahren. Deshalb bin ich dann zu Jägermeister gegangen, ich wollte ja Karriere machen. Und kurz danach gab es EMI auch nicht mehr. Schön war es trotzdem.
Welche Rolle spielt Musik heute für dich?
Eine deutlich kleinere als in meinen Zwanzigern. Noch 2006 wusste ich alles, weil ich mich für nichts anderes interessiert habe. Teilweise hat mir das die Branche verhagelt. Ich musste sehr viel Musik hören und auf Konzerte gehen. Für viele klingt das wie ein Traum, aber wenn du etwas immer wieder machen musst, verliert das seinen Zauber. Nach meinem Ausstieg habe ich jahrelang keine Konzerte mehr besucht.
Wann und warum hast du alles auf die Karte Podcasts gesetzt?
Ich habe 2012 als Konsumentin angefangen und hatte auch bald einen eigenen Podcast mit meiner Freundin Frida. In der Zeit gab es gefühlt 50 Podcasts und viele waren miteinander verbunden. Als unsere erste Folge 100 Hörer*innen hatte, sind wir total ausgeflippt. Ich habe ein besseres Mikro und ein Aufnahmegerät gekauft und wir haben uns Schneiden beigebracht. Parallel habe ich die Szene in Amerika beobachtet und irgendwann kam die Erkenntnis: „Natürlich wird das bei uns auch so groß.“ Ich fand es in dem Moment so logisch, dass ich meinen Job gekündigt und gesagt habe: Ich hänge mich da jetzt 1.000 Prozent rein. Dann lief es zwei Jahre scheiße. Und irgendwann lief es besser.
Hattest du nie Zweifel am Erfolg des Mediums?
Eigentlich nicht. Ich hatte nur Zweifel, wie lange es noch dauert, bis ich davon leben kann. Anfangs hatte ich ja die Produktion für Freunde übernommen. Als mich auch andere Leute gefragt haben, habe ich angefangen, Rechnungen zu stellen. Ich habe mich damals schnell belesen, wie man ein Geschäft aufbaut. Das wusste ich ja gar nicht. Ich war nicht berühmt und nicht vernetzt, auch weil es noch keine Podcast-Branche gab. Deswegen habe ich angefangen, mich als Produzentin in den Credits zu nennen. Das war damals noch nicht üblich. So sind mehr Leute auf mich aufmerksam geworden.
Noch heute sehen einige Leute Podcasts als Hype.
Wenn ich das glauben würde, wäre ich falsch in meinem Job. Ich kann das ganz pragmatisch erklären: Podcasts sind genau dann groß geworden, als unsere Mobile Devices mehr Speicherplatz hatten und die mobilen Datenvolumen gestiegen sind. Das lief komplett parallel. Es ist nicht so, dass die Leute vorher kein Interesse an On-Demand-Audio hatten. Es war nur nicht alltagstauglich möglich.
Maria Lorenz-Bokelberg ist mit dem Ex-Viva-Moderator Nilz Bokelberg verheiratet, mit dem sie auch zusammenarbeitet
Pool Artists führst du mit deiner Freundin Frida Morische. Dein Mann, der Ex-Viva-Moderator Nilz Bokelberg, ist auch dabei. Wie viel Family and Friends steckt in eurer Operation?
Mein Mann ist schon immer freischaffend an Bord. Unser viertes Date war die erste Aufnahme seines Podcasts „Gästeliste Geisterbahn“. Die Verstrickung hat es bei uns also immer schon gegeben. Da Frida und ich die Firma in einer Zeit gegründet haben, in der das Geldverdienen mit Podcasts schwierig war, hat es geholfen, mit Freunden und Familie anzufangen. Da kann man leichter ins Risiko gehen und schauen, was dabei rumkommt.
Wann seid ihr richtig durchgestartet?
„Sanft und Sorgfältig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz hat das Geschäft angeregt. Auch den Schub von ihrem Umzug zu Spotify haben wir gemerkt. Dann habe ich Jochen Wegner kennengelernt und wir haben begonnen, die Podcast-Strategie von Zeit Online aufzubauen. Das hat uns natürlich sehr gut getan. Da kam dann 2017 schnell der Punkt, an dem ich gemerkt habe: Jetzt läuft’s und ich schaffe es nicht mehr alleine.
Ihr bietet Produktion, Kreation und Beratung – was ist dein Steckenpferd?
Beratung, aber auch Kreation. Am meisten Spaß macht es mir, mich mit Neukunden hinzusetzen und herauszufinden, was sie eigentlich brauchen. Wenn das mit einem Podcast zu machen ist und wir zusammen passen, dann planen wir die Eckpfeiler: Was erzählen wir? Wer spricht? Wenn dann die Produktionsplanung startet, gebe ich ab, die mache ich so gut wie gar nicht mehr. Da bin ich auch schon lange nicht mehr die Beste in der Firma. Ich finde es in der Geschäftsführung total wichtig, so etwas zu erkennen.
War das immer so?
Am Anfang mussten wir alles können, aber da waren wir noch viel kleiner. Wenn was schief ging, ging es eben auch nur für Frida und mich schief. Da geht man was trinken, guckt sich in die Augen und sagt: Aha. Wenn jetzt was schief geht, betrifft es die ganze Firma. Deswegen erkennt man seine Schwächen und sucht sich Leute, die das gut können. So ist unsere Firma ein geiles buntes Puzzle.
Ihr habt lange Podcasts in deinem Wohnzimmer aufgenommen. Zeit Online ist dir sogar mit Kamera durch die Wohnung gefolgt. Warum vermischt du so gern Privates und Berufliches?
Das ist zum einen historisch gewachsen, früher hatte ich kein Büro und kein Studio. Und das, was du jetzt unter „privat“ verstehst, haben Nilz und ich immer gern geteilt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Menschen motiviert, wenn sie sehen: Die hat auch nur ein Wohnzimmer und macht coole Sachen. Bei den zwei Podcasts „Alles gesagt“ und „Die Nilz Bokelberg Erfahrung“, die wir jetzt noch im Wohnzimmer-Studio aufnehmen, gehört das zum Konzept. Aber viel von meinem Leben ist privat und das wird so bleiben.
Ist das Teilen von Privatem Pflicht in Podcasts?
Es ist eine Option, die man bei der Kreation mitdenken sollte. Podcast ist ein Medium, das extrem auf Augenhöhe gelernt ist. Der gleiche Inhalt in einem Radio-Sender gibt vielleicht zwei, drei Briefe von Hörer*innen, bei einem Podcast sind es möglicherweise 500. Das ist historisch bedingt, weil Podcasts in ihren ersten zehn Jahren Gespräche zwischen Privatleuten waren. Das spürt man bis heute und das macht es auch möglich, journalistische Erfahrungen viel privater zu erzählen.
Aber verschwimmen da nicht Grenzen? Auch zwischen Journalismus und Aktivismus?
Ich bin keine Journalistin. Deswegen haben wir Menschen, die uns beraten. Mein Parade-Beispiel für Podcast-Reportagen ist der US-amerikanische Podcast „Serial“, der einen ungeklärten Kriminalfall behandelt. Sarah Koenig nimmt dich mit in die Geschichte und teilt ihre eigenen Empfindungen. Das hat mich als Hörerin natürlich viel mehr gepackt. In dem Fall finde ich es gut, die journalistische Distanz aufzuheben. Allerdings ist das im Nachgang in Projekten häufig auf Teufel komm raus passiert. Ich sollte schon überlegen: Was gewinnt die Geschichte dadurch, dass ich mich in den Vordergrund drängele?
Ihr produziert aktuell 45 Podcasts, davon sind sechs eigene Projekte. Sind Auftragsproduktionen entspannter?
Klar, da wissen wir von vornherein, dass wir Geld verdienen. Das entspannt massiv. Unentspannt kann es sein, dass wir nicht das letzte Wort haben, weil die Podcasts uns meistens nicht gehören. Auftragsproduktionen bieten uns aber auch die Möglichkeit, Dinge umzusetzen, die wir allein nicht machen können. „Faking Hitler“ wäre ja ohne den „stern“ nicht gegangen, da nur sie Zugang zu den Tapes hatten.
Wie entscheidest du, welche Ideen du nicht umsetzt?
Da gibt es ganz unterschiedliche Faktoren. Manchmal gefallen uns Vorschläge einfach nicht. Manche wollen eine Zielgruppe bespielen, die es noch nicht gibt und sich nicht in eine andere Richtung beraten lassen. Auch Antipathie kann ein Grund sein. Man sitzt im Meeting und denkt: „Ich würde wahnsinnig gerne nicht mehr mit Ihnen in einem Raum sitzen.“ Das beruht ja meist auf Gegenseitigkeit und ist auch völlig okay.
Pool Artists gründet Maria Lorenz-Bokelberg 2013 gemeinsam mit ihrer Freundin Frida Morische. Die Firma produziert von Berlin aus unter anderem „Faking Hitler“ für den „stern“ und von „Alles gesagt“ bis „Zeit Verbrechen“ alle Audio-Projekte von Zeit Online
Was sind die häufigsten Fehler in Podcasts?
Oft kommen Agenturen oder Managements zu uns, weil sich herumgesprochen hat, dass Promis mit Podcasts Geld machen können. Dass das auch die Stars Zeit und Arbeit kostet, wird oft unterschätzt. Außerdem haben Leute überraschend oft Ideen, die nach einer oder zwei Folgen auserzählt wären. Und eine dritte Sache noch: Menschen haben häufig vorher nicht geschaut, ob es ihre Idee nicht schon zur Genüge gibt.
Wer braucht dringend einen Podcast? Und wer vielleicht auch nicht?
Bei der Frage komme ich in Teufels Küche. Eine Person kann ich da nicht nennen. Aber so viel sage ich: Wir haben häufig Meetings mit Männern, die darüber reden wollen, was sie in der letzten Woche erlebt haben. Das ist für mich keine Idee mehr. Ich liebe solche Podcasts, aber es gibt davon sehr viele. Meine Erfahrung ist bloß, dass es Medien-Männern egal ist, ob sie etwas Neues beizutragen haben. Sie denken: Was sie zu erzählen haben, wird schon geil genug sein. Medien-Frauen kommen dagegen manchmal viel zu spät zu uns, weil sie nicht an ihre Idee glauben.
Also ist die Podcast-Landschaft schon sehr männergeprägt.
Ja, gerade auch das Promi-Podcast-Business. Das liegt daran, dass es dort, wo die herkommen, schon mehr Männer gibt. Das zieht sich nur weiter ins nächste Medium. Da merke ich in Kundengesprächen, dass wir eine anstrengende Firma sind, weil wir immer auf die Balance beharren. Es gibt so viele tolle Stimmen, die noch eine Perspektive mitbringen, die es nicht schon tausend Mal gibt. Der weiße, männliche Hetero-Bereich ist ganz gut abgedeckt. Wir wissen, was ihr denkt, jetzt würden wir gerne mal anderen zuhören.
Selbst die Geschäftsführung mittelständischer Firmen podcastet heute für die Belegschaft. Kann das eine Mitarbeiterzeitschrift ersetzen?
Da muss man sich die Firma angucken. Ich glaube, dass es schwierig ist, das Medium Menschen aufzudrücken, die kein Audio konsumieren. Lesen ist ja etwas anderes als Hören. Ich kann mir aber vorstellen, dass man im Podcast etwas mehr vermitteln kann.
Was ist für dich der beste Corporate Podcast?
Mir fallen keine guten deutschen Beispiele ein, aber das heißt nichts. Ich kann auch nicht alles hören. In Amerika hat General Electric ein richtig geiles Sci-Fi-Hörspiel gemacht namens „The Message“. Und die Zahnpasta-Marke Zendium hat „2 Minutes of Zen“. Da gibt es unnützes Wissen für das Zähneputzen. In meiner Blase in Deutschland ist das Konzept aber noch nicht angekommen.
Siehst du da Potenzial?
Auf jeden Fall. Wenn du als Firma ein bisschen Mut hast und Werbung für dich nicht nur heißt, mir zu erzählen, wie geil dein Produkt ist. Denn Werbung kann auch bedeuten, dass Leute neben deinem Logo eine gute Zeit haben. Dann gehst du zu Kreativen wie uns und sagst: Das ist unsere Identität, das sind unsere Werte und wir wollen einen Podcast, der das mitträgt. Große Firmen haben auch das Geld dafür.
Apropos große Firmen, ihr schließt die Zusammenarbeit mit Springer aus. Warum?
Diese Frage zu beantworten – und das ist schon Teil der Antwort – ist irre schwierig. Wir wollen nicht mit Axel Springer arbeiten, weil der Verlag ein paar Publikationen wie „Bild“ und „Welt“ hat, deren Idee darauf basiert, Menschengruppen gegeneinander aufzuhetzen. Und ich weiß, dass allein nach dieser Aussage schon meine Haare brennen. Denn natürlich läuft weder bei unseren Kunden noch bei uns alles perfekt. Trotzdem finde ich, dass Axel Springer sich da eine ganz besondere Stellung herausgearbeitet hat und auf eine andere Art nach außen hin stolz darauf ist. Als Privatmensch finde ich das schlimm und beängstigend. Und als Gründerin ist es schön, dass ich diese Entscheidung einfach treffen kann.
Für wen arbeitet ihr außerdem nicht?
Da könnte ich dir jetzt Standard-Antworten wie „Waffenhersteller“ geben. Wir schauen, wofür eine Firma steht, was sie macht und wie sie kommuniziert. Dann entscheiden wir von Fall zu Fall.
Stichwort Finanzierung. Wie machen Podcasts das am besten?
Wenn du ein großes Medium bist, würde ich sagen: Mach den Podcast, hau den über deine Reichweite raus und versuch es mit Werbung. Wenn du privat zu mir kommst, würde ich sagen: Versucht, euch eine Community zu erarbeiten und lasst euch von der unterstützen. Das funktioniert, wenn du die Hörer*innen ansprichst oder sogar einen Dialog führst. Wenn du unabhängig agierst, unterstützt die Podcast-Community gerne.
Wie sieht denn die klassische Podcast-Hörerin aus?
Die sieht aus wie das, was du losschickst. Wenn du mit drei Dudes am Tisch locker quatschst, sehen die Leute dir wahrscheinlich relativ ähnlich. Wenn eine Psychologin und eine Journalistin über Probleme mit der Menstruation reden, hast du eine andere Community. Wichtig ist, dass du deine Community kennst. Da hilft dir eine gute Statistik auf deinem Server, aber auch Gespräche mit den Leuten und mal eine Tour zu machen. Selbst dann, wenn du auf Werbe-Spots setzt, musst du dein Publikum kennen.
Warum?
Gerade wenn du als Host selbst Werbung einspricht, sollte das Fans ja nicht vor den Kopf stoßen. Das ist eine Vertrauenssituation. Als Fan glaube ich dir mehr als einer Sprecherstimme. Gute Podcaster machen nicht für alles Werbung, sondern richten sich am Publikum aus.
Vor zwei Jahren meintest du, dass Mainstream-Podcasts für Leute fehlen, „die auch RTL2 gucken“. Hat sich da was getan?
Als Verlagshäuser eingestiegen sind, waren die Inhalte stark auf Menschen mit höherer Schulbildung ausgerichtet, weil genau solche Leute hinter den Projekten standen. Die wollten lange Gespräche mit dem Motto: „Lass uns doch mal richtig in die Tiefe gehen.“ Das war und ist auch immer noch ein bisschen elitär. Da gab es eine Angst vor Entertainment. Langsam tut sich was, aber das Potenzial ist noch sehr groß.
Siehst du noch Nischen, in die man stoßen sollte?
Wenn du Nischen bedienen willst, brauchst du Ausdauer. Aktuell gibt es erstmals eine Furcht, Themen zu besetzen, die nicht allen gefallen. Der lange Atem wird wiederkommen, wenn die ganze Branche wieder etwas stärker ist. Mein Lieblings-Beispiel für Nischen ist ein Podcast über Chamäleon-Zucht. Der Macher hat erzählt, dass es auf der Welt vielleicht 700 Züchter*innen gibt. Das ist seine maximale Hörer*innen-Zahl. Er hat trotzdem angefangen und erreicht heute 450 davon – ein Riesen-Erfolg. Und der hat Werbung, denn spitzer wird die Zielgruppe nicht.
Glaubst du, Podcasts können wie TV-Serien à la „Game of Thrones“ ein wöchentliches Lagerfeuer kreieren?
In den USA war das „Serial“. In meiner Community haben wir uns damals zusammengeschlossen am Telefon und von drei rückwärts gezählt, um alle gleichzeitig die Folge zu hören. In Deutschland gab es das noch nicht. Die Amerikaner*innen sind mutiger, mit einem Cliffhanger aufzuhören und offensichtliche Infos auch mal wegzulassen, um sie dann erst später überraschend zu erzählen. Sogar in einem seriösen journalistischen Format. Das ist emotionale Manipulation in einem guten Sinne.
Wenn du auf die USA schaust – welche Trends müssen wir noch aufarbeiten?
Ich gucke nicht auf inhaltliche Trends. Ein Podcast über deutsche Waffengesetze juckt niemanden, für die USA sieht das natürlich anders aus. Auf Business-Ebene sind die Staaten uns noch drei, vier Jahre voraus. Wirklich interessant finde ich die Unternehmen am Rande der Podcast-Industrie. Firmen, die sich nur um Expert*innen-Vermittlung oder nur um Remote-Aufnahmen-Beratung kümmern. Das gibt es hier noch nicht. Und in Amerika stehen die Vermarktungs-Standards. Wie wird was gezählt? Welcher Server zählt? Da ist Deutschland auf einem guten Weg, aber noch nicht fertig. Und das schreckt automatisch potentielle Sponsoren und Kund*innen ab.
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Wann holen wir das auf?
Ein Stück weit werden sie uns immer voraus sein, weil sie mehr Leute sind. Wenn du dort zum Beispiel eine Paywall-Plattform gründest, brauchst du einen viel geringeren Marktanteil, um dich zu finanzieren. Natürlich auch, weil dort schon mehr Menschen Podcasts hören. Ein Paywall-Angebot ist in Deutschland im Moment noch schwer zu machen. Aber ich bin mir sicher, dass es möglich sein wird, und teils funktioniert es ja auch schon. Es ist nur noch ein bisschen früh.
Wie kann der Podcast-Markt noch wachsen?
Wir haben noch deutlich mehr Menschen, die zwar Smartphones nutzen, aber gar keine Podcasts hören. Obwohl sie wahrscheinlich sogar eine vorinstallierte App haben. Da müssen wir als Branche fragen: Warum hören die uns eigentlich nicht? Die Antworten auf diese Frage offenbaren uns ganz andere Lebensrealitäten, außerhalb unserer Blase. Das müssen wir als Branche erfassen und daran arbeiten, noch mehr Menschen für unser Medium zu gewinnen.
Maria Lorenz-Bokelberg
Geb. 1981 in Berlin
2005 Ausbildung bei EMI Music in Köln
2007 Schröder & Schömbs PR für Jägermeister
2008 Meistersinger Konzerte & Promotion
2011 Studium American Studies in Berlin
2012 Erster eigener Podcast
2013 Selbstständigkeit als Podcast-Produzentin
2017 Start der Podcasts von Zeit Online
2018 Gründung Pool Artists
2019 Veröffentlichung des Podcasts „Faking Hitler“
Zum Thema Audio erscheint ein ganzes Buch: die turi2 edition #19 Audio – Erscheinungstermin: 12. Oktober 2022. Du kannst die Buchreihe turi2 edition kostenfrei lesen und als E-Paper hier kostenlos abonnieren.
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